Der Römer Journalist Simone Nastasi geht in diesem Buch der Frage nach, ob Antonio Speziale – letztinstanzlich verurteilt wegen Totschlags am Polizisten Filippo Raciti beim sizilianischen Derby 2007 – wirklich schuldig ist. Das heißt, er erkennt natürlich den rechtlichen Ist-Zustand an, führt den Leser aber durch den Dschungel der Instanzen, Zeugenaussagen, Indizien, Gutachten und Gegengutachten und bereitet das Anwaltschinesisch so auf, dass ein interessierter Leser dem Geschehen folgen kann. Das Kassationsgericht hatte das Urteil gegen den zum Tatzeitpunkt 17-jährigen im November 2012 bestätigt, 8 Jahre, damit sind die Gerichtsakten zunächst einmal geschlossen. Viele Umstände dieses Prozesses lassen allerdings die Zweifler nicht ruhen und parallel zu dem, was für Recht erkannt wurde, haben sich viele eine ganz gegenteilige Meinung gebildet. „Il caso Speziale“ hilft nun bei der Meinungsbildung.
Die Assistenz bei Rechtsstreitigkeiten ist ein rein technischer Akt, der garantiert, dass der Prozessablauf formal korrekt verläuft. Verteidigen heißt, sich mit aller Kraft einzubringen, damit die Wahrheit und die Gerechtigkeit siegen. Wenn der Anwalt an die Unschuld seines Mandanten glaubt, dann verteidigt er ihn; wenn er nicht daran glaubt, dann assistiert er ihm nur.
Giuseppe Lipera, Speziales Anwalt
Damit diese Meinungsbildung nicht nur Auf Slogans und Vermutungen basiert, arbeitet sich Nastasi in einer Akribie an den Prozessakten ab, dass man ihm nur Bewunderung zollen kann. Minutiös werden hier Aussagen gegenübergestellt, wird geschildert, wie die Richter der jeweiligen Instanzen zu ihren – sich durchaus widersprechenden – Ergebnissen kamen, welche Methoden die Gutachter anwandten, welche Filmaufnahmen gesehen wurden (und welche nicht) und welche Zeugen eingeladen wurden (und welche nicht). Dabei liest sich das Ganze teilweise selbst wie das Kreuzverhör eines eifrigen Verteidigers: In einem Stakkato von „Warum?“ „Wie?“ „Wann?“ „Wer?“ werden die Schriftsätze immer wieder nach Details durchpflügt. Immer unter der im Vorwort geschriebenen Maßgabe, dass der Leser sich selbst ein Bild machen soll. Abgerundet wird das Buch durch ein langes Interview mit Speziales Verteidiger Giuseppe Lipera und einem 34 Seiten starken Abdruck der wichtigsten Prozessakten.
Man muss Nastasi dankbar sein dafür, dass er sich diesem Thema so ernsthaft gewidmet hat, obwohl von einem Buch über ein Gerichtsverfahren sicherlich keine Reichtümer zu erwarten sind. Der Fall stammt aus dem Februar 2007, die Jahre sind ins Land gegangen und die Öffentlichkeit will nur zu gern das damalige Geschehen vergessen. Ein Schuldiger wurde ja verurteilt. Allein Fußballfans in ganz Europa geben keine Ruhe. Und so sind Buchvorstellungen und Lesungen vom „Caso Speziale“ in verschiedenen italienischen Städten immer sehr gut besucht. Zeichen dafür, dass das Misstrauen gegenüber der italienischen Justiz tief sitzt und zumindest ein Teil der aktiven Fanszenen sich lieber mit den Fakten vertraut machen möchte, bevor sie der Rechtsprechung glauben.
Und Nastasis Buch hilft dabei. Auch und vor allem, indem er die Inkongruenzen und Auslassungen der Tribunale unterstreicht. Zeugen, die niemals eingeladen worden, obwohl sie angeben, das Tatgeschehen mit eigenen Augen beobachtet haben wollen. Videomitschnitte, die niemals angefordert wurden, obwohl darauf zu sehen sein soll, wie der Polizeijeep beim zurücksetzen Raciti umfährt. Ein Gericht, das die Methoden des renommiertesten italienischen kriminaltechnischen Instituts RIS Parma als ungültig kritisiert, obwohl sie deren Ausführung vor Ort immer begleitet hatte. Videoaufnahmen, in denen entscheidende Sekunden fehlen, die durch Annahmen ersetzt werden. Die zurückgezogene Aussage von Racitis Fahrer, der bei einer Befragung kurz nach dem Tatzeitpunkt zweifach zu Protokoll gibt, seinen Chef umgefahren zu haben.
Das alles weil wir fest an die Unschuld Antonino Speziales glauben und nichts kann uns von dieser Überzeugung abbringen.
Giuseppe Lipera, Speziales Anwalt
Wenn dem Buch irgendetwas vorzuwerfen ist, dann sein Untertitel: „Cronaca di un errore giudiziario“ – „Chronik eines Justizirrtums“. Das nimmt natürlich Spannung aus der Lektüre.
8 Antworten auf „Simone Nastasi: Der Fall Speziale/Il caso Speziale“
[…] den Merkwürdigkeiten dieses Prozesses habe ich genug geschrieben, es ist ein Buch dazu erschienen, mindestens zwei TV-Dokus und dutzende europäische Fanlager haben Ihre Meinung kundgetan, […]
[…] Giuseppe Lipera jeden Tag tut. Dasselbe, was der Journalist Simone Nastasi in seinem Buch „Der Fall Speziale – Chronik eines Justizirrtums“ getan hat. Genau weil für die beiden, wie für viele andere, der berechtigte Zweifel […]
[…] bereits im Interview, das ich kürzlich mit dem Autoren und dem Herausgeber des Buches “Der Fall Speziale” geführt hatte (in italiano qui). Nach all den Gemeinplätzen, […]
[…] gesprochen, an einem Dokumentarfilm mitgewirkt, in dem der Fall zur Sprache kommt und nicht zuletzt das Buch „Il Caso Speziale“/“Der Fall Speziale“ zum Thema gelesen. Im Folgenden habe ich mir erlaubt, dessen Autor Simone Nastasi und den Herausgeber, Verlagsschef […]
[…] habe vieles aus den Prozessakten gelesen, auch das Buch “Il Caso Speziale” von Simone Nastasi, ich habe die Zweifel des “L’Espresso” wiedergegeben, mich mit Speziale und […]
[…] er den Spitznamen “Genny o’ Carogna” trägt, weil er ein T-Shirt mit “Speziale Libero” anhat, weil er grimmig aussieht und überhaupt, weil er vom Zaun herab mit Vertretern […]
Ich habe das Buch nicht gelesen. Was mir dennoch aufstößt ist die Distanzlosigkeit die der Autor Simone Nastasi, der Verleger Salvo Bonfirraro und die Anwälte Lorenzo Contucci und Giuseppe Lipera zum italienischen Neofaschismus pflegen. Am 14. März 2014 stellten sie das Buch und den Fall Antonio Speziale zusammen mit dem Vizepräsidenten CasaPound Italias, Simone di Stefano, in dem Hauptquartier dieser neofaschistischen Bewegung/Partei vor.
Auf der Facebook-Site der Faschisten ist der volle Pressesaal im Casa Pound in der Via Napoleone II Nr. 8 zu sehen.
Das gleiche Schauspiel gab es schon am 9. November 2013 bei CasaPound Firenze. Saverio Di Giulio von CasaPound Italia saß dort zusammen mit Simone Nastasi, Salvo Bonfirraro, Lorenzo Contucci und Simone Bonaldi auf dem Podium. Zu sehen ist diese Präsentation im Caffè Giubbe Rosse in Florenz auf der facebook-site der Bonfirraro Editore, dem Verlag Salvo Bonfirraros.
Was bringt diese Herrschaften dazu ihre Kritik an Polizei und Justiz mit Faschisten und Rassisten zu teilen und diesen somit in der Gesellschaft eine generelle und in den Kurven der Stadien eine spezielle Legitimation zu verschaffen?
Ehrlich gesagt wird mir speiübel!
Ich finde auch, man hätte bei der Auswahl der Veranstalter für die Buchvorstellungen ein Statement setzen können, statt der "Sichtbarkeit" Vorrang vor allem anderen zu geben. Vor allem von einem Journalisten aus dem erweiterten Umfeld der Repubblica und vom sicher jeder Rechtsoffenheit unverdächtigen Contucci hätte ich mir das erwartet. Aber in einem Land, in dem auch Kurven wie die der Fiorentina oder Sampdoria Fanfreundschaften zu Hellas pflegen, wundert es mich kaum.