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Sicheres Stadionerlebnis

Am Montagabend wurde im Marassi in Genua das Spiel Sampdoria gegen Udinese angepfiffen. Besonderheit erhielt die Partie, weil sich genau ein Fan der Friulani im Gästeblock befand: Arrigo Provedani, ein 37-jähriger aus Spilimbergo, Provinz Pordenone. Provedani sollte ein besonders sicheres Stadionerlebnis haben: Als Stewards des Gästeblocks bemerkten, dass er der einzige Auswärtsfan war, luden sie ihn sogar ein, auf der Tribüne Platz zu nehmen. Provedani verzichtete mit der Begründung „ich habe ein Ticket für diesen Sektor“ und hängte seine Fahne der Provinz Friaul, die er immer im Auto mitführt, ans Geländer. Die Pay-TV-Sender Sky und Mediaset, Profiteure der italienischen Flucht aus den Stadien, fingen den Mann mit einer Mischung aus Bewunderung und leicht spöttischem Unverständnis ein. Aber auch im Stadion blieb die absurde Situation nicht unbemerkt, so grüßte die Gradinata Sud der Heimfans den Gast mit Applaus und Sprechchören. Die – weitgehend beschäftigungslosen – Stewards boten ihm Kaffee an, die Marketingabteilung der Sampdoria besuchte ihn noch während des Spiels und schenkte ihm ein Original-Trikot von Kapitän Castaldello. Nach dem Spiel empfingen ihn Fans von Sampdoria, luden ihn auf ein paar Getränke ein und beglückwünschten ihn für seine Leidenschaft. Das Team aus Udine, das das Spiel letztlich 2:0 gewann, widmete ihm den Sieg. Und auch die Beamten der örtlichen Polizeiwache entblödeten sich nicht, ihn aufzuhalten, um „Fragen zu seinen Intentionen zu stellen„. Ist ja auch auffällig, wenn noch jemand auswärts fährt in Italien.

Selbstverständlich eignet sich ein Montagabendspiel nicht wirklich für eine längere Auswärtsfahrt, zumal der Wintereinbruch die Straßenverhältnisse in Norditalien auch nicht gerade einladend gestaltete. Und auch der eiserne Fan ist nicht wirklich zum Spiel angereist, sondern er arbeitet für einen Weinproduzenten und befand sich wegen Kundenterminen sowieso in der ligurischen Hafenstadt. Nur dass er für das Spiel die obligatorische Fankarte „Tessera del Tifoso“ brauchte, stellte ein kleines logistisches Problem dar. Aber ein Anruf bei Sampdoria klärte auch das Problem pünktlich vor dem Spiel.

Leider ist beim berechtigten Abfeiern des Mannes seitens der italienischen Medien etwas untergegangen, dass Arrigo Provedani keineswegs der einzige Udinese-Supporter in Genua war. Er war nur der Einzige, der ins Stadion durfte. Die immer präsenten „Collettivo Inc. Udine“ waren auch am Marassi-Stadion, um ihrem Protest gegen die Tessera del Tifoso Ausdruck zu verleihen. Ohne die Fankarte ist das Betreten des Auswärtsblocks nicht möglich und so bleibt man eben draußen vor den Stadiontoren. Das Banner des Collettivo war bei praktisch allen Auswärtsspielen der Friulani dabei, viel zu oft vor dem Stadion ausgehängt, weil die absurden „Sicherheits“regelungen des italienischen Fußballbetriebs ihnen den Einlass verbieten. Während also die Medien ihren Helden gefunden haben und ihn zu seiner Leidenschaft beglückwünschen, ist die Ultràgruppe extra für das Spiel nach Genua gefahren – wohl wissend, dass man das Stadion nicht betreten durfte.

Respekt für Provedani, ein echter Fan. Respekt an die Doriani für ihr FairPlay. Noch mehr Respekt aber für die Jungs vom Collettivo. Den während sich die gesammelte Medienmeute auf den einsamen Fan stürzt, weist niemand auf die tausenden leeren Sitzschalen im Stadion hin. Oder auf die Fans vor dem Stadion, die an einem kalten Dezemberabend 1000 Kilometer ihrer Mannschaft folgen, ohne dafür mit Trikots, Kaffee und Glückwünschen belohnt zu werden. Zwei seiten derselben Medaille, über die heute am 12.12. in Deutschland entschieden wird. Wenn ihr „italienische Verhältnisse“ wollt, dann unterschreibt. Aber hinterher dann bitte nicht beschweren.

Collettivo Inc. Udine
Collettivo Inc. Udine

Nachtrag: Mein kleiner Artikel hat auch Marco Bertram von turus.net zu einer Anekdote zum Thema „sicheres Stadionerlebnis“ inspiriert.

14 Antworten auf „Sicheres Stadionerlebnis“

hab ich auch so nicht verstanden. bin immer dafür, beide seiten zu kennen, um sich dann aus beiden eine meinung zu bilden.

die FB-seite Friulani al seguito – Curva Nord Udine stellt nun klar: man wollte keinesfalls gegen team oder verein protestieren oder die umbauarbeiten am stadion stören. es handelte sich vielmehr um eine friedliche demonstration der leidenschaft für die farben und der unterstützung der mannschaft. man wartet darauf, dass es auch für inhaber der „away card“ die möglichkeit gibt, eine dauerkarte zu erwerben wie in anderen stadien auch.

ich habe anderes gehört, aber da ich nicht unfehlbar bin, warten wir dann eben auf auf die stellungnahme

Das war kein protest!!!
Es wurde nur draussen gesungen weil kein Platz is (wie man am Foto erkennt is grad Stadion umbau)
Eine StellungName der non tesserati wird bald veröffentlicht. ..

So, jetzt hat sogar 11FREUNDE, das selbsternannte Magazin für Fußballkultur, die Story im Februar-Heft übernommen. Leider auch nicht viel besser als die BILD. Ich schreibe gleich mal einen Leserbrief.

Die Geschichte wurde gestern in der Bild am Sonntag quasi als Argument gegen Mitbestimmung von Fans mißbraucht, so frei nach dem Motto "Seht her Ultras, dieser Italiener da unten fährt ganz allein zum Auswärtsspiel, nehmt euch ein Beispiel an ihm und haltet eure Klappe".
Es wurde natürlich nicht auf die Gründe für den leeren Block eingegangen, sondern einfach suggeriert, dass sonst einfach niemand nach Genua mitgereist war.

Ja, hab ich gelesen. Und das war natürlich von allen Medienberichten, die das Thema aufgenommen haben, der denkbar dümmste. Aber wer sich in der Bild informiert, dem ist doch eh nicht mehr zu helfen.

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