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Tod des Lazio-Rom-Fans Gabriele Sandri II

Es ist dann doch interessant, wie sich die offizielle Staatsmacht dazu drängen lässt, zuzugeben, was sich anhand von Zeugenaussagen und Beweisen nicht mehr bestreiten lässt. Ausgehend von einer Generalabsolution für den Schützen („tragischer Unfall“, „Ultràs härter bestrafen“) schließt man angesichts der Beweise und Zeugenaussagen mittlerweile eine fahrlässige Tötung („Polizist war ungeschickt“) nicht mehr aus und bereitet sich offenbar darauf vor, den Polizisten Luigi Spaccarotella komplett fallenzulassen, wenn sich die Verdachtsmomente in eine Richtung entwickeln, die einen Vorsatz beinhaltet.

Einen ganz hervorragenden, stillen, sehr intelligenten und nachdenklichen Artikel zum Thema gab es gestern in der Repubblica (Klickst Du hier!), der in dem Vermerk gipfelte „Se un poliziotto spara in aria e uccide un essere umano che non vola, significa che ha sparato più in basso. Si sa chi è. Ci penserà la giustizia.“ – „Wenn ein Polizist in die Luft schießt und dabei einen Menschen tötet, der nicht fliegt, heißt das, dass er wohl tiefer gezielt hat. Man weiss, wer es ist. Die Justiz wird sich dessen annehmen.“ Offenkundig konnte sich auch Polizeichef Antonio Manganelli dieser bestechenden Logik nicht völlig verschließen und geht dann wohl doch von einem gerichteten Schuss aus, allerdings habe sich der Polizist „ungeschickt“ angestellt („maldestro“).

Ungeschickt. Der Mann sieht 80 m entfernt irgendwelche Streitigkeiten, macht die Sirene an und schießt einmal in die Luft, rennt zur Leitplanke und auf erstaunliche, durch die Justiz hoffentlich lückenlos aufzuklärende Weise, löst sich ein Schuss, der über 6 Fahrspuren ein abfahrendes Auto in die Heckscheibe trifft. Quer zur Laufrichtung des Polizisten. Das finde ich gar nicht so ungeschickt. Ich würde das nicht hinbekommen. Nun ja, womöglich hat der Fall ja mittlerweilse soviel Ärger verursacht, dass es eine ordentliche Aufklärung gibt, ich will meine Hoffnung da noch nicht begraben. Man kann ja über die nachfolgende Gewalt der Ultrà-Fangruppen in Rom und Mailand durchaus negativ denken, aber es ist offensichtlich der Regierung nicht gelungen, Opfer und Täter zu vertauschen und den Schwarzen Peter den Fußballfans zuzuschieben. Denn erste Reaktionen der Medien sprachen fast ungeteilt von härteren Strafen gegen gewaltbereite Fans, Aussetzung der Liga, Sperrung der Fankurven und Verbot von Auswärtsfahrten. Schon klar, schließlich hat hier ja ein Ultrà einen Polizisten…wie bitte?

Und so muss man sich dieses undelikaten Falls wohl annehmen. Besonders seit gestern abend ein Augenzeuge der Aussage des Beamten, es hätte sich beim Laufen versehentlich ein Schuß gelöst, entgegentrat mit der Beobachtung, der Agente Luigi Spaccarotella stand, Pistole in der Faust bei gestreckten Armen und gab einen Schuss auf Mannhöhe („altezza di uomo“) ab. Der Polizeipräsident von Arezzo, Vincenzo Giacobbe, betrachtet das Vorkommnis mittlerweile unter dem Druck der Fakten als fahrlässige Tötung, schließt aber nicht aus, dass das Geschehen zum Vorsatz hochgestuft werden könnte. Dies wäre im Interesse von Giorgio Sandri, Vater von Gabriele, der in einem Interview klar machte, dass er nur Gerechtigkeit fordert, eine gerechte Strafe für den Schützen, und keine Übergriffe auf Polizisten generell.

Grundsätzlich werden alle Seiten verlieren in dieser Tragödie. Der Italienische Fußball schlittert von einer Tragödie in die nächste, der harte Kern gewaltbereiter Hooligans hat einen willkommenen Anlass, Hass und Gewalt zu verbreiten und der Staat wird – unabhängig davon, wie der Fall ausgeht und bewertet wird, weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Handhabung der Geschehnisse seitens der Forze d’Ordine war unprofessionell, ungeschickt und geprägt vom typischen Reflex des „Herunterspielen, Verdecken, andere Beschuldigen“ – insofern muss man den Gewalttätigen vermutlich fast dankbar sein, dass sie die Grenzüberschreitung ins Licht der Öffentlichkeit rückten. Nur einmal zur Erinnerung: in einem demokratischen Staat zieht ein Staatsbediensteter die ihm vom Volk als Souverän ausgehändigte Waffe und erschiesst einen offenbar Unbeteiligten, offenbar ohne das Vorliegen irgendwie nachvollziehbarer Gründe. Im Nachhinein setzt sich die Maschinerie aus Polizei-Granden, Politikern und Staatsmedien in Bewegung, von denen alle Grundsätzlich und ohne Ansehen der Person der Meinung sind, es handelt sich um einen tragischen Unfall und Ultràs gehören härter bestraft. Hallo?

Es wird sich etwas grundsätzliches bewegen müssen im italienischen Fußball. Die Chance wurde im Februar diesen Jahres vertan, als Filippo Raciti getötet wurde, Sie wurde während des Bestechungsskandals um Moggi verspielt, der in lächerlichen Symbolstrafen gipfelte. Gewaltbereite Fangruppen regieren mittlerweile die Serie A, erpressen Freikarten, die auf dem Schwarzmarkt verhökert werden, erzwingen Spielabbrüche, wenn ihren Forderungen nicht nachgekommen wird (siehe das letzte Mailänder Derby in der Champions League) und nehmen Einfluss auf Spielertransfers und andere Entscheidungen. Ich benenne ausdrücklich nicht die Ultràs als solche, diese jetzt generell unter Generalverdacht zu stellen wird den Drahtziehern in die Hände spielen, denen Gewalt und Hass nur recht ist – üblicherweise zur Durchsetzung ganz profaner wirtschaftlicher Ziele.

Ultràs non sono delinquenti – Ultràs sind keine Verbrecher. Und Polizisten sind es auch nicht. Das heisst nicht, dass kein Ultrà Verbrecher ist. Und kein Polizist.

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