Sambenedettese – Matera, 7. Juni 1981. Dem Heimteam reicht ein Unentschieden für den direkten Wiederaufstieg in die Serie B. Die Spannung ist greifbar in der Stadt und trotz der Hitze sind die 3500 Plätze in der Curva Sud des „Stadio Fratelli Ballarin“ schon zwei Stunden vor dem Spiel voll besetzt. Auch Carla Bisirri, 21 Jahre, und Maria Teresa Napoleoni, 23, sind dort. Manche sagen, es wäre ihr erster Stadionbesuch gewesen, aber das wird keine Rolle spielen. Mehr als 12.000 Menschen sind in Erwartung des Aufstiegs im Stadion, gefälschte Tickets sorgen dafür, dass es wohl viel mehr waren. Menschen strömen in die überfüllte Kurve, „es wird eine besondere Choreografie geben“ heißt es. Bereits seit dem Morgen wird alles für die Choreo vorbereitet: überall liegen Papptafeln, 700 kg zerschnipseltes Zeitungspapier und Papierrollen auf den Stufen, damit es beim Einzug der Mannschaften in die Luft geworfen werden kann. Dann schließt die Polizei die Zugänge zum überfüllten Sektor und sperrt die Tore ab. Um 16.57 betreten die Mannschaften das Spielfeld. Tausende Papptafeln werden hochgehalten, rote und blaube Rauchtöpfe begleiten das Spektakel.
Plötzlich mischt sich schwarzer Rauch darunter. Der war nicht vorgesehen und die Menschen in der Kurve rennen zu den seitlichen Ausgängen. Das Papier hatte Feuer gefangen und die Flammen breiten sich in der Hitze dieses Frühsommertags rasend schnell aus. Nur sind die Ausgänge verschlossen und die Masse versucht die Flucht nach oben und drängt sich an die Begrenzungsmauer, die – im Gegensatz zu Heysel – der Masse standhält. Den Fans im unteren Teil der Kurve bleibt nur die Flucht aufs Spielfeld, über einen mit Stacheldraht bewehrten Zaun. Nicht alle schaffen das, drei Frauen und ein zehnjähriges Kind enden in den Flammen. Ein Mann rennt in die Flammen und zieht den Jungen heraus, er wird gerettet. Walter Zenga erinnert sich so an das Spiel:
Wie soll ich das vergessen können… Es vergeht kein Tag ohne einen Gedanken an diesen Nachmittag, an diese armen Frauen. Eine hatte mein Alter. Ich habe dieses Foto, ich bewahre es in der Schublade auf. Ich schaue es mir oft an, auch das Video im Internet. Ich kann keinen Frieden finden. Es ist alles so schnell geschehen, wir auf dem Platz, um gegen Matera zu spielen: ein Punkt reichte zum Aufstieg. Dann läuft irgendetwas schief: ich sehe Feuer und Rauch. Langsam gehen wir in Richtung Kurve: Menschen schreien und springen auf den Platz, verletzen sich dabei am Stacheldraht. Wie soll ich das vergessen können… Ich frage mich höchstens, wieso niemand von dieser Tragödie spricht, als wäre die nur drittklassig. Eine Schande.
Nur zehn Minuten dauert das Inferno, die Bilanz ist erschütternd: drei Personen mit lebensgefährlichen Brandverletzungen, 64 weitere mit Brandwunden, davon 13 schwer Verletzte, und 40 weitere Verletzte. Die Kurve leert sich, die Hälfte geht als Überlebende nach Hause, die andere Hälfte verfolgt das Spiel. Die schwer verletzten Opfer werden in Hubschraubern in die Brandkliniken Italiens verteilt, der Rest in Rettungswagen, Taxis und privaten Autos in die Kliniken gebracht. Carla und Maria Teresa werden bei Bewusstsein ins Krankenhaus eingeliefert, ihre Kleidung tief in die Haut eingebrannt. Alle Bemühungen der behandelnden Ärzte sind erfolglos: am 13. Juni stirbt Maria Teresa, Carla vier Tage später. Luigi Tommolini, war damals 12 Jahre alt und stand mit seiner Fahne im oberen Teil der Kurve.
Als die Leute angefangen haben, in meine Richtung zu drängen, glaubte ich, sterben zu müssen. Unter mir sah ich nur Leere. Zum Glück hat die Mauer gehalten.Das Feuer habe ich nicht gesehen, aber nichtmal die Leute näher dran haben realisiert, was da passiert. Die Flammen breiteten sich gegen die Sonne aus, fast unsichtbar. Man hat die Schlüssel für die Tore nicht gefunden und aus dem Hydranten kam kein Wasser… Ich war noch klein, ich habe nicht sofort bemerkt, dass da etwas Schlimmes passiert, aber ein Detail blieb mir im Gedächtnis: Nach dem Spiel bin ich auf den Platz gelaufen, niemand feierte. Ich bin aber trotzdem runtergegangen, vielleicht um die Angst zu bekämpfen. Als ich mich zur Kurve umdrehte, sah ich im Zentrum einen schwarzen Fleck. Ich blieb stumm, mit einem Knoten im Hals.
Der 7. Juni 1981 markiert die größte Tragödie, die sich in einem italienischen Stadion abgespielt hat. Das Stadio Ballarin wurde 1985 aufgegeben und verfällt seitdem. Jetzt nach 36 Jahren soll es abgerissen werden. Danach wird nichts mehr an diesen Tag erinnern außer einem Video auf Youtube, das ich euch ersparen möchte. Die namensgebenden Brüder Ballarin, Aldo und Dino, waren zwei Spieler des „Grande Toro“, die am 4. Mai 1949 beim Flugzeugabsturz ums Leben kamen, der die Mannschaft von Torino auslöschte.