Jetzt sehen wir die nächste Zutat in der Gerüchteküche um einen bevorstehenden Verkauf des AC Milan. Waren es im Mai noch die Scheichs um Rashid al Maktoum, die sich am meistdekorierten Club der Welt beteiligen wollten und im August der albanische Öl-Magnat Rezart Taçi so entwirft die römische Tageszeitung La Repubblica am 04. September ein Szenario, das den AC Milan am Ende in den Händen einer lybischen Investorengemeinschaft unter Ghaddafi sehen will. Die Meldung der üblicherweise gut informierten (und Berlusconi nicht eben in Freundschaft verbundenen) linksliberalen Repubblica löst natürlich ein veritables Mediengewitter aus, das sich europaweit in rasender Geschwindigkeit ausbreitet und postwendend von Galliani „in absoluter Weise“ dementiert wird. Nun, die Halbwertszeit von Gallianis absoluten Dementis haben wir ja spätestens beim Verkauf Kakà s im Juni zu schätzen gelernt.
Die Anzeichen für einen bevorstehenden Verkauf des AC Milan durch den derzeitigen Eigner Fininvest mehren sich seit einigen Jahren zu deutlich, um als unbegründete Spekulationen abgetan zu werden. Auch die zu erwartenden Dementis der Clubführung beruhigen die durch fortgesetztes Belügen sowieso aufgebrachte Tifoseria nicht gerade, im Gegenteil. AC Milans Transfermarkt stagniert seit 2006, d.h. die Ausgaben für neue Spieler bestimmen sich durch die Einnahmen der selben Transfermarktperiode. Eklatantestes Beispiel ist das am 31. August beendete Transferfenster, in dem den Einnahmen aus dem Verkauf des französischen Talents Gourcuff als einzige Verpflichtung der Holländer Klaas Jan Huntelaar gegenüber stand – für denselben Preis, versteht sich. Auch die Verpflichtungen der letzten Jahre zeichneten sich eher durch ein gutes Preis/Medienwirkungs-Verhältnis aus (Ronaldo, Ronaldinho,Beckham, Zambrotta), als dass sie an den wirklichen sportlichen Erfordernissen eines Teams orientiert waren, das seit geraumer Zeit an Überalterung und fehlendem sportlichen „Hunger“ leidet.
Und so erklärt uns die Repubblica in ihrem Artikel vom 04.09.2009 auch nur, was die Spatzen sowieso von den Dächern der Villa Certosa pfeifen: Berlusconis Kinder Marina und Piersilvio an der Spitze der Finanzholding Mediaset sehen das Fußballgeschäft als reinen Verlustbringer und bestreiten die Notwendigkeit des AC Milan als Imageträger für einen Ministerpräsidenten, dem kein noch so diffiziler Skandal mehr in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte. Einen eventuellen Verkauf des ACM dementiert Mediaset natürlich auch in – wir ahnen es – „absoluter Weise. Berlusconi, dessen politischer Aufstieg immer begleitet war durch den kometenhaften Aufstieg des AC Milan zur Weltspitze, ist nun hoch oben fest im Sattel und weitere Investments sind schlichtweg nicht mehr nötig, um sein Bild vom ewig strahlenden Sieger zu festigen. Zumal in einem völlig durchkommerzialisierten modernen Fußballgeschäft, das immer exorbitantere Summen erfordert, um mit den Real Madrids, Manchester Uniteds und Chelseas an der europäischen Spitze zu konkurrieren.
„Il Milan lo teniamo solo se resta competitivo a livello europeo. Ma per questo bisogna investire tanto. Il punto, però, è che ormai non so se sia possibile colmare in tempi brevi il gap con squadre come Manchester United, Real Madrid o Barcellona“.
„Milan behalten wir nur, wenn es im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig bleibt. Aber dafür muss man viel investieren. Der Punkt ist aber, dass ich mittlerweile nicht mehr weiß, obn es überhaupt möglich ist, in kurzer Zeit den Vorsprung von Clubs wie Manchester United, Real Madrid oder Barcellona auszugleichen.“
(Adriano Galliani zugeschriebenes Zitat, von diesem natürlich „in absoluter Weise“ dementiert.)
Allein die Farce um den Verkauf des Spitzenspielers Kakà hat den auf Umfragewerte seit jeher größten Wert legenden Premier nach eigenen Aussagen 2% bei den europäischen Wahlen gekostet. Die Gefahr besteht durchaus, dass sein vom ewig siegreichen AC Milan begleitete Karriere von einem im Mittelmaß verschwindenden Club merklich befleckt werden könnte. Die Stimmung an der Fanbasis ist jedenfalls hörbar wütend, auch wenn eine Zugabe von 5000 Eintrittskarten für die Curva Sud für das letzte (i.ü. desaströs 4:0 gegen den Stadtrivalen Inter verlorene) Derby die Ultrà s zu Sympathiekundgebungen für Berlusconi bewegte: Die zur Feier des Tages entworfene Choreographie „Avanti con Silvio“ stand dann doch in eklatantem Gegensatz zu den harten Anfeindungen derselben Curva Sud noch in den letzten Spielen der vergangenen Saison. Ein Umstand, der von Galliani selbstverständlich „in absoluter Weise“ dementiert wurde. Das kennen wir ja schon. Auch die Curva Sud entwirft ein langes „communicato“, in dem sie aufs schärfste den Anschuldigungen des Journalisten Paolo Berizzi (Autor des Buches „Bande Nere“ zum Neofaschismus in Italien) entgegentritt, der Kurswechsel der Curva gegenüber der Vereinsführung hätte irgendetwas mit Kartengeschenken zu tun. Sei’s drum, ich weiß es nicht. Mich würde aber trotzdem interessieren, woher der Schwenk der Curva von der Anschuldigung, Berlusconi würde sein Geld nur für „veline“ ausgeben hin zu einem „die Liebe ist nicht schön, wenn man sich nicht ab und zu mal streitet“ und „Vorwärts mit Silvio“ kommt, denn der groteske Sommer-Transfermarkt im Stile Chievo Verona kann es ja nicht gewesen sein.
„Posso assicurare – spiega Galliani – che il bel comportamento della Curva Sud non è stato in alcun modo condizionato. E‘ stato un comportamento spontaneo, da tifosi del Milan: non è stato regalato nemmeno un biglietto, figurarsi 5 mila“.
„Ich kann versichern – erklärt Galliani – dass das schöne Verhalten der Curva Sud (beim Derby a.d.Ü) in keinerlei Weise beeinflusst war. Es handelte sich um eine Spontane Aktion, von Fans des AC Milan: es wurde nicht einmal ein einziges Ticket verschenkt, noch viel weniger 5.000“
(Adriano Galliani dementiert mal wieder „in absoluter“ Weise)
Und so gibt es eben seit mehreren Monaten Gespräche mit potentiellen Investoren, die sich mit dem 600-800 Millionen schweren Klub schmücken wollen. Und letzten Sonntag, nach der Derby-Niederlage, gab es nun ein Treffen mit Ghaddafi, in dessen Umfeld es nun angeblich auch Gespräche um eine Beteiligung eines Konglomerats aus der Central Bank of Lybia, der Lybian Investiment Authority und der Lybian Foreign Bank gegeben haben soll. Das Gerücht wurde selbstverständlich auch von der Fininvest nach wenigen Stunden dementiert, weniger von der Hand zu weisen ist der Umstand, dass der arabischen Investmentegsellschaft LAFICO bereits 7,5 % an einem weiteren preziosen Club der Serie A gehören – Juventus Turin. Gerüchte entstanden auch in den letzten Monaten um einen Einstieg der Lybier beim zum Verkauf stehenden AS Roma. Völlig absurd ist das von der Repubblica skizzierte Szenario also nicht.
Ein weiteres Indiz für einen bevorstehenden Verkauf sind die von Galliani persönlich beendeten Sondierungen zu einem Stadionneubau. Für das ca. 300 Mio schwere Projekt wurden bereits Finanzierungsnetze geknüpft und gemeinsam mit der Stadt erste Pläne geschmiedet. Erste Stimmen hierzu kursierten rund um den Einstieg des Scheichs Mansour, dessen Pläne eben auch einen Stadionneubau im Stile des Emirates Stadium in London umfassten. In diesem Sommer wurde das Projekt brüsk gestoppt: „Per fare certe cose dovremmo essere in Premier League“ – „Für manche Dinge müssten wir in der Premier League sein.“ hatte Galliani zu dem Thema in absoluter Weise natürlich niemals gesagt. Erstaunlich, ist doch das neue Stadion der Juve fast fertig und die Pläne von Clubs wie Inter und Roma, aber auch Parma und Como sind bereits weit fortgeschritten. Quellen besagen, dass keiner dieser Clubs in der Premier League spielt.
Die Indizien um einen graduellen Rückzug der Mediaset mehren sich also. Keines der Kinder Silvio Berlusconis hat offensichtlich ein gesteigertes Interesse, den Verlustbringer AC Milan im Erbe zu akzeptieren und so wird das Terrain eben außerhalb der Familie sondiert. Welcher Investor es denn nun am Ende sein wird und in welcher Form deren Engagement sich bemerkbar macht und in welcher Konstruktion der AC Milan weitergeführt wird, wissen wir – und wohl auch die Beteiligten – nicht. Dafür, dass sich die goldene Ära des AC Milan unter dem erfolgreichsten Vereinspräsidenten aller Zeiten dem Ende zuneigt, sprechen aber zu viele Indizien als dass sie sich „in absoluter Weise“ dementieren ließen. Der Erfinder des calcio moderno scheint vom calcio moderno gefressen zu werden.
6 Antworten auf „Der AC Milan wird mal wieder verkauft“
[…] Käufer für sein überflüssig gewordenes Wahlkampfwerkzeug gefunden hat. Dass der ACM zum Verkauf steht, pfeifen ja mittlerweile auch die Fledermäuse von den Dächern und auch heute wieder […]
Erstmal ein Lob von einem Redakteur: Der Artikel ist supersupersuper gut geschrieben – tolle Verknüpfungen, Insiderwissen, süffisant das mit dem „in absoluter Weise dementiert“, schlüssig begründet. Als Fan des AC Mailand tut mir all das wahnsinnig weh – und auch ich bin mir sicher: Unter normalen Umständen hätte ein kerngesundes Milan einen Topstar wie Kaká niemals verkauft – für kein Geld der Welt. Berlusconi hat selbst Schwierigkeiten oder seine Kinder machen ihm Feuer unterm Hintern. Hoffentlich verschwindet dieser Superclub nicht in der Bedeutungslosigkeit. Forza Milan!
Danke für das Lob! Was das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit angeht…tja…wenn ich mir den Ist-Zustand so anschaue, sind wir schon so ziemlich zur Hälfte versumpft. Niemand bei klarem Verstand sieht uns um die CL-Krone mitspielen, bei Gegnern wie Livorno, Bari und Atalanta muss man schon gehöriges Glück bemühen, um wenigstens ein Unentschieden abzuluchsen und finanziell können wir sowieso nicht mehr mit der europäischen Spitze mithalten. So wie ich es sehe, haben wir genau 2 Chancen auf Besserung: Entweder Berlusconi gibt die Verantwortung ab, bevor uns auch unser Name nichts mehr nützt oder Berlusconis Umfragewerte werden vom schleichenden Zerfallsprozess beim ACM dermaßen beschädigt, dass er seine Meinung ändert. Angesichts des jetzt ergangenen 750 Mio-Urteils gegen die Fininvest halte ich die erste Variante für die wahrscheinlichere. Forza Milan!
ja warten wir mal ab
danke,habe ich schon gemacht.aber ich will die wirkliche story hören,was barone und all diese damit zu tun haben und und und
mal hoffen das es so bleibt und das die mannschaft nicht in die hände eines ölpumpers gerät,der geiseln festhaltet.
ansonsten–>kopfschuss
grüsse
ps:warte immer noch ungeduldig auf den bericht der fossa;)
Ja, im Falle Ghaddafi würd ich mein Fantum tatsächlich mal ernsthaft hinterfragen – auch wenn einige sagen, das wär auch kein großer Unterschied zur jetzigen Situation. 😀 Aber ohne Mannschaft, ohne Curva hinter der ich stehen kann und ohne Vereinsführung, auf die man stolz sein kan, bleiben in der Tat nur noch die Farben und die Erinnerung. Und einige Zeitungen haben den Deal bereits als fix gemeldet – 35 % am AC Milan wären bereits praktisch verhökert.
Was die Fossa angeht: Ich geb dir mal einen Vorgeschmack: Lies die mal dieses comunicato hier durch: http://www.curvasudmilano.it/ und danach nochmal das hier: http://www.fdl.it/. dann noch 1 und 1 zusammenzählen und die Geschichte ist kristallklar, oder?