Die Situation der Fußballfans in Rom ist dramatisch. So dramatisch, dass beide Kurven selbst das Derby am letzten Wochenende boykottiert und so für eine eisige Stimmung gesorgt haben. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von Streit mit Lazio-Präsident Lotito oder Roma-Präsident Palotta, der die Fans seines Vereins eloquent als „fucking idiots“ bezeichnete, bis hin zu einem Polizeipräsidenten, der das Olympiastadion zu seinem Privatkriegsschauplatz erklärt hat und alles daran setzt, die Situation eskalieren zu lassen, um sich als „Macher“ zu stilisieren, der endlich Frieden schafft. Selbstverständlich wurde das Thema im Land der gelebten Meinungsfreiheit von keinem der offiziellen Medien aufgegriffen (mit Ausnahme des „Fatto Quotidiano“, der kein Blatt vor den Mund nahm), kein Wort wurde über die beängstigende Atmosphäre beim Derby verloren, weniger noch über die Gründe dafür. Zahllos hingegen die üblichen Panik schürenden Artikel zu erwartbaren Gewaltepisoden.
Das Fanzine der Gradinata Nord von Genoa hatte vor dem Spiel mit dem Römer Fananwalt Lorenzo Contucci gesprochen und ich bedanke mich, dass ich dessen Antworten übersetzen darf:
Was war der Grund für die Entscheidung, die Curva Sud und Curva Nord in Rom in Blöcke zu trennen?
Es gibt dafür keine Gründe der öffentlichen Ordnung. Abgesehen von ein paar diskutablen Spruchbändern gibt es in der Curva Sud seit Jahrzehnten keinen Krawall. Die Sicherheit ist normalerweise ein Vorwand. Sie sagen, dass die Curva Sud zu groß wäre, um sie zu kontrollieren und deshalb müsse man sie in Sektoren unterteilen. Aber das ist nicht der Grund. In Wahrheit will man den organisierten Support zerschlagen, um Platz für einen „kontrollierten“ Support zu schaffen. Man hofft, dass die Curva Sud zu einem Ort wird, wo – höchstens – der Verein Choreographien organisiert, wahrscheinlich schon mit Blick auf das neue Stadion. Manche sagen – und ich denke zurecht -, dass Rom ein Pilotprojekt sei, das wenn es funktioniert in andere italienische Kurven exportiert werden kann. Die Tatsache, dass man in Florenz ein Bußgeld gegen einen der Vorsänger verhängt hat, sollte ein Alarmsignal für alle Fanlager sein.
Der Staat verwendet große Ressourcen auf die Repression gegen Ultras?
Sehr große. Man muss nur daran denken. dass die Polizeiwache „Prati“, in einem verfallenden Stadtteil, ihre Zeit damit verbringt, stundenlang Videoaufnahmen zu sichten, um zu sehen, wer auf den Treppenabsätzen oder den Stufen gesessen hat, um diese Personen dann vorzuladen und ihnen mitzuteilen, dass man das wirklich nicht tun darf: „nächstes Mal Bußgeld und dann Stadionverbot“. Ich würde sagen, dass wir in Rom wirklich wichtigeres zu tun haben. Völlig absurd wird es, wenn die Digos darum bettelt, wieder ins Stadion zu kommen. Die wissen, dass sie ihren Job verlieren.
Das was in Rom passiert, betrifft alle Fanlager, alle italienischen Ultras, was wir für völlig verrückt halten, ist die Beschneidung der persönlichen Freiheit, das Stadion zu leben. Welche Antwort werden die beiden Kurven beim Derby geben?
Es ist höchst wahrscheinlich, dass wir das traurigste Spektakel seit 1926 erleben werden. Die Laziali haben schon angekündigt, dass sie nicht ins Stadion gehen werden, Die Romanisti haben zwar noch nichts angekündigt, werden aber dasselbe Signal senden. Auf diese Art wird ein Derby, das für die TV-Sender 100 wert ist, nächstes Jahr nur noch 10 wert sein. Deswegen sind sie höchst besorgt. Außerdem ist die Situation in Rom im Moment unerträglich, man hat einfach nicht die Stimmung zu supporten – selbst wenn die Leute sich irgendwann entscheiden, wieder hinzugehen. Ein Team zu unterstützen braucht Spontaneität. Man kann nicht einfach sagen: „Hier könnt ihr einen hinstellen, der mit der Fahne wedelt, hier hat es die Polizei erlaubt.“ Sollen sie doch selber wedeln, sagen die Jungs. Recht haben sie.
Was tut man für die Stadionverbotler?
Wegen der Bußgelder gegen Fans, die auf den Treppen standen, haben wir Vorlagen erstellt, die jeder selbst ausdrucken und an die Polizei schicken kann. Es geht dabei darum, immer eine Antwort parat zu haben und die dort viel mehr schwitzen zu lassen. Für die Stadionverbote sieht es schwieriger aus, weil ich den Eindruck habe, dass die Aktionen der Polizei mit anderen Kräften „koordiniert“ wurden: Die regionalen Verwaltungsgerichte TAR haben Widersprüche abgeschmettert, die früher nie im Leben abgelehnt worden wären. Deshalb versuchen wir im Moment nur, Angriffe abzuwehren, anstatt Probleme zu lösen. Man fühlt sich umzingelt und völlig isoliert. Allein gegen Alle.
Es regnete dutzende grundloser Stadionverbote. Man hat eine Null-Toleranz-Strategie gefahren, auch wenn die Situation es erlaubt hätte, viel entspannter vorzugehen. Einen Zwanzigjährigen für vier Jahre vom Stadionbesuch auszuschließen, weil er draußen vor dem Stadion einen Rauchtopf gezündet hat, um gegen die Trennung der Kurve zu protestieren, kann nicht erzieherisch sein, das ist eine klare Kriegserklärung. Aber ich habe den Eindruck, dass dieser Krieg nicht so geführt wird, wie sie das wollen. Weil es sonst noch mehr SVs geben würde verzichtet man eben auf das Stadion. Außerdem gehe ich zum Fußball, um Spaß zu haben. Wenn ich keinen Spaß mehr habe, gehe ich nicht mehr hin. Und hier geht es nicht um die zweihundert „fucking idiots“, wie sie der US-amerikanische President der Roma Palotta sie bezeichnete, sondern um mindestens 4.500 Personen, dazu weitere 2.500, die trotzdem hingehen, sich aber ohne Farben oder Fahnen hinsetzen. Stumm das Spiel betrachtend. Als die Juventini aus Solidarität 40 Minuten lang nicht supportet haben, wurde Roma-Juventus in absoluter Stille gespielt. Aber das war eine ohrenbetäubende Stille.
Roma Pilotprojekt, sollen diese Strategien in andere italienische Kurven exportiert werden?
Wie ich schon gesagt habe, das scheint der Plan. Egal, welcher Mannschaft ihr anhängt, passt auf! Denn das was niemals jemand glauben konnte, passiert jetzt hier in Rom. Die reißen das Herz aus der Kurve. Wir sind schon in den Pubs, in Rom gibt es keinen Support mehr, genau wie in Paris oder fast überall in England.
Quelle: Via Armenia 5r
Bilder: asromaultras.org (Die dortigen Bilder sollen ausdrücklich heruntergeladen und in sozialen Netzwerken verteilt werden!)
8 Antworten auf „Interview mit Fananwalt Lorenzo Contucci zur Situation der Römer Fankurven“
[…] Die Situation der aktiven Fans in der Curva Sud des AS Roma mag unübersichtlich sein, Spieler und Gegenspieler kaum bekannt, aber das Resultat des Kleinkriegs von Polizeichef Gabrielli gegen Stadionfans ist alle 14 Tage im Olympiastadion ganz hervorragend sichtbar. Ein im besten Fall halbvolles Stadion und Stimmung wie auf einem Begräbnis im Römer Hinterland. Obwohl der Streik der letzten Saison de facto beigelegt ist, erholt sich die Atmosphäre bislang kaum. Wie soll sie auch? Da wurden Jahrzehnte alte Fanblöcke in den Kurven durch hohe Plexiglasmauern getrennt, Drehkreuze mit Gesichtserkennung an den Stadioneinlässen montiert und Heim- wie Gästefans werden mit hohen Geldbußen bestraft, wenn sie sich nicht sitzend auf ihrem auf dem Ticket zugewiesenen Platz aufhalten. […]
[…] des Stadio Olimpico installieren und Mauern mitten durch die Kurven bauen, ohne dass dies die Verantwortlichen von Roma oder Lazio zu irgendeiner Wortmeldung veranlassen würde. In Italien können Kurven oder ganze Stadien […]
[…] Interview mit Fananwalt Lorenzo Contucci zur Situation der Römer Fankurven […]
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Das sehe ja auch so. Was Gabrielli veranstaltet ist reine Repression eines bestimmten Fanteils. Was Polizeistaat bedeutet, konnte man auf dem Weg zum Stadion sehen.
Beide Kurven ziehen völlig berechtigte Kritik auf sich und in beiden Kurven gäbe es genug Probleme zu lösen. Nen Zaun in die Mitte zu bauen oder Leuten ein SV zu geben, weil sie sich nicht auf ihrem zugewiesenen Platz aufhalten, ist aber kein Lösungsansatz, sondern schlicht und ergreifend eine Strategie, um eine Situation eskalieren zu lassen. Und das ist einfach nicht die Aufgabe der Exekutive.
Was Lorenzo leistet, ist beispiellos. Sowohl mit seiner Tätigkeit als Anwalt als auch mit dem Megaprojekt asromaultras.org. Ich war in den Distinti Sud. Ja, wir haben gewonnen. Wir haben gejubelt. Doch für mich fehlte dennoch etwas. Für mich persönlich ist die Curva Sud leider auch nicht mehr das, was sie mal war, immer mehr in der Hand einer politischen Strömung. Man müsste da wirklich mal ausholen.
es tut weh ey. es hört nicht auf, wird nur noch schlimmer. so ein derby hab ich noch nicht gesehen.