Die Sicherung der öffentlichen Ordnung bei Fußballspielen in Italien ist ein kontuinuierliches Management des Notstands und das Auswärtsspiel der Dortmunder Borussia in Turin ist da keine Ausnahme. Polizeitaktiken, Deeskalationsstrategien, Fanarbeit, Dialog oder gesunder Menschenverstand werden in Italien seit zu vielen Jahren ersetzt durch Aktionismus, Inkohärenz und Populismus einer weitgehend autonom agierenden Polizei. Ich schreibe mir ja seit Jahren die Finger wund, dass der Stadionfan in Italien nur als Problem und nicht als Ressource gesehen wird. Dass anstatt den Besuch von Fußballspielen so zu organisieren, dass es für alle Beteiligten ein sicheres und angenehmes Erlebnis wird, ständig und überall nur hektische Betriebsamkeit gibt, um ein selbst geschaffenes Monster zu befrieden. Es ist immer und grundsätzlich Ausnahmezustand, ständig muss eine Krise bewältigt werden. Völlig unabhängig auch davon, ob man die Krise nicht vielleicht selbst mit verursacht hat.
Wie die Holländer unter der Woche in Rom bewiesen haben, haben die Sicherheitsbehörden in Italien mittlerweile verlernt, mit großen Massen von Auswärtsfans überhaupt umzugehen. Nachdem die letzten knapp 10 Jahre alles daran gesetzt wurde, Auswärtsfans vom Auswärtsfahren abzuhalten, scheint niemand mehr die Kompetenz und Erfahrung zu haben, mit solchen umzugehen. Zumindest, wenn es mehr als 10 sind. Kulminiert war das unter der Woche von der Aussage „Wir waren völlig überrascht, die Holländer sind nicht für Ausschreitungen bekannt.“ Nun, die Kollegen in Turin wollten es besser machen, wollten ihren Römer Kollegen ganz offenkundig beweisen, wie toll man im Norden für Sicherheit sorgen konnte.
Wobei man unterstreichen muss, dass „Sicherheit“ weiterhin nur der Vorwand ist, Menschen davon abzuhalten, ihr Team irgendwohin zu begleiten, das mehr als 15 Meter vom heimischen Kühlschrank entfernt ist. Und so wurden die gut zweitausend Borussen – die im Übrigen am Vorabend fröhlich, laut und vollkommen friedlich in einem Pub in der Turiner Innensstadt feierten – vor dem Gästeblock von einem besonders martialischem Aufgebot von Celere, Digos, Carabinieri und Guardia di Finanza empfangen. Mit aufgesetzten Helmen, gezückten Schilden und zufällig ineinander klatschenden Handschuhen oder zufällig im Takt auf die Schilde schlagenden Gummiknüppeln. So schafft man Vertrauen, so befriedet man Fans, so empfängt man Gäste. Wohlgemerkt: Im Auswärtsparkplatzkäfig fanden sich Normalos, Eventies, Frauen, Pensionäre, Kutten, Rocker und was auch immer zu Fußballspielen fährt, nicht etwa nur „Problemfans“. Die Fans sind das Problem.
So gründliche Kontrollen habe ich bei keinem bisherigen Auswärtsbesuch in diesem Tempel des modernen Fußballs jemals erlebt: Wo zweitausend Milanisti üblicherweise in 20 Minuten in den Block gebracht werden, bildeten sich gestern endlos dauernde Schlangen: Auf dem februarkalten Boden musste jeder einzelne seine Schuhe ausziehen und wurde ausgiebigst bis in den Intimbereich befummelt. Völlig unverdächtige winzige Zaunfahnen wurden als „brennbares Material“ sequestriert (und später dann doch wieder herausgegeben). Das Ganze garniert mit den üblichen Provokationen, man weiß ja, wie man die gewünschte Reaktion herausfordert: Robocops mit am Gürtel baumelnden Gasmasken, die sich an der Rampe bestimmte Fans herausbellen, um sie an den Stewards vorbei selbst zu kontrollieren. Ein Einsatzleiter mit massivem Testosteronüberschuss, der einen barfuß und mit Unterhose vor ihm stehenden jungen Fan in lautester Stimmlage vor den wartenden Fans zusammenschrie. Vorher explizit genehmigtes Material wie kurze Fahnenstangen wurde kompromisslos eingezogen. Von Handy-Ladegeräten über Toro-Schals bis zu Parfumfläschchen landete alles nicht festgewachsene in den Mülltonnen oder den Taschen der herumeilenden Dortmunder Fanbetreuer. Das alles garniert durch das allfällige Stupsen, am Ärmel ziehen, antatschen zum Zwecke der Provokation der endlose Minuten in der Reihe stehenden und sichtlich genervten Borussen.
Kurzum: Ich habe noch nie eine Kurve gesehen, in der am Ende so viele verzweifelte Raucher auf der Suche nach dem halben Dutzend Feuerzeuge war, die den Einlass überstanden hatten. Oder so viele Fans mit um den Unterarm gewickelten Tape-Resten, weil sie die Rollen nicht mit hinein nehmen durften. Es gibt aber auch Positives zu berichten: nach minutenlanger Inspektion durch den Einsatzleiter durfte ein Döschen mit Kontaktlinsen mit in den Block genommen werden. Ist ja kein Unmensch.
Ja, es war sicher. Ja, es wurde keine böse Pyrotechnik gezündet. Aber um welchen preis? Ich ahne, dass die meisten der mitgereisten Deutschen lieber den vorbeiziehenden Rauch eines Bengalos toleriert hätten, als die erniedrigende und völlig respektlose Behandlung seitens der Turiner Sicherheitskräfte. Vielleicht war da auch der andere, der die Sache wohlwollend hingenommen hat, weil die ungeliebten Ultrà s ja auch betroffen waren, aber in der Mehrheit scheine ich doch bei der Mehrheit eher extreme Genervtheit verspürt zu haben. Vermeidbare Genervtheit. Sicherheitskräfte, die – ich werde nicht müde, das zu unterstreichen – von eben jenen Fußballfans qua Steuergelder dafür bezahlt werden, für ein „sicheres Stadionerlebnis“© zu sorgen. Und am Ende dann doch nur jene enervieren, die sie ja theoretisch beschützen sollen. Deren Aufgabe sich aber mittlerweile verselbständigt hat und die völlig frei von irgendwelchen Absprachen oder auch nur gesundem Menschenverstand ihr eigenes Spiel spielen. Und so war meine Antwort auf jedes stumme oder geschriebene „Warum?“ immer nur „Weil sie’s können.“
Es war übrigens allein der extrem besonnenen Reaktion der Dortmunder Fans zu verdanken, dass die Situation am Einlasskäfig gestern nicht eskalierte.
5 Antworten auf „Der Preis der Sicherheit“
[…] in Leipzig organisiert. Ich war mit dem Domenico Mungo in Jena und Berlin, stand in Neapel und Turin mit Dortmund am Eingang und bei den Rivalen von der Curva Nord auf der […]
[…] einer Politik, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Fankultur im Fußball vernichtet hat. Von namensgebundenen Tickets über die Drehkreuze am Einlass bis zur Plastikkarte, um Auswärtsspiel… Man wollte um jeden Preis auf seinem angestammten Platz bleiben, auch als es klar auf der Hand lag, […]
[…] einer Politik, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Fankultur im Fußball vernichtet hat. Von namensgebundenen Tickets über die Drehkreuze am Einlass bis zur Plastikkarte, um Auswä… Man wollte um jeden Preis auf seinem angestammten Platz bleiben, auch als es klar auf der Hand lag, […]
[…] der Blick in eine deutsche Zukunft lesen, in der zu viele Menschen auf Ralf Jäger gehört haben (Altravita). Die liebenswerten Seiten von Ultrafans zeigt das Blog-Projekt Ultra […]
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