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Ich bin so, wie du mich haben willst

Während das Fragment „Alkohol und Adrenalin“ aus dem Buch „Cani Sciolti“ von Domenico Mungo gerade berechtigterweise seine Kreise durch die deutsche Ultrà-Szene zieht und Francesios „Tifare Contro“ seiner Veröffentlichung harrt, hatte ich mir eigentlich vorgenommen, endlich auch die Rezension von Mungos Romans „Sensomutanti“ hier zu veröffentlichen. Was soll ich sagen, es sind schon jetzt fünf oder sechs Buchbesprechungen geworden, die alle bereits den Weg in den Papierkorb gefunden haben, weil keine mir dem Text auch nur annähernd angemessen erschien. „Sensomutanti. Die Liebe in Zeiten des Stadionverbots“ entzieht sich einfach der Rezension, der Kategorisierung und der Zusammenfassung. Ein Ultràhassanarchistenphilosophiegewaltliteraturblutliebepornobuch, das direkt in die Magengrube trifft. Und sich auch nur hier wirklich fassen lässt. Ein schwarzes Loch von einem Roman, dem sich weder mit literaturwissenschaftlichem Handwerkszeug noch mit dem „geile Aktion, Alter“ der Straße beikommen lässt.

Sei’s drum, ich habe mir die Freiheit genommen, zwei Seiten zu übersetzen und werfe die einfach mal hierhin.

Ich bin so, wie du mich haben willst

Ich habe oft genug versucht, die Bedeutung des Wortes Verachtung mit einer genauen Empfindung zu verknüpfen. Und meistens war das verbunden mit dem kurzzeitigen Wiederaufleben von Stereotypen, die uns nahelegen, wegen abhängiger, transitiver Eigenschaften zu hassen. Wenn diejenigen, mit denen ich sehr viele Bruchstücke meiner Existenz teile, jemanden hassen, dann ist dies ein gültiges Motiv, ihn auch zu hassen. Und wenn man hier weitergräbt, dann wird die Welt ein Unicum aus Gegensätzen zwischen „denen“ und „uns“: Faschisten, Kommunisten, Neger, Albaner, Bürgerliche, Hungerleider, Schlampen, Stecher, Erdfresser, Polentafresser, Juden, Araber, Polizei, Kriminelle, Junkies, Dealer, Gutmenschen, Moralisten, Transen, Türsteher, Wachdienste, Staatsdiener, Politiker, Politikverdrossene, Parasiten, Revolutionäre, Priester, Nutten, Techno, Punk, Langhaarige, Hausbesetzer, Journalisten, Forza Italia, Lega Nord…einfach, nicht? Das ist wie den Hass in der Zeitung zu lesen und vom heimischen Sofa aus Stellung zu beziehen. Diese beiden Arschlöcher aber, die uns gerade mit Schlägen, Tritten und Beleidigungen eindecken, die verachte ich hingegen, weil ich die schwarzen Punkte auf der Nase des Napoletanischensondereinsatzgruppenoffiziers zählen kann, weil ich die Löcher in seinen Zähnen sehe und seinen stinkenden Atem rieche, während er mir zur Analuntersuchung den Kopf auf die Motorhaube des Wagens presst. Die beiden da, die hasse ich, weil dieser sein Kollege Idiot von einem Römer meinen Kumpel V. sich im Eisregen ausziehen und ihn seine Klamotten auf die Erde, in Schlamm und Pfützen ablegen lässt und ihm dabei immer wieder mit dem Schlagstoffgriff auf die Fingerknöchel einprügelt. Ich verachte ihn, weil er gerade die Inhalte meiner Brieftasche eins nach dem anderen hoch in die Luft wirft, weil sie unsere Schals genommen und verbrannt haben und weil sie unseren Doppelhalter vor unseren Nasen zerrissen haben unter der Drohung, uns bei der DIGOS anzuzeigen wegen Ausstellung von politisch subversivem Material. Ich verachte sie, weil ich mich umschaue und das befriedigte Grinsen der anderen Wachhunde sehe, die empörten und dem Vorgehen der Polizei applaudierenden Gesichter der vorbeifahrenden Kadaver, die an der Mautstelle in Richtung der oberitalienischen Seen oder Gardaland Gummi geben. Ich verachte sie, weil sie mir Schmerzen zufügen, mich verarschen und ich nichts dagegen tun kann. Hier bin ich: ich bin so, wie du mich haben willst.

[…]

Dreizehn Stunden
Es waren dreizehn Stunden, die ich im Stehen verbracht hatte, die von blauen Flecken und offenen Verbrennungen übersäten Beine gespreizt haltend. Das Gesicht im mehligen Putz einer frisch geweißten Wand, der mich nicht durch die Nase atmen ließ und dafür sorgte, dass ich Blut hustete, das ich in langen Intervallen ausrotzte, denn jedesmal Spucken bedeutete einen Schlag in die Nieren, einen Tritt in den Arsch, Rücken und Kreuzbein in Stücke gehauen, die Fresse gegen die Wand geschlagen, dass es die Nase zermatscht oder auch einen kräftigen Griff in die Eier, garniert mit Hitlergrüßen und dummen Sprüchen über unsere Tattoos oder die Titten der Mädels. Dreizehn Stunden, die ich nicht ausgeruht hatte, in denen niemand mir die aufgescheuerten Handgelenke oder die offenen Wunden auf dem Rücken behandelte, das Auge, das rechte Jochbein oder die ausgekugelte Schulter. Keine Krankenschwester kam, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen oder Beistand zu leisten. Wenn der Militärarzt durchkam, regnete es noch mehr Beleidigungen und noch mehr Prügel. Ich wollte schlafen, das ja. Schlafen und Frieden. Aber an diesem Ort konnte man nicht mal in Frieden schlafen. Also MÜSSEN WIR SO TUN, ALS WÜRDEN WIR UNS VERGNÜGEN, die ganze Nacht!!!! „Wir müssen uns vergnügen, die ganze Nacht!“ Proklamierte ebenso martialisch wie lächerlich der Leiter der Haftanstalt Bolzaneto während er mein Gesicht weiter in die Wand vor mir drückte. „Also vergnügen wir uns!“ Ich wollte nur in Frieden schlafen. Aber das war unmöglich. Dreizehn Stunden lang.

Überdeckt vom Rummel der quietschbunten Weltmeisterschaft in Südafrika hat übrigens die Bundesregierung die Datenbank „Gewalttäter Sport“ nachträglich „legitimiert“. Selbstverständlich nur für solche ohne Beamtenstatus.

Nachtrag: Eine Art Rezension gibt’s jetzt hier.

3 Antworten auf „Ich bin so, wie du mich haben willst“