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Weißt du noch, damals?

Hey, Fußball, bist du noch wach? Hab grade an dich denken müssen und…naja, ich schreib dir einfach mal. Weißt du noch, damals vor 30 Jahren? Eigentlich war schon auf den ersten Blick war klar, dass es was ernsteres werden sollte. Ich erinnere mich noch an jedes Detail unseres ersten Mals. Dein Duft nach Bier und Filterlosen, nach Schweiß und Staub. Es war ein unsäglich heißer Juninachmittag, als ich dir das erstemal in die Augen schaute und du einfach so zurückgelächelt hast. Ich wollte nie wieder irgendwoanders sein. Seitdem haben wir unendliche Stunden miteinander verbracht, in Reichsbahn-Zügen, Ikarus-Bussen oder auf stinkenden Motorrädern aus Zschopau, zu viert auf einem rostigen Geländer oder die blauen Sitze des zweiten Oberrings im San Siro-Stadion herunterrollend. Betrogen habe ich dich nie, das ist nicht der Grund und das weisst du ja auch. Ich schaue auch heute noch, was du so machst, selbst wenn es weh tut.

Was du so machst? Du hast dich verändert und ich bin geblieben. Ich konnte einfach nicht mit dir Schritt halten. Ein Transfermarkt, der mittlerweile offensichtlich ganze Mannschaften umfasst. Aguero, das ewige Talent, wechselt zu Manchester City für 42,5 Millionen. Der smarte Leonardo schickt satte 43 Millionen nach Palermo, um sich dort einen Spieler namens Pastore zu sichern. Der Herrscher des gesamten bekannten Fußball-Universums, Barça, verguckt sich in einen gewissen Alexis Sanchez und ist der Meinung, der Mann würde für moderate 37,5 Millionen das Team weiter verstärken. Real Madrid möchte dem nicht nachstehen und schnappt sich am Wühltisch den Außenverteidiger Coentrao für 30 Millionen. Suarez von Ajax zu Liverpool für 26,5 Millionen. Und demnächst bestimmt auch Neymar von Santos, für den Real Madrid ernsthaft 45 Millionen auf den Tisch legen möchte. Financial FairPlay, Leihen mit Kaufoption, Schuldverschreibungen, Leasings, Multifunktions-Arenen, Public Viewing, Event Sponsoring. Mannomann, da dreht sich einem ja der Kopp.

Bei PSG und City haben die Scheichs das Sagen, Málaga idem. Bei Roma und ManU versuchen sich Amerikaner. Chelski ist schon ein alter Hut. Real Madrid gehört dem spanischen Steuerzahler und bei Milan diskutiert man den Einstieg frischen Kapitals aus sonstwo. In Deutschland, wo die 50+1-Regel wenigstens das Gesicht wahrt, gesellte sich vor ein paar Jahren auch ein Dorf namens Hoffenheim zu den bekannten Betriebssportgemeinschaften aus Leverkusen und Wolfsburg. Xamax gehört soweit man weiß einem Tschetschenen und auch 1860 gibt es noch. Salzburg gehört schon seit längerem einem Hersteller von aufgelösten Gummibärchen in Dosen und hat mal eben Vereinsfarben, Namen und auch sonst alles umgepflügt. Erstaunliche Vertragsangebote aus dem Fußball-Entwicklungsland USA oder nur Insidern bekannten Kaukasus-Republiken sind nur noch Randnotizen wert. Blatter verschachert vergibt Fußball-Weltmeisterschaften in die Wüste und Zwanziger liebt ihn auch dafür.

Und ich, ich freue mich auf eine Saison, in der ein gewisser Ibrahimovic (Ex-Ajax, Ex-Juve, Ex-Inter, Ex-Barca), Zambrotta (Ex-Juve, Ex-Real) und Robinho (Ex-Real, Ex-City) hoffentlich den Ton angeben werden. Völlig normal. Genauso normal, wie Neuer der zu Bayern wechselt und Seedorf, der viermal die Champion’s League mit drei verschiedenen Vereinen stemmt. Oder der Holländer van Nistelrooy, der nach ManU, Real und HSV jetzt für Màlaga kickt. Heilsbringer und Jesus‘ Stellvertreter auf Erden Josè Mourinho beginnt 5 Minuten nach dem Gewinn der Champion’s League mit Inter die Vertragsverhandlungen mit den Königlichen aus Madrid.

Du hast ja recht, wenn du sagst, dass du nicht ewig in zerrissenen Jeans und weißen T-Shirts herumlaufen willst. Dass du jetzt richtig Geld verdienst und Karriere machst. Dass es damals schon irgendwie cool war, aber jetzt bist du ein Star und Leute auf der ganzen Welt beten dich an, nicht nur die paar verpeilten Möchtegern-Alkoholiker, die eh nicht wissen, wohin mit ihrem Leben. Du hast jetzt Spieler, die eben noch unter der Kurve das eine Wappen ablecken und dies nächste Saison mit dem Trikot des Derbygegners tun. Einstmalige Publikumslieblinge, die nur ein paar Monate später Tore des Hassgegners bejubeln. Stadien, die alle zwei Jahre den Namen wechseln. Anstoßzeiten, die bestimmt auch bald mal Montags 9.35 Uhr lauten, weil das „den asiatischen Markt erschließt“. Ein italienisches Supercup-Finale, das in Peking ausgetragen wird. Sky überträgt das Topspiel demnächst in 3D und eigentlich läuft ständig irgendwo Fußball. Oder was man so dafür hält. Italien streitet sich immer noch um die Vergabe des 2006 von überhaupt niemandem regulär gewonnenen Titels, ist derweil aber schon in den nächsten Wettskandal verstrickt.

Nein, meine Liebe, ich konnte dir nicht folgen. Damals, als wir beide aus demselben Viertel kamen und unser größter Erfolg der Gewinn des FDGB-Pokals 1950 war, war alles einfach, wir brauchten nur die 90 Pfennige und wenn nicht, dann kletterten wir einfach über den Zaun. Zuerst mit Papi auf der Tribüne, wo ich wie jeder kleine Junge kaum dem Spielgeschehen folgte sondern dem Trara auf der Gegengerade, wo „Halbstarke“ und „Rowdies“ böse Sachen sangen und mit Klopapier, Kassenrollen oder selbstgeschnitztem Konfetti um sich warfen. Zwischen mir und dir lag maximal eine rötliche Laufbahn und aus den kiesbeschippten Stufen wuchs all das Zeugs, das man im eigenen Garten nicht haben möchte. Die kostbaren Bälle landeten – besonders gegen Spielende – gern mal in der hinter der Tribüne gelegenen Bode und mussten von dort mit Stangen herausgefischt werden. Aber wenigstens war unser Platz halbwegs eben und man musste nicht eine Halbzeit lang bergauf spielen wie in Wernigerode. Weisst schon, Liebe macht blind. Damals sang U2 „Sunday Bloody Sunday“ und Bono hat noch nicht im Glitzeranzug die Welt gerettet.

Ich erinnere mich an den damals noch aufregenden und irgendwie melancholischen Geruch nach widerlichen Ost-Zigaretten, die aber irgendwie „erwachsen“ bedeuteten. Langhaarige Kerle in Jeanswesten, denen eine braune Bierflasche in der Hand festgewachsen war. Busfahrten, die stundenlang dauerten, weil alle 50 Meter jemand pissen musste. Bescheuerte Auswärtsfahrten mit der MZ durch’s winterliche Sachsen Anhalt, nur um festzustellen, dass in Leuna niemand wusste, dass die überhaupt ein Stadion und eine Mannschaft haben. Die ewig gleichen Bockwürstchen im ewig gleichen Brötchen für 80 Pfennige, die man bar zahlen musste, nicht mit einer aufladbaren Plastikkarte Ein paar Spielzeiten in der NOFV-Liga Nordost, die mich lehrten, dass es in Berlin Fußballplätze gibt, wo du sie am wenigsten erwartest. Die Eintrittskarten kamen von der Rolle und man kaufte die einfach so an der Stadionkasse. Wenn ich dich sehen wollte, kontrollierte mir niemand die Hosentaschen und wenn wir uns hauen mussten, schauten die paar Ordnungshüter aus Versehen in eine andere Richtung. Wir mussten das ja auch nicht im Internet dokumentieren, wir haben einfach immer gewonnen und basta.

Stars hatten wir keine, aber wir hatten unsere Stars. Olaf Adamczak heiratete die Schwester meines Kumpels. Einem gewissen Dariusz Wosz konnte ich an der Werkbank neben mir erzählen, was ich von seinem Auftritt am Sonntag hielt. Meine Helden hießen Häußler, Wiermann oder Uli Schulze. Die trugen damals noch keinen Namen auf dem Trikot, die erkannte man auch so, weil sie solange für für uns kickten, bis das Kreuzband endgültig schnappte oder das Halbzeit-Bier die Leistung versaute. Nach dem Spiel warteten wir solange unter dem Sprecherturm, bis jemand alle Ergebnisse zusammentelefoniert hatte und sie per Lautsprecher durchgab. Ansonsten gab es Bezirksliga-Ergebnisse nur Sonntagmorgens um 8 auf irgendeiner knarzigen Radiostation, deren Name mir entfallen ist. Dafür wussten wir aber auch, auf welchem Tabellenplatz wir die gesamte nächste Woche stehen würden. Und nicht nur bis zum Abendspiel.

Ich habe jetzt auch ein Kind, du wirst das nicht wissen. Du bist ja jetzt berühmt. Er ist elfeinhalb und kann alle deine Transfers der letzten 5 Jahre aufzählen und hat sein Team schon in drei Champion’s League-Finals gesehen. Aber ein 5:0 gewonnenes Derby gegen Motor Quedlinburg, bei dem 90 Minuten lang „Arbeiter du Arschloch“ über den Sportplatz der Betriebssportgemeinschaft donnerte, weil der Herr Arbeiter es irgendwann mal gewagt hatte, zum 10 Kilometer entfernten Stadtrivalen zu wechseln, sowas kennt er nicht. Und dafür tut er mir unendlich leid. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir gemeinsam die Straße runtergegangen sind, den selbstgestrickten grün-weißen Balkenschal um den Hals und in der Hosentasche ein paar Groschen. Über die Bahnschienen, an der „Forelle“ nach rechts und dann am Fluß lang bis die Flutlichtmasten auftauchten. Danke für die schöne Zeit und viel Glück. Ich wollte dir nur schreiben, dass ich immer noch ab und zu mal an dich denke. Und komm, beim vierten Tor der Dresdner gegen Leverkusen, da hast du doch auch an mich gedacht.

81 Antworten auf „Weißt du noch, damals?“

Ich habe mir diesen wunderschönen Text immer wieder mal durch und bekomme jedesmal feuchte Augen, beim Anblick der sich stets verschlechternden Situation. Meine Entscheidung mich von diesem ganzen Mist abzuwenden ist zwar längst gefallen, dennoch lese ich gerne hier und wollte nur nochmals ein positives Feedback hier hinterlassen. Leute wie du sind für mich der Beweis, dass es noch Menschen in den ausser Kontrolle geratenen Systemen gibt, die Herz und Hirn haben und kritisch all den macht- und geldgierigen Elementen gegenüberstehen.
Schönen Gruß

vielen lieben dank für das lob. unglaublich, wie viel der text vor 8 jahren schon vorwegnahm; wenn ich gewusst hätte, wie sich die geschichte danach entwickeln würde und jetzt alles noch viel schlimmer ist… aber sei’s drum, ich habe keine ahnung, wie viel menschen bewegen können, aber wenigstens drüber schreiben ist mir ein bedürfnis.

Ja, das Nest hatte mal eine ganz ansehnliche Fußballtradition, die übersteht den sportlichen Niedergang eine Weile. Aber man zieht halt kaum jemanden der jüngeren mehr an.

Gab es auch nen Arbeitersport- oder Rotsport-Verein in Thale? Das wäre mal spannend. Der DFB war damals ja noch nicht das Maß aller Dinge…

Sehr schön. Ich war zuletzt freudig überrascht, als ich es bei einem Auswärtsspiel von Thale gar ein gäste-seitges Programmheft gab. Also aktive Strukturen über den Alltag eines Landesliga-Vereins offenbar durchaus noch vorhanden.

Servus
Ich sitz hier gerade vor meinem schäppigen Wndows 95 und habe einfach nur eine komplette gänsehaut vom Kopf bis zur Fussspitze
Bitte schreib öfters mal so einen lebendigen aus dem herzen geschriebenen Text. Danke dir, ich konnnte seit lange, mich in einem Text wiederfinden

Servus Kai,
bin dank deinem Facebook-Post von heute nochmal auf deinen Artikel aufmerksam geworden. Wunderbarer Schreibstil, der es mir erlaubt, mich mit meinen 20 Jahren in die alte Zeit zurückzuversetzen. Danke!
Aber ich denke, dass auch wir in der heutigen Zeit des modernen Fußballs immer noch Momente erleben, die einem zeigen, wie liebenswert der Fußball immer noch ist, die einem Gänsehaut bereiten und über die man vielleicht in 20 Jahren mit einem Lächeln noch erzählen kann. Seien es Momente im Stadion oder auf dem Fußballplatz unseres Amateurvereins. Der Fußball wird wohl immer meine große Liebe sein, egal wie sehr er durch das System zerstört wird, denn im Endeffekt ist er nicht die schönste Nebensache der Welt, sondern DIE schönste Sache der Welt. 🙂

Rot-weiße Grüße

Ciao Adrian, aber klar, weder habe ich meine Liebe so richtig verloren noch glaube ich, dass sowas heute nicht mehr möglich ist. Es ist nur so, dass die "erste" Liebe immer etwas besonderes bleibt, auf das man gern zurückschaut. Genau so wird es deiner Generation in 20 Jahren dann auch gehen. Wichtig ist, dass sie lebt, nicht wie sie genau aussieht.

FDGB Pokal Endspiel 1950 müsste SG Eisenhüttenwerk Thale – BSG KWU Erfurt 4:0
oder so gewesen sein…ja damals…datt weiss ich noch!

Genial! Ich weiß nicht, wie ich auf diesen Artikel gestoßen bin, aber ich bin total begeistert und habe es meiner Familie gerade vorgelesen. Ja es ist so wie Sie geschrieben habe! Vielen Dank für diese tollen Worte!

[…] “Hey, Fußball, bist du noch wach? Hab grade an dich denken müssen und…naja, ich schreib dir einfach mal. Weißt du noch, damals vor 30 Jahren? Eigentlich war schon auf den ersten Blick war klar, dass es was ernsteres werden sollte. Ich erinnere mich noch an jedes Detail unseres ersten Mals. Dein Duft nach Bier und Filterlosen, nach Schweiß und Staub. altravita.com: Weißt Du noch, damals? […]

Zambrotta bei Real? ;). Teilweise arg geschwollen geschrieben, obwohl ich dem Kern der Aussage schon groesstenteils zustimmen kann. Im Zeitwandel hat nunmal alles seine Vor und Nachteile! Am Ende guckt man aber doch am liebsten so viel fussbal wie moeglich!!!
Ein bisschen offtopic: Jeder Junge ist heute Barcelona Fan und übersieht trotz gigantischem Fußball, den sie zweifellos spielen, sämtliche Unsportlichkeiten. Die Söldnermentalität gehört leider mittlerweile einfach dazu.. Ausnahmen wie Totti, Raul und Robinho 😀 bestätigen nunmal die Regel

treffender hat es noch keiner geschildert.wenn man wie ich,altersbedingt dies alles noch erleben durfte(war übrigens im osten wie im westen damals gleich),dann tut es einem für alle jüngeren leid,daß sie den richtigen fußball,leider niemehr kennen lernen werden.
sie würden ihn wie der schreiber und wir alten.. lieben und ihn nichtmehr hergeben wollen.ein vorschreiber hatte gefragt ob es keine amateur mehr gibt.ich kann ihm nur sagen..wenn bereits in den untersten klassen,für 30 € im monat,der verein gewechselt wird,wie ein altes hemd,dann wohl eher nicht.
der fußball verkommt,aber die erinnerungen weden bleiben.

Na da hat es sich ja gelohnt nach der Babelsberg Rettung mal wieder vorbeizuschauen! Sehr, sehr schön geschrieben! Danke dafuer!
Ich fühle mich ertappt… Mit Babelsberg auf irgendeinem Acker in Berlin den Aufstieg in die Regionalliga gefeiert. Den Platz gestürmt, die Spieler angefasst und geheult. Und jetzt? Nur noch zu Championsleague Spielen der schwarz-blauen Mailaender.
Wenigstens gibt's noch Schlangen um für ne miese Salamella anzustehen, aber dafür ist das Bier arschkalt! Gruesse vom Randmailaender!

Hier noch ein Nachtrag vom Mann meiner Mutter, selbst ehemaliger Spieler bei Gernrode:

"Super Text! Letztes Kapitel ist Stahl Thale gemeint. Kenne die Spieler selber noch. Gegen Wiermann und Uli Schulze haben wir im FS noch gekickt!"

Verdammt geiler Text! Und verdammt, ja ich kann deine Worte nachvollziehen! Deswegen bin ich froh, dass meine Mannschaft (nur) in der 3. Liga spielt und wir dort noch echte Fussball sehen, eine echte Mannschaft und nicht nur 11 Spieler…

Danke, Frittenmeister! Ja, das mit der 3. Liga kann ich nachvollziehen. Obwohl ich es trotzdem schade finde, auf sportlichen Erfolg verzichten zu müssen, um noch ein bißchen der alten Fankultur atmen zu können. Liebe Grüße!

Sehr schöner Text!

Sind es diese Erinnerungen, die dafür gesorgt haben, dass fast jeder dem BVB den Titel gegönnt hat, weil sie es eigentlich nicht werden konnten und es trotzdem wurden, weil da ne Mannschaft auf dem Platz stand und nicht nur 11 Spieler?

Bei den anderen weiß ich nicht, aber für mich war das mit Sicherheit so. Junge Mannschaft, sozusagen aus der Asche der drohenden Pleite wiederauferstanden, noch kaum bekannte Namen, spektakulärer Offensivfussball, sympathischer Trainer, volle Hütte…und eben „Underdogs“. Also im Sinne, dass Borussia wohl vor der Saison niemand auf dem Zettel hatte. Ein Überraschungsmeister und zudem über die gesamte Spielzeit völlig dominant und locker-selbstbewusst. Doch, ich glaube so ein Meister ist mehrheitsfähig. Außer vielleicht auf Schalke.

Gruss an den KFC Uerdingen….ein Augsburger jung

Schön verfasster Kommentar zu dem oberen Artikel

Schöner Text, ich hab mich gestern richtig gefreut, als in meinem Reader mal wieder dein Blog fett hinterlegt war. Nach einmal drüber schlafen sehe ich mich heute auch befähigt mehr oder weniger intelligent zu antworten, womöglich. BTW: Lese deine Einträge über den italienischen Fussball, bzw. die Szene seit Ende 2009. Ist also auch einmal Zeit für mich DANKE dafür zu sagen!

Ich gebe dir größtenteils Recht, sicher ist das alles nicht mehr so wie es früher mal war. Die Freiheiten früher waren viel größer, der Zusammenhalt in der Gruppe war besser und es war erst Recht nicht chic zum Fussball zu gehen. “Wir” waren unter uns. Aber kann man für all das die Schuld nur bei bestimmten Personengruppe suchen? Klar, die Club-Bosse haben das Business entdeckt, die Yuppies die Business-Seats und die Presse die Nähe zu eben jenen. Aber hängt das nicht irgendwie auch ein wenige mit “uns” zusammen, damit, das auch wir “Erwachsen" wurden?

Ich habe mein Team in den letzten über 20 Jahren von der 1. Liga bis in die 6. Liga begleitet. Seit Liga 3 immer – Zuhause und Auswärts, nicht nur 5-6 mal pro Saison. Aber jetzt über den Aufstieg in Liga 5 gefreut? Ja sicher, irgendwie schon, aber so wie früher war das nicht. Euphorie auf die neue Liga? OK, die Dauerkarte liegt zu Hause, damit hat es sich dann aber auch.

Ich glaube mittlerweile auch “wir” selber, die Fanszenen, haben in den letzten Jahren “ihren” Fussball ein gehöriges Stück weit selber mit kaputt gemacht. Gerade wenn ich mir das Verhalten von 90% dessen was sich aktuell in Deutschland Ultrà schimpft ansehen und mit dem vergleiche, was "wir" ab Mitte der Neunziger aus Italien, aufgeschnappt haben. Ich stelle einmal die Behauptung auf, das heute noch einiges mehr möglich wäre, die "Grauzone" – das von dir beschriebene "in eine andere Richtung sehen der Ordnungshüter" – größer wäre, wenn nicht vor ein paar Jahren speziell auch von den Gruppen die sich als Ultrà-Gruppen definieren so dermaßen ein imaginäre Linie überschritten worden wäre das es eben heute einfach unmöglich ist, weg zugucken. Nicht immer ist die – zugegeben – bescheuerte Presse Schuld, die aus einer Mücke einen Elefanten macht, nicht immer sind es die bösen Bullen die Grundlos auf alles einprügeln was nicht bei 3 auf den Bäumen ist und auch nicht immer sind es die Bosse die nicht wollen, das die Schnittchen der VIP's mit Blut garniert werden.

Allerdings behaupte ich auch einmal: “das Früher nicht alles besser war.” Ohne das Internet – für die einen Segen, für die anderen ein Fluch – hätte es die meisten Entwicklungen in den Fanszene gar nicht oder nur sehr schleppend gegeben. Natürlich hat das Net nicht direkt Einfluss auf den Fussball gehabt, aber es bietet uns heute auch Möglichkeiten, die es früher einfach nicht gab, auch wen einige diese Möglichkeiten vielleicht falsch eingesetzt werden und immer mehr zu Copy & Paste verführen als dazu etwas selbst entstehen zu lassen.

Der Fussball als solche ist grundlegend anderes als früher, das ist richtig, aber es liegt letztlich auch an uns, was wir mit uns machen lassen. Ich bin mit meiner Art meine Sport, meinen Fussball, meine Art Fan “zu leben” heute durchaus zufrieden, auch wenn ich vieles von dem was du beschrieben hast vermisse. Vielleicht ist das aber auch schon Resignation, oder doch auch die "Freiheit" des "Amateurfussball", ich weiß es nicht genau. Egal, trotzdem noch einmal danke für’s schreiben.

Ciao Phil und auch Dir erstmal Dank für’s Lesen, Loben und vor allem für Deinen Kommentar. Der Text wird auch anderswo diskutiert und Du triffst es für mich ziemlich genau. Daher zunächst zwei Sachen vorangestellt:
1. Früher war überhaupt nicht alles besser, vermutlich war sogar das meiste Schlechter.
2. Absolut ist mein Text eine Art persönlicher Abrechnung mit meiner Jugend und weniger mit dem Fußball als solchem.
Es soll nun nämlich gar nicht so klingen, als hätte nur meine Generation eine geile Zeit gehabt und die jungen Leute von heute keine Ahnung. Bei uns damals war Fußball so, mich hat’s geprägt und mit dem hyperkommerzialisierten Kram von heute kann ich weniger Anfangen – auf dem Platz und auch drumrum. Dass die Jugend heute einen Fußball geboten bekommt, den meine Generation entworfen und ausgefeilt hat, kann man mit Sicherheit nicht den jetzt 20-jährigen vorwerfen.

Dass die Presse nicht „Schuld“ an Fehlentwicklungen ist und nicht mal alle Bullen Bastards nehme ich dir ab und auch zur Selbstschuld bestimmter Fangruppen habe ich mich hier ja schon des öfteren ausgelassen.

Insofern halte ich mich mit globalen Bewertungen des Phänomens mal zurück, es ging ja erstmal nur um mein „Erwachsenwerden“. Aber dass der Eintritt des Fußballs ins große Geld eine Menge kaputt gemacht hat vom Fußball als Sport und dem Stadion als relativ freiem Ort für Jugendkultur. Ungeachtet der von Dir angeschnittenen Punkte geht es heute erstmal ganz platt um Geld.

Stadien haben heute Dächer, damit da Leute hinkommen, die Regen stört. Diese Leute haben mehr Geld für „Fanutensilien“, machen weniger Lärm und sind grundsätzlich pflegeleichter. Das Fernsehen will im Gegenzug für viele Millionen schöne, friedliche und bunte Bilder. Der Verein will pro Besucher möglichst viel Kohle abfassen und überhaupt stammt ein roßteil der Finanzen aus dem Fernsehgeschäft, der Stadionbesucher wird zunehmend zu Kulisse, ist aber nicht mehr zwingend notwendig.

So ungefähr sehen die Gründe für die Veränderungen in den letzten Jahren für mich aus, egal was Ultras, presse und Polizei jetzt im Detail draus machen. Aus Sportvereinen sind Kapitalgesellschaften geworden und so benehmen sie sich auch. Was mich interessiert ist, ob sich die Verwertungsspirale immer weiter drehen lässt oder ob womöglich in 10 Jahren noch viel mehr Leute den Spass am Fußballgeschäft verlieren. Ich hab ihn halt verloren, auf die Entwicklung bin ich trotzdem gespannt.

Ich kann dich da absolut verstehen, ich schlage mich auch seit über ‘ne halben Jahr mit meiner “Abrechnung” der vergangenen 20 Jahre im Stadion herum. Ich kenn sie ja auch noch, die Zeit vor der WM 2006, bzw. der Vergabe und dem Anziehen der Regulierungen. Zumindest auf Deutschland und mein persönliches Empfinden bezogen war das der größte und radikalste Einschnitt in das Lebens eines Fans. Davor hat der Ordner gelangweilt neben einem gestanden wenn du den Rauch zündetest oder woanders mit den nur eingehängten Werbebanden durch’s Stadion gelatscht wurde. Warum? Weil wir’s konnten. War’s nötig oder intelligent? Nicht wirklich.

Sicher, auch die heutige Generation hat eine sicherlich geile Zeit in Ihren Szene, nur haben viele von denen aber auch den Bezug zu dem verloren was früher die eigene Szene ausmachte, unter anderem auch deswegen, weil sie sich von den “älteren” nichts mehr sagen lassen wollen und sowieso nur Ultrà das Ding der Dinge ist. Wir hatten in Deutschland auch vor Ultrà funktionierende Fanszenen und als ich mit einem Freunden Mitte der neunziger angefangen habe uns für das “südländische Element” zu interessieren, da war das verdammt stümperhaft und mit heute nicht zu vergleiche. Ich glaube ich schweife ab…

Ich denke, bei der Nummer mit den Stadien mit Dächern kommt dann doch der Knackpunkt, zu dem ich mich leider nicht äußern kann, die Äcker auf denen ich in den letzten Jahren Fussball gesehen hab, hatten zu 90% keine Dächer. Ich tue mir allerdings trotzdem schwer den Niedergang eines Clubs in diesem Fall als Segen zu bezeichnen. Denn wenn ich ehrlich bin, ich verbinde mit den Dächern der heutigen Stadien, so kalt und austauschbar sie auch sein mögen, die Ligen in denen ich meinen Club wahrscheinlich niemehr sehen werden. So gesehen war früher doch einiges besser. Zumindest Ligentechnisch. Hier fehlt mir dann auch ganz einfach die Erfahrung des Clubs im “Big-Business”, ziemlich sicher ergibt sich hierraus sowieso eine andere Betrachtungsweise als aus meiner Sicht des “Amateurclub”-Fan, obwohl so wirklich Amateurclub war meiner nie.

Auf die nächsten 10 Jahre bin ich in der Tat auch sehr gespannt. Eine Rückbesinnung der großen Bosse wird es nicht geben, wenn die Fans die für die Stimmung verantwortlich waren tatsächlich einmal aus dem Stadion verschwunden sein sollten, da wir eben Stimmung eingekauft. Ich sehe die nächsten 10 Jahre aber vielleicht auch als Möglichkeit für uns (noch) aktive Fans, egal ob als Jugendkultur oder Subkultur bezeichnet zu werden, unsere eigene Nische zu finden, denn nichts anderes sind Subkulturen ja. Der Fussball in England ist heute auch nicht mehr der, den wir uns mit unserem verklärten Blick auf das vergangen immer gerne vorstellen. Dort ja sich ja noch viel mehr zum schlimmeren verändert und trotzdem, die Fussballkultur ist auch dort immer noch vorhanden und wir gelebt, auch in den großen Clubs. Vielleicht nicht mehr in der Maße von früher aber sie lebt noch. Ähnlich ist es doch hoffentlich auch in Italien. Ihr seit in den letzten Jahren mit Genickschlägen überhäuft worden, aber die Gruppen und den Zusammenhalt in den Gruppen gibt es doch trotzdem noch.

Also eine Gesamtabrechnung zur „Szene“ alt gegen neu will ich hier gar nicht starten, das klingt so nach Generationenkonflikt und erhobenem Zeigefinger. Was da nun wer besser findet,

Wir haben damals auch nicht auf die Alten gehört, unser eigenes Ding durchgezogen und im Zweifel den Karren an die Wand gefahren. Ich glaube aber sagen zu können, dass wir damals erstmal überhaupt Kumpels waren, die sich (auch) im Stadion trafen und dann vielleicht auch mal gemeinsam was veranstalteten. Ich habe heute eher so das Gefühl, dass eine Gruppe ihre Leute damit anzieht, dass da Rauch und Feuer und Gesang ist. Klar, dass sowas irgendwann zu Konflikten führt. Das passiert aber immer, wenn eine Gruppe, eine Kurve oder eine Bewegung eine bestimmte Größe erreicht. 20 Leute ticken meinetwegen noch alle so wie du, 200 dann schon nicht mehr.

Das mit den Dächern als Erinnerung an Ligen glaube ich dir aber unbesehen. Bevor jetzt hier irgendjemand anders spitzfindig schreibt, dass ich als Milan-Fan ja nun wirklich nicht in der Position bin, zu meckern, schreib ich das lieber gleich selbst. Ja, ich bin mittlerweile Fan eines Erfolgsteams aus Söldnern mit einem unausstehlichen Vereinspräsidenten an der Spitze. Aber die Curva Sud in Mailand war bis 2005 in meinen Augen trotzdem das Maß aller Dinge und das ist auch so eine Zeit, die ich sehr vermisse. Auch wenn ich das San Siro nur mit Dach kenne. 😉

Zur aktuellen Situation in Italien werde ich mich demnächst nochmal äußern. Sagen wir mal, wenn man ganz genau hinhört, dann schlägt da noch ein Puls. Aber dolle is‘ nicht mehr.

Schöne Beschreibung die du da ablieferst und die einen gleichzeitig sehr wehmütig stimmt. Aber ist nicht so – schlicht und einfach – der Lauf der Dinge, so wie sich die Entwicklung im "modernen" (besser: erst televisierten und dadurch kapitalisierten) Fußball immer weiter ausgeweitet hat und auch weiterhin ausbreiten wird?

Für Emotionen und unangepasstes Verhalten wird seit den 80er/90er Jahren nach und nach immer weniger Platz eingeräumt, da diese mit ihren negativen Begleitumständen nicht in die heutige "moderne" Zeit passen und so noch dazu mit gewaltsuchendem Verhalten dem System den Ball in die Füße spielen und neue (Sicherheits-)Maßnahmen rechtfertigen. Wann erkennen die "Ultras" endlich, dass sie nur noch ein Teil dieses ganzen Fußball-Business-Systems darstellen? Dass sie mit ihrer Teilnahme, dieses weiterhin System (unter-)stützen? So wie es so viele Gruppen in Italien bittererweise einsehen mussten, der Kampf ist verloren und für diejenigen die es nicht wahr haben wollen, ist es absehbar, dass der (weltweite)Kampf gegen den modernen Fußball verloren wird. Solange das Geld regiert, werden einerseits ehrenvolle Ideale immer die Nachsicht haben und Ultras/aktive Fans als Störenfriede abgestempelt, während andererseits alles im und rund um den Fußball und seiner Stadien (heute: Arenen) immer steriler und austauschbarer wird: Financial FairPlay, Leihen mit Kaufoption, Schuldverschreibungen, Leasings, Multifunktions-Arenen, Public Viewing, Event Sponsoring,… .

Die weltweite Bewegung befindet sich seit den 2000er Jahren im rapiden Fall. Warum haben die meisten Kurven ihre besten Zeiten lange hinter sich? Das Mutterland der Ultrakultur ist bis auf wenige Ausnahmen tot, und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch die letzten Verbliebenen die Segel streichen werden.

Das Problem ist nicht der "moderne" Fußball, es ist das System. Doch was wäre wenn es weltweit keine aktiven Fans mehr geben würde, weil sie erkennen, dass sie nur ein Teil des fauligen Systems sind, und beschließen kein Teil mehr des kapitalistischen Fußballs zu sein? Würde das System des "modernen" Fußballs nicht von heute auf morgen in sich zusammenstürzen, wenn der Fußball das verliert, was ihn am meisten auszeichnet – seine aktiven Fans?

Danke erstmal für deine schönen Einwürfe. Mit dem Niedergang der italienischen Ultrakurven beschäftige ich mich ja schon länger, da will ich mich jetzt gar nicht länger aufhalten. Wenn du Lust hast, kannst ja hier in den älteren Artikeln noch rumstöbern.

Um deine Frage zu beantworten (nur meine persönliche Sicht): Die aktiven Fans zählen für das System Fußball weniger, als man glaubt. Stadionbesucher zählen im Vergleich zu Merchandising, TV-Rechten etc. als Einnahmequelle eigentlich nur marginal. In Italien ist diese Schere ja auch am extremsten. Aus Sicht des calcio business sind die aktiven Fans die, die auf den billigen Plätzen stehen, keine offiziellen Fanartikel kaufen und zudem Ärger und Kosten verursachen. Deren Rückzug aus dem „System“ würde nur heißen, dass das letzte Hemmnis wegfällt, den Fußball endgültig für das TV-Business kommerziell verwertbar zu machen: dann gäbe es vermutlich überhaupt nicht mehr zwei Spiele gleichzeitig, Partien könnten regelmäßig in Dubai, Peking oder Timbuktu ausgetragen werden und die Arenen könnten zu 100% in Event-Friede-Freude-Eierkuchen-Hüpfburgen umgestaltet werden. Klar, geht ein bisschen Stadion-Atmosphäre verloren, das lässt sich aber mit digitaler Videobearbeitung und verdoppelten Tonspuren relativ einfach beheben.

Ansonsten gebe ich dir natürlich recht, da schreib ich mir ja seit Jahren die Tastatur fusslig zum Thema.

Feiner Text. – Und ich denke das ist wirklich ein wortlaufender Prozess. Als im Osten die BSGs aufgelöst wurden war ich 6… Und trotzdem kann ich die Veränderungen schon deutlich ausmachen. Als langjähriger Fan eines bayerischen Bundesliga->2. Liga->3. Liga-Vereins sind die Nuancen schon spürbar: 2001 gegen Mainz noch im Bruchwegstadion auf "geschipptem Kies". Gegen Augsburg im Rosenau. 60 im Grünwalder… Ein großer Jammer sind alleine schon die Stadien: Schön ist es, wenn man auswärts nicht viel mitkriegt, weil zu viel wahrnehmenswerte Atmosphäre da ist; in Regensburg oder im Grünwalder die alten Leute in den umstehenden Häusern auf den Fensterbänken lehnen, und man beim Umhängen der Ergebnisschilder an der Anzeigetafel zuguckt – ob's hingegen Allianz- oder Impuls-Arena ist, ist ja völlig wurscht. Alles eins. Stadion schlüsselfertig aus der Plastikfolie. Und mein persönlicher Schwur: Ich werd mir niemals beim Fußball eine Plastikkarte kaufen um damit alkoholfreies Bier bezahlen zu können. Jedes nicht-ausgebaute Stadion ist ein Stück Unverwechselbarkeit. 's wird weniger. Grüße!

Gruss und Dank auch dir, Flo. Ich kann Deine Beschreibung natürlich völlig nachvollziehen. Was mich jetzt aber wirklich überrascht ist, welche Resonanz mein kleiner Text hier hervorruft. Offenbar habe ich einen Nerv getroffen und es geht nicht nur mir und ein paar anderen Desillusionierten so. Soweit ich das den jeweiligen Foren, Facebook und den Kommentaren hier so entnehmen kann, scheint es ja unglaublich vielen Leuten so zu gehen, dass sie das Volkstümliche am Fußball vermissen. Dass Kurven ohne Dach und mit Laufbahn davor nicht nur Scheiße waren, sondern eben auch bei ganz vielen Leuten Nostalgie hervorrufen.

Und das ist es ja bei mir. Fußball hatte bei mir früher eben was dreckiges, zugiges, unbequemes. Die Sicht war schlecht, die Wurst labberig und das Bier warm. Aber es hatte eben auch etwas grundehrliches, es war ein sportlicher Wettkampf zwischen den besten Deiner Stadt gegen die besten der anderen Stadt. Und auf den Rängen waren nur Leute, die Bock auf Fußball und Krach hatten. Die tickten halt alle so wie du. Da gab’s keine Leute, die eher gingen, um als erstes aus dem Parkhaus zu fahren, niemanden der sich aufregte, weil du ihm die Sicht nahmst, ihn beim Torjubel mit Bier bekippt hast oder er ein paar Konfetti in den Haaren hatte.

Heute stehst du in Multifunktionsarenen mit Vollkomfort, sauberen Klos und Replays auf der Anzeigetafel. Aber die Namen der Kerle da unten kannst du erst beim dritten Saisonspiel aussprechen und nächste Saison sind sie dann wieder weg, „wegen der Perspektive“ und so. Ist alles konsumierbarer geworden, oberflächlicher, glatter und…wenn wir schon pathetisch sind…seelenloser. Natürlich ist es toll, Tore von Pato oder Ibrahimovic zu sehen. Aber hat mich das früher echt gestört, wenn da irgendein Namenloser den Ball irgendwie reingestolpert hat? Spielt doch überhaupt keine Rolle.

Aber wie gesagt, es macht mir Hoffnung, dass es so vielen Leuten so geht. Vielleicht können wir ja gemeinsam irgendetwas davon bewahren von dem, was Fußball früher mal war.

Nerv getroffen: Absolut. Letzte Saison war ich auf einen Abstecher beim letzten Zweitligaspiel in Augsburg – und da kam doch sehr bei mir die Frage auf, über was man sich als Fan denn überhaupt freut, wenn ein Team von frisch herbeigelotsten Welten- und Bundesligabummlern in einem Stadion von der Stange auf der grünen Wiese den Aufstieg schafft. So what?

Die Mannschaften sind eh auch noch mal so ein Thema: Das schöne sind ja auch die Geschichten, die sich ergeben, wenn wenigstens ein paar der Namenlosen mehrere Jahre an einem Ort spielen. Wenn man schon vorher scheiße schreien kann, weil klar ist, dass der Typ keine Flanken schlagen kann, aber es seit Jahren regelmäßig versucht… – und grade deswegen entwickelt man dann so ne Art emotionaler Bindung zu dieser Mannschaft; wenn die Leute für den Beobachter 'Charaktere' werden, Stärken und Schwächen und selber Bezüge zum Verein entwickeln.

Und so sehr man auch über das organisatorische Desaster im eigenen Verein jammert, bin ich mindestens im Stillen froh, dass da weder das Geld für einen Stadionausbau (unüberdachter Stehplatz, und grad schön ist's), geschweige denn für den Kauf von internationalen (hässliches Wort:) Söldnern da ist.

Die Frage ist, was man konkret tun kann – denn das Geld (steht ja auch richtig oben) hat 'unsere' Fanklientel nicht, da wiegt ein Spiel im Businessseat die Stehplatz-Jahreskarte locker auf. Insofern ist das "Bewahren" vielleicht etwas, was sich auf das Festhalten in Texten und Erinnerungen und dem eigenen Umgang mit dem Stadionbesuch beschränkt? Who knows.

Charakter ist ein schönes Wort. Wir mussten damals halt spielen mit dem, was die Generation so hergab. Und wenn da keiner Flanken schlagen konnte, dann sah das immer Scheiße aus, wenn sich da ein Holzfäller bis zur Grundlinie durchtankte und sich dann bald den Knöchel verdrehte im Versuch, den Ball irgendwie nach Innen zu bringen. Oder der Stürmer vorn, dem in aussichtsreichster Position der Ball vom Fuß springt. Kannste verzweifeln, schreien, rumhüpfen, war eben so…aber geil war’s trotzdem.

Ich glaube nicht, dass technische Perfektion den Reiz eines Fußballspiels ausmacht. Genausowenig wie ein Stadion, das wie ein 5-Sterne-Hotel ausgestattet ist. Es sind doch immer die irgendwie krummen Last Minute-Siege, die dich noch jahrelang beschäftigen. Irgendein von einer Papierkugel abgefälschter Ball. Ein auf dem nassen Rasen ausgerutschter Verteidiger. Ein vom Linienrichter übersehenes 5m-Abseits.

Ich musste mich hinterm Tor mal vom gegnerischen Torwart loben lassen, weil ich meinen Kumpel im Jubel zu laut ins Ohr gebrüllt hatte: „das war nie im Leben Elfer“. Der Typ kam auf mich zu und gratulierte mir, meine Kumpels machten mich blöde an. Es ist doch letztlich dieser Scheiß, der Fußball spannend macht, keine nochso teuren Starspieler.

„Bewahren“ kann auch erinnern sein, weitererzählen, drüber schreiben und reden. Weißt schon, „1984“ und so…

Und nicht nur im Osten war es so, sondern auch im Westen. Als in den 80er Leute aus der Gegend bei den Vereinen gespielt haben (ausser bei Bayern München). Als die Zuschauereinnahmen ein erheblicher Teil des Etats waren und als vor dem Spiel noch nicht fest stand, dass Bochum gegen Bayern hoffnungslos überfordert sein wird.

Toller Artikel……..
Leider ist es genau so wie beschrieben

Ciao Conny und danke! Das glaube ich Dir unbesehen, dass es im Westen genauso war. Wie ich oben an Tino schrieb, hatte das ja schon bei meinem Dad, seines Zeichen Bayern-Fan, zu ersten Entliebungserscheinungen geführt. Mir fehlt aber neben dem Provinziellen, dem Kampf Meine Stadt gegen Deine Stadt, vor allem die volkstümliche Komponente, das Ranzige, das Proletarische, das Bier- und Kippen-Stinkende, das Laute und politisch nicht immer Korrekte. Heute hast du doch selbst in der Kurve Leute, die sich aufregen, wenn dir mal der Bierbecher umkippt oder die wegen deiner Fahne grad nichts sehen konnten. Und ihr habt wenigstens noch Kurven… 😉

GRANDE MADU!

"Früher war alles besser!" – Wie oft habe ich diesen Satz bei den verschiedensten Gelegenheiten von 'den Alten' (die wussten ja sowieso alles besser) gehört…

… Jetzt, wo wir selbst vieles mit 'früher' vergleichen können, muss ich sagen: Ich kann sie wirklich verstehen! Und ich bin froh, dass ich das – was du so nachvollziehbar beschreibst – auch selbst noch erleben durfte!

Um wenigstens wieder etwas daran 'zu schnuppern', habe ich mich in den letzten drei Jahren regelmäßig in der 3. (dt.) Liga getummelt. Jetzt ist – für alle überraschend – sogar die 2. Buli draus geworden und auch die letzten alten 'Reliquien' haben nun kaum noch Überlebenschancen. Aber NOCH kann ich dir beipflichten @Stephan:

"Dynamo is einfach nur der Hammer! "

Und das nicht nur wegen dieses irren Pokalspiels gegen LEV! 😉

SPORT FREI!

Danke Tino, wenn einer mich versteht… 😉 Ich musste beim Schreiben oft an meinen Vater denken, der seit Jahrzehnten Bayern-Fan war (seine Familie kann man sich ja nicht aussuchen). Der hat mir immer klarmachen wollen, dass das früher alles ganz anders war, als bei Bayern noch echte Bayern spielten und sogar welche aus München und er jetzt nicht mal mehr die Namen aussprechen, geschweige denn sich merken könnte. Ich hielt das damals für das Gejammere eines alten Mannes, der mir meinen schönen Fußball madig machen wollte.

Was soll’s, hat alles seine Zeit und jetzt isses halt anders. Ich schau mir diese Saison ein bisschen Novara an und auch Verona hat noch ein richtiges Old School-Stadion.

Und hier für den Conoisseur noch ein Nachtrag von meinem Kumpel Lanne:

„Das waren noch Zeiten mit dem Moped bzw. Motorrad nach Leuna. Vorher noch beim Motocross gewesen und dann mit 2 Flaschen russischem Krim-Sekt und viel Optimismus, hinten beim Kai auf dem Sozius,nach Leuna ,den Aufstieg Feiern . Kai hat jede Kurve ganz scharf genommen,weil wir schon ein wenig spät dran waren. waren aber dann doch noch pünktlich in der Chemiestadt. Alles grau in Grau und auf so ein Sportplatz würde heute keiner mehr spielen. Arschkalt war es und danach musste wir ja auch wieder zurück,nur wie? mit dem Alkspiegel den wir hatten ,aber wir sind dann doch noch gut zu Hause wieder angekommen“

@MaestroTino: jawohl, Dynamo ist das Zentrum von D! uffem mdr kam vorn paar tajen der ganze aufstiegswahnsinn nochmal…

@Madù: es gibt lauwarmes moretti. basta!

Ist es nicht immer so? Werden wir, die mit dem "modernen" Fußball groß geworden sind, nicht später mal ähnlich gegenüber unseren Kinder sprechen? Damals, als es noch Stehplätze gab? Als man für unter 20 Euro einen solchen Platz ergattern konnte? Als das Biertrinken sowohl vor als auch im Stadion erlaubt waren? Das Rauchen ebenfalls?
Ich glaube, dass es immer so weitergehen wird. So war es doch früher auch. So isset. Und so wird es immer sein.
Schwarz-gelbe-Grüße

Martin

Gruß Martin! Ja, vermutlich hast du ja recht. Bis dahin wird neben Bier und Kippen auch noch die Leidenschaft aus den Stadien verbannt sein. Macht zuviel Ärger, verursacht zuviele Kosten, stört das Event. Ich würde mich ja freuen, wenn die Bundesliga da einen Mittelweg finden würde, aber England und Italien gehen ja schonmal in die Richtung. Was in "A Season wirh Verona" beschrieben wurde, gibt es hier mittlerweile nirgends mehr, die Stadien sind leer, Spruchbänder und Choreos sind genehmigungspflichtig, Trommeln und Megaphone gleich verboten und wenn du rein willst, musst du dich qua "tessera del tifoso" schonmal prophylaktisch erkennungsdienstlich behandeln lassen. Warum? Weil die Fernsehrechte soviel Geld einspielen, dass Stadionbesucher nur noch Kostenfaktoren sind.

Aber vergiss mal nicht, dass hier ein alter Mann spricht, für den früher eh alles besser war. Ist auch immer so, dass die alten mit Neuerungen nicht viel anfangen können. Bei euch in Block Drölf war's schon sehr geil, vergleichbar mit Italien vor einer Generation. Genießt es, solange es dauert und erzähl später mal deinem Kind davon. 😉

Was eine blöde Frage? Natürlich nicht. Wenn man sich als 20 jähriges Arschloch dazu entscheidet, wegen des Antiseins Gullit, Rijkaard und van Basten zu unterstützen, ein bisschen von Ultra schwafelt, dann kann man 2011 feststellen, war alles nicht ernst gemeint, Wäre die Wahl auf einen NOFV Club gefallen, dann hätte man sich vielleicht beweisen müssen, aber so? Heuchler! Milanista? Hätteste auch schon vor 10 Jahren feststellen können!

Natürlich gibt es den auch noch, aber selbst in der Kreisklasse werden inwzischen Gehälter (nicht nur Spesen oder Prämien) gezahlt und Spieler wechseln oft die Vereine…

ich weiß gar nicht, ob es nicht besser ist, sowas gar nicht erlebt zu haben, als mitzuerleben, wie so eine ganze Welt zerstört wird. Ich freue mich aber trotzdem, dass euch auch so ein Text gefällt. Vielleicht schreib ich demnächst ja wirklich mal mehr von damals, als Fußball noch dreckig, kalt aber unglaublich lustig war.

"Real gehört dem spa. Steuerzahler!" – Dafür gibts nen Freibier… erinnere mich aber 😉

Bono rettet keine Welt, er zerstört sie!!!

Dynamo is einfach nur der Hammer!

Weiߟt du noch, damals?…

Hey, Fußball, bist du noch wach? Hab grade an dich denken müssen und…naja, ich schreib dir einfach mal. Weißt du noch, damals vor 30 Jahren? Eigentlich war schon auf den ersten Blick war klar, dass es was ernsteres werden sollte. Ich erinnere mich noch…