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Santos Mirasierra – Parodie de Justice!

Man muss sich einmal die Diskussionen um einen EU-Beitritt der Türkei vor Augen rufen. „Die haben dort doch überhaupt keine Demokratie, keine freien Medien und müssen erst einmal die Menschenrechte beachten„, heisst es reflexhaft, sobald das Thema in Intervallen mal wieder Medien und Stammtische aufscheucht. Ja, vielleicht haben wir ja in unserem schönen zivilisierten und friedliebenden Europa schon genug Länder, deren esoterisches Demokratieverständnis die Rolle des schwarzen Schafs bereits allerbestens ausfüllt. Italien wird von einem selbstherrlichen Sonnenkönig regiert, der die vierte Säule der Demokratie, die Medien, entweder besitzt oder nach Belieben steuert und die Kaste der Politiker steht im öffentlichen Ansehen mehrere Stufen unterhalb der organisierten Kriminalität. Völlig zurecht im übrigen. Nach dem politischen Selbstmord der Linken bereits vor vielen Jahren wird das Verlangen nach der Rückkehr des „guten Onkels“ Duce gar nichtmal mehr nur verschämt artikuliert. Griechenland leidet an einer armseligen und korrupten Politikerkaste, die zu einem breiten Schulterschluss der Bevölkerung mit den furios randalierenden Jugendlichen geführt hat – zwar bieten die revoltierenden Anarchisten auch keine schnellen praktischen Lösungen an, aber Steinewerfen und brennende Autowracks sind schonmal schöne Bilder für die vorherrschende Wut im Geburtsland der westlichen Demokratie. Nun beweist auch Spanien einmal wieder, dass deren „Demokratie“ nur ein brüchiger kleiner Zuckerguss auf der Geschichte des Franco-Regimes ist. Kratzt das irgendjemanden am Stammtisch? Aber natürlich nicht!

Wir schauen uns ja dieses Jahr die UEFA Champions-League von draußen an und so machte ich es mir vorgestern abend gemütlich, um Werder Bremens Bemühungen gegen den vom sympathischsten Trainer der Welt geführten und in Europa seit Jahrzehnten unbesiegten FC Internazionale anzuschauen. Im Rahmen der Konferenzschaltung wurde ich so Zeuge einer weiteren Meisterleistung der sportlichen Berichterstattung bei Premiere zum Spiel Olympique Marseille gegen Atletico Madrid. Von „Morddrohungen per SMS“ wurde da gefaselt und einer erschreckenden Sicherheitslage angesichts wütender Horden gewalttätiger Marseille-Fans, deren „Rädelsführer“ nach „gewalttätigen Auschreitungen“ beim Hinspiel in Madrid festgenommen wurde. Da verschluckt man sich ja am Dosenbier. Dieser Haufen bekiffter Jungrastas hat einen „Rädelsführer“ und verschickt per SMS Morddrohungen an spanische Vereinsvorsitzende? Und krawalliert in der Höhle der unlängst von der UEFA wegen rassistischer Ausfälle sanktionierten Neofaschisten? Im Stadion war von Krawallen und Mördern derweil nichts zu sehen – dafür zehntausende weiße „Liberez Santos!“-Leibchen.

Denn der angesprochene „Rädelsführer“ war natürlich der Olympique-Fan Santos Mirasierra und dessen Verhaftung und Anklage wirft nicht nur ein bezeichnendes Bild auf die spanische Gerichtsbarkeit und ihre Erfüllungsgehilfen, sondern beleuchtet einmal mehr die abgrundtiefe Armseligkeit weiter Teile des deutschen Journalismus. Der Premiere-Kommentator hat hier leider eine schöne Chance verpasst, einfach mal den Mund zu halten, anstatt den Abyss der eigenen Ahnungslosigkeit in der Öffentlichkeit herauszutrompeten. Am 1. Oktober drängt die spanische „Guardia Civil“ in den Auswärtsblock der Marseille-Supporter und reisst deren Auswärtsbanner in Stücke, dabei werden 4 Fans verletzt und einer 70-jährigen Frau wird durch einen Tritt eine Rippe gebrochen. Auf dem Banner wäre ein Totenkopf mit einer Clownsmütze zu sehen gewesen und gegen solche Umtriebe und „rassistische Symbolik“ (sic!) müsse man vorgehen. Platini hat das gesagt! Dass die größte organisierte Fangruppierung der Heimmannschaft, die offen faschistische „Frente Atlético„, seit Jahren den SS-Totenkopf als Fahnensymbol benutzt, stört die Guardia Civil dagegen offenbar nicht.“ Auch die Mailänder „Brigate Rossonere“ werden höchstens mal in München für die Verwendung desselben Symbols abgemahnt.

Wohlgemerkt, wir sprechen hier von einer weitgehend linksalternativen und bislang nicht unbedingt Angst und Schrecken verbreiteten französischen Fangruppierung im Hause von Atletico, die doch gerade wegen rassistischer Entgleisungen ein Spiel vor leeren Rängen bestreiten musste und deren neonazistische Umtriebe auch dem ahnungslosesten Sportjournalisten (wenn er denn mal über den „Poldi-Schweini-Tellerrand“ blicken würde) einmal untergekommen sein müsste. Jedenfalls greift die spanische Staatsmacht nach Jahren der Untätigkeit einmal hart durch und verprügelt bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Gästefans. Man hätte ja meinen können, dass es gereicht hätte, den Stewards Bescheid zu sagen, auf das angeblich verbotene Banner hinzuweisen und die Fans zunächst zu bitten, es wieder einzurollen. Stattdessen werden die Knüppel rausgeholt und … schaut einfach selbst:

Die offizielle haarsträubende spanische Aussage, man hätte nur UEFA-Forderungen umgesetzt, strafte William Gaillard (PR-Mann der UEFA und Senior Advisor für Michel Platini) ja schon am 02.12. Lügen: „drollig, zu sagen, wie wir gehört haben, dass es die UEFA war, die das Entfernen der Banner gefordert hätte. Wir arbeiten nicht so und wir haben keine Entscheidungsbfugnis gegenüber der spanischen Polizei.“ Besagtes Banner, wohlgemerkt ein Totenkopf mit einer Clownsmütze, begleitete die Fans von OM seit 24 Jahren, in den letzten 4 Spielzeiten genauso regelmäßig wie unbeanstandet natürlich auch in Spanien. Kein Wort davon, dass dunkelhäutige französische Journalisten durch Affenlaute und rassistische Äußerungen beleidigt wurden oder Trainer Javier Aguirre wenig zivilisierte Worte für Mathieu Valbuena fand. Nochmal zusammengefasst: Die Guardia Civil geht in einem bekannt rechtslastigen Stadion wegen angeblich rassistischer Symbolik gegen eine seit Jahrzehnten für antirassistische Aktionen bekannte linke Fangruppierung vor – und niemand der „Qualitätsmedien“ findet das irgendwie bedenkenswert.

Sei’s drum, soweit wäre das noch alles ein ganz normaler Auftritt der spanische Exekutive bei einem Fußballspiel in einem „demokratischen Land im Herzen Europas“ gewesen. Allerdings wollte auch die spanische Gerichtsbarkeit den beschämenden Auftritt ihrer Prügelgehilfen nicht etwa durch demokratische Aussetzer beflecken und verurteilt den Marseille-Fan Santos Mirasierra mal eben zu dreieinhalb Jahren Haft. Es ist sicher überflüssig zu erwähnen, dass Santos keinerlei Straftaten nachgewiesen werden konnten, keine der Aufnahmen zeigte den Mann bei irgendeiner Verfehlung, dessen Familie verzweifelte einstweilen an der Unfähigkeit der spanischen Justiz, wenigstens einen sinnvollen Übersetzer für französische Zeugenaussagen zu finden. Santos ist hier der Mann mit der gelben Mütze, macht nicht wirklich den Eindruck, als würde er gerade Polizisten totprügeln, eher scheint der zweisprachige Mann mit der doppelten Staatsbürgerschaft (spanisch und französisch) zu vermitteln und zu übersetzen. Soweit ja auch die Zeugenaussagen, nur konnten die leider nicht verständlich übersetzt werden. Aber wie gesagt, in einer Demokratie kann es schonmal passieren, dass eine staatliche Knüppeltruppe eine Gruppe ausländischer Fußballfans unter akustischer Begleitung nazistischer Sprechchöre aufmischt und den „Rädelsführer“ (O-Ton Premiere) mal eben zu dreieinhalb Jahren Haft verdonnert, ohne sich wenigstens um ein auf rechtsstaatlichen Grundsätzen organisiertes Gerichtsverfahren zu kümmern. Wenigstens haben sie ihn nicht gleich erschossen, wie seinerzeit Sandri, das ist ja schonmal was.

Der Verein Olympique Marseille stellte sich sofort und ohne Zögern voll hinter Santos und unterstützte diesen in offiziellen Verlautbarungen. Ein an sich schon erstaunlicher Vorgang, der aber in der deutschen Sportpresse nicht zur Kenntnis genommen wurde, weil die Herren ja damit beschäftigt sind, zu eruieren, ob „Poldi“ nun nach Köln wechselt, ob „Schweini“ bei den Bayern verlängert oder ob Frings und Löw sich gerade wieder liebhaben. Zinedine Zidane äußerte sich dagegen unmißverständlich: „Die halten ihn fest, obwohl er nichts getan hat. Was die ihm vorwerfen ist weit entfernt von der Wahrheit!“ und auch Chelsea-Stürmer Didier Drogba hat zu den Ereignissen eine Meinung: „Ich verstehe immer noch nicht, wieso Santos solange im Gefängnis sitzt und vor allem wie er zu einer so hohen Haftstrafe verurteilt werden konnte. Das ist völlig jenseits jeder Relation. Ich stehe vollkommen hinter Santos und ich möchte, dass seine Familie weiß, dass ich mit meinen Gedanken und Gebeten bei ihnen bin!“ und selbst der lustige Franzose Franck Ribéry lässt auch nicht viel Interpretationsspielraum, auf welcher Seite er steht: „Das ist unglaublich hart für den Mann, weil er so viel in den Club investiert hat, das war ein Typ der voller Freude sein Team unterstützen wollte. Ich kenne Marseille und deren Fans sehr gut und ich kann ihnen versichern, dass das echte Fans sind. Diese Strafe ist hart und dreieinhalb Jahre sind eine Menge. Ich bin der erste, der alles in seiner Macht stehende tun wird, um die Strafe zu verringern.“ Ein erstaunlicher Schulterschluss mit einem „Rädelsführer“ und ein Lehrstück in Demokratie!

Mittlerweile wurde Santos auf Kaution freigesetzt, erstaunlicherweise wird in Spanien trotz offener Grenzen und einer langen Haftstrafe wohl keine Fluchtgefahr angenommen. Oder wollte man sich des international mittlerweile heiklen Falls möglichst schnell entledigen? (José Luis Zapatero, hatte sich ja seinerzeit weit aus dem Fenster gelehnt mit seinem „Ich bin solidarisch mit Atletico und der Polizei„) Entscheidet selbst. Die Kaution für Santos hat der Verein bezahlt, schon das allein spricht Bände. Bände, die im deutschen Sportjournalismus offenbar bislang noch nicht angekommen sind. Olympique Marseille-Präsident Pape Diouf äußerte sich unmißverständlich: Man müsse Santos „aus den Klauen dessen entreißen, was ich noch nicht einmal wage, überhaupt als Justiz zu bezeichnen.“ Da ätte er mal besser den den „Journalisten“ von Spiegel, Premiere, Sueddeutsche und wie die Gralshüter der deutschen Medienqualität sonst noch so heißen mal lieber ein Memo geschickt!

Löbliche Ausnahme in der tristen Berichterstattung zum Fall ist der Sportswire-Schreiber „Jean-Claude“, der in einem hervorragenden Beitrag den Fall beherzt aufgreift. Ansonsten widmen sich nur Fußballfans in ganz Europa und Fußball Blogs dem Thema, dieselbe Mischpoke also, die unseren unfehlbaren großen Führer DFB-Chef Theo Zwanziger als Demagogen klassifiziert. Zwanziger hat zum Thema im übrigen nichts weiter gesagt, aber der hat ja wichtigeres zu tun.

Die Vorgänge um die Inhaftierung des Marseille-Supporters Santos Mirasierra sind ein Lehrstück über Demokratie und Journalismus im Herzen Europas – keines mit schönem Ausgang. Bevor ihr euch also aufregt, ob die Türkei in der europäischen Gemeinschaft mitspielen darf, sollten die Türken einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob sie in diesem Verein überhaupt dabeisein wollen.

15 Antworten auf „Santos Mirasierra – Parodie de Justice!“

Mittlerweile hat sich die „Jungle World“ des Falls nochmal sehr überzeugend vertiefend angenommen, den man hier nachlesen kann. Sehr gut recherchiert und überlegt, wie ich finde. Dank geht an die BAVA für das Finden dieser Perle des deutschen Journalismus. Es wäre doch gelacht, wenn wir keine Gegenöffentlichkeit zum dümmlichen Einheitsbrei der Sport“berichterstattung“ herstellen können!

Fakt ist, die spanische Justiz blamiert sich bis auf die Knochen und die Elite der deutschen Schnittchenfresser bemerkt es noch nichtmal. Zwanziger, fahr schonmal den Wagen vor!

Ja, Bericht dazu folgt. Es ging auch nicht gegen zu hohe Eintrittspreise, aber ich schreib was genaueres im Rahmen der Aktionen beim Wolfsburg-Spiel. Demnächst auf diesem Kanal…


Staatsbedienstete haben sich beim Einsatz ihrer Mittel immer auf dem Boden des Rechtsstaats zu bewegen – auch und gerade gegen Leute, die sich abweichender Mittel bedienen!

das sehe ich auch so. deshalb sind die strafen für eine straftat im amt (zB Körperverletzung) auch härter. der staat und seine organe sollen das gewaltmonopol haben, was jedoch verhältnismäßig eingesetzt werden muß. das ist aber schön länger nicht mehr so. dieser umstand führt aber im umkehrschluß nicht dazu genauso willkürlich und brutal gewalttätig zu sein. das bewußtsein und die verantwortung für andere sollte ebenfalls bedacht werden.

Klar, ich stimmte dir absolut zu. Die Kritik an dem Vorgehen und der vorschnellen Verurteilung trage ich voll und ganz mit. Der Vorwurf war auch überhaupt nicht gegen deinen Beitrag gerichtet, sondern eher gegen dir teils verkürzte Sicht anderer Berichterstatter. Nur weil die Polizei unverhältnismäßig auftritt, wird das dann zum Anlass genommen eigenes Fehlverhalten in vielen (teil nicht gerade nahestehenden) Zusammenhänge zu legitimieren. Und das kann es ja auch nicht sein, wie Jurij in dem Beitrag zu den Dynamo-Fans zeigt.

Das scheint mir ein generelles Problem der derzeitigen Debatte zu sein. Die eine Seite verteufelt und feindet ohne jegliche Differenzierung an („das sind allesamt Gewalttäter, Hooligans, Bullenschweine„) und die angegriffene Seite zieht sich in die Wagenburg zurück und erlegt sich einen „Ehrenkodex“ auf, der jegliche Diskussion über eigenes Fehlverhalten ausschliesst („die haben uns angegriffen, wir standen da nur friedlich rum„). Du merkst vielleicht an meiner Wortwahl, dass sich in dieser Beziehung („wir sind die guten und die anderen sind alles Schweine„) Polizei und Ultras gar nicht so sehr unterscheiden.*

Nun ist es sicher müßig, darüber zu diskutieren, wer mit sowas angefangen hat – solche Erwägungen schaffen ja nicht mal die Beteiligten am, sagen wir, Israel-Konflikt. Wohl aber erlaube ich mir die Meinung, dass es einen gewaltigen (!) Unterschied macht, ob gewisse Teile der Fangruppierungen zu nicht rechtsstaatlichen Mitteln greifen oder ob der Rechtsstaat zu ebensolchen Mitteln greift. Wenn ein Fan einem Bullen einen Stuhl ins Kreuz schlägt, dann gehört er vor Gericht gestellt – aus einer vermeintlichen Straftat seitens eines Fans leitet sich keinesfalls das Recht für den Staat ab, seinerseits kriminell zu reagieren. Staatsbedienstete haben sich beim Einsatz ihrer Mittel immer auf dem Boden des Rechtsstaats zu bewegen – auch und gerade gegen Leute, die sich abweichender Mittel bedienen! (Achtung: die letzte Bemerkung bezieht sich nicht auf den Fall Santos – hier liegt die Schuld einzig und allein bei den Knüppelgarden.)

*Was die konservative Schnittchenesser-Presse aus dem Fall macht, ist keinen Deut besser als die verkürzte Sicht mancher Ultras…

Also das Video ist wirklich heftig. Da habe ich ja Angst vor meinem nächsten Stadionbesuch. Ist das bitter.

Und wie du ja zeigst, ist es noch viel schlimmer, dass darüber nicht berichtet wird. Deutscher Sport-Journalismus ist einfach nichts wert. Es ist unglaublich, wie unkritisch, passive, meinungsfrei und obrigkeitshörig hier berichtet wird.

Ich bin kein Richter und kenne den Fall auch nicht weiter, als es auf Grund deiner umfangreichen Recherche möglich ist. Aber mir scheint, dass der Mann mit der gelben Mütze selbst auch von hinten auf einen Polizisten losgeht. Gänzlich unschuldig wird er nicht sein. Auch wenn wenn er nichts dafür kann, ohne begründeten Tatverdacht und unverhältnismäßig hart attackiert worden zu sein. Das sind natürlich mildernde Umstände. Aber wer außerhalb der Selbstverteidigung zuschlägt, kann kaum ohne Schuld sein.

Ich weiß, dass das in den Augen der moralisch motivierten Unterstützer von Santos nicht gut klingt. Aber man muss ja auch mal sagen, was man auf dem Video auch sehen kann.

Aber ja, natürlich. Du liest ja schon ne Weile mit und weisst, dass ich mich gegen jegliche Schwarz-Weiss-Malerei wehre – auf der einen wie auf der anderen Seite. Was man aber m.E. berechtigt einfordern kann, ist eine differenzierte und rechtlich kongruente Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der Tatumstände.

Angenommen, eine mit Knüppeln versehene Schlägertruppe stürmt ein Oktoberfestzelt, um einer Gruppe junger Männer die Filzhüte zu klauen. Und angenommen, dann würde man einen der jungen Männer dabei ertappen, dass er mit nem Stuhl auf einen der Angreifer losgeht, weil ihm das Wegnehmen der Filzhüte nicht passt oder er seine Freundin verteidigen will (und der unmotivierte und unverhältnismäßige Angriff der Guardia Civil ist ja unbestritten). Würde man dann auf die Idee kommen, den „Rädelsführer“ in einem fragwürdigen Eilverfahren dreieinhalb Jahre hinter Gitter zu schicken?

Ich meine, nein. Sobald es sich aber um junge Männer in einem Fußballstadion handelt, werden sämtliche rechtsstaatlichen Kriterien außer Kraft gesetzt und Justiz, Polizei und Medien sehen unisono den Untergang des Abendlandes dräuen, Hooligans und blutverschmierte Gewalttäter hinter jeder Ecke.

Mithin, ich bin weit davon entfernt, Ultràs gegen jeden und alles in Schutz zu nehmen und deren interne Problematiken habe ich des öfteren schon angesprochen. Ich würde aber immer noch einfordern, dass vor dem Gesetz alle gleich sind und selbst Ultràs ein Recht auf ein faires und unvoreingenommenes Verfahren haben (und eine ebensolche Berichterstattung). Beides sehe ich nicht gewährleistet.

Anderes Beispiel: Ich schreib womöglich demnächst was genaueres drüber, aber: Am Sonntag waren 5 Busse mit Milan-Anhängern auf dem Weg nach Turin zum Spiel gegen Juve. Auf der Autobahn (!) wurden sie angehalten und es wurden Tickets kontrolliert (!!). Hierzu mussten alle aussteigen und durften bei ca. 0 Grad mehrere Stunden im Regen auf die Kontrolle der Dokumente warten. Mal abgesehen davon, dass man für notwendig gehaltene Kontrollen auch hätte in den Bussen durchführen können, war es selbst für die mit Ticket zu spät, zum Spiel zu kommen. Würde ein solches willkürliches Vorgehen gegen eine beliebige andere Bevölkerungsgruppe nicht zu einem Schrei der Entrüstung führen?

Danke Stephan, danke Jurij. Leider braucht es ja nicht wirklich viel, um sich vom Einheitsbrei deutscher Sportberichterstattung abzuheben. Bei den Genies von Premiere ist man ja immer noch der Meinung, in Italien spiele man catenaccio und Juve wäre gestern gegen Bate Borisov im „delle Alpi“ angetreten. Es ist offensichtlich eine Ernsthafte Herausforderung für die Herren, ihr in den 70ern angeeignetes „Fachwissen“ mal upzugraden – insofern sind qualifizierte Anmerkungen zu einem Thema, das ja erst in diesem Jahr passiert ist, nicht zu erwarten. Naja, gottseidank gibt es ja die Klowände des Internets.

es hat sich doch gelohnt ne vorlesung sausen zu lassen, um das zu lesen. sehr gut recherchiert und geschrieben.

distinti saluti,
Stephan

das die europäische neoliberale presse nicht differenzieren und kann und ihre angsteinflößende denuziationen verbreitet, ist im gruunde nicht großartig verwunderlich. aber die unterstützung von OM offiziellen und prominenten fußballern, ist echt der hammer. das hat mich bei diesem vorgang am meisten erstaunt. ansonsten stimme ich dir völlig zu!

Support ist kein Verbrechen!
Keine Bestrafung für Santos!

Santos Mirasierra – Parodie de Justice!…

Die Vorgänge um die Inhaftierung des Marseille-Supporters Santos Mirasierra sind ein Lehrstück über Demokratie und Journalismus im Herzen Europas. Keines mit schönem Ausgang. Nun ist er auf Kaution frei – alles gut also?…