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Milan entfesselt

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Der AC Milan hat die vergangene Saison auf dem 6. Platz beendet und kehrt nun auf die europäische Bühne zurück, wo der siebenfache Champions-League-Sieger 1.234 Tage fehlte. Gegner in der dritten Qualifikationsrunde sind die Rumänen vom CSU Craiova, trotzdem sind bei Redaktionsschluss die allermeisten der 50.000 angebotenen Tickets für das Rückspiel im Mailänder San Siro bereits verkauft. Einen ähnlichen Ansturm gibt es bei den Dauerkarten, wo alle Anzeichen darauf hindeuten, dass sich die gut 16.000 der Vorsaison vervielfachen. Man schreibt das Jahr 1 nach Berlusconi.

Vom Frage- zum Ausrufezeichen

Der italienische Ex-Premierminister hatte den von seiner Fininvest-Gruppe gehaltenen Club zum Preis von 740 Millionen Euro an ein von dem Chinesen Yonghong Li geführtes Finanzkonglomerat abgegeben. In diesem Land, in dem Vereinspräsidenten immer als eine Art alleinverantwortlicher Übervater gesehen werden, stellen die Übernahmen von Fußballclubs wie Inter, Roma und Milan durch Investmentgesellschaften einen Epochenwandel dar. Das lang verhandelte Ende der Ära Berlusconi nach 31 Jahren und 5 gewonnenen Champions-League-Titeln warf mehr Fragen auf, als die weitgehend unbekannten Investoren aus Fernost beantworten konnten. Jetzt, nur drei Monate später besteht Trainer Vincenzo Montellas größte Aufgabe darin, den Enthusiasmus zu dämpfen.

In den ersten anderthalb Monaten ihrer Amtszeit haben die von Li eingesetzten Marco Fassone (CEO) und Sportdirektor Massimiliano Mirabelli ca. 200 Millionen Euro aus dem Transfermarkt ausgegeben, um den Club wieder wettbewerbsfähig zu machen. Es deutet außerdem vieles darauf hin, dass das gesamte Budget für einen Zeitraum von 3 Jahren von geschätzten 3-400 Millionen Euro bereits in dieser Transferperiode ausgegeben wird, auch um eventuellen Sanktionen der UEFA zum Financial Fair Play zuvorzukommen.

9 von 11 Stammspielern sind neu

Unter anderem wurde die Mannschaft durch Ricardo Rodriguez von Wolfsburg verstärkt, der ebenso wie Çalhanoglu von Leverkusen aus der Bundesliga zu den Mailändern stößt. Erfahrung bringen Musacchio von Villareal und Lucas Biglia von Lazio mit, führen sollen sie die hochbegabten Talente Conti (Atalanta), André Silva (Porto) und Kessié (Atalanta). Aber das größte mediale Echo verursachte sicherlich der Wechsel von Innenverteidiger Leonardo Bonucci vom sechsfachen Serienmeister und aktuellen Champions-League-Finalisten Juventus nach Mailand. Offener hat die jahrelange Vorherrschaft der Turiner seit Mourinho niemand mehr angegriffen. Mindestens ebenso erwähnenswert ist die Vertragsverlängerung des 18-jährigen Torwarttalents Gigio Donnarumma, der nun entgegen den Vorstellungen seines allmächtigen Beraters Mino Raiola für 6 Millionen Euro netto im Jahr weiterhin bei den Rotschwarzen zwischen den Pfosten steht.

Nur auf den ersten Blick erinnert das Kaufverhalten der chinesischen Eigentümer an die Shopping-Touren eines wild gewordenen Scheichs. So wurde bemerkenswerterweise darauf verzichtet, Unsummen für einen in China bekannten Namen auszugeben, ein Großteil der Spieler ist jünger als 23 Jahre und mit einem nennenswerten Entwicklungspotential versehen. Um den Übergang etwas zu stabilisieren, wurde der Trainer nicht gewechselt und das Gerüst der Mannschaft spricht Italienisch als Muttersprache. Ebenso wurde Trainer Montella die runderneuerte Mannschaft bereits sehr früh zur Verfügung gestellt, um sich möglichst lange auf die neue Saison vorbereiten zu können. Aus Berlusconis Milan haben wohl nur Abwehrtalent Romagnoli und eben Donnarumma eine Stammplatzgarantie.

Milan modernisiert

Mindestens ebenso interessant ist die Änderung der Kommunikationsstrategie des Clubs. Nach 31 Jahren Zusammenarbeit mit einem eingefleischten Kreis befreundeter Journalisten, die Berlusconis Selbstbeweihräucherung kritiklos verbreiteten und kritische Stimmen in Blogs oder soziale Netzwerken verbannten, kommuniziert der „neue“ AC Milan auf direkte und äußerst transparente Art mit seinen Fans. So ist insbesondere Fassone mittlerweile zu einer Art Heldenfigur für viele Fans geworden, weil er Transfermarktziele und Vertragsunterschriften auf Facebook live übertragen lässt. Selbst das Freundschaftsspiel gegen Lugano gab es als Livestream auf dem sozialen Netzwerk zu sehen, anstatt wie bisher üblich im ungeliebten Bezahl-Kanal „Milan-TV“. Ziele, Ideen und Vorstellungen werden klar kommuniziert und das Programm dann mit erstaunlicher Präzision abgearbeitet.

Die Ambitionen sind groß, die dafür unternommenen Investitionen ebenfalls. Der 5-Jahr-Plan sieht vor, den Umsatz von derzeit 200 Millionen Euro auf 4-500 zu steigern, erklärtes Ziel ist es, wieder in die Top 5 der Welt zurückzukehren. Stadionpläne sind hier noch nicht mit eingerechnet, so dass sich der Umsatzanstieg auf Einnahmen aus Fernsehrechten und insbesondere auf die Vermarktung im Heimatland von Yonghong Li stützen soll. Dort hat der ehemalige internationale Spitzenclub Millionen von Fans und wenn es nach Li geht, soll sich deren Begeisterung in der nahen Zukunft in Sponsoring sowie Verkäufen von Merchandising und Fernsehrechten bemerkbar machen. Bereits 2018/19 soll der Verein an die Börse gebracht werden, 2019/20 peilt man eine ausgeglichene Bilanz an, im Jahr darauf werden den Investoren erste Dividendenzahlungen versprochen.

Zum Erfolg verdammt

Die Zahlen sind ambitioniert und finden Eingang in das auf Oktober verschobene „Voluntary Agreement“ mit der UEFA. Die aktualisierten Spielregeln des Financial Fairplay sehen vor, dass Vereine im Falle einer Umstrukturierung über einen gewissen finanziellen Spielraum verfügen. Solange ein Business Plan angenommen wird, aus dem hervorgeht, wie man innerhalb eines begrenzen Zeitraums die Bilanzen wieder in die Rahmenbedingungen des FFP zurückführt. Kurzfristig sind jedenfalls mehrere Faktoren sehr wahrscheinlich: Die Stadionauslastung und die damit verbundenen Einnahmen werden steigen, gegenüber den 16.000 Dauerkarten der letzten Saison peilt man im Moment 40.000 an. Im Falle der Verpflichtung eines Stürmers kann dies auch zu vorsichtig geschätzt sein. Eine Qualifikation gegen Craiova vorausgesetzt, addieren sich die Einnahmen aus der Europa-League zu den Umsätzen des Vorjahrs, zum Ende der aktuellen Saison werden sich wieder vier Vereine der Serie A direkt für die nächste Champions League qualifizieren. Milan setzt klar darauf, unter die ersten Vier der Tabelle zu kommen, auch wenn Fassone beteuert, dass auch ein Verfehlen dieses Ziels einkalkuliert wäre.

Überwacht werden die Finanzbewegungen von der Elliott Management Corporation, die Yonghong Li das notwendige Kapital bereitstellten, nachdem eine Verschärfung der Bedingungen für den Abfluss von Kapital ins Ausland seitens der chinesischen Regierung ein Scheitern des Verkaufs drohen ließen. Die Brückenfinanzierung von um die 320 Millionen Euro wird von Elliott ab November in zweimonatigen Abständen geprüft. Zwei bereits vorgenommene Kapitalerhöhungen, aber vor allem der angestrebte Börsengang, sollen den Transfermarkt sowie die Rückzahlung des von Elliott geliehenen Gelds absichern. Bis dahin, steht der 31 Milliarden Dollar schwere Elliott-Fond für das Investment ein. Bei einem Zahlungsausfall gingen die Anteile an die Amerikaner über. Wahrscheinlicher ist, dass die chinesische Regierung in der Zwischenzeit den Kapitalabfluss aus dem Land wieder lockert und spätestens dann die wirklichen Investoren zum Vorschein kommen, in deren Namen Li agiert.

Fußball ist keine exakte Wissenschaft und natürlich ist es denkbar, dass keines der sportlichen und finanziellen Ziele des Vereins erzielt wird. Es ist aber sicher auch nicht völlig absurd, in eine der wichtigsten und bekanntesten Marken im Fußball zu investieren. Zumal der AC Milan in einer Liga spielt, in der die Rückkehr in die Champions League ein erreichbares Ziel ist. Der Inbvestitionsaufwand, einen Club der Premier League hierfür herzurichten, wäre ungleich höher und selbst dann ist es praktisch unmöglich, den Markenwert und die Bekanntheit des Brands AC Milan zu erreichen. Flankiert von enormen Bestrebungen der chinesischen Regierung, den Fußballbetrieb im Land zu befördern, steigt die Begeisterung für den Sport in einem Land mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern. Trotz des kurzfristig eingesetzten Kapitals erscheint es durchaus möglich, den Club sportlich relativ kurzfristig wieder in die Geldtöpfe der Champions League zu führen, das Marketingpotential des AC Milan wurde über mindestens ein Jahrzehnt sträflich vernachlässigt. Der schlafende Riese zeigt deutliche Lebenszeichen.

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