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AC Milan ./. US Palermo 2:1

Eigentlich schreibe ich ja nicht über solche Spiele, aber wenn wir nach ewigen Zeiten schonmal auf den 4. Platz vorrücken, dann ist mir das eine Erwähnung wert. Das eigentlich spannende fand ja schon am Nachmittag statt: die Fiorentina verlor in Rom 1:0 und Udinese gab sich Aufsteiger Genoa zuhause mit 3:5 (!) geschlagen. Bahn frei also für den dritten Anlauf, in die Champions-League-Qualifikations-Zone vorzurücken. Also Kind geschnappt, Ex-Frau angerufen und „leichte Verspätung angekündigt“, die Töppen von den Füßen, grasgrüne Knie notdürftig irgendwie abgerubbelt, Milan Käppi auf den Kopf und Vollgas gen San Siro. Natürlich zu spät ankommen, an der Polizeisperre ins Mailänder Niemandsland abprallen und durch sehr merkwürdige Wohngebiete auf der Parkplatzsuche kreisen. Strada privata? Senso unico? Accesso limitato? Gestrandet irgendwo in der Pampa, keine Zeit mehr bis Spielbeginn und ein Kind aufm Rücksitz, das Abendbrot einfordert! Also im absoluten Halteverbot geparkt, mit GPS in der Hand zu Fuß Richtung Stadion gerannt, fliegender Händlerin zwei Brötchen abgeschwatzt und weiter Richtung Nordkurve. Schule kann so unendlich weit weg sein an einem Sonntagabend für einen Achtjährigen!

Milan Palermo
Milan Palermo

Er tippt auf ein 2:2! Ich weiß nicht, wieso ich dafür Cola spendierten soll!

Ich muss aber auch sagen, dass besagter Mini-Hooligan immer Wunderdinge von Palermo erzählt und wenn man den fragt, wen Milan nächstes Jahr verpflichten sollte, dann sollten Amaurì, Miccoli, Cavani auf jeden Fall dabei sein. Ich werfe hier aber zum Verständnis ein, dass ein gewisser palermitanischer Verteidiger nicht nur Mini-Hooligans Nr. 4 trägt, sondern zudem „Tedesco“ heisst – wohl der eigentliche Grund für des Jungen ungewöhnliche Begeisterung für rosa Hemden! Oder die Tatsache, dass er bei „Fifa 2008“ auf der PS2 von denen immer auf die Mütze bekommt. Sei’s drum, wir sind im Stadion! Schöne Plätze, Brötchen in der Hand, Cola zwischen den Knien und „liebe Grüße“ von der Ex aufm Handy – genau so geht das Spiel dann auch weiter: Nach 8 Minuten haut Bresciano einfach mal drauf, Oddo lenkt unhaltbar für Kalac ab, 0:1! Palermo zieht sich folgerichtig zurück und massiert die Kräfte im Mittelfeld: Guana, Migliaccio und Bresciano blockieren weitgehend das Zentrum, Cassani und Balzaretti besetzen die Außenpositionen. Milan drückt, Milan versucht, Milan zerrt an den Ketten, aber es ist – wieder mal – kein Durchkommen. Oddo rückt sehr oft sehr weit auf, aber wie eigentlich immer in dieser Saison fehlt seinen Vorstößen auf der Außenbahn der präzise Abschluß – entweder die Flanken werden abgeblockt oder trudeln ungestört ins Aus. Angriffe bis auf die Grundlinie sind komplett Fehlanzeige (wohl zu weit), ebenso wie auf der anderen Seite, wo Jankulovski sich müht, dem Angriffsspiel Druck zu verleihen. Ambrosini spielt aber auf dieser Seite eine hervorragende Partie, sichert Janku nach hinten ab und versucht, mit schierer physischer Kraft und Willen, Löcher in die palermitanische Abwehrmauer zu reißen.

Milan Palermo
Milan Palermo

Angekommen, Würstchen und Cola organisiert – kann losgehen!

Kakà ist ganz offensichtlich nicht in Form und wird von Beginn an in harte Manndeckung genommen, worunter seine Spielfreude dann doch erheblich leidet. Konsequenterweise nimmt Carletto ihn zur Halbzeit raus, da hatte er bereits genug auf die Socken bekommen. Für ihn kommt das französische Enigma Gourcuff. Im Sturm wirbelt ein spielfreudiger, laufbereiter, technisch exzellenter Pato in leuchtend orangen Schuhen und spielt ein, *räusper*, glückloser Gilardino. In jedem Fall fehlen beiden aber präzise und schnelle Anspiele; bis sich Milan pomadig aus dem Mittelfeld gearbeitet hat, ist Palermo stets wieder sortiert und läuft uns in aller Ruhe die Bälle ab. In der 24. Minute dann tatsächlich eine lange Flanke aus dem Halbfeld, die – für wen auch immer sie gedacht war – am langen Pfosten Ambrosini findet, der sie mit links unter dem hervorragenden Torhüter Fontana durchrutscht. 1:1, 24. Minute. Fontana ist weiterhin voll auf der Höhe des Geschehens und lenkt einen ordentlichen Freistoß von Pirlo an den linken Pfosten und einen weiteren knapp über die Latte. „Eh! Sto Fontana è forte!“ lautet der trockene Kommentar von rechts. Ich denke an Abtreibung!

Milan Palermo
Milan Palermo

Auf der Suche nach Miccoli!

Die zweite Halbzeit sieht einen durchaus bemühten, aber langsamen und schwerfälligen AC Milan, dem es ohne Seedorf und ohne Kakà ganz offensichtlich an überraschenden Ideen fehlt, das taktisch hervorragend eingestellte und physisch sehr präsente Mittelfeld des US Palermo zu überwinden. Zudem lauert ein immer brandgefährlicher Amaurì („Eh! Ma sulla Play ha 86 Punti, eh.“) auf Konterchancen. Wenn was geht, dann über die Außenbahnen, aber unsere beiden Flankengötter Oddo und Jankulovski sind ja leider im Flankenstreik. In der 62. ein schöner Fernschuß von Pato, den Fontana wieder mal hervorragend pariert. Diesmal kein Kommentar von rechts, der Junge kann vermutlich Gedanken lesen und hat einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb. Dafür regt er interessante Gespräche an a là „Was machen wir denn, wenn das Auto abgeschleppt ist?“ Ich nehme mir vor, unbedingt am nächsten Morgen wichtige Websites zu bookmarken.

Milan Palermo
Milan Palermo

Da drüben findet niemand Amaurì gut!

Und dann kommt es wie so oft in der Geschichte der Diavoli: Gilardino darf kurz vor Schluß sein verbissen bemühtes aber bieder ungefährliches Herumgehopse beenden und auf den Platz kommt ein richtiger Stürmer. Der Fußballgott (der da oben) ist heute zynisch und so ist es ausgerechnet Gourcuff, der bis dahin keinen einzigen Ball an den (richtigen) Mann gebracht hat, der das erste präzise Anspiel des Abends in der 91. Minute passgenau auf die Flugbahn vom Fußballgott (der da unten) schlägt: Flugkopfball von Pippo Inzaghi in der Nachspielzeit. 2:1. Ein ebenso donnerndes wie erleichtertes „Pippo Inzaghi segna per noi“ aus dem gesamten Stadion – da brividi!

Wer interessiert sich jetzt noch für Schule, früh Aufstehen, Ex-Ehefrauen oder sonstwo im absoluten Halteverbot geparkte Autos? Wir stehen noch ein paar Minuten unter dem Flutlicht und lassen Hand in Hand die Atmosphäre auf uns wirken. Pippo Tor sehen, auf den Sitzen stehend gemeinsam mit 50.000 anderen Verrückten „Pippo Inzaghi segna per noi“ singen, mit Kind durch die Massen zum Auto zurückrennen (immer mit dem GPS in der Hand), das Auto wiederfinden, über nächtliche italienische „Autobahnen“ durch Nebelbänke nach Hause rasen, um schlafendes und übelgelauntes Kind bei müder und übelgelaunter Mamma abzugeben. DAS ist Fußball! Für alles andere gibt es MasterCard!

Und so war’s wirklich!

PS: Für Diskussionen um nicht gegebene Elfmeter und die grassierende Schiedsrichterdebatte verweise ich auf die Foren der Gazzetta dello Sport. Ich habe keine Lust, mich zu den Schiedsrichterleistungen der Serie A diese Saison zu äußern.

2 Antworten auf „AC Milan ./. US Palermo 2:1“

😀 Gruß an die Kollegen!

PS: Die einzige echte Unterhaltung in der zweiten Halbzeit gab es, als der Ball bei uns in den Sektor flog und wir mit den Ordnern „Such’s Bällchen!“ gespielt haben. Unter großem Jubel flog die Pille 5 Minuten lang durch die Reihen, nen Dutzend sonnenbebrillter Stewards mit Funkgerät immer hinterher…irgendwann durfte einer von den Heinis den Ball dann mitnehmen und trug ihn ganz stolz an der Kurve vorbei – begleitet von ein paar hundert stehenden Fans, die ihn mit „scemo! scemo!“-Rufen verabschiedeten. Das fand ich ganz unterhaltsam.

Er tippt auf ein 2:2! Ich weiß nicht, wieso ich dafür Cola spendierten soll!

Ganz großes Kino, habe im Büro laut losgelacht und Nachfragen meiner Kollegen ausgelöst, was denn so witzig ist. Natürlich unerklärbar. :-))