Das Hinspiel gab Anlaß zur Sorge und der Saisonverlauf mit seinen vielen englischen Wochen und Verletzungsausfällen beanspruchte unsere Rotschwarzen bis aufs Äußerste. Aber es wäre ja nicht Milan, wenn man nicht darauf bauen könnte, dass die Mannschaft nochmal alle Kräfte mobilisiert und eine konzentrierte Leistung zeigt. Und weil die andere Hälfte der Milan Fans Berlin ihr Weihnachtsgeld ja schon in London verbraten hatte, war es nun an der Reihe, junge, unverbrauchte Nachwuchskräfte ins Stadion zu schicken, um mit jugendlichem Enthusiasmus den alten Kämpen auf dem Platz zur Seite zu stehen. Besonders viel versprach man sich von der südosteuropäischen Fraktion (SOEF) bei ihrem Debüt. Etwas verspätet, aber glücklich und sehr korrekt gewandet (stilechte Porno-Sonnenbrille, Schwarzbrot und Anti-Inter-Shirt) traf die SOEF in Malpensa ein und wurde vom lokalen Arm der MFB in Empfang genommen.
Es war früh, der Flughafen voller Gunners, die Sonne schien – nichts wie auf nach Mailand für die schnelle Touristentour. Unter Mithilfe der netten Dame aus dem Navi fanden wir mit nur einmal Verfahren fast problemlos unser Stammparkhaus, unser Stammrestaurant gegenüber war leider geschlossen, aber das soll ja in der besten Stadt der Welt kein echtes Problem bei der Nahrungsbeschaffung darstellen. Zu Fuß gings dann zum Dom, wo „la bella madunina“ im strahlenden Sonnenschein glänzte und vom Dach herab „la brutta madunina“ da unten freundlich grüßte (so von eena Jold-Else zur andan Jold-Else, wa?). Ohne weitere Kollateralschäden oder unnötige Gewalt konnten wir in einer konzertierten Aktion sogar den nigerianischen Armbändchenverschenkern entkommen, von denen sich einige sofort hartnäckig an unsere Fersen hefteten, weil sie uns, nachdem sie uns geschenkte Armbändchen („regalo! regalo!„) an die Kleidung gestopft hatten, noch irgendwie in Gespräche verwickeln wollten. Schlimmer als in Kairo, sag ich euch. SOEFs großer Auftritt kam dann beim obligatorischen Drehen auf den „Palle del Toro“ in der Galleria, gekonntes dreimaliges Drehen auf dem Hacken bringt ja bekanntlich Glück – wie der weitere Verlauf des Tages zeigen sollte, drehte er sich vermutlich falsch herum.
SOEF’s Tänzchen vor einer deutschen Touristengruppe
Mittlerweile hatten wir aber Hunger vom Herumfliegen, -fahren und -laufen und so zogen wir durch die Seitenstraßen auf der Suche nach einer angenehmen Trattoria mit nachvollziehbarer Preisgestaltung. Nach alter Touristenregel braucht man ja nur hundert Schritte von den üblichen Touri-Autobahnen abzuweichen, um unter lauter Einheimischen ordentlich zu essen ohne eine Hypothek aufnehmen zu müssen. Und so war es dann auch, die Mittagskarte klang gut, die Trattoria war von edel beschlipsten Bankern in der Mittagspause bevölkert, so dass wir in dem Laden in voller Milan-Kluft natürlich überhaupt nicht weiter auffielen. Die Pasta mit hausgemachtem, frischen Pesto war ein Gedicht, das Bier kühl und perfekt gezapft, eine Piadina mit hauchdünnen Speckstreifen und die mit Käse überbackene Scaloppine ließen – zum Preis eines Mc Donald’s-Besuchs – wirklich keine Wünsche offen. Während ich mich mit dem Besitzer (Milanista) freundlich über unsere Siegchancen unterhielt, freundete sich SOEF mit dem Kellner (Interista) an, der natürlich besondere Freude über dessen T-Shirt zeigte und konsequenterweise auch das Abkassieren seiner netten Kollegin überließ. So gehört sich das!
SOEF bereitet die Molotov-Cocktails vor
Irgendwie fanden wir auch das Auto wieder, man gab es uns gegen ein Lösegeld auch bereitwillig und unbeschädigt wieder heraus und die Dame aus dem Navi vermeldete alle paar Minuten freudig, dass sie einen Satelliten gefunden hatte und schickte uns auf eine Stadtrundfahrt der besonderen Art. Aber soll der Mailänder Stadtverkehr uns denn schrecken, bei guter Musik, strahlendem Sonnenschein und der Aussicht auf einen Kantersieg gegen Arsenal? Wir organisierten zunächst mal im Tabakladen eine Parkkarte – diese Teile sehen aus wie Rubbellose und kosten für den Tag eigentlich immer 5.40 Euro, erhältlich in jedem Zeitungskiosk mit „Sosta Milano“-Aufkleber. Rund ums Stadion werden diese Kärtchen üblicherweise von süditalienischen Pensionären in Neonwesten verkauft, zu zufällig ausgedachten Preisen, die jedoch erfahrungsgemäß immer über 5.40 EUR liegen. Jedenfalls stellten wir das Auto samt Rubbellos praktisch neben dem Stadion ab und wir ließen SOEF mal ein bisschen Atmosphäre schnuppern. Die Festung San Siro ist einfach eines der schönsten Stadien der Welt und Zumindest ManU ließ sich letztes Jahr noch davon beeindrucken.
Parkplatzsorgen? Für uns doch nicht!
Das eben noch sommerlich heiße Wetter drohte mittlerweile mit Wolkenbruch am Horizont, aber erstaunlicherweise war schon am Nachmittag viel Publikum rund ums Stadion. Die Besetzung der Verpflegungs- und Fanartikelstände kämpfte erbittert mit starken Windböen und Mister Madunina mit seinem Durst. Glücklicherweise gibt es außer dem legendären Baretto noch ein paar andere Bars in der Nähe des Stadions, die man unter dem Vorwand, einen Geldautomaten zu suchen, auch alle abklappern kann. In einer von diesen freuten wir uns über ein freilebendes Exemplar der heute in freier Wildbahn nur sehr selten zu beobachtenden scheuen Spezies „Inter-Fan“. Bestandsschutzmaßnahmen seitens der italienischen Liga und Schiedsrichter-Vereinigung haben dafür gesorgt, dass sich die Bestände in letzter Zeit wieder etwas erholt haben und man mit etwas Glück (und wenn man sich ganz leise bewegt, sonst hauen die sofort ab) ab und zu auf einen Inter-Fan stoßen kann. Dieses possierliche Tierchen schützte sich gegen die Kälte durch einen dicken Fettfilm auf den Haaren und ausufernden Alkoholgenuß – völlige Zahnlosigkeit zeugt zudem von perfekter Anpassung an sein natürliches Habitat, die haben ja nicht soviel zu lachen! Wir freuten uns ehrlich über das besonders putzige Exemplar mit seinem blauschwarzen Mützchen und hielten uns ansonsten an die „Nicht füttern!“-Schilder.
Wolken ziehen über dem Stadion auf
Letzte Station vor dem Eintritt ins Heiligtum sollte dann noch ein Besuch bei den lustigen Schweizern Michele und Renato von FrontGroup, weil die auf dem Parkplatz vor dem Stadion immer die besten Würstchen grillen und außerdem richtiges Bier ins Land schmuggeln. Natürlich ließen wir es uns nicht nehmen, deren Produkte ausgiebig zu testen (SOEF führte den Falltest durch, Mister Madunina den Geschmackstest) und die mitgereisten Schweizer zu ihren Deutschkenntnissen zu befragen. Daumen hoch für die Jungs, die im mittlerweile einsetzenden Regen knallhart die Grillnummer durchzogen – „grillieren“ ist ja sowieso mein Schweizer Lieblingswort, gleich nach „parkieren“; grillieren auf dem Parkplatz steht also auf einer Ebene mit Raclette, Rösti, Rütli-Schwur und Nummernkonto!
Michele, der Schirmständer
Jetzt sollte es aber ins Stadion gehen, SOEF scharrte schon aufgeregt mit den Hufen und die „luci a san siro“ lockten aus dem regennassen Hintergrund. Dazwischen nur noch ein Besuch bei den formidablen Toilettenhäuschen (man pinkelt weiterhin einfach in die Ecke, nur dass ein Häuschen drumrum steht) und der Kampf gegen eine Hundertschaft afrikanischer Schalverkäufer, die nicht müde wurden, uns mitzuteilen, dass ein Schal nur 5 EUR kostet. Naja, ich war der Meinung, sowas konnte man sich auch noch nach dem Spiel kaufen um zu vermeiden, die falsche Erinnerung im Schrank aufzuheben. Nach dem Spiel hatte ich aber auch keine Lust mehr auf einen Milan/Arsenal-Gedächtnisschal und das Geld hatte ich ja schon in einen Parkschein investiert.
Die Londoner hatten ihr Wetter mitgebracht
Jedenfalls schafften wir es in den Primo Anello Blu, auf die fakultative Durchsuchung im Regen hatten wir keine Lust, so dass wir an den entsprechenden Ordnern lieber einfach vorbeigingen. Wir hatten hervorragende Plätze kurz über der Eckfahne, so dass man verglichen mit der Curva mehr vom Spielverlauf mitbekommen konnte, auch wenn wir größtenteils zwischen „normalen“ Fans saßen. SOEF war ein bisschen enttäuscht, als er keine der kinderfressenden Ultrà s zu sehen bekam, die ja laut Auskunft der Krawallpresse in italienischen Stadien ihr natürliches Biotop finden. Das Stadion füllte sich aber zügig und die Stimmung war den Umständen entsprechend auch sehr gut. Die Südkurve stimmte sich mit Gesängen aufs Spiel ein, von den Arsenal-Fans gegenüber war zu dem Zeitpunkt nur wenig zu hören. Unter anderem bekam jeder der Spieler beim Aufwärmen seinen eigenen Song dargeboten und selbst Maldini bedankte sich durch Winken bei der Kurve – an uns sollte es also nicht liegen. Unser netter Sitznachbar half uns mit Zeitungen zum Unterlegen aus und wir hatten die allerbesten Plätze, um mitzuerleben, wie der Chipsverkäufer direkt neben uns durch einen Sturzbach durchbrechenden Wassers durchgeweicht wurde und sein Arsenal an Keksen und Chips aufweichte – das macht ja nichts, die kann er ja am 11.03. noch an zahnlose Inter-Fans losschlagen.
Blick aus der Südkurve, Blick in die Südkurve und auf dem Spielfeld war auch noch wer
Das Spiel haben wir ja alle gesehen. Milan drückte unter der Anfeuerung der Fans die ersten 20 Minuten hervorragend und erarbeitete sich einige Chancen. Besonders Kakà und Pato schienen zunächst hervorragend aufgelegt, Arsenal zeigte sich erst einmal beeindruckt, fand dann aber schnell wieder zurück ins Spiel und blieb durch seine schnellen und körperlich robusten Stürmer immer brandgefährlich. Vor allem das präzise und schnelle Paßspiel und das geschickte Verschieben ohne Ball machte die junge Londoner Mannschaft immer wieder hervorragend und brauchte gefühlte 20 Stationen weniger, um vor unserem Strafraum aufzutauchen. Mit nachlassenden Kräften gegen Ende der zweiten Halbzeit stand Milan dann gefährlich tief und überließ den Gooners viel zuviel Ballbesitz, Maldini machte zwar auf links eines der besten Spiele seiner Karriere, wurde auf rechts aber vom wieder einmal völlich verunsicherten Oddo aufgehoben. Gerade, als sich alles auf eine Verlängerung einstellte, kam Andrea Pirlo doch noch zu einem verdienten Erfolgserlebnis – bereits mehrfach hatte er versucht, die englischen Stürmer mit präzisen Querpässen in eine aussichtsreiche Schußposition zu bringen, scheiterte aber bislang an der sicheren Mailänder Innenverteidigung. 5 Minuten vor Schluß war es dann aber soweit: Pirlos hervorragend getimter Pass auf Fabregas riss eine Lücke in Milans Abwehrkette und der traf dann auch durch einen platzierten Fernschuß genau ins Eck. Milan versuchte, in den verbleibenden Minuten, nach vorn zu spielen, aber es war deutlich zu sehen, dass das Gegentor den Jungs die Beine betäubt hatte. Das 0:2 nach einem Konter änderte dann auch nichts mehr am erstmaligen Ausscheiden in einem Achtelfinale der Champions League.
Finanzamt mit Schlagstock und Helm, Berluscas Gruß an alle Interisti, die Primavera des MFB und Super-Pippo beim Warmmachen
Sehr schön fand ich, dass das Stadion zu Spielschluß aufstand und ihrer Mannschaft trotz des Ausscheidens und der bitteren Heimniederlage geschlossen applaudierte und mit Gesängen ihrer Verbundenheit versicherte. Überhaupt war der Support der Curva über die gesamte Spielzeit wieder einmal vorbildlich, an den Fans hatte es also nicht gelegen. Natürlich ist das nach den Ereignissen im vergangenen Jahr nicht mehr die Kurve, die wie alle kennen und lieben, aber sie stand lautstark und kontinuierlich hinter der Mannschaft. Die Jungs da unten auf dem Platz haben uns in den letzten Jahren soviel Freude bereitet und hatten auch an diesem Abend ihr Möglichstes gegeben, mehr war heute einfach nicht drin. Wir hatten natürlich nicht wirklich Lust auf größere Feierlichkeiten und fuhren halbwegs betrübt durch den Stau in Richtung Schlafquartier am Lago Maggiore, ein weiteres Eingreifen der KFOR war heute nicht notwendig. Die Siegzigarre muss noch ein bisschen warten, aber ich bin mir sicher, die MFB-Jungs sind ganz bald wieder im Stadion. Und außerdem stehen wir dann eben nur jedes zweite Jahr im Champions-League-Finale: 2003, 2005, 2007…2009! Forza Milan!
4 Antworten auf „AC Milan ./. Arsenal London 0:2“
[…] perfekten Derby-Sonntags in der Inter-Kneipe genüßlich schmecken ließ. Als Geschenk zum Arsenal-Spiel erhalten, hatte ich schon gegen die Roma und gegen Juve daran gerochen – aber erst jetzt konnten wir das […]
War kein Witz, die Sonne schien wirklich und es war warm bis kurz vorm Spiel und ab dann ist ja nen Dach drüber. Und müde war der Kick nur von unserer Seite…wir haben die alte Fortuna-Düsseldorf-Taktik angewandt: „Erst den Gegner auf dein Niveau runterziehen und dann blitzschnell ein 0:0 ermauern!“ Hat aber leider nicht geklappt.
na spass scheinste ja gehabt zu haben, was bei dem regen ja nich unbedingt selbstverständlich iss. ich hab leider nur die letzten minuten gesehen. war dann schon nen ziemlich müder kick… naja.
Die Brigate Rossonere haben Fotos der Curva vom Spiel auf Ihrer Website veröffentlicht. Wir saßen ja diesmal im ersten Rang, also unter denen, aber auf den Fotos kann man die dann doch ordentliche Atmosphäre zumindest erahnen.