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Das liebe Geld

Ich bin fast gerührt von den Stadionbildern vor und nach der Tessera und es soll die Hand heben, wer immer noch glaubt, dass die Tessera del Tifoso funktioniert hat.
Lorenzo Contucci (Fananwalt)

So positiv das erstmalige Treffen von Fans mit Politikern, Vertretern vom Fußballverband, Nationalem Olympischen Kommitee und Anwälten zu bewerten ist, so hoffnungsvoll die Forderungen zum schnellstmöglichen Umbau der entsprechenden Gesetze, es fällt mir schwer, an ein plötzliches Aufwachen aus einem feuchten Traum von Law&Order-Fanatikern zu glauben. Nach mehr als vier Jahrzehnten Ultràkultur in den Kurven kommen Vertreter unterschiedlichster politischer Lager plötzlich und unerwartet auf die Idee, dass die Fans vielleicht doch nicht alle kriminelle Gewalttäter sind, die man nur aus den Stadien entfernen muss, auf dass sich diese mit glücklichen Familien mit ihren lachenden Kindern füllen, die allesamt aussehen, als wären sie dem Titelbild des „Wachtturms“ entsprungen? Journalisten und Vertreter politischer Kräfte, die auf der selbst inszenierten Empörungswelle bis vor Kurzem noch unisono eine „Politik der harten Hand“ forderten, halb neidisch, halb ehrfurchstvoll „englische Modelle“ feierten und sich für die geniale Erfindung der „territorialen Diskriminierung“ gegenseitig auf die Schultern klopften, fassen sich nun an den Händen und singen das Hohelied des Stadionfans als mündigem Bürger? Irgendetwas muss passiert sein.

Freundlicherweise veröffentlicht der Fußballverband FIGC heute seinen „Report Calcio 2014“: In einem Jahr sind dem Spielbetrieb eine Million Zuschauer abhanden gekommen, 51% der Spielertransfers sind Leihgaben und der Schuldenstand der Serie A nähert sich der 3-Miliarden-Grenze. Ligachef Abete: „Das sind Symptome dafür, dass wir ein paar Schwierigkeiten haben“. Kann man so sehen, ja. Nichts kann Firmen so schnell zum Umdenken veranlassen wie Umsatzeinbruch und Kundenschwund, hier unterscheidet sich der Profifußball in nichts vom Markt für Mobiltelephone oder Bio-Lebensmittel: Monopolisten wie Post und Telekom wachen nicht auf wundersame Weise als moderne, kundenorientierte Unternehmen auf, sondern tun dies für gewöhnlich, wenn ihnen die Kunden weglaufen und ihre Produkte im Regal liegen bleiben. Und wie viele Kunden dem italienischen Fußball weggelaufen sind, darüber spricht der Report eine beredte Sprache.

Seit Jahren befinden sich die Zuschauerzahlen im Stadion im freien Fall. In den Profiligen (Serie A, B und Lega Pro) sinken die Zuschauerzahlen von 13,2 Millionen 2011/12 auf 12,3 Millionen in der Saison 2012/13. Während die Bundesliga mit einem Schnitt von 42.624 Zuschauern unbedrängt ihre Kreise an der Tabellenspitze zieht, bedeuten die 22.591 der Serie A nur einen knappen Vorsprung vor der französischen League 1 (19.211) – die über 38.000 Mitte der 80er Jahre bleiben allerdings ein wohl nicht wiederkehrender Traum. Die Haupteinnahmequellen bilden weiterhin Fernsehrechte und Spielerverkäufe, die zusammengenommen für 58% der Einnahmen verantwortlich sind: 38% (gut 1 Milliarde) aus TV-Geldern und 20% (536 Millionen) aus Transfererlösen. Und transferiert wird fleißig: 2.533 Spielerwechsel allein in den beiden Spielzeiten von 2011-13 bedeuten einen Umsatz von 1 Milliarde 863 Millionen Euro (ca. 46% der 5 großen europäischen Ligen zusammengenommen!). Allerdings reden wir von Bilanzsummen, bei mehr als die Hälfte der verbuchten Spielertransfers (51%) handelt es sich um reine Leihgeschäfte, allein die Leihgeschäfte innerhalb der Serie A haben einen Wert von 711 Millionen, also bleiben 38% der Transfers „in der Familie“.

Wenn die Serie A fast 3 Milliarden Euro Schulden summiert, aber trotzdem für fast die Hälfte der Transfers der 5 größten europäischen Wettbewerbe verantwortlich ist, diese aber weitgehend innerhalb des Landes stattfinden und in der Mehrheit Leihgeschäfte bedeuten, die nur als Zahl in der Bilanz auftauchen, dann habe ich dafür nur eine Erklärung: das ur-italienische Modell der Bilanzaufhübschung über das fingierte Verschieben von Bilanzsummen untereinander hält den italienischen Fußball im Moment überhaupt noch am Laufen. Aus der Vergangenheit bereits bekannt ist die Methode, sich untereinander Spieler der Jugendmannschaften zu tauschen, die dann mit irrwitzigen Millionensummen in die Bilanz geschrieben werden, um anderweitige Verluste zu kaschieren – ein Phänomen, das ein Kollege einmal sehr eloquent als „new age accounting“ bezeichnete. Aus dem Bereich der nackten, nachvollziehbaren Zahlen stammen allerdings die 8%, auf die der Anteil der Stadioneinnahmen am Geschäftsergebnis der Vereine mittlerweile gesunken ist. Kurzum, der italienische Fußball befindet sich völlig in der Hand der TV-Gesellschaften und Sponsoren. Ein System, das in der höchsten Spielklasse noch halbwegs funktioniert, in den unteren Ligen allerdings reihenweise Vereine in den Finanzkollaps führt.

Und so lässt der Zeitpunkt des Umdenkens über die Rolle des Fans schon weit weniger wundern: Sponsoreneinnahmen werden im Zuge der Wirtschaftskrise eher nicht wachsen und die derzeit gültigen Verträge über die TV-Rechte stellen wohl einen nicht mehr erreichbaren Höhepunkt dar, der bei den nächsten Verhandlungen auch einmal nach unten revidiert werden kann und dann ginge es ans Eingemachte auch der Flaggschiffe des italienischen Fußballbetriebs. Einziger Faktor, wo es noch Wachstumspotential – vor allem im Vergleich zu den anderen europäischen Ligen – gibt, sind die Einnahmen aus dem Stadionbetrieb: Tickets und Merchandising. Und bei den 8% Anteil der Stadioneinnahmen am Gesamtergebnis hat dann der Wecker geklingelt und alle sind aufgewacht: Womöglich lassen sich Fußballfans nicht durch Zwangsidentifizierung und prophylaktische erkennungsdienstliche Behandlung dazu verleiten, sich überteuerte Tickets für baufällige Stadien zu kaufen, um dort mittelmäßigen Kickern beim Austragen verschobener Fußballspiele zuzuschauen. Fangen wir damit an, den Fan wenigstens als Kunden ernstzunehmen – Kundenpflege nach Umsatzeinbruch.

Ungefähr 4.500 Fans unterliegen aktuell einem Stadionverbot, von insgesamt über 20 Milionen, aber nur 1.250 davon müssen auf der Wache unterschreiben. Aus Angst, dass 1.250 das Verbot umgehen, sind die Daten von allen aufgenommen worden!
Lorenzo Contucci (Fananwalt)

3 Antworten auf „Das liebe Geld“

[…] Weniger Zuschauer, weniger Gewalt, mehr Repression. Ich hoffe, der nächste deutsche Innenminister, der von “italienischen Verhältnissen” krakeelt, hat die Zahlen zur Hand. In Italien ist derweil der 72-jährige, mehrfach vorbestrafte, Carlo Tavecchio zum Vorsitzenden des FIGC berufen worden, der sich erst kürzlich darüber echauffierte, dass irgendwelche “Opti Pobas” gestern noch “Bananen gegessen” hätten und nun in italienischen Mannschaften Stammspieler seien.  Keine Angst Carlo, das bringst du auch noch in Ordnung. […]