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Antonio sagt danke

Mein Besuch im Gästeblock des Stadio San Paolo vor zwei Wochen hat noch einmal unterstrichen, warum das Engagement für Antonino Speziale so wichtig ist. Zur Erinnerung: Speziale ist der junge Ultrà aus Catania, der wegen des tragischen Todes des Polizisten Filippo Raciti beim sizilianischen Derby 2007 zu 8 Jahren Haft verurteilt wurde. Trotz aller Zweifel, die auch die letzte Instanz nicht ausräumen konnte. Hier ist nicht der Ort, um die Schuldfrage zu klären, die juristische Wahrheit hierzu ist verkündet, wir können uns gern über die historische oder moralische Wahrheit unterhalten… oder einfach sagen: „Ich persönlich glaube, er ist unschuldig.“ Die deutsche, die italienische und noch ein paar weitere Verfassungen geben mir das Recht, meine Meinung hierzu frei zu äußern. Theoretisch.

Zum Erlebnispaket der neapolitanischen Ordnungskräfte für ihre deutschen Gäste gehörte neben stundenlangen Zwangsbusfahrten nebst Entwendung der Getränkevorräte nämlich auch ein Crashkurs in italienischer Rechtsauslegung. Als die ersten Fans mit einem „Speziale Innocente“ (=“Speziale unschuldig“) T-Shirt die Rampe zu Block 26 hinaufkamen, platzte dem Einsatzleiter, der bis dahin mit der Biegsamkeitsanalyse der mitgebrachten Fahnenstangen beschäftigt war, endgültig der Geduldsfaden: „Das Shirt kommt hier nicht rein!“ verkündete der kleine, drahtige Gesell mit dem militärischen Haarschnitt. Mit dem Tonfall und der Lautstärke desjenigen, der keinen Widerspruch gewohnt ist, erklärte er mir, dieser Speziale hätte einen Polizisten ermordet „HA AMMAZZATO UN POLIZIOTTO!!!“ und deshalb sollte der Shirtträger dankbar sein, denn er „müsste“ eigentlich sofort auf die Wache verbracht werden. Es sah aus, als würden sich Fäuste durch seine Halsschlagader drängeln.

In einer gerechteren Welt wären die Dortmunder bereits alle im Block gewesen und ich hätte bei einer Tasse Einsatztee meine verfassungsrechtlichen Bedenken mit dem Herrn besprochen. Oder das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Polizei Parma, des angesehensten in Italien, das die Täterschaft Speziales mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließt. Oder verschwundene Videos, die vermutlich zeigen, wie Raciti von einem Defender Jeep seiner eigenen Gruppe beim Zurücksetzen überrollt wird. Oder die zurückgezogene Aussage seines Fahrers, der in zwei Vernehmungen dasselbe berichtet, im Prozess aber seine Muttersprache wiederfindet und sich erinnert, dass der zunächst beschriebene „botto“ (Aufschlag) eigentlich eine „botta“ (Explosion) war. Oder das Buch, das den Fall schildert und dem Leser zwar die Entscheidung, aber nur wenig Platz für Interpretationen lässt. Oder oder oder. Nicht aber in einem Land, in dem man für ein solches T-Shirt Stadionverbot bekommt. Nicht, wenn hunderte wartender Dortmunder sich aufs Spiel freuen. Immerhin durften wir das kriminelle Hemd im Rucksack verstauen und mussten es nicht an Ort und Stelle verbrennen.

Kurz vorher hatte ich Giuseppe Lipera, Speziales Anwalt, das Geld überwiesen, das hunderte deutsche, österreichische und schweizer Fußballfans für Antonios Familie gesammelt hatten. Durch den Verkauf eines Kalenders mit Spruchbändern, in dem verschiedene Kurven ihre Solidarität mit dem jungen Ultrà ausdrückten. Die Summe kann sicher die Haftjahre nicht aufwiegen, unbezahlbar ist aber die moralische Unterstützung von Fußballfans, die 5 Jahre nach dem Geschehen Anteil am Schicksal von Antonio nehmen und auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung pochen. Auch im Namen von Antonio, seiner Familie und seines Anwalts, möchte ich den Jungs von Burkhardt & Partner danken, ohne die Druck und Versand der Kalender nicht möglich gewesen wäre (ja, das sind die von Blickfang Ultrà). Vor allem aber allen Kurven, die Fotos von Spruchbändern beigesteuert hatten sowie allen, die einen Kalender besitzen.

Franco Maccari, Generalsekretär der Polizeigewerkschaft COISP (der italienische Rainer Wendt), kommentiert in einer Pressemitteilung die Medienberichte von der Übergabe der Prozesskostenhilfe an die Familie Speziale mit den Worten: „Wer sagt denn, dass in diesen Krisenzeiten kein Platz für Solidarität wäre? Das Wichtige ist, dass diese großzügigen Gesten den richtigen Menschen entgegengebracht werden… zum Beispiel jemandem, der einen Polizisten ermordet hat. Ja dann lohnt es sich natürlich, sich anzustrengen! Wie tief kann der Mensch sinken…“ Meine etwas längere Antwort an ihn beschließe ich mit den Worten: „Aber wenn Filippo Raciti dafür gestorben ist, die öffentliche Ordnung zu verteidigen, die Demokratie, die Sicherheit der Bürger, dann hat er mit Stolz auch die Verfassung verteidigt. Die die Freiheit garantiert, die eigene Meinung äußern zu dürfen, egal ob richtig oder falsch.“

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