Kategorien
Fussball

AC Milan ./. Werder Bremen, Uefa-Cup, 26.02.2009

Der Kaiser ist nackt und gestern abend sollte es auch der leichtgläubigste Tifoso gesehen haben. Die Art von Fans, die immer noch in der Vergangenheit leben und die Augen verschliessen vor dem stetigen Niedergang einer Mannschaft, die lediglich von Kakà und Pato aufrecht gehalten wird. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf! Selbst die treue Curva Sud, die Trainer und Mannschaft über 93 indiskutable Minuten mit dem Stolz des Verzweifelten unterstützt hatte, schliesst sich nach Abpfiff den bislang nur von den Tribünenplätzen zu hörenden Pfiffen an und verabschiedet eine Ex-Mannschaft in den wohlverdienten Ruhestand.

Der glorreiche AC Milan, noch vor 2 Jahren Champions League- und Weltcup-Gewinner, fand gestern abend schlicht nicht statt und erlaubte einem durchaus nicht spektakulären SV Werder Bremen teilweise über 70 % Ballbesitz. Im eigenen Stadion. Trotz einer 2:0 Führung. Einer 2:0 Führung, die auf wunderbarste und glücklichste Weise für eine Weile die taktischen und vor allem physischen Schwächen eines Teams offenbarte, für das es selbst in der 2. Liga der europäischen Wettbewerbe nicht mehr unter die besten 16 reicht. Wohlgemerkt, das was uns da gestern formvollendet an die Wand gespielt hat, war Werder Bremen, dasselbe Werder Bremen, das gegen Gladbach zuhause Unentschieden spielt und so den einzigen Punkt der letzten vier Ligaspiele holt, um danach in Cottbus (Cottbus!) zu verlieren. Milans Verteidigung steht ab Minute 1 unter Beschuss, in die eigene Hälfte gedrückt durch ein durchaus technisch limitiertes aber laufbereites Werder Bremen, das die pomadigen Ex-Weltstars kaum über die Mittellinie kommen lässt. Milan schiesst in der ersten Hälfte zweimal aufs Tor, beide Aktionen eingeleitet durch den einzigen Spieler, der das glorreiche rot-schwarze Trikot verdient getragen hat: Alexandre Pato. 19 Jahre. Werder schiesst ganz oft aufs Tor, scheitert aber – wie im Hinspiel – grösstenteils an sich selbst.

Über mangelndes Glück durfte man sich also nicht beschweren, wenn man die erste Halbzeit bei gefühlten 25:2 Torchancen mit einer doppelten Führung beschliesst und auch den Schiedsrichter sicher auf seiner Seite weiß. Trotzdem war sich wohl keiner im Stadion auch nur annähernd sicher, dass dieses Milan die Qualifikation sicher in der Tasche hatte. Zu groß war die Feldüberlegenheit der Bremer, zu spürbar deren Siegeswillen, zu fragil unsere Abwehr bei hohen Bällen. Und so kam es denn auch, wie es kommen musste: Maldini und Favalli schauen dem ersten staunend dem ersten Treffer zu, Dida überlegt noch, ob er herauslaufen soll oder nicht, als der Ball zum 2:2 Ausgleich schon hinter ihm im Netz liegt. Nach der Auswechslung des bestenfalls mittelmäßigen Clarence Seedorf brechen die Mailänder völlig ein und ergeben sich dem einschnürenden Pressing der Norddeutschen, die auch nach dem Ausgleich den Eindruck machen, als bräuchten sie unbedingt noch zwei Tore für das Weiterkommen. Und ehrlich gesagt wäre ein 2:5 auch durchaus nicht überraschend gewesen, selbst der Schiedsrichter hatte ja sichtlich Mitleid mit den Milan Globetrotters.

Nun, damit haben wir also auch das zweite Saisonziel abgehakt, in der erbärmlichsten Art und Weise der letzten Jahre. Der Abend war die vorläufige Kulmination einer Richtung, die bereits nach dem glücklich gewonnenen Champions League-Finale eingeschlagen wurde, der ja leider strukturelle Defizite der Rossoneri glitzernd überdeckt:

  • Spiel- und Saisonvorbereitung sowie taktische Varianz bei Milan stagnieren seit Jahren. Wenn einmal im Jahr verletzungsbedingt von Ancelottis 4-3-2-1 abgewichen wird, ist keine der beiden Spitzen darauf vorbereitet. Wenn dann noch mangelnde Motivation und Laufbereitschaft im Mittelfeld hinzukommen…
  • Meritokratie: Junge, erfolgshungrige Spieler werden seit Jahren nicht ins System Milan eingebaut (Pato einzige Ausnahme) und versauern auf der Bank (Antonini, Cardacio, Viudez, Mattioni), werden ausgeliehen und brillieren in anderen Teams (Paloschi, Abate, di Gennaro) oder frustriert und dann verkauft (Gilardino, demnächst Gourcuff). Stattdessen tritt der harte Kern der Umkleide in jedem Spiel und unabhängig vom aktuellen Leistungsvermögen an (Seedorf, Pirlo).
  • Stattdessen werden (gern ablösefreie) Spieler am Abend ihrer Karriere verpflichtet (Emerson, Zambrotta), Spieler in der Nacht ihrer Karriere unendlich weiterbeschäftigt (Maldini, Favalli, Dida), aus rein sentimentalen Gründen zurückgeholt (Shevchenko, Ba) oder aus rein marketingtechnischen Überlegungen verpflichtet (Beckham, Ronaldinho).
  • Der letzte nennenswerte Einkauf war das Ausnahmetalent Pato, der gestern und schon im Derby den Laden allein aufrecht erhielt und ohne den am Ende des gestrigen Abends eine deftige Packung gestanden hätte.
  • Die Abwehr ist seit 3 Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig, mit Ausnahme des dauerverletzten Nesta ist es nur Torhüter Abbiati zu verdanken, dass wir uns in der Serie A (noch) nicht im Mittelfeld mit Sampdoria und Torino plagen. Die Schwächen bei ruhenden Bällen und Flanken sind seit Jahr und Tag bekannt – und werden nicht abgestellt.
  • Der Zirkus Milan mit einem Kern von Spielern weit über 30 Jahren schafft es einerseits nicht, sich für solche Wettbewerbe überhaupt zu motivieren (Ancelotti schafft das erst recht nicht), und erscheinen andererseits physisch und taktisch absolut unvorbereitet. Mittlerweile gilt mangelnde Motivation für einen Wettbewerb „unter unserer Würde“ aber nicht mal mehr als Entschuldigung: Ich glaube, der AC Milan ist gestern an seine Leistungsgrenzen gegangen.

Und so bleibt mir ein Kompliment an Trainer Schaaf und seine Mannen, die erkannt haben, was wir rotschwarzen seit Jahren wissen: Sich freilaufen und hohe Bälle in den Strafraum reichen zum Ergebnis. Auch die Krisenmannschaften Reggina, Torino, Lecce (to name but a few) haben sich mit dieser Methode ein kleines Erfolgserlebnis beschert. Und für den AC Mailand steht das an, was seit Jahren aufgeschoben wurde: Eine Revolution der Mannschaft, beginnend beim Trainerstab. Das schlimmste, was Milan in den letzten Jahren passiert ist, war der Gewinn der Champions League 2007, der eine Mannschaft auf dem absteigenden Ast noch einmal mit Blattgold übertüncht hat – hoffen wir, dass das Ausscheiden gegen Werder Bremen zu irgendeiner Reaktion führt – Wann, wenn nicht jetzt? Der Kaiser ist nackt und alle haben’s gesehen (hier eine hervorragende Bestandsanalyse von Paolo Ziliani). Fine da Polli…

Michele Ferrari anyone?

5 Antworten auf „AC Milan ./. Werder Bremen, Uefa-Cup, 26.02.2009“

Cottbus ist der Stolz der Lausitz, alles was wir in Brandenburg haben. Der Rest sind niveauvolle blühende Landschaften.

Punktuierter Artikel. Sad but true!!!

Naja, mein Hinweis auf den Überkreuzvergleich fällt ja auch nur positiv aus für Cottbus. Cottbus schlägt Werder + Milan spielt unentschieden gegen Werder = Cottbus schlägt Milan. The fat lady sings!

AC Milan ./. Werder Bremen, Uefa-Cup, 26.02.2009…

Der SV Werder Bremen dominiert den AC Mailand und zieht völlig verdient in das Achtelfinale des Uefa-Cups ein. Der Kaiser ist nackt und gestern abend sollte es auch der leichtgläubigste Tifoso gesehen haben. Die Art von Fans, die immer noch in der Ve…