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ACAB – Der Film

Ich persönlich war ja sehr begeistert von Carlo Boninis Buch „ACAB“ und hatte das in meiner seinerzeitigen Rezension auch gebührend kundgetan. Auch weil der provokant gemeinte Titel Leser enttäuscht, die sich von Bonini eine gnadenlose Abrechnung mit der kasernierten Bereitschaftspolizei erwarten. Der im Folgenden kurz umrissene Film wurde unter dem Motto „ACAB ist kein Film“ von den italienischen Fankurven boykottiert, ein in Klammern stehendes „sondern eine Lebenseinstellung“ oder „sondern eine Wahrheit“ darf man sich dabei gern dazudenken. Nun bin ich der erste, der nachvollziehen kann, dass man sich wenn man die ersten paar Male in einen Polizeikessel der „Celerini“ geraten ist, nicht mehr unbedingt mit den verschiedenen Schattierungen, Beweg- und Hintergründen von Polizeigewalt auseinandersetzen möchte. Trotzdem lohnt sich das Buch, denn Verständnis ist immer wünschenswert, dummerweise ist die Welt ja niemals schwarz und weiß und in Italien sowieso meist braun. Der Film greift diesen Gedanken auf, als die Polizisten zum ACAB-Song der „4 Skins“ grölend durch die Flure der Kaserne pogen. Und überhaupt: „Bevor man entscheidet, wer Unschuldige und Schuldige sind, müsste man sich wenigstens fragen, wie die Arbeit der Celere funktioniert.“

Trailer:

Bonini wurde eine Art „Stockholm-Syndrom“ vorgeworfen, weil er sich sehr nah an seine Protagonisten heranwagt und Erklärungen sucht, wo die natürliche Reaktion Abscheu und Ekel ist. Dem folgt der Film, der größtenteils von atmosphärisch sehr dicht in Szene gesetzten Dialogen getragen wird. Die „Action-Szenen“ sind zwar toll umgesetzt (hundert Mal besser als bei Stefano Calvagnas unsäglichem Machwerk „L’ultimo ultràs“) und packend, für Liebhaber des gepflegten Riot-Films aber viel zu wenige. Brutale Polizeigewalt wird gnadenlos gezeigt, als Beispiele mögen hier das Zusammenknüppeln einer Gewerkschaftsdemonstration von Familienvätern oder das blutige Zusammenschlagen des friedlichen Napoli-Fans im Zug gelten. Aber eben auch ein tiefer Messerstich in den Oberschenkel oder ein Stein ins Gesicht der Celerini. Allerdings muss man das Buch gelesen haben, um den häufig relativ unvermittelt aufeinanderfolgenden Episoden einen Sinn zu verleihen. So wird im Film weitgehend ausgeblendet, dass die Protagonisten sich anläßlich der Proteste gegen den G8 2001 in Genua kennenlernen, ein Umstand der zwar Kern des Buches ist, im Film allerdings nur in sehr kurzen Dialogsequenzen und einer Rückblende auftaucht. Nun sind Bücher ja fast immer besser als Verfilmungen, bei ACAB ergeben sich allerdings teilweise echte Verständnisprobleme, die sich nicht alle durch das hingenuschelte Pseudo-Neapoletanisch der Polizisten erklären lassen.

Trotzdem halte ich ACAB für keinen schlechten Film, man muss sich nur auf ihn einlassen. Was schwer fällt, wenn man die hartgesottenen Celerini bei ihrem Tagwerk betrachtet. Boninis Lieblingsthema ist aber die Erklärung der gesamten italienischen Gegenwart durch Faschismus. Hier hätte ich an anderer Stelle noch einmal Diskussionsbedarf, im Rahmen des Films ist seine Linie aber stimmig. „Mazinga“ – hervorragend gespielt von Marco Giallini! – wird aufgerieben zwischen körperlichen Auseinandersetzungen mit Neonazis und dem Abdriften seines Sohns in eben jene Szene. „Negro“ baut den Frust über seine Scheidung bei Prügelorgien ab und Pierfrancesco Favino spielt den knallharten „Cobra“ so bestimmt, dass man am Ende glaubt, der Mann wäre mit dem Schlagstock in der Hand geboren worden. Allen gemeinsam ist eine rechtsnationale Gesinnung, der Glaube, vom Staat in einen nicht zu gewinnenden Krieg geschickt zu sein und die Gewissheit, dass man sich am Ende nur auf seine Kollegen an seiner Seite verlassen kann. Illustriert wird das unter anderem durch die Szene, als Cobra in der Verteidigung eines Kollegen zu erklären versucht, wie es sich anfühlt, wenn man ins „Kampfgebiet“ einrückt mit dem Wissen, dass „die einzigen, auf die man sich verlassen kann, die Brüder an seiner Seite sind.“

Dabei werden Dialoge geführt und Personalien gezeichnet, die so auch 1:1 von Ultràs „auf der anderen Seite“ stammen könnten. Auch hier macht sich rechtsextremes Gedankengut breit, auch hier fühlt man sich von Politik, Staat und Gesellschaft verraten und auch hier schwebt der Tenor durch die Szenen, dass man sich am Ende des Tages nur auf seine Brüder verlassen kann. Dass hier Lebenswege gezeichnet werden, die im selben Stadtviertel begannen, dieselbe „politische“ Laufbahn verfolgen und nur relativ zufällig auf die eine oder andere Seite der Schilde der Polizeikette führen, ist in Boninis Logik schon fast zwingend. Denn zu trauriger italienischer Realität gehört auch, dass „Cobras“ Truppe ein illegales Roma-Lager brutal räumt, weil sonst jugendliche Nazibanden „den Job“ übernommen hätten. Und wieder steht man sich gegenüber in einem Konflikt, den eine politische Klasse zu verantworten hat, die sich insgeheim die Hände reibt, wenn der rechte Bodensatz der Gesellschaft die Drecksarbeit erledigt.

Man muss nicht mit Boninis Thesen konform gehen und vor allem beantworten weder Film noch Buch, warum die jeweiligen „Gegner“ sich beide von faschistischem Gedankengut angezogen fühlen und versuchen, „Probleme“ durch direkte körperliche Gewalt zu lösen. Sicherlich wird niemand zum Dienst in der der „Celere“ gezwungen und es gäbe für die Figuren sicherlich genügend Momente, einen Schritt zurückzutreten und die Sinnfrage zu stellen. Vielleicht wecken die zahlreichen stillen Dialoge, die familiären und finanziellen Probleme der Protagonisten, deren „Menschlichkeit als Grundlage ihrer Unmenschlichkeit“ mehr Sympathien beim Zuschauer, als durch die Darstellung exzessiver Polizeigewalt wieder wettgemacht wird. Trotzdem halte ich ACAB für einen sehenswerten Film, der zumindest versucht zu erklären, dass auch hinter Polizisten Biografien und Lebensläufe stehen. Lebensläufe, die das Handeln mit Sicherheit nicht rechtfertigen, aber mehr Lösungsansätze bieten als ein plattes „Bullen sind eben Bastarde“. Das sind „Cobra“ und seine Bande mit Sicherheit, sie sind nur nicht als solche geboren.

Der Film schließt mit den Auseinandersetzungen in Rom am Abend nach der Tötung von Gabriele Sandri. „Die wollen einen von uns. Heute ist der Tag der Abrechnung.“ ACABs größte Stärke ist der Einblick in einen italienischen Konflikt, in dem junge Polizisten und Jugendkulturen von Skinheads bis Ultràs stellvertretend für eine echte politische Auseinandersetzung jedes Wochenende aufeinander losgehen. Dass beide Seiten dabei oftmals dasselbe Gedankengut glorifizieren, dieselben Werte wie „Ehre“, „Männlichkeit“, „Treue“ abfeiern, aus denselben Verhältnissen stammen und – wenn man sie denn ließe – auch dieselben Lösungen für gesellschaftliche Probleme anstreben würden, ist bei Bonini fast schon zwangsläufig. Hier könnte man mit einer echten Kritik ansetzen, in der Logik des Films passt das alles bestens. Antworten darauf möchte Bonini nicht geben, die Darstellung der Abwasserkanäle der italienischen Gesellschaft, in denen die Scheiße entsorgt wird, ist ihm gelungen.

Eine weitere Rezension gibt es bei MovieReporter.

Den Film – leider nicht das Buch – gibt’s bei Amazon oder beim Kinoportal eures Vertrauens

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