Heute Morgen klingelt mein Telefon. Antonio Speziale, Vater von Antonino, der mit Unterbrechungen seit 2007 in Haft ist. Roberto ist ein einfacher Mann, der sich aus freien Stücken sicherlich nicht mit den sprachlichen Tücken von Anwaltsitalienisch auseinandersetzen würde oder den manchmal nicht leicht erschließbaren Feinheiten abgewogener Rechtssprechung. Am Samstag spielte Catania Calcio gegen Reggina und auf den Tribünen sangen Fans "Liberate Antonio Speziale!" "Lasst Antonio Speziale frei!" Heute hat der Sportrichter den Verein dafür mit einer Strafe von 500 Euro belegt. Roberto versteht das nicht. Ich kann es ihm nicht erklären.
Zu den Merkwürdigkeiten dieses Prozesses habe ich genug geschrieben, es ist ein Buch dazu erschienen, mindestens zwei TV-Dokus und dutzende europäische Fanlager haben Ihre Meinung kundgetan, daraus war ein Kalender entstanden. Einstweilen ist der damals 17-jährige, der wegen des Todes von Filippo Raciti verurteilt wurde, weiter in Haft. Man kann nun unterschiedlicher Meinung sein. Viele haben Zweifel am Zustandekommen des Urteils, andere halten am Rechtsstaat fest. Die einen singen oder sprühen "Speziale ist unschuldig" oder "Lasst Speziale frei", die anderen halten das für Solidarisierung mit einem Verbrecher.
Ich halte es für eine Meinung. Selbst der Ultrawelt nicht besonders zugeneigte italienische Journalisten haben die Meinung geäußert, dass Speziales Täterschaft eventuell nicht "über jeden verdacht erhaben" ist. Der wissenschaftliche Dienst der Polizei in Parma, das bedeutendste Instuitut in Italien, hatte ähnliches bescheinigt, wurde dann aber in der letzten Instanz darüber aufgeklärt, nicht wissenschaftliche Methoden zu nutzen. Jedenfalls gibt es durchaus Gründe dafür, dass Menschen weiterhin von der Unschuld Speziales überzeugt sind. Und diese Menschen sind eventuell der Meinung, dass man ihn deshalb frei lassen sollte.
"Warum machen die das?", fragt Roberto. "Weil sie es können", antworte ich. Denn auch in Italien herrscht Meinungsfreiheit, der Artikel 21 der Verfassung gibt Jedem das Recht, diese frei zu äußern. Offensichtlich gilt das nicht für Fußballstadien, wo es massenhaft Stadionverbote für Fans mit einem "Speziale unschuldig"-Shirt, sogar einen Spieler hatte das getroffen. Jetzt muss also Catania 500 Euro zahlen, weil die Fans der Meinung waren, dass Speziale – 11 Jahre nach den Vorfällen – freigelassen werden sollte. Mich würde wirklich interessieren, wie der Sportrichter das begründet. Eventuell könnte ich es dann Antonios Vater erklären.