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Flavio di Stefano und Andrea Romano: La Grande Storia dei Derby Roma Lazio

Derbys sind die Essenz des Fußballs. Im Derby wird alles das, was den Fan über Jahrzehnte mit dem Ballsport verschweißt, in 90 Minuten komprimiert: diese gesamte unendliche Kette an Anekdoten aus der Straßenbahn und die Unruhe in der Woche vor dem Spiel. Der im Hals steckende Torjubel, wenn der Ball scheinbar in Zeitlupe auf den Pfosten zurollt, um dann doch ins Aus abzuprallen und das Delirium, wenn die eigene hoffnungslos unterlegene Mannschaft mit dem ersten Torschuss in der 94. dem Stadtrivalen ein unverdientes Unentschieden abtrotzt. An einem Wochenende geborene Fußballgötter, die wegen eines Hattricks auch noch nach Generationen einen Ehrenplatz im kollektiven Gedächtnis finden, obwohl sie sonst nie wieder etwas zählbares zusammenstolperten. Nur ein Derby kann eine ansonsten vollkommen verkorkste Saison retten oder eine ansonsten ganz passable Saison unwiderruflich vergiften.

Wie Bruno Conti im Vorwort so richtig anmerkt, „Roma – Lazio war niemals, ist es nicht und wird auch nie ein Spiel wie viele andere sein.“ Und soweit ein Buch dies vermag, nehmen uns die beiden Autoren, Flavio Di Stefano und Andrea Romano, mit auf eine Reise durch die römischen Stadtduelle von den 30er Jahren bis in die soeben abgelaufene Saison 2011/12. Und selbst wenn man mit den beiden Römer Vereinen oder dem italienischen Fußball nicht viel anfangen kann, so ist es für einen Fußballfan unmöglich, sich nicht von der beschriebenen Atmosphäre anstecken zu lassen. Jeder, der einen Begriff von der Bedeutung des Wortes „Derby“ hat, fällt es leicht, die beschriebenen Episoden, Spielverläufe und siegreichen und tragischen Helden mit Inhalt zu füllen.

Nebenbei erfährt man, dass hitzige Auseinandersetzungen auf den Rängen keineswegs eine Erfindung der Ultràs sind, sondern schon 1931 Mussolinis Carabinieri zum Eingreifen zwangen. Oder wie die Spieler von Lazio 1934 Geld zusammenlegten, um die fällige Strafe zu bezahlen, damit der von der Roma gewechselte Attilio Ferraris für die Himmelblauen auflaufen durfte. 1941 muss der Lazio-Spieler Silvio Piola in der Halbzeit an der Stirn genäht werden, will aber entgegen der Empfehlungen des medizinischen Personals auf keinen Fall den Platz verlassen und schießt zwei Minuten nach Wiederanpfiff das Tor, das seine Lazio vor dem Abstieg in die Serie B mitbewahren sollte. Während der Feierlichkeiten zur Meisterschaft des AS Roma 1983 (!) können es ihm die Rot-Gelben endlich heimzahlen und mauern ihm nachts die Eingangstür zu seiner Wohnung zu. Momente der Freude wie Romas Pedro Waldemar Manfredinis Hattrick in nur 15 Minuten aus dem Jahr 1960 wechseln sich mit der Tragik ab, die in dieser Größenordnung im Fußball nur Derbys zu bieten haben: durch Eigentore entschiedene Spiele.

Aus anderen Zeiten stammen auch Spieler wie Sergio Petrelli, dem 1972 ein hitziger Fan während des Trainings in Tor di Quinto vom Zaun aus als „Sohn einer Hure“ beleidigte und sich dafür zwei Kopfnüsse einfing. Keiner seiner Mitspieler zögerte auch nur eine Zehntelsekunde, auf einen Teil seiner Siegprämie zu verzichten, um die hierfür fällige Strafe zu zahlen. Oder Lazio-Idol Giorgio Chinaglia, dem 1973 nach dem Derby ungefähr 200 wütende Roma-Fans zuhause aufgelauert und gedroht hatten, die Tore zu seiner Villa zu stürmen. Als er davon hörte, konnte er nur mit sanfter Gewalt davon abgebracht werden, den Übeltätern mit der Pistole in der Tasche hinterherzufahren. Aber auch Fans kommen zu Wort und Protagonisten der legendären CUCS (Commando Ultrà Curva Sud) berichten aus den 80er Jahren und wie die Nächte mit Zigaretten und Kaffee verlängert wurden, um ein paar der schönsten Choreografien des italienischen Fußballs vorzubereiten. Wehmut klingt hier mit. Natürlich darf auch Paolo Di Canio nicht fehlen, dem von allen Seiten der Gut- und Bessermenschen vorgeworfen wurde, dass er sein Tor, das 1989 seinem Lazio nach 10 Jahren wieder zu einem Derbysieg verhalf, mit erhobenem Finger (ja, damals nur der Finger) vor der Kurve des AS Roma feierte. Erst unlängst entschuldigte er sich im Fernsehen für diese Provokation: „Jetzt, mit dem Abstand von mehr als 20 Jahren kann ich sagen, dass es mir leid tut, dass ich damals zu früh angehalten habe und nicht noch näher unter deren Kurve gegangen bin.“

Nur in Italien wäre ein Präsident, hier Franco Sensi vom AS Roma, auf die Idee gekommen, 1999 eine Kapelle direkt neben dem neuen Pressesaal des Trainingszentrums Trigoria zu errichten in der Hoffnung, dass die Spieler sich „nicht nur des Aberglaubens wegen, sondern aus wirklich religiösen Motiven heraus bekreuzigen“. Francesco Totti und sein designierter Nachfolger Daniele De Rossi tauchen auf, Spieler, die Derbygeschichte geschrieben haben und wiederum die Geschichte dieser Rivalität personifizieren. Bewegend sind auch die Schilderungen der Atmosphäre vom ersten Derby nach dem Tod von Gabriele Sandri, als die Kapitäne Totti und Rocchi gemeinsam Blumen vor dem Gemälde Sandris ablegen und für eines der bewegendsten Bilder dieser erschütternden Episode italienischer Fußballgeschichte sorgen. Lustige Banner werden erzählt, wie das, mit dem die Südkurve des AS Roma ihre zahlenmäßige Überlegenheit abfeiert: „Haltet still, damit wir euch zählen können.“

„Es gibt so bewegende Märchen, dass sie nicht in diese kümmerlichen anderthalb Stunden des Spiels passen. Geschichten von Umarmungen, von Schweiß, von Sprechchören, von Angst und Hoffnung. Derby-Geschichten, von Tränen, die vergossen wurden, einfach weil der Ball das Netz des gegnerischen Tores gestreichelt hat oder weil man machtlos dem Ball hinterherblicken musste, der langsam ins falsche Tor rollte: das eigene. Ganze Tage, die damit verbracht werden, dem anderen Teil der Stadt die eigene Vormacht ins Gesicht zu schreien oder die man sich vor der Verarsche der anderen Seite verstecken musste.“

Derby eben. Und Roma-Lazio ist eines der schönsten.

14 Antworten auf „Flavio di Stefano und Andrea Romano: La Grande Storia dei Derby Roma Lazio“

Das ist ja wirklich sehr gut geschrieben. Wie kommt man an Infos das ein Spieler zu Hause von 200 Fans aufgelauert wird. Möchte an diesen Tag nicht in desen Haut gesteckt haben.

5 Jahre dem Tod von Gabriele Sandri, sicherlich ein gewagtes Datum, um so ein Spiel statt finden zulassen oder nicht?

Das Datum ist auffällig, ich weiß aber nicht, ob die Lega darüber überhaupt nachgedacht hat. Vielleicht wollen sie die beiden Tifoserien aber auch lieber im Stadion haben, anstatt denen die Möglichkeit zu geben, an anderer Stelle daran zu erinnern. Schaun mer mal.