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Sarri vs. Mancini

Gestern Abend stieg zur besten Sendezeit das Pokalviertelfinale Napoli-Inter, eines der wenigen Highlights in diesem ungeliebten Wettbewerb, der bis zum Finale in der Regel weder Publikum noch Spieler begeistert und eher als Bühne für Bankdrücker und Rekonvaleszenten gilt. Der Ex-Tabellenführer aus der lombardischen Metropole schien in den letzten Spielen ein wenig an Selbstbewusstsein verloren zu haben, während der Gastgeber angeführt von Gonzalo Higuain in bestechender Form sich als ernsthafter Meisterschaftskandidat in Stellung bringt. Der Argentinier kam allerdings erst nach 70 Minuten zum Einsatz und musste sich dann mit ansehen, wie Inter sich mit einem völlig verdienten 2:0 für das Halbfinale qualifizierte. Alles in allem ein schöner Fußballabend für die altehrwürdige RAI, die sich nach dem Auftritt des Betrunkenen Gianluca Grignani und versehentlich ausgestrahlte gotteslästerliche SMS in der Silvesternacht auch einmal positiv in Erinnerung bringen wollte.

Das funktionierte bis zur 90. Minute ganz gut, als der Trainer des FC Internazionale dem vierten Offiziellen gegenüber seinen Unmut über die angezeigten 5 Minuten Nachspielzeit kundtat. Napolis Trainer Sarri fand das nicht korrekt und teilte dies seinem Kollegen auch mit.

Offensichtlich wählte er dabei Begriffe, die den Mailänder so in Rage brachten, dass er des Platzes verwiesen wurde. In der darauf folgenden Pressekonferenz wählte er deutliche Worte zum Vorgefallenen: „Wortwechsel? Fragt das Sarri, der ist der Rassist. Ich finde, dass solche Leute in der Welt des Fußballs nichts zu suchen haben. Sarri hat sich einer rassistischen Wortwahl bedient: Ich habe den vierten Offiziellen nur gefragt, wieso es fünf Minuten Nachspielzeit gibt und er hat dann angefangen, mich zu beschimpfen und mich dabei als „Schwuchtel“ und „Schwuler“ bezeichnet. Er ist 60 Jahre alt und sollte sich schämen. Es ist eine Schande, jemand der sich so benimmt, würde in England nie wieder am Spielfeldrand stehen. Ich bin in der Kabine zu ihm hin und er meint ‚Ich bitte dich um Entschuldigung‘, ich habe ihm geantwortet ‚Du solltest dich schämen. Wenn so einer wie du ein Mann bist, dann bin ich stolz darauf, schwul und Schwuchtel zu sein‘.“

Maurizio Sarri wiederum beeilte sich zu beschwichtigen, indem er darauf hinwies selbstverständlich keineswegs homophob zu sein und bemühte hierzu den Klassiker „Ich habe homosexuelle Freunde“. Und überhaupt habe er sich entschuldigt, das seien eben Sachen, die in der Hitze des Gefechts mal vorkommen können, er wollte natürlich niemanden beleidigen und ganz generell wäre es schön gewesen, wenn Mancini „Dinge die auf dem Platz passieren“ nicht vor laufender Kamera breit treten würde. Das klang ebenso unbeholfen, wie als Verbandspräsident Carlo Tavecchio letztes Jahr erklärte, dass sein Kunsptodukt „Opti Pobà„, der sich eben noch „Bananen fressend“ im Urwald von Liane zu Liane hangelte und „heute bei Lazio Stammspieler“ sei, natürlich nicht rassistisch gemeint war. Tavecchio hätte nämlich „selbst viele dunkelhäutige Freunde“. Kein Ding, war „ein Ausrutscher“, nicht so gemeint, der Mann ist natürlich weiter im Amt. So wie der vierte Offizielle auch gestern Mancini des Platzes verweisen ließ, ansonsten aber nichts weiter Bemerkenswertes beobachtete.

Nun bin ich seit jeher ein Fan der deftigen Beleidigung im Fußball. Die Älteren werden sich noch erinnern an meine Artikel, in denen ich das Recht der Fußballfans einforderte, den Spieltagsgegner unflätig zu beschimpfen, als das hier im Lande für ein paar Monate als „territoriale Diskriminierung“ mit Kurvenschließungen bestraft wurde. Ebenso schäumen in Italien Twitter und Facebook über von Kommentaren, die einfordern, dass Mancini sich wahlweise „nicht so haben soll“, dass die Sprache im Fußball „eben etwas rauher“ sei und überhaupt sollen die beiden das unter sich ausmachen, anstatt im Fernsehen zu petzen. Ein Männersport eben, wie Sarri schon in der Vergangenheit feststellte: „Fußball ist kein Sport für Schwuchteln.“ Und wie zu erwarten, entwickelt sich die Debatte entlang der bekannten Sollbruchstellen des italienischen Fußballbetriebs: Nord gegen Süd, Napoli gegen Mailand, politische Korrektheit gegen die Umgangsformen eines ehemaligen Arbeitersports. Gelöst auf dieselbe Art und Weise, wie schon vor Jahren nach rassistischen Beleidigungen gegen Balotelli: „Ja, das war schon nicht nett, aber das soll jetzt bitte nicht überbewertet werden. Ist doch immer so. Und außerdem soll der Balotelli sich nicht mal so anstellen.“

Ja, das war leider schon immer so und solange hochrangige Funktionäre, Trainer und Spieler „Schwuchtel“ als Beleidigung verwenden, wird sich daran auch kurzfristig nichts ändern. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Für mich gehört gepflegtes Pöbeln zum Fußball wie Ball und Tore und ich werde meine Meinung sicher nicht ändern, nur weil es diesmal gegen den Trainer meines Stadtrivalen ging. Nur glaube ich, dass man sich in einem Land, in dem sich Jahr für Jahr homosexuelle Jugendliche umbringen, weil sie dem Druck ihrer Klassenkameraden oder Kollegen nicht gewachsen sind, seiner Verantwortung bewusst sein sollte. Weil es eben soch einen Unterschied macht, ob irgendein Beppe über das Geländer gelehnt einen gegnerischen Spieler beschimpft oder ob wichtige Persönlichkeiten des wichtigsten Sports der Meinung sind, „schwul“ wäre eine Beleidigung. Denn genau so war es gemeint: „Richtige“ Männer beschweren sich nicht beim Schiedsrichter, sondern tragen die Sache aufrecht. Hart. Männlich. Und Roberto Mancini, die „Schwuchtel“, ist das eben alles nicht. Mir fallen in der an Schimpfworten wirklich nicht armen italienischen Sprache ohne weiteres Nachdenken ein paar dutzend ganz formidabler Beleidigungen gegen den Trainer meines Derbygegners ein, ohne dass ich hierfür auf dessen unterstellte sexuelle Orientierung zurückgreifen muss. Sarri nicht.

Ich will keinen beleidigungsfreien Fußball, in zwei Wochen ist Derby und ich werde dem Gegner des Stadtrivalen mit Sicherheit keinen Welpenschutz einräumen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Dinge, die in der Hitze des Gefechts passieren, am allerbesten unter den Beteiligten ausgefochten werden. Aber wenn ebendiese Beteiligten eine Funktion am Spielfeldrand inne haben, ihre Stimme ein Gewicht im Mediendiskurs, ihre Poster an den Zimmerwänden Heranwachsender hängen, sollten sie sich der Tragweite ihrer Äußerungen bewusst sein und dementsprechend handeln. Sonst bleibt bei der Masse der Fußballinteressierten als Einziges hängen, dass Schwule nichts in einem „Männersport“ zu suchen haben.

Die Sportsgerichtsbarkeit Italiens hingegen hat eine klare Position vertreten: Sarri drohen 1-2 Spieltage Sperre, weil er „einfache, generische Beleidigungen“ ausgesprochen hat. Homophob wären diese aber nicht, weil Mancini „bekanntlich heterosexuell“ sei, heißt es in der Begründung. Und schon ist „Schwuchtel“ keine Diskriminierung mehr. Fehlt eigentlich nur noch, dass das Sportgericht den Inter-Trainer für seine hübsche Fönfrisur lobt. Es wäre allerdings jetzt auch vermessen gewesen anzunehmen, dass die Verbandsgerichtsbarkeit, die schon an den rassistischen Äußerungen ihres Chefs nichts fand – Tavecchio wurde von der UEFA gesperrt -, nun zugeben würde, dass im italienischen Fußball Homophobie existiert. Da eine eventuelle Strafe erst im nächsten Pokalwettbewerb zum tragen kommt, können also alle weiter machen wie bisher. Fanlager, die Napoli näher stehen sehen das ganze als einen gezielten Angriff, um den wieder erstarkten SSC Napoli „zu destabilisieren“, Fans denen eher Inter sympathisch ist, zeigen auf Facebook ein Profilbild des Trainers mit Regenbogenfarben unterlegt. Auch Nazis aus der Mailänder Curva Nord.

Die schönste Meinung zum Thema hat Tommaso Cerno, homosexueller Direktor der Zeitung „Messaggero Veneto“: „Das Gute an der Sarri-Mancini-Geschichte? Früher haben sie dich Schwuchtel gerufen, um sich als über dir stehend darzustellen, jetzt bist du Schwuchtel, weil du gewinnst…“ In diesem Sinne: So leid es mir persönlich tut, hat Napoli gestern Abend das Spiel nicht ernst genommen und einen schwachen Auftritt hingelegt. So schwach, dass auch 15 Minuten Nachspielzeit nicht für zwei Tore gereicht hätten. Ihr Trainer hat sich dem Niveau seines Teams angepasst. Aber die Chance, aus dem Vorkommnis heraus eine intelligente Diskussion zu gesellschaftlichen Werten zu führen, wurde von praktisch allen Teilnehmern verspielt. Diese Werte spielen bekanntlich nur eine Rolle, wenn sie von muslimischen Extremisten infrage gestellt werden. Vielleicht sollten wir uns einfach nicht so haben. Ist sicher nicht so gemeint. Unsere Schwuchteln beleidigen wir immer noch selbst am Besten.

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