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Wichtig ist auf dem Platz

Relegation. Der gewollte Spannungshöhepunkt der Fußballsaison trägt Früchte. In Braunschweig sorgen aus dem Block geworfene Böller für ein Knalltrauma bei einem Ordner, schaltet die in der ersten Halbzeit hervorragende Stimmung ab und bringt die eigene Mannschaft aus dem Konzept. In München werfen wütende 1860-Fans Gegenstände aufs Spielfeld und verursachen eine Spielunterbrechung (der Spiegel-Online-Korrespondent weist in seinem kurzen Beitrag gleich fünfmal darauf hin, dass es sich um „Stangen“ handelte). Damit ist die von weiten Teilen des Stadions getragene Kritik an der Turbokommerzialisierung des DFB-Pokalfinals, die zu einer Reihe durchaus reflektierter Artikel führte, auch schon wieder dahin. Hardy Grüne fasst das Unbehagen von Menschen ganz gut zusammen, die zwar gegen die Vollkommerzialisierung des Fußballbusiness sind, aber deswegen nicht zwingend gutheißen, Dinge auf Menschen zu werfen.

Als Beobachter und gemeiner Fan steht man dazwischen und droht zerrieben zu werden. Mag die selbsternannten DFB-Krieger mit ihren Sturmhauben und feuchten Pyro-Träumen nicht unterstützen, teilt zugleich aber die inhaltliche Kritik am DFB als stellvertretendes Objekt für den Wandel des Fußballs insgesamt. Eine Diskussion, die längst ausgeartet ist. Wer mit den Pyrokriegern argumentiert, wird aus ihr ausgeschlossen, da er es angeblich mit „kriminellen Banden“ hält. Wer die Entwicklung im Profifußball kritisiert, kommt wahlweise in die Schublade des „Anti-Kapitalisten“ oder des „Traditionalisten“ und verwirkt sein Recht auf Meinung und Stadionbesuch, da „der Profifußball nun mal kapitalistisch“ sei. Nachgetreten wird dann auch noch, denn im Fußball sei doch eh längst „bis in die Kreisklasse alles von Geld verseucht“.

Es ist keine gute Zeit für Zwischentöne. Die übergroße Mehrheit der Menschen geht nicht in Fußballstadien, hat aber trotzdem eine starke Meinung zum Geschehen dort. Es ist auch viel einfacher, eine starke Meinung zu Dingen zu haben, von denen man nicht selbst betroffen ist. Man kennt das: Die Kommentarspaltenschreiber, die verlässlich lebenslange Haftstrafen für Pyrotechnik und „härtere Gesetze“ fordern sind dieselben, die wenn sie geblitzt werden, wütend darauf hinweisen, dass die „Abzocker“ der Polizei ihre Blitzer nur dort positionieren, wo man das meiste Geld verdienen kann. Danke Merkel!

Wer vorsichtig darauf hinweist, dass die Sechziger womöglich ein paar Jahre aufgestauten Frust zu verarbeiten hatten und am Ende so viel ja auch gar nicht passiert sei, ist „einer von denen“. Kritik am Leipziger Marketingvehikel eines bekannten Energydrinks wird mit dem Totschlagargument gekontert, dass der BVB ja wohl auch Millionen ausgibt. Nichts zu machen, Zwischentöne sind im Moment nicht en vogue, die Welt ist komplex und einfache Wahrheiten helfen, sich darin zurechtzufinden. Selbst wenn es sich nur um gefühlte Wahrheiten handelt. Gewöhnt euch daran. Der mächtigste Mann der Welt wurde von Menschen auf seinen Posten gehoben, die nur die Überschriften lesen.

Noch Ende der 90er standen ARD-Reporter inmitten eines Platzsturms mit Einsatz von Pyrotechnik auf dem Platz und bewunderten die südländische Atmosphäre, die heute rundheraus gewalttätig ist und weinende Kinder hervorbringt. Weinende Kinder sind auch so ein Totschlagargument, das Zwischentöne verbietet. Da können Stadionbesucher mit Kindern noch so oft darauf hinweisen, dass ihr Kind noch nie geweint hat. Wer beispielsweise von Bengalos erleuchtete Fankurven atemberaubend findet, Böller oder das Werfen von Pyro aufs Spielfeld aber doof, findet keinen Platz im Diskurs. Zu viel Differenzierung würde die Zuschauer nur überfordern, die sich im heimischen Wohnzimmer wohlig in ihrer moralischen Deutungshoheit aalen und zudem genau wissen, wie viele krebserregende Stoffe so eine Seenotfackel wohl enthält.

Nö! Die Welt ist komplex und nur weil eine Lösung einfach klingt, ist sie nicht automatisch richtig. Oder überhaupt eine Lösung. Am Fußballzirkus nehmen Millionen Menschen Anteil und jeder einzelne von ihnen vertritt richtige und falsche Ansichten. Manchmal komplett entgegengesetzte, aber wenn der Fußball weiterhin ein Spektakel – und, ja, ein Business, warum denn auch nicht? – bleiben soll, das Millionen von Menschen verbindet, dann wird man Kompromisse finden müssen. Das erfordert die Bereitschaft, eigene Positionen infrage zu stellen und die Meinung des anderen mit einzubeziehen. Dafür müssen die Fakten auf den Tisch, die Diskussion von angstgetriebenen Empörungswellen wird nicht weiterhelfen.

Stadionfans wie Fernsehfans hätten eine ganze Menge Möglichkeiten, nicht in die Empörungsfalle zu tappen: Bengalos gehören in die Hand und nicht auf den Platz und Böller haben im Stadion nichts zu suchen. Bengalos sind aber weder „Gewalt“ noch „Bürgerkrieg“, sondern das, was man in anderen Lebensbereichen eine Ordnungswidrigkeit nennen würde. Wie zu schnell fahren, für das gemeinhin keine lebenslangen Haftstrafen fordert. Warum? Weil die Mehrheit davon betroffen wäre. Die Umwandlung eines Pokalfinals in den ZDF Fernsehgarten auszupfeifen ist eine demokratische Meinungsäußerung und „Krieg dem DFB“ ist eine bewusst überspitzte Polemik, um Kritik zu äußern, die auch Menschen verstehen, die nur die Überschrift lesen. Die Dresdner sind nicht wirklich mit Panzern vorgefahren.

Kurzum, viele Millionen von Menschen interessieren sich für Fußball und täten gut daran, miteinander auszukommen und Kompromisse zu finden, diese allergroßartigste Sache der Welt so zu gestalten, dass sie alle Spaß daran haben. Kommerzialisierung bedeutet nicht, dass Red Bull und der BVB dasselbe sind und Gewalt bedeutet nicht, dass Bengalos dasselbe sind wie Flaschenwürfe auf Fanbusse. Nicht alle Fußballfans sind Verbrecher, nicht alle Polizisten sind Bastarde und nicht alle Journalisten denken sich Bürgerkriege aus. Dazwischen gibt es viele Millionen mehr oder weniger gerechtfertigter Auffassungen, die nimals miteinander in Einklang zu bringen sind. Das – anstrengende – Ringen darum, dass die alle ihre Begeisterung ausleben können, nennt man Demokratie. Ein bisschen Anstrengung ist der Fußball wert, zu kritisieren gibt es genug. Er sollte es uns wert sein.

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