Federico Aldrovandi war ein 18-jähriger Italiener aus Ferrara, einer Stadt nördlich von Bologna. An einem Samstagabend, man schreibt den 24. September 2005, will er nach der Arbeit mit Freunden ein Konzert in Bologna besuchen. Das Konmzert wird abgesagt, aber Federico verbringt den Abend im „Link“, einem der angesagtesten Lokale der Stadt. Neben Alkohol konsumiert man auch Drogen. LSD, Popper, Hashish, vielleicht anderes. Keine größeren Mengen, niemad hatte im Laufe der Nacht irgendwelche Auffälligkeiten bemerkt. Gegen 5 Uhr morgens kehrt man zurück, seine Freunde setzen ihn in der Nähe der Pferderennbahn, nicht weit von zuhause, ab. Der Jugendliche hat aber noch keine Lust, die Nacht zu beenden und versucht, noch Freunde anzurufen, aber niemand antwortet.
Um 5.47 Uhr rufen Anwohner die Polizei, weil in der Via Ippodromo ein junger Mann herumbrüllt und wahllos gegen Dinge tritt. Eine Polizeistreife trifft ein, als es nicht gelingt, Federico zu beruhigen, wird zunächst eine weitere Streife gerufen, schließlich die Carabinieri. So steht es zunächst in den Ermittlungsakten. Zwischen den Uniformierten und Federico Aldrovandi gibt es ein Handgemenge, an dessen Ende ihm auf dem Bauch liegend bewegungsunfähig die Handschellen auf dem Rücken angelegt werden. Federico ist reglos, er scheint in Ohnmacht gefallen. Um 6.04 Uhr wird ein Krankenwagen über den Notruf 118 dazu geholt. Beim Eintreffen des Notarztes, zwischen 6.15 und 6.18 Uhr, ist Federico tot.
Seine Freunde werden am Morgen auf die Wache gerufen, wo sie von einem Gerichtsmediziner befragt werden. Zunächst wird nichts von Federicos Schicksal erzählt, den sie wenige Stunden vorher in der Nähe seiner Wohnung abgesetzt hatten. Zum Ende der Befragung bescheinigt ihnen der Gerichtsmediziner „Dein Freund ist tot, weil er drogensüchtig ist. Du bist auch drogensüchtig. Ihr seid alle drogensüchtig.“ In den nächsten Tagen lesen sie die Schlagzeilen: „Die Freunde des Toten ausgequetscht“, Federico „aus einem fahrenden Auto geworfen“, bis hin zum „Schakale“ mit dem sie Monate später der Chef der Polizeigewerkschaft SAP, Tonelli, in einer Pressekonferenz bedachte. Sie waren einfach „tossici“, Drogenopfer, der Dreck am Stiefel der Gesellschaft. Federicos Eltern werden erst am Vormittag 11 Uhr eingeweiht, 5 Stunden nach dem Tod des Ragazzo.
Zunächst weckt der Fall kein weiteres Interesse in der Öffentlichkeit. Drogen halt. Polizei, Medien und Öffentlichkeit sind sich da schnell einig. Bis im Januar 2006 Federicos Mutter ein Blog eröffnet, das in kurzer Zeit eines der erfolgreichsten Italiens werden soll. Dort schildert die Familie Widersprüche rund um Federicos Tod. Insbesondere steht der Annahme, der junge Mann sei an einer Überdosis verstorben, ein toxikologisches Gutachten entgegen. Zudem ist Federicos Körper mit 54 Blutergüssen übersät, Traumata an Schädel und Gesicht – bei dem Einsatz waren zwei Schlagstöcke kaputt gegangen. Ein Augenzeuge berichtet von Schlägen, von Federicos Hilfeschreien und davon, wie ein Polizist dem jungen Mann auf dem Boden das Knie in den Rücken drückt. Weitere Gutachten werden angefordert.
Das von der Staatsanwaltschaft beigezogene gerichtsmedizinische Gutachten geht davon aus, dass Federico Aldrovandi an einem Mix aus Ketamin, Alkohol und Heroin verstorben wäre, der in letzter Konsequenz einen Herzstillstand herbeigeführt hätte. Dem gegenüber steht ein weiteres Gutachten, erstellt im Auftrag der Eltern, das zu dem Schluss kommt, der junge Mann wäre erstickt, weil er mehrere Minuten am Boden fixiert wurde und sein Körper unter Stress nicht genug Sauerstoff bekommen hätte. Vereinbar mit dem, was passiert, wenn jemand mehrere Minuten mit dem Knie auf deinen Rücken presst. Insbesondere wäre der Alkohol in Federicos Körper mit 0,4 Promille sogar noch in den Grenzen des im Straßenverkehr erlaubten gewesen, die Ketamindosis 175-fach unterhalb der tödlichen Dosis und das Heroin „nicht signifikant“.
Im März 2006 werden Ermittlungen gegen die vier beteiligten Polizisten aufgenommen. Ein weiteres Gutachten kommt zum Schluss, dass den Tod ein „Excited Syndrome Delirium“ herbeigeführt hätte. Federico ist also weder durch die Schläge allein, noch durch die konsumierten Drogen ums Leben gekommen, sondern durch Sauerstoffmangel, verursacht durch seine Aufregung, den Stress, schlussendlich eben durch die Fixierung am Boden. Herbeigeführt durch die Umstände des Polizeieinsatzes. Am 26. Juni 2007 werden die vier Polizisten befragt und geben sich erstaunt, dem Opfer „ging es hervorragend bis zum Eintreffen der Sanitäter.“ Im mittlerweile eingetroffenen Mitschnitt des Notrufs dieser Nacht hingegen hört man klar und deutlich „…wir haben ihn schwer zusammengeschlagen. Jetzt ist er irgendwie bewußtlos, keine Ahnung… Der ist halbtot.“ Nach Aussagen der Polizisten wären die beiden Schlagstöcke durch einen Tritt Aldrovandis und den Sturz eines Polizisten kaputt gegangen. Den an Bord der Streife vorhandenen Defilibrator hatte man nicht eingesetzt, weil das Opfer „keine Anzeichen von Problemen zeigte“.
Im Juli 2009 werden die Polizisten zu 3 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Für das Gericht war der schuldhaft völlig überzogene Gewalteinsatz Ursache für Federicos Tod. In der Urteilsbegründung heißt es, Federico wäre verstorben „als Konsequenz der Gewaltanwendung durch vier Polizisten, bewaffnet mit Schlagstöcken, die ihn um jeden Preis immobilisieren und festnehmen wollten, um ihn für die initiale Auseinadersetzung bezahlen zu lassen.“ Für den Richter war Federico Aldrovandi eine Person, die medizinische Hilfe brauchte und keine Gefahr für die Allgemeinheit, die auf jeden Fall in Arrest genommen werden musste. Die Beweisaufnahme erbrachte sogar noch weiteres: Die erste Streife traf bereits vor den Anrufen der Anwohner, zufällig, auf Federico. Deren Einsatz wäre überhaupt der Grund für Federicos Schreie und die folgenden Notrufe der Anwohner gewesen. „Umgebracht ohne Grund“ heißt es in der Urteilsbegründung ungewohnt deutlich.
Genau mit dieser Frage beschäftigt sich auch ein weiterer, paralleler, Prozess aus dem Jahr 2010. „Aldrovandi bis“. Insbesondere mit der Frage, wieso die Polizei Beweismittel zurückhielt und andere umdatierte um zu verschleiern, dass die erste Streife nicht etwa auf den Notruf von Anwohnern zum Tatort gefahren war, sondern ihrerseits das morgendliche Gebrüll überhaupt erst verursachte, das von den umliegenden Wohnblöcken aus gehört wurde. Gegen vier weitere Polizisten werden Ermittlungen aufgenommen; den Einsatzleiter der Polizeistreifen an diesem Morgen, seinen Vorgesetzten, den Verantwortlichen des Notrufs 113 und Marco Pirani, rechte Hand des Staatsanwaltschaft und zu Beginn Verantwortlicher der Ermittlungen in dem Fall. Unterdrückung von Beweismitteln, Urkundenfälschung, Falschaussagen zur Deckung der Kollegen lautet die Anklage.
Weder wurde der Streifenwagen konfisziert noch die Schlagstöcke, die Aufnahmen des Notrufs dieser Nacht wurden dem Gericht erst Monate später übermittelt. Auf nachhaltigen Druck hin. Drei der Polizisten werden zu Haftstrafen von 8 Monaten bis 1 Jahr verurteilt. Einem von ihnen werden im Urteil des Kassationsgericht in letzter Instanz noch 3 Monate hinzugefügt, weil er die Verdunklungsaktion während der ersten Ermittlungen nicht angezeigt hatte. Federicos Familie wurden im Oktober 2010 fast 2 Millionen Euro zugesprochen.
Die Berufungsinstanz bestätigte die Freiheitsstrafen gegen die vier am Einsatz beteiligten Polizisten und unterstrich die Rolle von Federicos Drogenkonsum. Allerdings als Strafverschärfungsgrund. Als „professionell auf solche Fälle vorbereitet“ hätten sie den Zustand des Jungen erkennen und anders reagieren müssen. Federico brauchte Hilfe, keine Schläge. Psychiatrisch-medizinisch hätte man eingreifen müssen und nicht unter Einsatz von übertriebener, verletzender Gewalt. „Als ob man ihn für die Auseinandersetzung mit der ersten Streife hätte bestrafen wollen.“ Alle vier, die Polizisten der ersten wie der zweiten Streife, werden zur selben Haftstrafe verurteilt, denn „jeder von ihnen hat den Jungen geschlagen und getreten, selbst als er schon am Boden lag, und niemand von ihnen hat medizinische Hilfe angefordert, erst als sie ihn regungslos überwältigt am Boden hatten.“ Die Staatsanwältin äußert sich deutlich „Zu viert gegen einen Wehrlosen, eine abnorme Situation.“
Das Urteil wurde in letzter Instanz am 21. Juni 2012 bestätigt. Drei der vier Verurteilten wurden 2014 nach Verbüßung der Haftstrafe wieder in den Polizeidienst aufgenommen, der vierte sieht sich aufgrund seiner Belastungsreaktion dazu nicht in der Lage. Im April erscheinen die vier verurteilten Polizisten beim Kongress der Polizeigewerkschaft SAP und werden von den Anwesenden mit stehenden Ovationen gefeiert. Ein Umstand, der im Jahr 2014 in einer Derby-Choreografie der Mailänder Curva Sud inspirierte: „Ein Applaus für die Mütter der von der Polizeigewerkschaft erniedrigten Opfer“, darüber in riesigen Lettern, geformt aus aus tausenden Zetteln: „Schande“. Die Curva Nord beteiligte sich an dem zweiminütigen Applaus und ließ Sprechchöre folgen: „Federico einer von uns“.
Federicos Vater Lino veröffentlichte vor wenigen Tagen, angesichts des bevorstehenden Aufstiegs des Vereins von Ferrara, Spal, in die Serie A, einen Brief auf Facebook.
„Wie hat Spal heute gespielt, Papa?“
Das war eine Frage, die Federico mir oft gestellt hatte, jeden Sonntagabend, vor diesem verdammten 25. September 2005. Das war eine Frage die er mir, schau einer an, nur stellte, wenn Spal gewonnen hatte. Denn er kannte natürlich meine Leidenschaft für die Farben Weiß und Azurblau, meine untrennbaren Begleiter seit ich 6 Jahre alt war. Ich muss gerade lächeln, wenn ich daran denke, vor allem an die Frage, die er mir heute mehr als jemals sonst gestellt hätte, um mich glücklich zu sehen. Ich schaue mir dieses Foto mit diesen beiden Farben an, die sein Herz umschließen und höre ein berühmtes und schönes Lied, das von einem Himmel voller Sterne erzählt… und in mir wächst der Wunsch, die Jungs aus der Curva Ovest zu umarmen, allen voran Pietro, seit immer Herz und Seele dieser Farben, und nicht nur dieser.
Dieser Stadt, Federicos Stadt, die ich nie zu lieben aufhören kann, ohne auch nur für einen Augenblick die „anderen“ Farben zu vergessen, die seit diesem absurden, verdammten Sonntagmorgen vor 12 Jahren unseren gemeinsamen Weg geschmückt haben. Unseren Weg hin zu einer kleinen Gerechtigkeit, aus Respekt für ein Wort, das in unserem Italien zu oft niedergetrampelt und beschädigt wird und das den Namen „Leben“ trägt. Ich denke an viele Dinge, mein „für immer Kleiner“, an was nie gewesen ist und was wir nie gemeinsam erleben durften…., in „guten“ wie schlechten Zeiten. Aber man muss weiter gehen, und heute Abend mehr denn je mit einem Lächeln, weil sich ein Traum erfüllt hat, ein sportliches Märchen, der Aufstieg meiner (unserer) Spal, dankbar denen gegenüber, die das erreicht haben. Heute Nacht schaue ich in Ruhe, wie jede Nacht, auf den Himmel voller Sterne. Aber in der Erwartung, noch einmal diese Worte zu hören, in dieser Stimme. Diese Stimme werde ich vielleicht hören können, auch wenn sie traurigerweise nur der Wind tragen wird.
Buona notte Federico
Eine Antwort auf „Federico Aldrovandi – Nur irgendein Toter Junge“
[…] oder Medienaufmerksamkeit auf andere Fälle des Machtmissbrauchs fällt. Denken wir an Federico Aldrovandi oder andere Fälle, Stefano Cucchi… Diese Medienaufmerksamkeit nicht für die Polizei, […]