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Um zu urteilen, muss man verstehen: 1. FC Heidenheim – Fortuna Düsseldorf, 2. Bundesliga

Mit dem ersten Teil des „Italieners in Deutschland“, Simone beim Derby BVB-Schalke, hatte ich mich ja sozusagen zwangsverpflichtet, auch seine Tour mit den Düsseldorfern nach Heidenheim zu übersetzen. Ich mache das aber natürlich sehr gern, auch weil eine Auswärtsfahrt in der Gruppe eben noch einmal andere, detailliertere, unmittelbarere Einblicke in das Gruppenleben bietet und vor allem, weil „auswärts“ seit jeher Nagelprobe und Katalysator von dem ist, was „Ultrà“ heißt. Hier also der zweite Teil zum Thema „Wie sehen italienische Ultràs deutsche Kurven, welche Unterschiede gibt es, welche Gemeinsamkeiten und was kann man voneinander lernen?“ Mein Dank geht auch hier nochmal nach Düsseldorf, wo man sich auf meine Anfrage gar nicht lang bitten lassen hat und so allen deutschen Fans diesen schönen interkulturellen Einblick ermöglicht. Der Text ist im Original bei SportPeople erschienen, dort gibt es auch die Fotos des Autoren zu sehen.


Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als der Wecker mitleidlos lärmt. Die Müdigkeit der vergangenen Tage da draußen und der auf der Jagd nach Stadien und Fans gefressenen Kilometer macht sich bemerkbar. Auch wenn ich weiß, dass ich noch letzte Energiereserven besitze, um mich diesem Tag zu stellen. Der Sonntag war der am schwierigsten zu planende Tag meiner deutsch-holländischen Tour. Wenige Spiele im Ruhrgebiet, aus der Ultràperspektive auch eher mäßig spannend. Ich blättere durch den Kalender und sehe, dass Fortuna Düsseldorf auswärts in Heidenheim antreten würde, 500 km weiter südlich.

Ich besitze wenige Informationen über die Fans von Fortuna, aber eine Auswärtsfahrt mit einer deutschen Gruppe würde ich mir wirklich gern gönnen. Das wäre perfekt, um die Dynamiken und Bräuche besser kennenzulernen. Über SportPeople schaffe ich es, mit einem jungen Mann in Kontakt zu kommen, der die Geschicke der Mannschaft bei allen Heim- und Auswärtsspielen verfolgt. Wir quatschen ein bisschen auf Facebook und am Ende schlägt er mir vor, dass ich in ihrem Bus mitfahren könne, ein paar Tage vor dem Match gibt er mir Zeit und Treffpunkt durch.

Es ist 4 Uhr morgens als ich das Hostel verlasse und mein Gepäck in der Aufbewahrung verstaue. Das Rendez-Vous wird nur wenige Schritte von hier stattfinden, in der Corneliusstraße. Ein Mensch holt mich im Hostel ab und erkennt mich sofort. Wir begrüßen uns und er fragt mich als erstes, wie ich nur auf die Idee gekommen bin, so etwas Beklopptes zu machen. Ich erkläre ihm, dass das für mich gar nicht so ungewöhnlich ist, ich möchte gern kennenlernen, erfahren, mit eigenen Augen die Bewegung sehen, über die in Italien in letzter Zeit viel geredet wird.

Vor den Gruppenräumen stehen schon ein paar Jungs und Mädchen. Andere kommen dazu, in den Händen Plastiktüten mit allen möglichen alkoholischen Getränken. Für sie hier gibt es keine Paranoia, was die Reise anbelangt, keine Angst, von der Polizei in irgendeiner abgelegenen Ecke des Landes angehalten, durchsucht und ausgeraubt zu werden. Die Auswärtsfahrt ist noch etwas apotropäisches und magisches, etwas was man mit einem Lächeln auf den Lippen angeht und mit jeder Menge Lust, einfach herumzuspinnen. Ich gehe in ihre Höhle, voller Fotos ihrer Kurve und Manifeste, die ihr politisches Credo unterstreichen, ganz klar links aufgestellt. Wie die meisten deutschen Kurven. Nun ist die Politisierung von Kurven nichts, was ich persönlich besonders begeisternd finde, aber ich muss erwähnen, dass ich den ganzen Tag lang keinen Sprechchor und kein Gespräch hören würde, der nicht die Mannschaft oder die Ultràs zum Thema hätten.

Durch meine Recherchen hatte ich erfahren, dass das Fanlager der Fortuna bei den Heimspielen getrennt auftritt, die „Ultras Düsseldorf“ auf der einen Seite und die „Dissidenti Ultra“ auf der anderen. Aber man erklärt mir, dass diese Spannungen auswärts nicht zählen, dass alle gemeinsam die Mannschaft unterstützen. Ich beobachte aufmerksam die Bewegungen der jungen Leute, die am Ende denen einer großen Famile gleichen, in der jeder seine Aufgaben hat. Darin sind sie wirklich sehr deutsch. Präzise und geordnet. Da sind die, die Nahrungsmittelvorräte mitbringen, andere die Getränke, wieder andere sammeln das Geld für den Bus ein, holen Fahnen und Trommeln oder zählen durch, ob alle auf der Liste vollzählig sind, bevor sich die Türen des Fahrzeugs schließen.

Selbstverständlich kann diese Reise keine eindeutige Matrix aufzeigen, nach der alle deutschen Fanlager ihre Auswärtsfahrten organisieren oder das Gruppenleben gestalten. Genau wie bei uns gibt es Unterschiede zwischen der einen Stadt und der nächsten. Hier zum Beispiel verläuft eine wichtige Linie entlang der alten Grenze zwischen Ost und West, die in den Köpfen immer noch existiert. Trotzdem ist der rote Faden, der gemeinsame Nenner der Ultràwelt immer derselbe. Und ich verstehe das sofort, denn bevor ich nach Düsseldorf gekommen bin, habe ich dieselben Szenen schon tausende Male in Italien gesehen. Man muss nicht einmal eine gemeinsame Sprache sprechen; den Rahmen bilden die Gewohnheiten und Verhaltensweisen von Menschen, die regelmäßig ins Stadion gehen.

Um 5.20 Uhr verabschiedet sich der Bus aus Düsseldorf. Es regnet hart und unaufhörlich. Ich hoffe, dass die Situation 500 km weiter südlich eine andere wäre, um nicht noch so einen verregneten Nachmittag wie damals in Rotterdam erleben zu müssen. Natürlich befeuert meine Anwesenheit die Neugier der Mitfahrer. „Woher kommst du?“ ,“Für welche Mannschaft bist du?“, fragen sie mich und haben wirklich Lust, sich auch die Antworten anzuhören. Sie sind auch ganz heiß auf Nachrichten aus der Welt der italienischen Ultràs. Sie kennen jedes einzelne Detail, jede Begebenheit und jedes Problem der Bewegung hier. Mein persönlicher Kontakt erzählt mir, dass er ein paar Wochen vorher bei Parma-Sampdoria war und erklärt unverblümt, dass Italien weiterhin ihr Referenzmodell ist. Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Bescheidenheit die Deutschen sich gegenüber unseren Fans positionieren. Das ist etwas, was uns Italienern ganz oft komplett fehlt und so vergessen und verlieren wir unsere Traditionen, unsere Geschichte und Gebräuche. Sie haben Fotos der CUCS Roma. der Fossa dei Leoni von Milan oder der UTC auf ihren Handys und betrachten sie wie Reliquien. Wir hingegen spucken viel zu oft darauf.

„Ihr habt Glück, dass ihr noch frei auf Auswärtsfahrt gehen könnt und ohne große Probleme Banner, Trommeln, Megaphone und Fahnen mitnehmen dürft“, sage ich. „Das ist kein Glück. Dass ist das Ergebnis jeder Menge Arbeit“ – erzählt mir einer von ihnen – „in Deutschland sind wir gezwungen, mit den Vereinen zu arbeiten. Die freuen sich, wenn die Kurven bunt sind, aber wenn es Auseinandersetzungen gibt oder Pyrotechnik abgebrannt wird, machen sie Ärger, weil in diesen Fällen eben auch der DFB sehr streng ist.“ Und in der Tat, Pyrotechnik gibt es zumindest in diesem Teil Deutschlands auch nicht wirklich massenhaft zu sehen. Die Beziehungen zum Verein sind ein hoch komplexes Thema in Italien. Theoretisch, und ich unterstreiche nochmal: theoretisch, dürften Ultràs und Verein laut dem berühmten ungeschriebenen Gesetz überhaupt gar keinen Kontakt miteinander haben. Aber trotzdem, wenn man sich die Realität einmal etwas ernsthafter und weniger steril-idealistisch anschaut, haben es wirklich nur ganz wenige befolgt. Wie viele hatten denn im Belpaese wirklich niemals Kontakt zum eigenen Verein? Diese Frage würde ein ganz eigenes Kapitel öffnen, weil man dann auch über die Kehrseite dieser Beziehungen sprechen müsste. Aber tun wir uns lieber nicht weh.

Damit will ich sagen, dass wenn wir weniger die an der Oberfläche „Harten und Unfehlbaren“ spielen würden und ein wenig mehr Interesse an unserem Überleben hätten, wäre es besser sich einzugestehen, dass wir immer schon Kompromisse eingehen mussten. Auch um überhaupt nur einen Fuß in eines unserer baufälligen Stadien setzen zu dürfen. In Deutschland erzählen sie dir oft: „Bei uns gibt es bis auf ein paar Ausnahmen doch gar keine Mentalität.“ Vielleicht übertreibe ich, aber mir drängt sich die Frage auf, was diese „Mentalità“ überhaupt sein soll. Und anhand welcher Kriterien sie verliehen wird.

Ein anderer wichtiger Punkt ist der der Stadionverbote. „Bei uns gelten die Verbote 3-5 Jahre. Es gibt keine Unterschriftspflicht. Ein Stadionverbot kann auch nur für ein Stadion gelten.“, erklärt mir mein Kontakt, während die anderen aufmerksam zuhören. Ich denke, dass 5 Jahre SV dafür, dass Deutschland im Ausland immer als das Land verkauft wird, wo die Fans ungestraft alles tun können, praktisch genau dieselbe Maximaldauer sind, die auch hier bei uns bis vor Kurzem galt.

Aber wir reden narürlich nicht nur über die Bewegung, auch für den Spaßaspekt findet sich viel Zeit. Wie ich schon zum Ruhrpott-Derby geschrieben hatte, ist die Besonderheit der teutonischen Gruppen das Zusammensein, die Aggregation. Auf jede Art und Weise. Von den durch den Bus gereichten Getränken bis zum Tippspiel. Hierbei handelt es sich wirklich und wahrhaftig um eine Art hausgemachter SNAI (italienische Wettbüros, a.d.Ü.), wo einer der Jungs durch den Bus geht und von jedem den Namen, den Einsatz und das Ergebnis des Spiels aufschreibt. Sehr belustig von dem Ganzen setze ich auf einen 2:1 Sieg der Fortuna. Klar, ich kann nicht verhehlen, dass es in unseren Bussen viel asozialer zuging. Hier ist alles ein bisschen politisch korrekter, aber am Ende fehlt es sicher nicht an Gelegenheit zum Herumalbern.

Mindestens einmal pro Stunde wird an Raststätten halt gemacht, wo ich vielleicht am deutlichsten die Unterschiede zu italienischen Auswärtsfahrten spüre. Bei uns ist man tendentiell nicht wirklich entspannt, wenn wir an der Raststätte aussteigen und sagen wir mal, dass Streifzüge jeglicher Art normalerweise nicht fehlen. Hier läuft das alles ein bisschen anders ab und vielleicht denkt hier nicht einmal jemand daran, bestimmte Bereiche der Rastplätze schließen zu müssen, um Plünderungen zu vermeiden. Oder Polizeistreifen zu platzieren, um eventuelle Kontakte verschiedener Fanlager zu vermeiden. Es ist einfach eine andere Kultur. Denn wie wir schon am Beispiel Dortmund gesehen haben, gibt es hier durchaus Ausschreitungen auch abseits der Stadien. Mit Angriffen auf Fanturniere und Ausstellungen erbeuteter Schals.

Nach knapp sieben Stunden erreichen wir Baden-Württemberg. Es regnet nicht, aber an den Fahrbahnrändern der Autobahn liegt jede Menge Schnee. Als der Bus in die Ausfahrt Heidenheim an der Brenz einbiegt, bin ich einigermaßen überrascht, kein einziges Polizeifahrzeug zu sehen. Man erklärt mir, das sei normal, wenn es nicht gerade um ein Risikospiel geht. Die Polizei würde direkt am Stadion warten. Und in der Tat, als wir ins Stadtzentrum kommen, weisen die grün beleibten Männer dem Fahrer den Weg zum Parkplatz der Gästefans.

Ich steige gemeinsam mit dem rot-weißen Trupp aus und verabschiede die Jungs und Mädchen, um meine Akkreditierung abzuholen und auf den Platz zu gehen. Meine Karte ist in einem Hotel nicht weit von der Voith-Arena hinterlegt. Ich gehe los und achte sehr darauf, dabei nicht auf dem vereisten Boden auszurutschen und gebe vor den Anwesenden Fans die Figur des klassischen Süditalieners ab, der in seinem Leben noch keine Schneeflocke gesehen hat. Das Stadion sieht von außen noch wie eine Baustelle aus, auch wenn die Bilder aus dem Internet schon zeigen, dass es innen das typische deutsche Stadion ist. Hübsch und funktionell.

Wie immer in diesen vier Tagen gibt es kein Problem mit der Akkreditierung. Zwei freundliche junge Damen händigen mir den Umschlag aus und jetzt kann ich endlich zu den Einlasstoren. Es bereitet mir ein gewisses Wohlgefühl zu sehen, dass man hier überhaupt keine Ahnung davon hat, was Drehkreuze sein sollen. Vor den Toren stehen die klassischen Kartenabreißer. Wie bei uns früher. Man schaut mir flüchtig aufs Ticket und schon bin ich drin, auf dem Weg zum Presseraum. Ein junger Mann von der Pressestelle fängt mich sofort ab und erklärt mir, wo es die Weste gibt und lädt mich ein, das Buffet zu besuchen, das vom Verein angerichtet wurde. Ich bin fast erschlagen von so viel Freundlichkeit und sage natürlich zu. Zur Weste wie zum Buffet. Letzteres ist übrigens wirklich speziell, voller typischer teutonischer Spezialitäten wie buttergefüllte Brezeln und verschiedene Aufschnitte.

Eine halbe Stunde vor Anpfiff entscheide ich, runter zum Platz zu gehen. Ein feiner Sprühregen nimmt mich auf dem Rasen in Empfang, aber letztlich ist der gar nicht so schlimm. Die Ränge sind bereits vollständig besetzt. Wie immer in den letzten vier Tagen. Die Heimkurve ist hinter der Zaunfahne „Ultras“ versammelt, daneben hängen weitere kleinere am Zaun. Heidenheim ist eine Kleinstadt mit ca. 50.000 Einwohnern, im ersten Jahr in der 2. Bundesliga. Der Verein wurde 1846 gegründet und hat im Laufe der Jahre verschiedene Umgründungen erlebt, die letzte 2007. Das alles, muss ich zugeben, ließ mich nicht wirklich an eine Ultrà-Szene denken. Hingegen soll ich während des Spiels sehr deutlich eines Besseren belehrt werden.

Zu meiner Rechten ist der Auswärtssektor mit tausend Fans aus Düsseldorf gefüllt, sie sich hinter den bereits erwähnten Bannern der „Ultras“ und der „Dissidenti“ versammeln und sofort eine Unzahl an Fahnen schwenken. Ich frage einen Steward, ob ich hier im seitlichen Bereich des Platzes bleiben kann, er sagt mir, dass das möglich wäre, ich aber auf die andere Seite des Spielfelds wechseln müsse. Natürlich überhaupt kein Problem. Immer noch besser, als hinter den Toren bleiben zu müssen, wo man immer nur eine Kurve fotografieren kann. Ich platziere mich zwischen den Trainerbänken und atme noch mehr von der Atmosphäre des Platzes.

Schon kommen die beiden Mannschaften durch den Spielertunnel aufs Feld und die Kurven werfen sofort die Motoren an. Die Leute aus Heidenheim rücken in guter Zahl zusammen, ich würde sagen 300 von ihnen supporten durch und ziehen meist einen guten Teil ihrer Tribüne mit. Der Beginn eines Auftritts, der sich als richtig gut erweisen sollte. Ich habe mir diese Intensität und Kontinuität von ihnen wirklich nicht erwartet. Das ist auch ein Beweis dafür, dass die deutsche Ultràbewegung im Moment beneidenswert in Form ist. Wenn jede Stadt, jedes Dorf, jedes Team, sogar die zweiten Mannschaften einen organisierten Support genießen können heißt das, dass eine großartige Arbeit geleistet wird und wir erst am Anfang einer Massenbewegung stehen, die aller Wahrscheinlichkeit nach die größte und wichtigste des Landes ist.

Zurück zu den rotweißen Ultràs. Ihre initiale Schalaktion ist gut gemacht, während der Support das ganze Spiel vom Rythmus der Trommeln getragen werden wird, unterbrochen von perfekt ausgeführten Klatschaktionen und lauten Sprechchören, selbst als das Team zurück liegt. Eine schöne Überraschung, mehr ist dazu kaum zu sagen.

Im Auswärtssektor stehen die Ultràs im unteren Teil mit Zaunfahnen, Trommeln und großen Fahnen, die das ganze Spiel über geschwenkt werden. Hier bei ihnen sieht man denke ich ganz gut den Unterschied zwischen den Jungs aus der Kurve und dem etwas gemäßigteren Publikum. Der Support der ersten ist dauerhaft, ihre Anstrengungen werden aber oft durch das Phlegma der anderen zunichte gemacht. Auch dies ist, wie ich schon in anderen Stadien beobachten konnte, eine Besonderheit des deutschen Tifo. Es ist immer schwer, alle mit einzubeziehen. Fakt ist, dass die Ultràs einen sehr ordentlichen Auftritt hinlegen, der von der Mannschaft belohnt wird, die zunächst in Rückstand gerät, dann das Spiel aber zu einem 2:1 Sieg dreht. Nach dem Apfiff wird das Team für die üblichen Feierlichkeiten unter die Kurve gerufen. Auch die Heimmannschaft wird von ihrer Kurve mit Applaus bedacht, deren Ultràs noch eine Viertelstunde nach Spielende weiter singen und hüpfen.

Ich beeile mich, die Weste wieder zurückzugeben. Der Bus steht zur Abfahrt bereit. Ich bedanke mich bei den Leuten von der Pressestelle für die Gastfreundschaft (weil hier die Jungen arbeiten und nicht die alten, von der Kaste platzierten Nappsülzen) und gehe die Straße zurück, die ich hergekommen war. Die Polizei hält mich auf und schickt mich auf eine lange Runde, um zurück zum Gästeparkplatz zu kommen, damit ich nicht der Menge an Heimfans entgegengehen muss. Auch das ist typisch deutsch, eine Präzision wegen derer ich auf dem verschneiten Weg mit meinen an Römer Asphalt gewöhnten Schuhen um ein Haar episch auf die Nase geflogen wäre. Glücklicherweise schaffe ich es, mich auf den Beinen zu halten und komme zum Bus. „Hast deine Wette gewonnen“, rufen mir die Jungs zu, als sie mich sehen. Ach ja, hatte ich gar nicht mehr dran gedacht.

Man startet den Rückweg nach Düsseldorf. Es ist wieder Zeit für Gespräche und Pfefferminzlikör, eine Spezialität aus Aue, der mir mit großem Enthusiasmus angeboten wird. Ist auch wirklich gar nicht übel. Ich bemerke die eindeutigen Zeichen schwerer Müdigkeit. Ich schlafe für eine Stunde ein, aber beim ersten Halt verlasse ich den Bus, um aufs Klo zu gehen und ab dann schließe ich bis zur Ankunft kein Auge mehr. Ein paar fragen mich, was ich von ihrem Auftritt hielt und stimmen mir zu, was die Trennung des Blocks in Ultràs und Normalos angeht. Mir fällt auf, dass mein grottiges und teilweise lustiges Englisch trotzdem zum Überleben und Kommunizieren reicht. Und das erleichtert mir ein bisschen die Erinnerungen an Schulstunden mit einer Lehrerin, die anstatt Fremdsprachen zu lehren die Dinge in ihrem Heimatdialekt erklärte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ungefähr gegen 22 Uhr sind wir wieder vor den Gruppenräumen, wo wir gestartet waren. Ich verabschiede mich und danke allen für den wunderschönen Tag. Außer zwei von ihnen, mit denen ich Freundschaft geschlossen hatte und die mir eine Tour durch die Altstadt versprochen hatten. Und ich begleite sie mehr als gern, auch wenn ich todmüde bin. Wir springen in die erste Straßenbahn und wenige Minuten Später sind wir im Zentrum. Meine treue Kamera muss noch ein paar Schnappschüsse machen, bevor wir uns in ein Pub begeben, um die letzten Gespräche abzuschließen. Diesmal zur deutschen Ultràbewegung im Allgemeinen. Sogar eine Runde Dart spiele ich mit. Vermutlich das erste Mal in meinem Leben. Es kommen andere Fortuna-Fans dazu und meine Augen werden langsam schwer und ich habe Schwierigkeiten, mich auf den Beinen zu halten. Ich verstehe, dass der Moment des Abschieds gekommen war. Auch weil am nächsten Morgen der Wecker wieder früh klingeln würde, um rechtzeitig zum Flughafen Köln/Bonn zu kommen.

Diesmal verabschiede ich mich wirklich und nach einem kurzen Fußweg bin ich wieder zurück im Hostel. Mein Trip neigt sich dem Ende zu und das Ergebnis ist mit Sicherheit positiv. Ich werde wieder kommen, weil ich für ein vollständiges Bild noch viele andere Szenen sehen und viele andere Menschen kennen lernen muss. Und ich hoffe, dass niemand in Italien Anstoß an diesen Zeilen nimmt. Wenn wir Nationalisten sein wollen und einzig wahren Vertreter unserer Bewegung, dann sollten wir diese beschützen und versuchen, unsere alten Traditionen – die uns als Erfinder und Erneuerer sehen – zu erneuern und aufzufrischen. Für den Moment schalte ich das Licht aus, der Schlaf überkommt mich und die Nacht ist sowieso nicht lang genug für eine Erholung. Die Sonne wird wieder aufgehen. So wie für die italienischen Ultràs. Hofft man jedenfalls.

Simone Meloni

© Fotos mit freundlicher Genehmigung von livedown photography

21 Antworten auf „Um zu urteilen, muss man verstehen: 1. FC Heidenheim – Fortuna Düsseldorf, 2. Bundesliga“

Hab auch grad den anderen Artikel gelesen, nachdem ich diesen gelesen hab, hab ich mir gedacht der vom BVB ist ein muss 😛

wie dem auch sei, aber „fahnen runter“ kann ich mir in italien jedenfalls nicht vorstellen.

odio semmai dall’italia, i tedeschi di sicuro non si lamentano di qualche ruffianata dal motherland 😉

Ich denke, mit dem Fehler können wir hier alle leben. Weil wir wollen doch nicht als „typisch deutsch“ rüberkommen und uns daran länger aufhalten, oder? 😉

^^ genau so steht’s im text. aber das ist natürlich eine einzelmeinung, bzw. es gibt schon einige, die das so sehen, aber die meisten kommen dann doch nicht über den eigenen bauchnabel hinaus und bei denen klingt das dann so: „in deutschland können die ja eh machen, was sie wollen, die haben ja keine repression“. ignoranz ist natürlich grundsätzlich ein problem.

Unbefriedigend, weil ich hoffte man findet vielleicht die Lösung um die Kurven zu vereinen.
Ansonsten – joa, dass in Italien emotionale Selbstkontrolle einen niedrigeren Stellenwert, und das Ausleben von Emotionen einen höheren Grad an gesellschaftlicher Akzeptanz hat, bzw. einfach eher zur Kultur gehört, das ist wohl so. Aber die Dinge entwickeln sich ja. Deutschland ist nicht mehr dasselbe Land wie vor 50 Jahren. Mal sehen, vielleicht wirds ja in 20 Jahren was…

Pfeffi heißt zwar goldene Aue, kommt aber nich aus Aue sondern aus Nordhausen. Ok, genug klug geschissen und als Alkoholiker disqualifiziert was soll’s. Interessant zu lesen, glaube jedoch das die Unterschiede bei auswärtsfahrten auch innerhalb Deutschlands extrem groß sind. Vor allem was das Ost-West-Ding betrifft, wie im Text erwähnt.

So, jetzt mal ne ganz konkrete Verständnisfrage: Wir hatten in Deutschland doch auch junge Leute auf der Straße, viel TamTam – warum können in Deutschland nicht ältere Fans mit Ultras zusammen zelebrieren? Und wieso hat das über Jahrzehnte in Italien so gut funktioniert? Was ist das genau, was in dem Artikel als „kultureller Unterschied“ bezeichnet wird?