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Pisa und kein Ende

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Pisa und kein Ende

Nachdem sich der ernsthafte Fußball letztes Jahr mit großem Getöse aus Parma verabschiedete, sprach der Präsident des italienischen Fußballverbands FIGC, Carlo Tavecchio, von einer „epochalen Wende“ für den italienischen Fußball. Schärfere Kontrollen würden fortan dafür sorgen, dass ein Konkurs im laufenden Spielbetrieb „nie wieder passieren“ würde. In der Sommerpause ist das statistische Dutzend Vereine aus dem italienischen Profi-Spielbetrieb verschwunden, der drohende Konkurs eines Versicherers mit Sitz auf den Cayman Inseln pulverisiert die Bürgschaften für ein Drittel der Teilnehmer an der Lega Pro und das erste Saisonspiel der aktuellen Serie B, Ternana – Pisa, wurde verschoben, weil die Gäste kein Geld für den Bus hatten. Tavecchio verkündete, dass dies aber die letzte Ausnahme gewesen wäre, weitere Zugeständnisse wären nicht möglich, man würde jetzt aber wirklich „hart durchgreifen“. Aber von Anfang an.

Una Storia Italiana

Der letztmalig 2009 Konkurs gegangene Klub wurde vom Profifußball ausgeschlossen und in der Serie D neu gegründet. Sportlich für die Lega Pro 2 qualifiziert, wurde der Verein direkt in die Lega Pro 1 hochgestuft. Im August 2015 verpflichtet der Drittligist Pisa Gennaro Gattuso als Trainer, der die Mannschaft auf den zweiten Tabellenplatz führte, in den Play-Offs setzte man sich gegen Maceratese und Foggia durch und kehrte nach sieben Jahren wieder in die Serie B zurück. Jubelbilder von Gattuso auf dem Zaun vor der Kurve fluten die sozialen Netzwerke. Schade nur, dass der Inhaber die „Saison auf Kredit“ gespielt hatte, wie es ein befreundeter Journalist ausdrückt. Scheinbar wurden weder Spielergehälter noch Staff oder Zulieferer bezahlt. Präsident Fabio Petroni wurde am 22. Juli wegen Konkursbetrugs festgenommen, weil er seiner unter Aufsicht stehenden Firma „Terravision“ Gelder entzogen haben soll. Millionen landeten auf den Konten von Frau und Tochter.

Den Sommer über ziehen sich Verkaufsverhandlungen hin, um den AC Pisa 1909 bekriegen sich ein internationaler Investmentfont namens „Sportativa“, kontrolliert von der „Equitativa“ mit Sitz in Dubai und repräsentiert von Victor Pablo Dana und auf der anderen Seite das italo-englische Konsortium „Britaly Post“ der Familie des derzeitigen Präsidenten Petroni. Die Verkaufsverhandlungen zogen sich hin, in der Zwischenzeit stellten sich Bankbürgschaften als falsch heraus, das Stadion ist nicht für die zweite Liga zugelassen und etwaige Modernisierungsmaßnahmen aufgrund der Verkaufsverhandlungen auf Eis gelegt. Trainer Gattuso legte am 31. Juli sein Amt nieder. Mannschaft, Fans und selbst der Bürgermeister hatten sich schnell ihren Favoriten festgelegt: die Equitativa aus Dubai. Obwohl Ex-Präsident Fabrizio Lucchesi verspricht, auf alle Ansprüche aus seinen 50% Beteiligung zu verzichten, ebenso wie eine Reihe von Schuldnern, findet sich keine Einigung. Eine Gruppe von Unternehmern der Stadt wollte mit 300.000 Euro den Fortbestand des Vereins sichern und zudem ein Sammelbecken für eine Faninitiative bereitstellen, dessen Unterstützer weitere 200.000 Euro jährlich für den Verein bereitstellen würden. Nichts konkretes. Am 30. August besetzen ca. 500 wütende Fans den Bahnhof von Pisa und legen den Bahnverkehr lahm, um auf die verzweifelte Situation Ihres Clubs hinzuweisen.

Herzschlagfinale

Selbst der Präsident der Serie B, Andrea Abodi, schaltete sich persönlich ein, um als Mittler zwischen der Familie Petroni und „Equitativa“ den guten Ausgang der Verhandlungen zu garantieren. Ebenso der Bürgermeister von Pisa, Marco Filippeschi. Ohne Erfolg, so dass Teile der Mannschaft verzweifelt neue Vereine suchten und der Rest das Training boykottierte. Und so stand Pisa wenige Tage vor dem ersten Spieltag mit einer unvollständigen Mannschaft da, ohne Trainer, ohne Training und natürlich auch ohne Stadion: die ersten Spieltage sollten in Empoli ausgetragen werden, weil die Arena Garibaldi nicht den Sicherheitsnormen entspricht. Mittlerweile spielt man vor verschlossenen Türen in Pisa. Das zertifizierte Budget für die abgelaufene Saison wurde um mehr als 900.000 Euro überschritten, daher wurden satzungsgemäß sämtliche Finanzgeschäfte eingefroren und somit jegliche Baumaßnahmen am Stadion torpediert. Es sei denn, man würde eine Sicherheitsbürgschaft beibringen, was natürlich wiederum wegen der unklaren Verhältnisse unmöglich war. Hardliner Tavecchio unterstrich einstweilen, dass eine Mannschaft laut Regularien aus dem Vereinsregister gestrichen wird, wenn sie vier Mal nicht antritt. Am Abend des 31. August vermeldeten die Nachrichtenagenturen das endgültige Scheitern der Verhandlungen mit Dubai. Man hatte sich zwar auf 6,2 Millionen Euro als Preis geeinigt, nicht aber über die Zahlungsmodalitäten.

Die ewige Wiederkehr des Gleichen

Das hatte man auch am 31. August nicht, der Transfermarkt war somit abgeschlossen, auch am Tag darauf warteten die Fans vergeblich auf weißen Rauch aus dem Hauptquartier. Die Ultras von Pisa forderten in einem Kommuniqué Klarheit ein und Lorenzo Petroni, Sohn des inhaftierten Präsidenten, erklärte für seinen Vater, dass er den Verein viel lieber an den Geschäftsmann Maurizio Mian abgeben würde, denn „bei den Investmentfonts weiß man ja nie, wer dahinter steckt“. Mian beeilte sich zu versichern, dass er überhaupt kein Interesse am Erwerb eines Fußballvereins habe, der „Käufer müsse Equitativa von Pablo Dana“ sein. So sollte es dann auch kommen: Gegen 22.30 Uhr traf die erhoffte Nachricht ein, die Parteien hatten eine Einigung getroffen und einen Vorvertrag unterschrieben. 20 Minuten später gab Gattuso zu Protokoll „Wir sehen uns morgen, Training in der Arena“. Jubel allerorten.

Quis custodiet ipsos custodes?

Am 21. September, die vertraglich vereinbarte Anzahlung von 310.000 Euro seitens „Equitativa“ wurde nie bezahlt, holt Gattuso bei Canale 50 zum Rundumschlag aus. Die Situation wäre nicht aushaltbar, Existenzen würden an ausstehenden Zahlungen hängen, jeden Tag würde er mit Geschichten konfrontiert, die nichts mit dem Fußball zu tun hätten, weder er noch seine Angestellten würden Gehälter beziehen. „Das sage ich auch denen, die kontrollieren: wer kontrolliert denn eigentlich das Ganze? Ich höre seit Jahren vom Problem der Wettmafia: und trotzdem, wer kontrolliert? Man muss kontrollieren! Sonst passieren merkwürdige Sachen. Es reicht nicht, zu reden und Kommuniqés herauszugeben.“ Am 29. September vermeldete Lorenzo Petroni, dass man nun versuchen werde, Pisa in der 2. Liga „zu stabilisieren“ und „nach neuen Partnern zu suchen“.

Zwielichtige Gestalten als Vereinseigner, gefälschte Bürgschaften, kreative Finanzbuchhaltung, namenlose Investoren aus dem nahen oder ferneren Osten, unbezahlte Rechnungen und Fans am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das erinnert nicht nur sehr präzise an Parma, sondern an die Lage viel zu vieler Clubs in einem Land, das in der Wirtschaftskrise einfach nicht in der Lage ist, über 100 Profi-Teams zu unterstützen. Und so sind Meldungen über diskutable Gestalten, Verhaftungen und ungezahlte Gehälter unterhalb der Serie A eher die Regel als die Ausnahme. Händeringend bemühen sich die Ligen, die Startplätze irgendwie voll zu bekommen und dafür werden alle Augen zugedrückt und auch noch jedes bedruckte Butterbrotpapier als valides Dokument akzeptiert. Insbesondere, wenn es sich um einen Verein wie Pisa handelt und nicht Maceratese oder Tuttocuoio. Meldungen, das Lega Pro-Teams bei asiatischen Wettbörsen gegen sich selber wetten, um sich „Gehälter“ auszuzahlen, locken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Seriöse Investoren sind derweil ebenso nicht in Sicht wie volle Stadien. Weiter, irgendwie weiter.

Endlich hart Durchgreifen

Nach einer kurzen Auseinandersetzung zwischen Ultràs von Pisa und denen von Brescia am 17. September greifen die Offiziellen aber wirklich hart durch: 8 Festnahmen, 84 Anzeigen und Stadionverbot für alle. In der Kurve ist man sich sicher, dass der lautstarke, kreative und vor allem von der ganzen Stadt unterstützte Protest der Fans hinter dem überharten Durchgreifen der Autoritäten steht. Organisierten Protest, der den Dreck unter dem Teppich hervorkehrt, kann auch niemand gebrauchen. Und endlich kann man einmal Stärke und Durchsetzungsvermögen zeigen.

Nach sechs Spieltagen belegt Pisa mit 11 Punkten einen hervorragenden 4. Platz. Man darf gespannt sein, ob sie die Saison auf einem Tabellenplatz beenden.

-Stand 30.09.2016-

3 Antworten auf „Pisa und kein Ende“

Oder das reduzieren der üppigen Spielergehälter. Oder das man wieder mal die Stadien voll bekommt durch gewisse „Maßnahmen“ 😉

Ich bin ja nicht gerade als Optimist verschrien, aber ich denke, das wird genau so kommen. Das Land kann sich in der derzeitigen Wirtschaftslage einfach keine > 100 Profiteams leisten und ganz unabhängig vom Bla Bla ist Geld eben keine Meinung. Ein erster Schritt wäre die seit 10 Jahren überfällige Reduzierung der ersten drei Spielklassen.