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Gute Ultràs, schlechte Ultràs

Eigentlich habe ich mich ja schon abgefunden mit der Tatsache, dass die Pressewelt in einer Mischung aus Hybris und Faulheit das Thema Ultràs nur von ganz fern abarbeitet. Aber wenn es denn schon einige wenige Journalisten gibt, die sich der eigentlich banalen Wahrheit bewusst sind, dass es keine einfachen Erklärungen für komplexe soziale Phänomene gibt, dann möchte ich auch sehr gern darauf hinweisen – zumal vor dem Hintergrund des medialen Dauerrauschens aus Paranoia und Schizophrenie, der das Thema sonst begleitet. Im April beschäftigen sich Christoph Luke von sportnet.at und André Hoffmann auf sportal.de mit Fankultur, unter wohltuendem Verzicht auf die ewig wiederkehrenden Phrasen, die durch andauernde Repetition doch nicht sinnvoller werden.

Andrè Hoffmann widmet sich in „Die Herrscher der singenden Masse“ in durchaus differenzierter Weise dem Thema Ultràs; eigentlich ein ganz schöner Artikel, differenziert und halbwegs objektiv. Was mich nur immer wieder verblüfft, ist dass ein Artikel dieses Niveaus, der ja eigentlich nur selbstverständliche Belanglosigkeiten erzählt, in der deutschen Presselandschaft so unglaublich positiv heraussticht. Denn natürlich sind Ultràs keine homogene Masse von gleichgeschalteten Dumpfköpfen (jedenfalls nicht mehr als die Journalisten, die darüber berichten) und in Bezug auf Gewalt und den Einsatz von Pyrotechnik gibt es durchaus äußerst unterschiedliche Auffassungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen. Und natürlich haben die meist Jugendlichen Ultràs – wie eigentlich immer bei Menschen – viele verschiedene Gründe, ins Stadion zu gehen und sich dort irgendwie zu verhalten. Die differenzierte Betrachtung des Phänomens Ultràs überfordert aber leider viele Mediennutzer und die Berichterstattung sorgt dafür, dass der durchschnittliche Premiere-Abonnent kognitiv nicht überreizt wird.

Schön ist die durchaus treffende Beschreibung Hoffmanns, der die Ereignisse anlässlich des Spiels Nürnberg gegen Frankfurt als „pyrotechnische Leistungsschau“ qualifiziert. Aber ja, genau, das war sie ja auch. Aber kann mir mal irgendjemand erklären, was an Pyrotechnik so unglaublich verdammenswert ist? Hat sich da schonmal ein Journalist ein Loch in die Krawatte gebrannt oder wieso schreiben die über 3 Bengalos immer, als stünde das Abendland vor dem Abgrund? Ein wenig Rauch im Fanblock und schon kräht das DSF reflexhaft von „Chaoten“, „Idioten“ und „Vorkommnissen, die wir in keinem deutschen Stadion sehen wollen“ – selbstverständlich nicht, ohne ihre eigenen Bilder im Trailer zu „Fußball International“ mit atemberaubenden Bengalo-Shows zu untermalen und als „südländische Atmosphäre“ zu preisen. Über Angriffe auf Reisebusse und Weihnachtsfeiern kann man (und muss man) diskutieren – aber wenn 3000 Polizisten schon dafür sorgen, dass keiner einen Blitzknaller mit in die Kurve bringt, dann braucht man sich doch wirklich nicht wundern, wenn einige die mediale Aufmerksamkeit nutzen, um einmal richtigen Zauber zu veranstalten. Wer jemals in einem unprovozierten Polizeikessel am Bahnhof einen Schlagstock ins Kreuz bekommen hat, wundert sich auch nicht mehr über das andere gemeinsame Feindbild: Polizei. Auf, Journalisten, zur Feldforschung.

Dem Staat stünde jedenfalls ein wenig Gelassenheit gut zu Gesicht und wenn Ultràs – gemäß ihrer Selbstdefinition – sich mal von denen abgrenzen würden, denen es nicht mehr primär um Fußball geht, dann wäre wirklich schon eine Menge gewonnen. Die Mischung aus Paranoia und dämlicher Doppelmoral hilft bestenfalls bei der weiteren Bekämpfung grauer Zellen beim Publikum. Ich selbst gehe seit nunmehr mehr als 20 Jahren in Stadien und habe in den Kurven alle möglichen Menschen kennengelernt. Die ganz überwiegende Mehrheit war witzig, sympathisch und durchaus in der Lage, klare Gedanken zu artikulieren. Selbstverständlich gibt es Ultrà-Gruppierungen, mit denen ich lieber nicht in derselben Straßenbahn zum Stadion fahren möchte.

Sperrangelweit offene Türen rennt bei mir Christoph Luke mit seinem Beitrag „Ultràs: Worüber niemand schreibt“ ein, der die albern-reflexhafte Berichterstattung seiner Kollegen angreift und sich Gedanken darüber macht, wieso das Abbrennen von Bengalos außerhalb von Silvester mit denselben Worten beschrieben wird wie ein Selbstmordanschlag auf einen Markt in Basra. Alle „kriminell“, alles „Chaoten“, die Bundesliga voller „Skandalspiele“ und Bilder „die niemand sehen will“. Naja, dann zeigt sie doch nicht, liebes DSF und liebe Bild. Aber ich habe ja vergessen, dass ihr lediglich den Wunsch nach stellvertretener Transgression bei euren komplexbeladenen Zusehern und Lesern bedient, denen bei ordentlich aufgemachten Bürgerkriegsbildern in deutschen Stadien mal so richtig der Law & Order-Saubermann durchkommt. Denn Steuern darf man ja hinterziehen, seine Frau mit der Kioskverkäuferin betrügen oder besoffen vom Kegelklub heimfahren – nur wer Rauchbomben zündet gefährdet das westliche Wertesystem nachhaltig. Und nur in so einer Welt wird Nürnbergs Präsident Roth zum todesverachtenden Superhelden.

Ebensowenig hilfreich ist natürlich der beständige Verweis auf „italienische Verhältnisse“ – wohl vor dem Hintergrund auf die in den Medien katastrophal aufgearbeiteten Umstände des Todes von Filippo Raciti beim letztjährigen sizilianischen Derby und den Todesschüssen auf Gabriele Sandri. Die Situation in Italien ist geprägt von jahrzehntelangem Versagen von Politik und Ordnungsmacht sowie Konflikten mit wirtschaftlichem und politischem Hintergrund, die in den letzten 2 Jahren zu einer unerträglichen Eskalation des Problems geführt haben. Italienische Verhältnisse gibt es in der Bundesliga nur insofern, als die Presse weitgehend unbehelligt von eventuellen Realitäten das Verhalten großer Bevölkerungsgruppen als „illegal“ deklariert. Beim Leser wird so nur das Bedürfnis nach einfachen Wahrheiten bedient, nach Sicherheit in einer als weitgehend chaotisch empfundenen globalisierten Welt, nach der Bestrafung und Ausgrenzung von „Abweichlern“. Denn was man sich selbst als Entgrenzung maximal im Bordell zugesteht, muss in anderen Zusammenhängen natürlich als Grenzüberschreitung gemaßregelt werden – fehlt eigentlich nur noch das implizierte „bei Adolf hätte es sowas nicht gegeben“.

Ich fand jedenfalls beide Beiträge wohltuend lesenswert und einen Beweis dafür, dass es durchaus Medienvertreter gibt, die zu selbständigem Denken fähig sind und Verhältnismäßigkeit beim Einsatz staatlicher Gewalt und bei der Berichterstattung darüber anmahnen. Mehr davon!

11 Antworten auf „Gute Ultràs, schlechte Ultràs“

[…] Alles in allem entsteht ein relativ stimmiges Bild der verwirrenden italienischen Verhältnisse rund um die schönste Nebensache der Welt. Auf eine zusammenfassende Bewertung ebenjener Verhältnisse wird wohltuenderweise verzichtet, denn es gibt eben keine einfache Lösung für komplexe gesellschaftliche Probleme – da kann die Law & Order-Fraktion sich noch so ereifern. Karl Hoffmann und, am Mikrofon, Bettina Nutz belassen es bei einer akribisch recherchierten und gut zu lesenden Zusammenfassung der fußballerischen Faktenlage im modernen Italien. Man verzichtet auf eindimensionale Schuldzuweisungen oder nostalgische Verweise auf die “gute alte Zeit”. Fußball, zumal in Italien, hat deshalb einen so hohen wirtschaftlichen Stellenwert, weil sich viele Menschen dafür interessieren. Der Beitrag zitiert, dass sich zwar gut die Hälfte aller Italiener als “Fans” eines Vereins bezeichnen würden, nur noch 70 % der Kirche vertrauen und 15 % der politischen Kaste – noch weniger vertrauen nach Moggiopoli aber dem System Fußball. Diese enorme Reichweite, verbunden mit dem Gefühl von Machtlosigkeit und Frustration, führt aber eben auch dazu, dass der Fußball gesamtgesellschaftliche Verwerfungen besonders präzise abbildet – nel bene e nel male. Denn der italienische Fußball hat selbstverständlich mit massiven Problemen zu kämpfen, aber seine Bedeutung im In- wie Ausland ist ungebrochen. Alles in allem ein sehr lesenswerter Text, auf den ich an dieser Stelle sehr gern hinweise…wie jeden Monat. […]

Umso wichtiger ist ein wenig Flankenschutz von den paar sinnvollen Pressevertretern, die noch Lust haben, gegen bestehende Voreingenommenheiten anzuschreiben. Denn während die bürgerliche Gesellschaft ja sonst vermeintlich die Individualität als kostbares Gut hochhält und jede Form von „Massenbewegung“ verteufelt, setzt sie alles in Bewegung, wenn es gegen aus dem Normalkonsens ausbrechende Gruppen geht. Dann ist Pyrotechnik ein willkommener Vorwand, gegen Leute vorzugehen, die sich selbst als „Abweichler“ definieren: Wenn ein Haufen Glatzen einen Nigerianer aus der Straßenbahn schmeißen, handelt es sich lediglich um fehlgeleitete Einzelfälle mit schlechter Kindheit, die man doch nun bitte nicht alle über einen Kamm scheren sollte.

mit auflösung (auslöschung) mein ich das, was von bürokraten, verbandsoffiziellen, vereinsoberen, pressevertretern (die kräftig mit den choreos der fans verdienen) gegenüber den fanverbänden betrieben wird. zivis, behelmte, kesselungen und schläge schweißen wirklich eher zusammen & schotten vor allem nach aussen ab…

Aber hallo, das Problem ist dann mit Sicherheit nicht weg. Während man bei streng hierarchisch organisierten Ultrà-Gruppierungen wenigstens noch einen Ansprechpartner für die diplomatische Ebene hat und bestimmte Einflußmöglichkeiten auf Gewalttäter hatte, fällt das alles weg, wenn die wenigen Schläger völlig unorganisiert ins Stadion kommen. Die Ursachen für Gewalt unter Jugendlichen liegen überall anders, aber nicht im Stadion – und sie gehen auch nicht weg, wenn man deren sichtbare Ausdrucksform aus den Stadien verbannt. Genauso wie der Faschismus nicht abgeschafft wird, indem man die NPD verbietet.

Und das mal ganz abgesehen davon, dass die ausufernde Repression gegen die Ultràs als Masse höchstens zu einem festeren Zusammenschluss und absoluter Nicht-Kooperation gegen das gemeinsame Feindbild bei denen führt statt zu einer differenzierten Auseinandersetzung innerhalb der Ultrà-Gruppen selbst.

Erstens ist Repression dumm und löst kein einzelnes Problem, zweitens legitimiert das undemokratische Verhalten einzelner Menschen nicht das höchst undemokratische Zurückschlagen des „demokratischen“ Staats. Jedenfalls, wenn wir die Bundesrepublik bei ihrer Selbstdefinition nehmen…einstweilen ist mein Kritikpunkt nur, dass ein Großteil der Presse idiotische Ressentiments befeuert und bestärkt und also ihrer Verantwortung nicht gerecht wird.

da haste schon recht. der umgang mit fussball fans grenzt an den umgang mit antifas oder anderen radikalen linken. die reaktion sowohl den einen, als auch den anderen gegenüber ist überzogen. sie stören das bürgerliche bild… diese masse läßt sich eben nicht kriminalisieren. sie läßt es sich nicht gefallen. die ohnmacht des bürgers beantwortet sie mit (manchmal übertriebenem) aktionismus & (individualisiertes) kollektiv!

ich hab, ähnlich wie du, das gefühl, dass es um ausgrenzung / abgrenzung geht. bei kesselungen, verboten und anderen drakonischen massnahmen kann ruhig, find ich zumindest, von auflösung gesprochen werden. das problem soll möglichst schnell weg! nur das die stadion dann womöglich genau so unsicher wären interessiert keinen. und, der support ohne diese unangepassten wär einfach nur langweilig.

Natürlich ist es nicht richtig, Pyros aufs Spielfeld zu werfen, aber selbst sowas rechtfertigt höchstens einen Spielabbruch und keine Aufhebung der demokratischen Grundrechte oder eine Berichterstattung, die an Bürgerkrieg erinnert. Und selbst dann könnte darauf hingewiesen werden, dass ein Arschloch Pyros aufs Spielfeld wirft statt tausende in Sippenhaft zu nehmen und schonmal prophylaktisch auf dem Bahnhof einzukesseln.

wie immer ein schöner artikel…

ergänzen möchte ich nur, dass der beinah-spielabbruch beim spiel nürnberg vs. frankfurt vom schiedsrichter nur deshalb in frage kam, weil pyros wohl aufs spielfeld geworfen wurden. mehrfach hat dieser spielleiter darauf hingewiesen, das erst die beeinträchtigung des spielfeldes zur überlegung das spiel abzubrechen geführt hat, eben nicht das bloße abbrennen der pyros.

ich war schon fast schockiert, ob solch einer differenzierung durch den schiedrichter. die medien sind darauf gar nicht eingegangen…

ausserdem fand ich, sahen die pyros & rauchbomben richtig gut aus!

Wirklich super geschrieben! Gibts nichts dran auszusetzen!!!!
Bis später auf der Mauer
Gruss
Matt82

Ja selbstverständlich, Medien geht es um Auflage und insofern wird bedient, was die Leute gern hören mögen. Und dabei bildet die Berichterstattung zu den Ultràs nur eine kleine Facette gesellschaftlicher Veränderungen ab und kann insofern auch höchstens als Beispiel dienen, welche Probleme die europäischen Industrienationen sonst so haben. Auf der einen Seite haben wir eine ausgegrenzte und radikalisierte Bevölkerungsgruppe, auf der anderen Seite die Mehrheit der angepassten guten Bürger. Deren einzig möglicher Reflex auf die Herausforderungen einer partikularisierten, globalisierten und zunehmend als diffus wahrgenommenen Wirklichkeit ist die Ausgrenzung, Diffamierung und Kriminalisierung von allem, was „anders“ ist – seien es Ausländer oder eben Fußballfans. Die Realität muss in gut verdaubare Häppchen zerteilt und – notfalls durch Verkürzung und Lüge – der eigenen Erfahrungswelt angepasst werden, die häufig genug am eigenen zwergbewachten Gartenzaun endet.

Das „Andere“ birgt Gefahr, impliziert es doch die Nicht-Notwendigkeit, in der eigenen popligen kleinen Welt zu vegetieren. Die „Anderen“ nehmen sich die Freiheit, sich selbst eigene Regeln und Verhaltensmaßstäbe zu setzen und zeigen so, dass auch in einer durchbürokratisierten Gesellschaft noch genug Platz für Buntheit steckt. Aber wenn ich mir diese Freiheit und Gelassenheit schon nicht selbst zugestehe, dann müssen andere, die sich die Freiheit nehmen, nach anderen Maßstäben zu leben, ausgegrenzt, kriminalisiert und bestraft werden – bestraft für eine Grenzüberschreitung, die sich der Durchschnittszeitungsleser nicht traut. Schade eben nur, dass die Medien solcherart Engstirnigkeit bruchlos bestärken und den Status Quo der Bekloppten so natürlich zementieren: Chaos ist alles, was ich mir nicht vorstellen kann und Chaoten sind die, die sowas einfach machen. Ob sie dabei einfach die falsche Hautfarbe haben oder – Gott bewahre! – Chinaböller im Stadion zünden, spielt dabei keine Rolle.

Was ich noch mal im Rahmen der berechtigten Medienschelte hervorheben möchte: Es sind nicht nur die einzelnen Journalisten, die es nicht besser wissen (wollen). Vielmehr sind es die Leser, bzw. unsere Gesellschaft im Ganzen, die genau jene Bilder sehen möchte, den Blockwart im Stadion fordert und sehen möchte, wie jetzt mal richtig hart durchgegriffen wird. Es sind die fest verankerten Schematismen unserer Gesellschaft, die hinter den einseitigen Berichten stecken. Und das ist auch der Grund, warum die Berichte so unerträglich sind. Zumindest für diejenigen, die sich noch einen hinterfragenden, kritischen Gedanken leisten. Da es aber sowohl bei den Lesern, als auch bei den Schreibern eben kaum Widerstand gegen die stereotype Berichterstattung gibt, sagt das einiges über unsere Gesellschaft aus. Nicht umsonst wird seit Jahren von einer steigenden „allgemeinen Menschenfeindlichkeit“ gesprochen, die sich eben je nach Mode und aktuellen Themen ihre Kanäle sucht um unsere Mitmenschen zu diffamieren, weiter zu stigmatisieren oder ggf. sogar zu beschädigen.