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Si può fare – Ein Film mit Claudio Bisio

Ebenso wie „matti per il calcio“ ist der Film „Si può fare“ („Das kann man machen“) den über 30.000 sozialen Kooperativen gewidmet, die sich ab den 80er Jahren den unter dem „Legge Bersani Basaglia“ aus den italienischen geschlossenen „Irrenanstalten“ entlassenen Menschen mit psychiatrischen Auffälligkeiten Arbeit, Beschäftigung und teilweise selbstbestimmtes Leben ermöglichten. Der 2008 erschienene Kinofilm von Giulio Manfredonia hat zudem den in allen Belangen großartigen und in Italien sehr verehrten Comedian Claudio Bisio aus dem mindestens ebenso beliebten Cabaret-Programm „Zelig“ in der Hauptrolle. Und Claudio Bisio verspricht neben brilliantem Wortwitz eine schauspielerische Präzision, dass ich mir den Film schon fett markiert hatte, bevor er endlich in meinem Provinzkino aufschlug.

„Welche Rolle in einer Gemeinschaft kann jemand einnehmen, der nie spricht und dessen Lebenslauf armselig ist? Den Präsidenten!“
(Nello)

„Si può fare“ ist eine Komödie, eine hintergründige, tiefsinnige, aber dabei ungemein entspannte Komödie, die mit ungeahnter Leichtigkeit ein gar nicht so leicht zu beackerndes Thema behandelt, so dass man sich zunächst ganz entspannt zurücklehnen und laut loslachen kann. Nun weiß ich nicht, wie es der üblichen Betroffenheitsfraktion geht, ich fand mich hervorragend unterhalten, habe stellenweise laut gelacht und ganz nebenbei eine saubere Lektion über das Leben erhalten. Eine Komödie über geistig Behinderte? Kann man machen! Hauptsache, man macht es gut.

„Ich gebe denen nicht recht, weil sie verrückt sind. Ich habe sie immer als Gleiche behandelt. Wenn sie mich aufregen, rege ich mich auf: das ist Respekt.“
(Nello)

Nello (Claudio Bisio) ist 1983 ein Mailänder Gewerkschafter und nicht nur sein Äußeres erinnert an Lenin, auch seine Argumentation lässt keinen Zweifel an der politischen Ausrichtung des Mannes. Nun besitzt er auch einen Kopf zum Denken und sein gerade erschienenes Buch zu Fragen des Marktes wird von seinen stalinistischen Kampfgenossen nicht eben begeistert aufgenommen und so findet er sich kurz darauf abgeschoben auf dem Platz des Chefs der „Cooperativa 180“ wieder, eine der zehntausenden Projekte für Behindertenarbeit, die nach dem Basaglia-Gesetz (legge 180) in ganz Italien entstanden. Auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt und Nello erkennt schnell, dass von ihm nicht wirklich eine Arbeit erwartet wird: Bei seinem ersten Besuch tropft er vom professionell überheblichen medizinischen Leiter der Institution ab und wird von den Briefmarken klebenden und schwerst medizinierten Patienten bestenfalls höflich ignoriert, andernfalls auch aggressiv abgelehnt. Kleiner glatzköpfiger Weltrevoluzzer trifft mit seinem vollen Enthusiasmus auf eine unterdrückte Arbeiterklasse, die sich partout nicht retten lassen will. Sein erster Arbeitstag endet mit einer blutigen Nase. Ein erster Sprenkel rot im grauen Klinikalltag.

„Wenn er wütend wird, sag ihm, dass ich als letzter unterschrieben habe…“
(Fabio)

Aber so schnell lässt sich Nello nicht aufhalten. Er will Veränderung und Veränderung soll es sein. Völlig frei von Erfahrungen auf dem Gebiet und mit einer gehörigen Portion Naivität nimmt er sich vor, das Wort „Kooperative“ mit Leben zu füllen – eine herrschaftsfreie Zusammenarbeit erwachsener Menschen. Er ruft also die Meute zusammen und erklärt ihnen den Sinn und Zweck einer Kooperative und gemeinsam erarbeitet man Rollen in dem zu entstehenden Räderwerk. Jeder nach seinen Möglichkeiten, jedem nach seinen Leistungen. Und überhaupt sei Briefmarkenkleben keine angemessene Arbeit – gemeinsam einigt man sich darauf, den Markt für Parkettlegearbeiten aufzumischen. „Gemeinsam“ bleibt fortan das bestimmende Wort und der Stolz der derart mit Achtung und Verantwortung ausgestatteten Mitglieder der Kooperative drückt sich zunächst einmal in Staunen und Verwunderung aus.

„Wir sind völlig raus aus der Stadt! Diese Strassen gibt es gar nicht!“
(Ossi, als man in Mailand stundenlang an einer Baustellenumleitung verharrt)

Und die „Cooperativa 180“ macht sich an die Arbeit. Wie zu erwarten läuft in dem verrückten Haufen mehr schief, als Nello sich erwartet hatte, aber langsam nimmt das Projekt Gestalt an. Und was für eine Gestalt – die Telefonistin ist leicht nymphoman, telefoniert aber gern. Der Fahrer ist ein verhinderter Formel 1-Pilot, seine Krankheit erlaubt ihm aber nur, ausschließlich den 2. Gang zu benutzen. Und der Buchhalter kann hervorragend mit Zahlen umgehen, steht mit diesem Talent allerdings weitgehend allein da, der Rest der Gruppe mag sich nur schwer an dessen Präzision gewöhnen. Die Krankheitsbilder und Besonderheiten der bunten Truppe sind derart vielfältig, dass es tägliches Kopfzerbrechen braucht, den über sie hereingebrochenen Gemeinschaftssinn aufrechtzuerhalten. Nun, und Luca und Gigio (Giovanni Calcagno und Andrea Bosca) entdecken ihre künstlerische Ader ausgerechnet in dem Moment, als sie in einem eher aristokratischen Klub den erzkonservativen Inhaber mit einem fein ziselierten gigantischen fünfzackigen Stern auf dem Fussboden überraschen – den Jungs war das Parkett ausgegangen und sie erfanden das Kunstwerk aus Versägestücken und sonstigen Resten.

„Wir machen alles aus Abfall, das hier ist eine Kooperative aus Abfall.“
(Ossi)

Zu aller Überraschung ist das Kunstwerk ein Erfolg und fortan wird die Cooperativa mit Aufträgen überschwemmt. Ganz langsam und in kleinsten Schritten erarbeitet sich die Kooperative ihr Selbstbewusstsein sind alle noch überzeugt von dem, was ihnen ein Leben lang eingebleut wurde, dass sie nichts wert seien und nichts können. Aber von Arbeit zu Arbeit, von Sieg zu Sieg, im Arbeitsalltag wie bei ersten Kontakten mit dem anderen Geschlecht, begreifen die Patienten, dass sie trotz ihrer mannigfaltigen Limitierungen weit mehr sind als fremdbestimmte Kinder. Nello beschliesst, die Medikation zu verringern und nachdem er sich beim Arzt Del Vecchio (Giorgio Colangeli) einen Korb holt, holt er den jungen und modern denkenden Dottore Furlan (Giuseppe Battiston) ins Boot. Die Medikamentendosis wird reduziert und mit Mitteln der Europäischen Union zieht die Gruppe in einen neuen Sitz ein. Nun stelle man sich diesen von den neuen Freiheiten völlig überdrehten Haufen vor, dem es an Problemen nicht mangelt: Der smarte Gigio verliebt sich in eine Kundin, der Ausflug der durch die Reduktion an Tranquilizern enthemmten Truppe auf den Straßenstrich sorgt für allgemeine Belebung und das wachsende Selbstbewusstsein der Truppe macht Nello insgesamt mehr Probleme als erwartet.

„Wir sind verrückt, nicht bescheuert.“
(Luca)

Aber man wächst zusammen und alle Beteiligten sind immer wieder überrascht, zu welchen Leistungen man gemeinsam fähig ist. Eine Leistungsfähigkeit, die den Patienten von der Gesellschaft ein Leben lang abgesprochen wurde. Selbstverständlich macht es Freude, den ihre neue Welt entdeckenden Patienten bei der kindlichen Eroberung des Planeten zuzuschauen. Auch tragische Verluste muss die Truppe einstecken, Selbstzweifel, Angst und Resignation. Zwischenzeitlich hat es den Anschein, als hätte man sich übernommen und würde an äußeren und inneren Hürden letztlich dann doch scheitern und den Zweiflern recht geben. Aber erstaunlicherweise ist es am Ende der chronisch skeptische Doktor Del Vecchio, der Nello zum Weitermachen verpflichtet und ihm seine nicht für möglich gehaltenen Erfolge auflistet. Der Institutsleiter beschwört Nello, seine unglaubliche Arbeit nicht aufzugeben und weiterzumachen. Und so schliesst der Film mit einem Blick über die neu eingetroffenen Helfer aus anderen Kooperativen und einem Schwenk über die bereits vorgefertigten Parkettteile für einen Riesen-Auftrag für die Pariser Metro. Sie haben es geschafft.

„Die haben gegen dich gestimmt. Hast du nicht begriffen, dass das dein schönster Sieg ist?“
(Doktor Furlan)

„Si può fare“ ist eine erfrischende und blitzgescheite Komödie, besser: Tragikkomödie, über das Leben aus verschiedenen Blickwinkeln. Jeder der „Cooperativa 180“ bringt seine Stärken in die Gruppe ein und jeder einzelne macht die Gruppe stärker. Ausgehend vom Krankheitsbild ergibt sich ein facettenreicher, mosaikartiger Blick auf all unsere Selbstverständlichkeiten des „normalen“ Lebens und so lernt Nello im Laufe seiner Arbeit mindestens ebensoviel hinzu wie seine Mitstreiter. Unter anderem, dass die Weltrettung in kleinen Dingen beginnt und sein eigenes Leben mindestens ebenso planlos organisiert ist wie das seiner neuen Mitstreiter. Ein streckenweise unglaublich lustiger Film mit geistig Behinderten, der gänzlich ohne erhobenen Zeigefinger oder sonstiges Gutmenschentum daherkommt und sich niemals zu ernst nimmt: Kommunistische Weltverbesserer werden ebenso vorgeführt wie die unsägliche Ignoranz der angeblich geistig leistungsfähigeren Normalbevölkerung. Und ein Film über die Freundschaft, den Willen, auch im Kleinen die Welt zu verändern und den Spass am Leben – völlig unabhängig davon, was die Mehrheit als Leben gerade definiert.

Si può fare (2008)- Offizieller Trailer
http://www.youtube.com/watch?v=fm9eZtn5XUQ

Si può fare – Wie man eine Kooperative gründet
http://www.youtube.com/watch?v=qMigJ0X-5jM

9 Antworten auf „Si può fare – Ein Film mit Claudio Bisio“

Der Film ist so gut, dass ich ihn für die Uni verarbeite 😉 Danke für den Bericht (schön, auch mal was auf Deutsch zu lesen ^^) – allerdings muss ich mal ganz kurz "klugscheißen", denn es war die Legge Basaglia, um die es hier geht, nicht das Decreto Bersani 😉 Die Legge Basaglia ist nämlich das Gesetz 180/78, um das es hier geht – das Bersani-Dekret gibt's meines wissens erst ab 2006 und da gehts um die Wirtschaft, nicht um Integration 😉
Aber wie gesagt, danke für den Bericht, toll geschrieben, ich schau jetzt öfter vorbei (auch ohne klugsch…., versprochen ^^)
Liebe Grüße und gratuliere zu der informativen Seite,
Fiammetta

Ich habe ihre Seite zufallig gefunden. Die finde ich sehr informative und gut sortiert. ich wunsche ihnen weiterhin viel Erfolg.

Ciao Andrè,

nun, zu Applaus ließ sich das nordpiemontesische Bergvolk nicht hinreissen, aber ich erinnere mich an ein Kino, das zu 90% den gesamten Abspann abewartet hat, statt sofort die Handys einzuschalten und loszupoltern. In der Tat ein besonderer Film. Gute Komödien über ernste Themen sind ja auch sehr rar.

Kai

Als ich den Film im Rahmen des cinema! italia! gesehen habe, haben am Ende des Films die Zuschauer applaudiert. Ohne dass der Regiesseur oder ein Schauspieler dagewesen wäre. Es war einfach nur aufgrund dieses besonderen Films.
Völlig zu Rechte hat er auch den Wettbewerb von cinema! italia gewonnen, siehe http://www.cinema-italia.net.

Grüße
André

Ciao Andrè,

nun, zu Applaus ließ sich das nordpiemontesische Bergvolk nicht hinreissen, aber ich erinnere mich an ein Kino, das zu 90% den gesamten Abspann abewartet hat, statt sofort die Handys einzuschalten und loszupoltern. In der Tat ein besonderer Film. Gute Komödien über ernste Themen sind ja auch sehr rar.

Kai