Vasco Rossi ist ein Phänomen in Italien. Vermutlich das genaue Gegenteil von Marco Masini, den zwar in Italien jeder kennt, aber bei weitem nicht jeder liebt. Laura Pausini ist vielen „zu amerikanisch“, Ramazzotti „zu klein“, Masini „zu depressiv“, Gianna Nannini „zu lesbisch“, di de Andrè „zu künstlerisch“ – Vasco Rossi hingegen kennt und liebt jeder. Vasco kann auf dem Wasser laufen, gefüllte Konzerthallen mit nur einem Brot satt machen und sicher auch Wasser in Wein verwandeln. Vasco spielt keine Konzerte, er zelebriert Messen. Praktisch jeder Italiener verehrt Vasco, praktisch jeder hat mehrere CDs im Schrank und praktisch jeden kann man befragen, wann in der 70er Jahren er denn sein erstes Konzert besucht hat, als „Il Blasco“ noch vergleichsweise unbekannt war. Es gibt unzählige Coverbands, die deswegen erfolgreich sind, weil der Meister nicht überall gleichzeitig sein kann und es gibt unzählige Fans dieser Coverbands, weil sie sich so ihre wöchentliche Dosis „Vasco“ abholen können, bevor die Entzugserscheinungen einsetzen. Und also wollte auch ich einmal aus der Nähe betrachten, was an dem Irrsinn dran ist.
„Lieder sind wie Blumen | sie wachsen von selbst | sind wie Träume | und uns bleibt nichts als | sie schnell aufzuschreiben | weil sie sonst verschwinden | und vergessen werden.“
„Le canzoni sono come i fiori | nascono da sole | sono come i sogni | e a noi non resta | che scriverle in fretta | perché poi svaniscono | e non si ricordano più.“
(„Una Canzone per Te“, 1983)
Dabei ist das Phänomen Vasco streng auf Italien begrenzt. Ich kenne in Deutschland genau einen Menschen, der mit dem Namen des 1952 geborenen Sängers überhaupt etwas anfangen kann. Hier in Italien genügen wenige Stunden, um die 100.000 Tickets für ein Konzert im „Olimpico“ in Rom oder im Mailänder „San Siro“ auszuverkaufen. Um nicht zu reden von seinem mythischen „Vascostock“, als sich 2004 in Catanzaro 400.000 Menschen versammeln, um dem Meister zu huldigen. Jede neu aufgenommene CD, mittlerweile sind es ca. 24, setzt ein ganzes Land in Bewegung. Vasco ist es wie wohl kaum einem anderen Sänger in dem an Sängern reich gesegneten Land gelungen, das Lebensgefühl, die Probleme, die Sorgen, Hoffnungen und Wünsche der Italiener in Worte zu fassen, mit denen sich viele identifizieren können. Seine Musik ist handwerklich hervorragender aber keineswegs innovativer Rock. Seine Texte sind unverschnörkelt, greifen auf einen im Alltag üblichen Sprachgebrauch zurück und beziehen ihre Stärke aus Bildern und Metaphern, mit denen man sich identifizieren kann. Und zwar jede Generation: von 12-jährigen Mädels in schlabberigen Vasco-Hemdchen bis zu in Extase geratenden älteren Herrschaften um die 60, die zur Feier des Tages ihren Schlips abgenommen haben.
„Mozart ist der Vasco von vor ein paar Jahrhunderten. Großes Talent, ironisch, mit seinen Widersprüchen und seinen Verrücktheiten.“
„Mozart è il Vasco di qualche secolo fa: Grande talento, ironico, con i suoi contrasti e le sue follie.“
(Cosimo Damiano Damato)
Die Menschen in Vascos Liedern plagen Alltagssorgen und Ängste, sie benutzen nicht druckreife Ausdrücke, wenn das Schicksal mal wieder ungerecht zuschlägt, sie erzählen von Momenten, die wir wohl alle schon einmal durchlebt haben. Mithin, Vasco spricht vielen aus der Seele. Und er erfüllt ein Kriterium, das praktisch von jedem „Superstar“ angestrebt, aber nur von wenigen erreicht wird: Authentizität. Man nimmt dem Mann einfach ab, dass er sich mit denselben Nichtigkeiten herumplagt, die uns alle betreffen: zurückgewiesene Liebe, ein Urlaub am Meer, Angst, eine Entscheidung zu treffen…die üblichen Hürden des „italiano medio“. Viel mehr ist da nicht und mehr braucht es auch nicht: Man nimmt dem Mann einfach ab, dass er weiss, wovon er spricht, wenn er verschwitzt da oben auf seiner Bühne steht, mit dem Publikum flirtet, einen nach dem anderen seiner berühmten Fidel-Castro-Käppis in die Menge wirft oder seinen unperfekten Oberkörper entblösst, weil die ersten Reihen sein Hemd fordern. Und man spürt das noch immer lebendige kindliche Staunen, wenn er minutenlang mit einem zugeflogenen roten String-Tanga herumalbert. Er, der sie doch alle haben könnte.
Vasco Rossi – Alba Chiara – Live San Siro 2003
http://www.youtube.com/watch?v=hor89yVIyvw
Dieses Jahr zieht Vasco durch – für seine Verhältnisse – kleinere, geschlossene Austragungsorte; 13 Jahre nach seiner letzten Indoor-Tournee. Und es ist uns gelungen, für eines seiner 5 (!) Mailänder Konzerte im Mediolanum-Forum Tickets zu organisieren. Was soll ich sagen? Satte zweieinhalb Stunden vergnügt sich der alternde Derwisch mit seiner im übrigen hervorragenden Band auf der Bühne, als wäre es sein Abschiedskonzert. Die Atmosphäre gleicht einem Fußballstadion mit Fahnen, Transparenten und Sprechchören. Und das Publikum ist textsicher: Zu seinen bekannten Balladen braucht er nur synchron die Lippen zu bewegen und auch neue Stücke wie „Ad ogni costo“, ein Cover des Radiohead-Hits „Creep“, schallen ihm zehntausendfach entgegen. Ein eingestreuter Block aus Hits, die er allein mit der akustischen Gitarre begleitet, sorgt für ebensolche Begeisterungsstürme wie minutenlange exzellente Gitarren- und Schlagzeugsoli, wenn sich die Band ohne ihren Leadsänger vorstellt. Zweieinhalb Stunden Flucht aus dem berlusconianischen Italien mit Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, Kriegstoten in Afghanista und der Mühe, der Freundin zu sgen, was man denkt.
Vasco Rossi – Vita Spericolata – Live San Siro 2003
http://www.youtube.com/watch?v=7ivDvE14WIk
Wie gesagt, Vasco ist ein Phänomen. Ebenso ist es ein Phänomen, dass sein erdiger Rock’n’Roll es noch nicht ins Ausland geschafft hat, wo doch selbst arg durchschnittliche Vertreter wie Eros Ramazotti oder Laura Pausini Erfolge feiern. Bis dahin wird der alte Haudegen aber weiter in der kultischen Verehrung seiner Landsleute baden und bei jedem Jubelsturm verschmitzt wie ein kleiner Junge grinsen, der immer noch nicht versteht, wieso ihn die Leute verehren, wenn er sich doch mit denselben blödsinnigen Nöten plagt wie alle dort vor ihm im Publikum. Denn so funktioniert die „Familie Vasco“. Verdient hat er es sich: „Italia ai tempi di Vasco.“
Und hier ein paar verwackelte Fotos:
15 Antworten auf „Vasco Rossi – Forum Mediolanum Assago 10.02.2010“
Super Artikel! Nichts für ungut aber er heißt de Andrè und nicht di Andrè. Ansonsten weiter so!
In der Tat.
war selber beim letzen der 5 konzerte im forum. du beschreibst es perfekt. unglaubliche stimmung, mit fans die den blasco vergöttern. um mich herum gab es niemanden der nicht jedes wort seiner lieder kannte (sehr zu meinem leidwesen, denn man fühlt sich als aussenseiter wenn man nicht alle lieder kann).
p.s.: mein lieblingslied ist "sally"
Mein Lieblingslied ist colpa di alfredo. 😀 Das mit dem Außenseiter-Sein verstehe ich gut, ging mir genauso. Aber ich halte Vasco ja auch für einen tollen Musiker, nicht für einen Hohepriester. Und die Konzerte sind in jedem Fall geil.
[…] habe mich ja bereits im Februar über den italienischen Bruce Springsteen Vasco Rossi ausgelassen. Ich hatte Gelegenheit, den […]
Vasco Rossi – Forum Mediolanum Assago 10.02.2010 » Musik » Italien blog…
Vasco Rossi ist ein Phänomen in Italien. Vermutlich das genaue Gegenteil von Marco Masini, den zwar Italien jeder kennt, aber…
Wirklich ein toller Sänger von dem mir "Colpa del whisky" am Besten gefällt.
Grüße aus Stuttgart!
Vielleicht irgendwann mal in der "Roxy Bar"? 😉
Hmm, wieso hat es der Kerl den nicht geschafft im Ausland bekannt zu werden?
Vielleicht ist er den Nicht-Italienern nicht italienisch genug?
Keine Ahnung. Aber es sprechen zwei Gründe gegen Deine Vermutung: 1. Vasco ist geradezu archetypisch italienisch. 2. Laura Pausini hat im Ausland, besonders USA, einen Riesen-Erfolg. Vermutlich, gerade weil sie völlig unitalienisch ist (was widerum ihrem Erfolg im Inland entgegensteht).
Mit der einen Person, die Du kennst, die Vasco Rossi in Deutschland kennt, bin hoffentlich ich gemeint. Ansonsten: Senza Parole! Außer seit gestern: Forza Viola!
Jetzt kenn ich zwei! 😀 Sorry, aber über Stadionrock für Kassiererinnen und Rechtsanwaltsfachangestellte hatten wir uns nie unterhalten. Ansonsten: Hat Ovebro eigentlich was mit Blatters Tochter?
Ich stehe ja unglaublich auf Lucio Battisti – I giardino di marzo.
Vor allem seit ich das mal von den Lazio Fans gehört habe.
btw: cooler Blog!
bin mehr so der Deutsche in España 😉
Hola! Ich würde ja auf nix mehr stehen, was ich mal von Lazio-Fans gehört habe. Aber bis dahin ist gegen Battisti natürlich auch klasse. Oder Ruggeri. Oder di André. Oder Lucio Dalla. Aber Vasco ist ja weniger intellektuell und in seiner Nische eben der beste.
Ja, vollstes Verständnis. Hab' mit 3 Römern in Spanien in einer WG gewohnt. Einmal Irriducibili Schal, 1x CUCS Schal, 1x ich hasse Fußball aber bin der beste Koch den Du je kennenlernen wirst und einmal BVB!
War geil, vor allem als ich sie in Rom besucht hatte.