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Lucarelli: Di Canio? Ich stehe auf seiner Seite

Zu den politischen Vorlieben von Paolo di Canio muss ich keine Zeile verlieren. Sein Foto vom 6. Januar 2005, als er die Kurve von Lazio beim 3:1 Derbysieg mit dem römischen Gruß beglückte, wurde weltbekannt. Nachdem er die Geste gegen Siena, Livorno und Juventus wiederholt hatte, rief das auch die UEFA auf den Plan, die für den Wiederholungsfall ernsthafte Sanktionen androhte, bis dahin gab es nur Geldstrafen seitens des italienischen Verbands. Seine Tattoos sind ebenso seit Jahren dokumentiert, aus seiner Einstellung macht er nicht wirklich einen Hehl. Als ihn während seiner Zeit als Trainer von Sunderland ein Journalist explizit fragte, ob er sich als Faschist bezeichnen würde, antwortete er mit einem eloquenten „Ich muss auf nichts antworten, wir sind hier nicht im Parlament, sondern reden über Fußball.“ Der seinerzeitige Außenminister David Miliband trat von seinen Posten bei dem Club zurück, weil er „nicht akzeptieren [kann], unter einem faschistischen Manager zu arbeiten.“ Schon seinerzeit widmete die Daily Mail seinem Adler-Tattoo mit Mussolini-Porträt einen Artikel.

Zuletzt arbeitete er als Experte für den Bezahlsender Sky Italia, wo er die englische Premier League kommentierte. Ein Sender, dem auch Luciano Moggi sein Expertenwissen zur Verfügung stellt, der wegen Sportbetrugs auf Lebenszeit gesperrte Ex-Manager von Juventus Turin. Und so moderierte er durchaus erfolgreich vor sich hin, bis Mitte September ein Foto von ihm in einem kurzärmligen Polo-Shirt auftauchte. Ein Screenshot seiner „Di Canio Premier Show“ auf Sky Sport. Auf dem Arm prangt seit ehedem eine „DUX“ Tätowierung, Latein für „Duce“, Benito Mussolini. Offenbar brauchte es das Tattoo, um ihn zu disqualifizieren: Jacques Raynaud, Vizepräsident von Sky Sport und Sky Calcio, erklärte „Wir haben einen Fehler gemacht, wir entschuldigen uns bei allen, deren Feingefühl wir verletzt haben“ und erklärte die Zusammenarbeit des Bezahlsenders mit dem Ex-Fußballer für beendet.

Soweit, so nachvollziehbar, die wenige Aufregung in den sozialen Netzwerken wurde nach wenigen Tagen von anderen Themen abgelöst, im Moment diskutiert das Land die im Internet aufgetauchten Nacktbilder und -videos der Sky-Moderatorin Diletta Leotta. Ich selbst denke, dass die Entlassung wegen eines seit vielen Jahren bekannten Tattoos sicherlich nicht notwendig gewesen wäre, wenn man sich vorher einen halben Gedanken zum Thema gemacht hätte. Seine politische Gesinnung war ebenso bekannt wie sein Körperschmuck. Kurzum, ich hätte ihn sicher nicht eingestellt, ihn wegen der Tätowierung vom Sender zu nehmen, ist Hypokrisie. Es kann ja nicht für seine Karriere entscheidend sein, ob er ein kurz- oder langärmliges Hemd anhat. Jedenfalls nicht, wenn man eine ernsthafte Diskussion zum Thema führen möchte. Erstaunlicher finde ich, dass sich nun Cristiano Lucarelli zu Wort meldet. Der Ex-Kapitän von Livorno ist bekennender Kommunist und sicher unverdächtig, rechtes Gedankengut zu preisen.

Das ist grottesk, wir kennen Di Canios Ideen, ich verstehe die Entscheidung von Sky nicht: ihn abzusetzen war Arschkriecherei. Als ob jemand jetzt warmes Wasser erfunden hätte, die Auffassungen von Paolo Di Canio sind bestens bekannt, ich stehe da auf seiner Seite.
Cristiano Lucarelli, 22.09.2016 auf cittaceleste.it

Lucarelli, der mit der Rückennummer 99 auf das Gründungsdatum der „Brigate Autonome Livornesi“ anspielte, trägt auch Tattoos: auf seiner rechten Wade prangt Che Guevara. Sein Gruß an die Kurve war die geballte Faust der Arbeiterklasse, ein Umstand, der Di Canios Gesinnungsgenossen immer als Ausweis der eigenen politischen Unterdrückung galt, denn „der macht ja dasselbe wie Di Canio, wird aber nicht bestraft“. Was nur teilweise richtig ist. Zwar musste er für die erhobene Faust keine Geldstrafe zahlen, sein Preis war aber deutlich höher: Es ist ein offenes Geheimnis, dass Lucarelli, zeitweise Torschützenkönig der Serie A, wegen seiner offen kommunistischen Ausrichtung der Weg in die Nationalmannschaft verwehrt war.

Meine politischen Ideen haben mir nicht geholfen, formulieren wir es so. Die Nationalmannschaft ist der Traum jedes Kindes. Das Bedauern ist da, wahrscheinlich hatte ich mir diese Weltmeisterschaft verdient.
Cristiano Lucarelli, 22.09.2016 auf cittaceleste.it

Zu seinem Verhältnis zu Di Canio äußert er sich wie folgt:

Wir haben uns immer die Hand gegeben und respektiert, ich finde es gut, wenn Menschen für ihre Überzeugungen einstehen. Unabhängig von den Idealen hat er den Mut gehabt, zu seinen Ideen zu stehen und dafür gebühren ihm Respekt und Anerkennung. Anstatt gehirnamputierten Fußballern bevorzuge ich die offene Auseinandersetzung mit Menschen, die hinter ihren Überzeugungen stehen.
Cristiano Lucarelli, 22.09.2016 auf cittaceleste.it

Lieber eine offene Auseinandersetzung mit Menschen, die politisch am ganz anderen Ende angesiedelt sind, als das typisch italienische Unter-den-Teppich-kehren, als die „bella figura“, für die Di Canio kein Problem war, solange er lange Ärmel trug. Eine Auslegung des Konzepts von Meinungsfreiheit, die ganz hervorragend die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Italien unterstreicht. Italiens Fußballverband wird von Tavecchio regiert, der sich als erste Amtshandlung 6 Monate sperren ließ, weil er von bananenfressenden Opti Pobàs schwadronierte, die den Italienern die „Stammplätze wegnähmen“. Napolis Trainer Sarri beschimpfte seinen Kollegen Mancini von Inter am Spielfeldrand als „finocchio“, abwertend für schwul. 2013 wurde die dunkelhäutige Ministerin Cecile Kyenge von einem Parlamentarier der Lega Nord, Andrea Draghi, mit einem Gorilla verglichen. Sky-Rivale Mediaset hatte bereits 1998 seine Nachrichtensprecherin Tiziana Rosati entlassen, weil sie sich die Haare blau gefärbt hatte. Benito Mussolinis Enkelin Alessandra, saß von 2008-14 im italienischen Parlament, seitdem ist sie „Mitglied des Europäischen Parlamentes und Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei, der auch die deutsche CDU angehört“ (Wiki). Und schon am Wochenende wird Ilaria D’Amico, Skys Allzweckwaffe, ihren Ehemann Gianluigi Buffon zum Spiel befragen. Der ist zwar auch Faschist, trägt aber lange Ärmel, und sein Shirt mit der Aufschrift „Boia chi molla“ ist ja auch schon etwas her.

Die Wahrheit ist, dass Italien ein scheinheiliges Land ist, wo man den Dreck unter den Teppich kehrt. Wo die Schränke voller Leichen sind, das Wichtige aber ist, dass sie geschlossen bleiben und ihr Inhalt unsichtbar, verborgen vor den für die Realität blinden Augen der öffentlichen Meinung.
Massimiliano Vitelli, 15.09.2016, Il Giornale

Titelbild von „East Ham Bull“: Paolo Di Canio at West Ham’s Upton Park, September 2010, CC BY 2.0 Die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Person(en) beschränken bestimmte Weiterverwendungen des Bildes ohne dessen/deren vorherige Zustimmung.

31 Antworten auf „Lucarelli: Di Canio? Ich stehe auf seiner Seite“

Ich meine den Bericht in der Gazzetta, der im Artikel verlinkt ist. Ich bin aber auch der Meinung, dass sich als Fascho zu bezeichnen in Italien etwas anderes ist als in Deutschland.

man findet online nur ihre aussage, dass sie ihn früher für einen faschisten gehalten hatte, bevor sie zusammengekommen waren. wir reden hier von einem fußballer in einem land, wo man relativ problemlos öffentlich faschist sein kann, wenn man es nicht übertreibt. der sich öffentlich als antirassist und anhänger von renzi darstellt. selbst wenn er mal ein faschist gewesen sein sollte, ist er wohl kaum noch einer.

Ja, ich hab ja auch gelesen, dass das da in dem Artikel steht. Ich kenne aber außer dem eben keinen anderen, aus dem das hervorgeht. Ich frag den Kerl einfach bei Gelegenheit mal, dann klären wir das ein für allemal. 🙂

Samp85 Dass der Fehler war, ihn überhaupt einzustellen, da bin ich ganz bei dir. Wobei die Geschichte von Innen betrachtet nochmal ein bisschen komplexer ist; aber um die kulturellen, semantischen, ideologischen und geschichtlichen Differenzen zwischen Deutschland und Italien zu dem Thema aufzuarbeiten bräuchte ich unendlich Zeit und tausend Seiten Platz.

In diesem Artikel steht schon dass Lucarelli die selbe Strafe bezahlen musste wie Di Canio, der FIFA-Regeln wegen… Das ital. Gesetz verbietet die geballte Faust hingegen nicht. Seis drum, auf jeden Fall hat er einiges an Strafen bezahlt

aus den spielberichten damals geht das so nicht hervor, jedenfalls hatte ich keine belastbare quelle dafür gefunden, da ist nur von der strafe für di canio di rede. was auch nachvollziehbar wäre, weil der „römische gruß“ verboten ist, die geballte faust aber nicht. (La risposta la diede Lucarelli, allora al Livorno: “Se non sbaglio, è la Costituzione a considerare in modo diverso i due saluti”.)
ich will aber auch gar nicht drauf rumreiten, lucarelli hat damals für ein interview 30.000 abdrücken müssen, das ist ja auch bloß eine geste mit worten.

der hat ne reihe von geldstrafen bezahlt. für politische aussagen, für kontakt zur kurve, aber nicht für die faust, davon hätte ich noch nichts gehört

Die Entscheidung von Sky ist sicher verlogen. Der grösste Fehler war aber, ihn überhaupt erst einzustellen. Über seine Vorgeschichte wussten sie sicher Bescheid, ihnen war das offenbar einfach egal. Leider passt das auch ein wenig zum Bild: Der öffentliche Aufschrei bei Di Canios römischen Gruss oder auch bei Abbiati war überraschend gering, die Geldstrafen des Verbands waren ein Witz. Von aussen hat man immer noch das Gefühl, dass in Italien gilt: „Faschist? Nicht gut. Aber Hauptsache kein Kommunist.“ Das finde ich bedenklich.

Ich verstehe das Problem der politischen Gesinnung von Buffon/ Di Canio / De Rossi nicht. Das ist schon immer bekannt gewesen, ich würde mir eher Gedanken machen warum manche Gestalten überhaupt noch im Fußball Business sind (Moggi, Pulvirenti, Management von Pisa usw). In einem Land wo ~ 20 Jahre dieses Gesinnung gelebt wurde, kann man schlecht alle in „liebe“ PD Wähler umwandeln.
Schade ist vor allem das Di Canio mit einer der besten Experten der PL ist. Da stört mich sein DUX Tattoo echt nicht

genauso wie mit berlusconi, als er bei uns präsident war: mir ist klar, dass man eigentlich nur babelsberg und pauli die daumen drücken dürfte, aber sein team kann man sich ja nicht aussuchen. insofern: viva la incoerenza 😉

es ist schwer, das ganze thema in einem einzelnen artikel aufzudröseln, also die kulturellen und historischen unterschiede bei der verwendung bestimmter begriffe, deren gesellschaftliche akzeptanz usw.. das braucht mindestens ein ganzes buch und schlauere menschen als mich. ich wohn hier seit knapp 20 jahren, insofern wundert mich lucarellis statement schon deutlich weniger: ich denke, es geht ihm nicht um „solidarität mit einem angefeindeten“, sondern um die heuchlerei des gesamten medienbusiness.
denn wie gesagt, wenn sky ein problem mit di canios politischer einstellung hat, dann kann ich das teilen, bloß dann hätten sie ihn halt nicht einstellen dürfen. ihn jetzt wegen eines jedem bekannten tattoos rauszuschmeißen, finde ich eben auch nur so semi-konsequent: „Ups, der ist ja Fascho“.

Muss man erstmal sacken lassen. Di Canio und Buffon gelten auf dem Platz ja so als die fairsten Sportsmänner überhaupt, deren Begriff von „Ehre“ teile ich aber überhaupt nicht, das ist die Art von „Ehre“, die es auf wirklichen Schlachtfeldern niemals gab, „Ritterlichkeit“. So was gabs ja in Wirklichkeit nie. Ich halte Buffon wirklich für eine kontroverse Figur und werd dafür immer blöd angeguckt.

Ganz so weit wie Lucarelli, würde ich nicht gehen! Aber ich bin auch kein Italiener und kann nicht einschätzen bzw. empfinden wie es als Kommunist/Faschist dort ist, auch in der Geschichte und gegeneinander.
Und zu Gigi, wurde nicht schon mehrfach erklärt, dass das alles Missverständnisse bzw. Jugendsünden waren?

Ich teile die noch viel weniger. Aber es ist halt blanker Populismus, Di Canio zu kicken und bei allen anderen drüber wegzulächeln.

Ich teile Di Canio’s Politische einstellung nicht, bin aber definitiv Lucarellis Meinung! Einfach lächerlich was Sky da abgezogen hat…