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Italienisch für Anfänger – Italienisch Schimpfen

Sprachen existieren ja nicht im luftleeren Raum, sondern sind mit der darunter liegenden Kultur verwoben. Das geht beim Schimpfen los und jeder, der erste Schritte in einer Fremdsprache macht, beginnt natürlich hier. Was dem Engländer sein „Fuck“ und dem Deutschen seine „Scheiße“ ist dem Italiener sein „Cazzo“. Denn wo sich andere Kulturen an stinkenden Fäkalien abarbeiten, widmet sich der katholische Italiener dem Sex in allen seinen Facetten. Selbstverständlich, eine Sprache beschimpft ja üblicherweise mit dem, was sie als schmutzig empfindet. Oder empfinden sollte. Ihr werdet merken, dass man mit demselben Vokabular sowohl seinem Unmut wie ausgiebiger Freude Ausdruck verleihen, jemanden bitter beleidigen oder wunderfolle Dinge sagen kann. Fluchen und Vergöttern mit demselben Wort, mehr Sprachökonomie geht kaum.

Für das männliche Geschlechtsorgan gibt es im Italienischen sicher gut 5.000 verschiedene Bezeichnungen, aber die liebste ist und bleibt „Cazzo“. Vor allem, wenn man eigentlich nicht vom Penis spricht. Des Italieners liebstes Füllwort kann alles (Alles!) bedeuten und wird je nach Region, Gelegenheit und Umständen mit dem Salzstreuer in italienische Sätze gemsicht. Wenn das Auto nicht anspringt, handelt es sich in den allermeisten Fällen um ein „cazzo di macchina“ und wenn man die Schlüssel erst gar nicht findet, weiß man nicht „Dove cazzo li ho messi?“ Hat man die Schlüssel dann doch gefunden, setzt man das Gefährt in Bewegung und stürzt sich in das tägliche Vergnügen namens Straßenverkehr. Mit dem Telefon am Ohr, Telefon ist auch ganz wichtig, denn der Kumpel, der seit einer halben Stunde wartet, muss ja informiert werden: „Prima non ho trovato sto cazzo di chiave per sto cazzo di macchina e ora sono incastrato dietro un cazzo di Panda con un cazzo di vecchio con il suo cazzo di cappello. Ecchecazzo!“ Wie ihr seht, habt ihr ein Drittel der italiensichen Umgangssprache schon geschafft. Der Kumpel antwortet darauf natürlich – Trommelwirbel – „Cazzo!“

Das italienische Wort für das in vielen Gendern vorhandene bananenförmige Anhängsel kann also alles bedeuten und alles ausdrücken, es handelt sich praktisch um den Aleph der Sprache Dantes. Oft wird es verwendet, um eine negative Aussage zu verstärken, genauso gut eignet es sich aber, um etwas extrem Positives zu unterstreichen. Und wenn man gar nichts außergewöhnliches zu sagen hat, wirft man „Cazzo“ einfach ein, um Sätze zu verlängern, der Italiener mag ja Stille nicht so gern wie die Einwohner nördlich der Alpen. Man muss aber auch nichts verstärken, die wahre Kraft entfaltet der Begriff allein stehend in seiner imperialen Schönheit und Versatilität. Atemberaubender Sonnenuntergang? „Cazzo!“ Auffahrunfall auf der Gegenspur? „Cazzo!“ Freundin hat dich verlassen? „Cazzo!“ Megan Fox hat Dir gerade eine SMS geschrieben? „Cazzo!“ (Kumpel: „Cazzo dici?“).

Feinere Seelen entschärfen das Wort durch allerlei Neuschöpfungen wie „Cazz….arola“ wobei die kleine Sprechpause wichtig ist, um die Intention zu unterstreichen. Die Pause gibt euch auch die Gelegenheit, noch kurz nachzubessern, wenn die Umstände es erfordern. Wenn ihr also mitten im „Cazzo“ merkt, dass ihr gerade vor dem Aufsichtsrat von FIAT oder einer Grundschulklasse eine Rede haltet, könnt ihr noch schnell scharf abbiegen. Zu feine Seelen verwenden existierende Worte, die auch irgendwie ähnlich beginnen, wie „Cavolo!“ oder „Cas…piterina“, aber das klingt irgendwie Scheiße und bringt auch keine Street Credibility. Außer bei Omas. Die sind oft weniger mutig („cazzuti“), in Napoli würde man sogar sagen, es fehlte ihnen an „cazzimma“. „Minchia!“

Kommen wir zum süßen kleinen Kätzchen, denn dem Italiener liegt die Gleichberechtigung bekanntlich ja sehr am Herzen. Das weibliche Gegenstück zum „Cazzo“ wäre die „Figa“ oder wie man es weiter im Süden hält, die „Fica“, aber das klingt mir dann doch zu hart. Auch „Figa“ kann selbstverständlich alles bedeuten, wird aber viel öfter zum Unterstreichen von etwas Positivem verwendet. Gefällt die vorbeigehende Frau, ist sie eine „Figa!“. Gefällt sie sehr, bietet sich ein „Cazzo che figa!“ an. Italienische Frauen halten andere schöne Frauen und sich selbst übrigens auch für „figa“, aber weil Frauen geschliffener kommunizieren, muss man hier auf die Feinheiten achten. Wenn ihr eurer Bekanntschaft also sagt, dass sie besonders hübsch sei, dürft ihr sie ungestraft „figa“ nennen. Andere Frauen hingegen sind allerhöchstens (Achtung, Risiko!) „figa, ma…“ („aber“) und dann muss euch ganz schnell etwas einfallen. Italienischen Frauen fällt da garantiert ganz viel ein.

Das Konzept kann man auch durch das wahllose Anbringen von Vor- und Nachsilben noch verschärfen, denn gefällt die Frau extra, ist sie ine „Strafiga“. Wobei ich Frau hier natürlich nur als Beispiel verwende, man kann auch alles Andere damit toll finden: „Figata!“ Falls es euch mal nach Mailand verschlägt, könnt ihr eure kosmopolitische Larmoyanz ganz einfach dadurch ausdrücken, dass ihr „Figa“ an den Anfang eines jeden Satzes stellt. „Figa, prima non ho trovato sto cazzo di chiave…“ Regnet es auf eurem Weg: „Figa, piove!“ Scheint hingegen die Sonne: „Figa, sole!“ Wie beim „Cazzo“ kann man auch Adjektive bilden, wenn die Grammatik es erfordert. Der tolle Sonnenuntergang oder das neue Auto ist also „fighissimo/a“. Um den Sexismusvorwurf aufzugreifen: Wenn euch der süße Typ am Strand gefällt, ist der natürlich ein „figo“, wenn er euch sehr gefällt: „Cazzo che figo!“. Das einschränkende „aber“ ist hierbei nicht erforderlich.

Das sind aber alles nur die normalen Gegebenheiten der Umgangssprache, wenn eure Sprachfähigkeiten also im Gespräch immer mal Denkpausen erfordern, die ihr normalerweise mit „ehm“, „öh“, „ja“, „nein“, „vielleicht“, „ich liebe dich“ füllt, könnt ihr ab jetzt „figa“ und „cazzo“ einstreuen und euer Abend am Urlaubsort oder Fußballstadion wird vermutlich mit einer Einladung zum Abendessen und mehreren Heiratsnträgen enden. Man muss sich ja integrieren.

Nicht ganz so einfach ist es bei der nächsten Stufe des gepflegten Schimpfens, einer Sprachartistik, die besonders im Veneto zur Kunstform erhoben wurde: Bestemmiare! Die deutsche Übersetzung „fluchen“ oder „verfluchen“ trifft das Ganze nicht wirklich präzise. Unter dem Verb „bestemmiare“ wird das beliebte Zusammenfügen von Heiligen und Tieren in einem Satz versammelt. Aus der Verbindung von Gott und einem Schwein wird peispielsweise „porco dio“, vermählt man Eva mit einer Prostituierten, heißt es „puttana Eva“. Tritt ein Bewohner Venetiens nächtens barfuß auf einen Lego-Stein, kann das gekoppelte Aufzählen sämtlicher in der Bibel erähnten Figuren und allen in der Arche geretteten Tieren gern mehrere Minuten dauern: „puttanatroiacazzodiundiomaialeporcogiuda…!“

Wenn ihr das aber im öffentlichen Raum versucht, stehen die Chancen sehr gut, dass eine Oma aufsteht und euch dafür böse anmacht. Haltet also das Smartphone bereit, ich möchte das sehen. Jedenfalls fallen die Italiener hier in zwei Kategorien: Für die einen ist eine solche Blasphemie unter keinen Umständen duldbar, die anderen entwickeln eine atemberaubende Kreativität, die es ihnen erlaubt, mehrere Stunden lang ausgiebig zu schimpfen (beispielsweise die vollen 90 Minuten eines Fußballspiels), ohne dieselbe Bestemmia zweimal zu benutzen. Oft flüchtet sich der Italiener daher in ähnlich klingende Umschreibungen. Als die Lippenleser von Sky (ja, das ist eine Stellenbeschreibung) Nationaltorhüter Gigi Buffon bei einem herzhaften „Porco Dio“ erwischten, erklärte er unumwunden, dass er einen Onkel habe, der sich manchmal wie ein Schwein benimmt: „Porco Zio“ klingt ja ähnlich und ist nicht strafbewehrt. Noch vorsichtigere Seelen verbinden einfach die Heiligen mit anderen Heiligen „Cristo Santo!“ oder ein Tier mit einem anderen: „Porco Cane!“ um das gewünschte Konzept zu kommunizieren. Die Anwendung der gepflegten Blasphemie erfordert jedoch ein gewisses lexikalisches Grundwissen, zumindest ein paar Heilige und zwei Dutzend Tiere sollte man schon drauf haben, sonst hat man auswärts keine Chance in einem Match.

Selbstverständlich kann man auch im Italienischen Dinge einfach Scheiße finden, aber „Merda!“ ist dermaßen grundschulhaft, dass es in der Praxis eigentlich nur vor Fußballmannschaften gesetzt wird, wahlweise also „Milan merda!“ oder „Inter merda!“. Das nur, weil „figa“ und „cazzo“ ja auch positive Bedeutungen haben, die man in diesem Kontext natürlich vermeiden will. „Merda!“ ist also immer Scheiße, aber wer schonmal nachts auf einen Lego-Stein getreten ist weiß, dass der Schmerz antürlich viel länger dauert als so ein erbärmlich kurzer Fluch. Wenn ihr also auf gegnerische Fußballfans trefft, kann ein konzises „Merde!“ natürlich allerhöchstens ein ganz leichtes Unbehagen ausdrücken. Der italienische Fan hat es mit Jahrzehnte langen Atemübungen zumindest soweit gebracht, das allfällige „Merdeeeeeeeeeeeeee!!!!!!“ auf mindestens zwei Minuten auszudehnen. Unter dem sollte man damit auch nicht beginnen, man will sich ja nicht immer gleich als Tourist outen.

Figa, jetzt fällt mir auch kein cazzo di Schlusswort für diese fighissima Kolumne ein, puttana troia! Ich muss ein ganzes cazzo di Buch dazu schreiben, zio maiale! Vaffanculo!