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Alkohol und Adrenalin

Ich hatte mich ja kürzlich mit Domenico Mungos „Cani Sciolti“ beschäftigt, dieser Textsammlung aus der Welt der Ultràs der 80er und 90er Jahre. Als kleinen Appetithappen habe ich einmal eine Seite aus diesem wunderbaren Buch übersetzt, das es wie kein anderes mir bekanntes schafft, Einblicke in den Ultrà-Alltag der „goldenen Jahre“ zu geben. Weil ich natürlich verstehe, dass viele von euch kein Italienisch sprechen, weil ich das Buch ausnehmend gut finde und weil ich vielleicht dem einen oder anderen das Interesse am Buch wecken konnte. In den nächsten Tagen erscheint hier die Rezension des mindestens ebenso hervorragenden Romans „Sensomutanti. Die Liebe in den Zeiten des Stadionverbots.“ Stay tuned.

…Ultrà zu sein ist eine Haltung, von der du erst im Lauf der Zeit merkst, dass du sie hast… es ist eine ontologische Dimension, eine Art sich zu den anderen Komponenten dieser Scheißgesellschaft in Beziehung zu setzen, eine vielleicht unerklärbare Lebenshaltung…
Etwas, das du erst nach einer gewissen Zahl an Auswärtsfahrten verstehen kannst. Nachdem du dir auf der Gepäckablage des Zugs den Rücken verbeult hast, auf der du die ganze Nacht versucht hast, ein Auge zuzumachen. Nachdem du ein längst schon trockenes und geschmackfreies Brötchen mit 10 Leuten geteilt hast. Nachdem du eine ganze Woche geackert hast, nur um das zusammenzukratzen, was ein beschissenes Kurventicket kostet. Nachdem du dich stundenlang hinter den Sträuchern des Bahnhofs Caserta versteckt hast, um auf den vorbeikommenden Zug aufzuspringen, der dich in diese verfickte Feindstadt bringt, wo du genau weißt, dass sie dich fertigmachen wollen, weil du sie damals im Hinspiel bis in den Zug geprügelt hattest. Nachdem du bis um 4 Uhr morgens an einem Transpi gemalt hast, mit dem du den Gutmenschen und Wohlmeinenden das in die Fresse rotzt, was diese niemals wissen wollen. Nachdem du um 8 Uhr morgens am Hauptbahnhof deiner Heimatstadt angekommen bist, und nach Hause rennst für eine schnelle Dusche, weil du in ein paar Stunden eine wichtige Prüfung hast. Nachdem du keinen Cent mehr in den Taschen hast, weil das Geld für diesen Vielfraß von Anwalt aufzutreiben war, der die Verteidigung von deinem Kumpel übernimmt, der 15 Tage Knast und 3 Monate Hausarrest dafür bekommen hat, weil er schuldig ist, Ultrà zu sein. Nachdem du dich jedweder Würde beraubt gesehen hast, zusammengedrängt auf wenigen Quadratmetern gemeinsam mit weiteren 200 Personen und den Bullen, die deine Rebellion niederschlagen wollen mit dem stählernen Inneren von verkehrt herum gehaltenen Schlagstöcken, die dir nahelegen, auf den Knien zu bleiben. Nachdem du mit deinen Eltern gestritten hast, die in der Zeitung gelesen haben, du seist ein asozialer Rowdy, Kind einer gewalttätigen und kranken Gesellschaft. Nachdem du dein Mädchen verlassen hast, weil sie dir verboten hat, Auswärts zu fahren. Nachdem du im zweiten Studienjahr erst ganz wenige Prüfungen bestanden hast, weil in deinem Hirn immer noch die Eisenbahngleise poltern und das Krachen der Stöcke, die auf dem Helm irgendeines Polizisten zersplittern…
Ultrà sein heißt das Leben in Freiheit zu leben, und im Bewusstsein, dass irgendjemand dir völlig zufällig diese Freiheit nehmen kann, genau wenn du es am wenigsten erwartest…
Ultrà sein heißt, dies sowohl in der Kurve wie auch an der Uni zu sein, in der Kneipe wie in Bahnhöfen, in Buchhandlungen wie auf dem Stadionvorplatz von Bergamo, in Bibliotheken genauso wie vor einem Polizisten, der ein Mussolini-Tuch um den Hals geschlungen trägt, in den linken Sozialzentren wie auf dem Weg vom Bahnhof in den Auswärtsblock…
Ultrà sein heißt, seinen eigenen Widerstand 365 Tage im Jahr über 360 Grad zu leben, zu erlauben, dass sich das Adrenalin mit Alkohol mischt und eine Mixtur der gesunden Rebellion schafft…

Viel besser hätte man das nicht sagen können, meine ich.

Lo stato ha fatto una legge…

lo stato ha fatto una legge che dice allo sbirro così:
„appena incontri un tifoso
tu arrestalo e portalo qui“
appena arrivati in questura
lo sbirro tremare dovrà
la legge non ci fa paura
lo stato non ci fermerà
infatti non ci fermeremo
la vita dell’Ultras si sà
conosce soltanto due leggi
COERENZA e MENTALITÀ

Am 15.11.2011 erscheint Domenico Mungos Ultra-Roman „Streunende Köter“ (im Original: „Cani Sciolti“). Wie immer, sind wir auf eure Hilfe angewiesen: Liken, Teilen, Weitererzählen!

16 Antworten auf „Alkohol und Adrenalin“

[…] zu widmen. Domenico Mungo hatte in seinem Buch "Streunende Köter" im Kapitel "Alkohol und Adrenalin" einmal eine mir ziemlich einleuchtende Definition gebracht, die nun folgenden sind aber genau […]

Um all das zu erleben, muss man aber nicht unbedint ein Ultra sein, sondern das trifft auch auf mich als modisch gekleideten Fan zu, der seinen Verein schon ueber 20 Jahre lang ueberall hin begleitet.