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Ein Tag am Meer

Manchmal kann man gar nicht so schnell schreiben, wie der italienische Fußballbetrieb sich neue Dinge ausdenkt, um Menschen von Stadien fernzuhalten. Oder von Städten. Die folgende Meldung ist zwar nicht mehr ganz taufrisch, aber ich möchte sie trotzdem gern berichten. Vielleicht hat der eine oder andere Innenminister oder Polizeigewerkschaftsvorsitzende ja eine Verwendung für innovative Ideen.

Es trug sich am 12.10.2013 zu, dass 36 Ultràs der Gruppe "1911" aus Brescia im Reisebus ins Ligurische La Spezia unterwegs waren. Dort sollte am 9. Spieltag der Serie B im Stadio Alberto Picco die Partie gegen Brescia ausgetragen werden. Nun haben die "1911" wie so viele andere auch, keine "Tessera del Tifoso" und machten sich folglich auch keine Illusionen darüber, ins Stadion zu gehen. Seit Auswärtsblöcke den Inhabern der Fancard vorbehalten sind, reisen viele Ultràgruppen durch die Lande, ohne ins Stadion gehen zu wollen. Weil man sich die Auswärtsfahrt nicht nehmen lasen möchte, weil man das schon immer so gemacht hat, weil man gegen dieses Instrument protestieren möchte.

Ärger ist dabei nur selten zu erwarten, ganz im Gegenteil. Weil Kurvenfans in den allermeisten Stadien die Tessera verweigern, kommt es relativ häufig zu Solidarisierungszenen und man bietet den vor den Toren ausharrenden Gästefans Speis‘ und Trank an. Nicht einmal eine Rivalität sollte man zwischen Brescia und La Spezia vermuten. Derlei differenzierte Erwägungen mag man aber bei der Geheimpolizei DIGOS in Brescia und La Spezia nicht anstellen und so hielt man den Bus an der Autobahnraststätte Sarzana an und durchsuchte ihn. Völlig ungerührt nahm man dabei die Erklärungen der Gruppe entgegen, die angab, ans Meer fahren zu wollen, um sich das Spiel im Radio anzuhören – eine vermutlich sogar richtige Aussage, so verhalten sich seit 3 Jahren viele Ultràgruppen in Italien. Die „1911“ haben sich bereits in der Vergangenheit damit hervorgetan, in der größten Piazza des Auswärtsspielorts während des Spiels einfach zu bolzen. Ohne dabei jemals irgendjemanden zu stören. Bei der Durchsuchung des Busses fanden die Agenten der DIGOS keinerlei als Waffen geeigneten Gegenstände, keine Pyrotechnik, keine Banner, keine Spruchbänder und die Gruppe leitete auch keinerlei Widerstandgegen die Maßnahme.

Nun wäre es ja noch schöner, wenn 36 italienische Staatsbürger so einfach einen Bus mieten könnten, um an den Strand zu fahren. Gegen solche Umtriebe muss man einschreiten und so wurden von allen Busreisenden die Personalien aufgenommen und der Bus wurde wieder zurück ins heimatliche Brescia eskortiert. Und weil das womöglich an Grundrechtsverletzungen (Reisefreiheit irgendjemand?) noch nicht reicht, wurden alle 36 Mitfahrer mit Stadionverbot belegt. Der Vorwurf lautet auf "nicht-autorisierte Auswärtsfahrt". Dass nicht einmal die an Zwangsmaßnahmen sehr reiche italienische Gesetzgebung diesen Tatbestand hergibt, schert die DIGOS dabei wenig. Sicherlich ist ein solches Stadionverbot rechtlich nicht einmal in Italien haltbar, aber wer sich tatsächlich mit anwältlicher Hilfe dagegen wehren will, wird schnell erfahren, dass die durchschnittlichen Prozesslaufzeiten ein Vielfaches der durchschnittlichen Stadionverbotslaufzeiten betragen.

Für alle, die sich jetzt "sicher fühlen": Aus Brescia stammt übrigens Paolo Scaroni, ein unbeteiligter Fußballfan, der 2005 im Bahnhof von Verona von 8 Polizisten ins Koma geprügelt wurde und seitdem zu 100% schwerbehindert ist.

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