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Details zum Tod des Polizisten Filippo Raciti

Im Zuge der Diskussionen um Gewalt im Umfeld des italienischen Fußballs – bisheriger Höhepunkt der Tod des Lazio Fans Gabriele Sandri – wurde von allen Medien der Tod des Polizisten Filippo Raciti beim sizilianischen Derby Catania gegen Palermo im Februar 2007 erwähnt. Vielleicht bietet es sich an, auch diesen Fall noch einmal ins Bewusstsein zu rufen – jedenfalls den derzeitigen Stand der Ermittlungen.

Von Seiten der Staatsmacht ein emblematischer Beweis mörderischer Ultrà-Gewalt, der man sich jedes Wochenende ausgesetzt sieht; von Seiten der Tifosi Symbol der Ungleichbehandlung – für Raciti wurde der Ligabetieb gestoppt, für Sandri nicht. Während in Ultrà-Foren im Internet die Todesursache seit Monaten kontrovers diskutiert wurde, war die Tatversion seitens der offiziellen Stellen bereits kurz nach den Geschehnissen klar und ein Schuldiger wurde schnell präsentiert. Während eines gewalttätigen Zusammenstoßes von Catania-Fans mit Einsatzkräften griff der 17-jährige Antonino Filippo Speziale, seitdem in Untersuchungshaft, mit aus der Wand gerissenen 5 kg schweren Teil einer Waschbeckenabdeckung die heranrückende Staatsmacht an und verletzte Filippo Raciti an einer Lebervene, was kurze Zeit später zu seinem Tod durch innere Blutungen führte. 2 Kameras zeichneten das Geschehen auf.

Bis auf die Tat selbst.

So weit, so klar. Nur L’Espresso als eine der „großen Printmedien“ kam mit einer eigenen Version des Vorfalls hervor, der deutlich von der bisherigen offiziellen Beschreibung abwich. Dazu später, hier noch einmal die Zusammenfassung der Geschehnisse nach bisheriger offizieller Darstellung: Zusammenfassend zeigen beide Filmaufnahmen der Überwachungskameras eine Gruppe junger Catania-Fans, die ein Waschbecken aus der Wand reißen und es in hohem Bogen gegen die Polizeitruppen schleudern. Eine Kamera zeigt in Richtung der Nordkurve und filmt die Fans beim Angriff, die zweite Kameraaufnahme zeigt die Polizisten, die sich in Richtung des Eingangs zur „Curva Nord“ drängen. Man kann das Waschbeckenteil sehen, wie es zur Erde fällt und in Stücke zerspringt – Raciti selbst nicht. Antonino gibt genau dies in seiner Aussage am 08. Februar zu: „Ich habe das Teil geworfen, aber niemanden getroffen.“ Einen eventuell von dem schweren Block getroffenen Polizisten zeigt die Aufnahme nicht. Dieses Geschehen fand zwischen 19.04 und 19.09 Uhr statt.

Für die Staatsanwaltschaft ist die Tatsache, dass Filmaufnahmen der Verletzung Racitis fehlen ein „zu vernachlässigendes Detail“. Für breite Teile der italienische Fußballfans war es das nie – für den Anwalt der Verteidigung Giuseppe Lipera geht aus den Aufnahmen im Gegenteil hervor, dass das Teil in einem unveränderten Bogen geworfen wurde, flog und ohne Berührung auf dem Boden zerschellte. Auch von den Carabinieri sagt niemand aus, dass er den Moment der Verletzung Racitis gesehen hat – nicht einmal seine Kollegen, die in Reihe hinter ihm standen. Der Moment, in dem Filippo Raciti die tödliche Verletzung beigebracht bekommt, wird von niemandem wahrgenommen – nicht einmal von ihm selbst. („Ma il punto è un altro. Se Raciti subisce un colpo mortale, nessuno se ne accorge. Neanche lui.“)

Um 20.30, knapp eineinhalb Stunden nach dem nach offizieller Anklage tödlichen Treffer verteidigt Raciti noch die öffentliche Ordnung, als die schweren Ausschreitungen auch nach dem Spiel mit großer Gewalt weitergehen – es fliegen Steine, Feuerlöscher und schwere Keramikteile gegen Polizei und deren Fahrzeuge. Noch jetzt steht Raciti in erster Reihe und schickt seinen Kollegen, Chef des Einsatzkommandos Pietro Gambuzza, einen festgenommenen Gewalttäter zum Verwahrwagen zu bringen. Aus der Entfernung sieht dieser Rauch unter einem „Discovery“ Polizeifahrzeug aufsteigen, Raciti fühlt sich schlecht und bittet um 20.34 um Hilfe „Mi sento male, aiuto…“. Ein Arzt erinnert sich, dass der Einsatzwagen bei offener rechter Tür sich rückwärts bewegt. In der Notaufnahme des Ospedale Garibaldi findet sich Raciti in sehr schlechtem Gesundheitszustand, der Arzt stellt Herzstillstand, wahrscheinlich durch Barotrauma fest, hervorgerufen durch eine in der Nähe explodierte Papierbombe. Während sein Zustand äußerst ernst war, fanden sich am Körper Racitis keinerlei Zeichen eines schwerwiegenden äußeren Traumas, wie es durch einen schweren Gegenstand hervorgerufen sein könnte. Sergio Pintaudi, Leiter der Notaufnahme, erkennt sofort die Schwere des Zustands des Polizisten, dessen Gesicht während des Transports zyanotisch wurde bei schwarzen Lippen. Die Wiederbelebungsmaßnahmen nach Herzstillstand bringen ihn leider nicht ins Leben zurück, um 22.10 Uhr wird der Hirntod festgestellt. Nach Aussagen von Pintaudi stellt die Verletzung einer Lebervene keinen Widerspruch zum Fehlen äußerer Verletzungszeichen dar.

Soweit L’Espresso vom 08. März diesen Jahres.

In einer Ausgabe vom April diesen Jahres weist L’Espresso nun auf die Aussage eines Polzeikollegen hin, die ein etwas anderes Licht auf die Vorkommnisse wirft. Er wirft ein, dass er wahrscheinlich Raciti beim Zurücksetzen angefahren habe und ein medizinisches Gutachten wird zitiert, aus dem hervorgeht, dass Racitis Verletzungen wahrscheinlich aus diesem Zusammenstoß herrühren. Delikat nun, gerade vor dem Hintergrund der Salamitaktik der Staatsgewalt im Fall Gabriele Sandri, dass diese Belastungsaussage Staatsanwaltschaft und Justiz bereits seit 8 Wochen vorliegt. Der Zusammenstoß mit dem Polizeifahrzeug fand um 20.20 Uhr statt – erst danach klagte Raciti über Atemnot und stechende Schmerzen.

Angesichts der Faktenlage werde ich mit einer Bewertung im Moment zurückhalten, bis es zum Hauptprozess und einer endgültigen Bewertung der Beweislage kommt. Erschreckend finde ich, dass eine solch gravierende Aussage, von Seiten der Justiz 8 Wochen unter Verschluß gehalten wurde. Der Tod Racitis war Anlass hart verschärfter Gesetze gegen gewaltbereite Fußballfans. Insgesamt hat alles dieses bei einem Fußballspiel nichts aber auch überhaupt nichts verloren und es gibt keine Entschuldigung für gewalttätige Ausschreitungen – die ja erst die Anwesenheit von Einsatzkräften notwendig machen – in Fußballstadien. Diese Auswüchse müssen mit aller zur Verfügung stehenden legalen Härte des Gesetzes unterbunden werden. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Staatsorganen und Hooligans – die ersteren sollen die Werte der Demokratie gegen die letzteren verteidigen. Die einen sind eingesetzt, das Rechtssystem gegen Angriffe der anderen zu verteidigen – Vertuschen, Verschweigen und Überspielen gehören, bei allem Verständnis für den emozionalen Ausnahmezustand der Beteiligten, nicht dazu. Denn noch haben wir Gewaltentrennung und noch haben wir keinen Bürgerkrieg mit Ausnahmezustand. Dass eine Seite gesetzwidrig und gewalttätig handelt ist für die andere kein Freibrief, dies ebenso zu tun. Ungerecht? Vielleicht. Demokratie? Ja.

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