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Von der Bundesliga lernen

Im Folgenden ein Artikel aus der „Gazzetta dello Sport“ vom 16.03.2013 zur Zuschauerkrise des italienischen Fußballs und den Unterschieden zum deutschen Modell. Die Reihe „der Fußball, den wir lieben“ beschäftigt sich mit Fans und den Problematiken des Stadionbesuchs. Voraussetzung des Gesprächs war, dass wir uns über tatsächlich kurzfristig machbare Faktoren unterhalten. In Italien gibt es weiterhin ja nicht einmal ein Gesetz, dass den Vereinen ein eigenes Stadion erlaubt. Und sicherlich geht es in der Gazzetta auch nicht um den Kampf der Ultràs für freie Auswärtsfahrten. Trotzdem bin ich mit dem Beitrag mehr als zufrieden; wenn selbst das Flaggschiff des sportlichen Bürgertums sich für die Belange der Stadionbesucher interessiert, bewegt sich vielleicht endlich doch etwas in diesem fußballverrückten Land, das durch die Hand von Inkompetenz, Pay-TV und populistischen Law-and-Order-Apologeten – immer begleitet von einer einseitigen Presse – seine einstmals faszinierende Stadionkultur mittlerweile fast vollständig abgewürgt hat. Man hat aber gemerkt, dass der eingeschlagene Weg aus immer mehr Repressionen direkt in die Sackgasse führt und schaut mittlerweile wehmütig nach Deutschland.

„Holt die Farben in eure Stadien zurück“

Es spricht ein deutscher Blogger, der in Italien lebt: „Weniger Bürokratie, mehr Service. Die Clubs beziehen die Fans mit ein“

Manchmal würde ein Lächeln reichen. Du stehst am Drehkreuz, wartest ordentlich in der Schlange und wenn du an der Reihe bist, schaut dir der (oder die) Steward ins Gesicht und heißt dich willkommen, so als wolle er sagen „Herzlich willkommen in unserem Stadion, viel Spaß“. Nein, diese Höflichkeitsgeste würde nicht auf einen Schlag das Problem des Zuschauerschwunds im italienischen Fußball lösen, es würde nicht wie durch Zauberhand unsere Stadien füllen. Es würde aber viel bedeuten, zumindest symbolisch hätten wir es mit einem Wandel zu tun: weg von der Verwaltung des „Problems“ der öffentlichen Ordnung, hin zu einem Zustrom von Menschen als „Gelegenheit“, die Atmosphäre zu verbessern. Kai Tippmann ist dieses Detail im Gedächtnis geblieben: „Fangen wir einmal mit einem Lächeln auf den Lippen an. Den Fans würde das gefallen. Ein besser ausgebildeter, vielleicht auch besser bezahlter, Ordnungsdienst ist ein erster Schritt.“

Kai Tippmann: „Öffentliche Verkehrsmittel, saubere Toiletten, Parkplätze, niedrige Preise: der Unterschied ist dieser“

Beobachtungsstelle: Man muss Kai aufmerksam zuhören, wenn er redet, denn er verfügt über eine privilegierte Beobachtungsstelle: geboren und aufgewachsen in Berlin, ist er 1999 nach Italien gezogen, besucht seit ewigen Zeiten deutsche und italienische Stadien, hat seine Hertha für Sacchis Milan „betrogen“ und sogar seinen Sohn Ezra angesteckt, mit dem gemeinsam er viele Spiele der Rossoneri im San Siro anschaut. Und das haben wir noch vergessen: er arbeitet journalistisch und als Übersetzer und erforscht die Dynamiken der Stadionfankultur, so dass sein Blog altravita.com zu einem Bezugspunkt für deutsche, österreichische und Schweizer Fans geworden ist. Kurzum, wer könnte uns besser als er die Unterschiede des derzeit erfolgreichsten europäischen Modells erzählen, dieses Deutschland, das im Schnitt 44.293 Zuschauer in der Bundesliga (22.005 in der Serie A) und 17.196 in der 2. Bundesliga (6.128 in der Serie B) vorzuweisen hat?

Gazzetta Grafik
Gazzetta Grafik

Atmosphäre: Den ersten Unterschied kann man sehen. „Die deutschen Stadien sind voll, von der ersten bis in die dritte Liga, sie sind mit wenigen Ausnahmen modern, du kannst problemlos parken, hast einen U-Bahnhof in der Nähe, die Toiletten sind sauber, die Eintrittspreise erschwinglich, sogar in der Allianz Arena. Man atmet die Atmosphäre des Italiens der 80er und 90er Jahre. In Deutschland ist der Support, das Beisammensein, die Essenz des Fußballs.“ Auch dem deutschen Modell unterliegt die Differenz zwischen den beiden Ländern. Die 50+1-Regel, die den Mitgliedern die Stimmmehrheit eines Fußballvereins garantiert, ist so weit entfernt von unserem Governance-Modell – ein einzelner Mann am Ruder, der Mäzen, der aufbaut und einreißt – dass sie wie eine Utopie erscheint. Und der Umbruch der Weltmeisterschaft 2006 mit seiner neuen Generation von Stadien, die das Gesicht des deutschen Modells revolutioniert hat, ist ein italienischer Traum, der sich in den letzten Jahren bereits mehrfach in Luft aufgelöst hat, wenn man davon ausgeht, dass die Ausrichtung der Europameisterschaften 2012 oder 2016 wirklich dazu beigetragen hätte, die fußballerische Moderne auch bei uns Einzug halten zu lassen. Aber während wir auf moderne Stadien in Vereinsbesitz warten, können wir trotzdem schon etwas tun, um das Verhältnis leere Stadien/volle Wohnzimmer umzukehren. Zunächst einmal eine weniger einengende und schizophrene Bürokratie: „Ich habe von absurden Geschichten gehört“ – sagt Tippmann – „wie zum Beispiel von dem Rentner, dem sie mitten im Wolkenbruch an der Eingangskontrolle den Regenschirm abgenommen haben. Im Gegensatz zu Deutschland fühle ich mich in Italien noch nicht einmal als Kunde, wenn ich ins Stadion gehe. Warum muss ich, wenn ich mit meinem Sohn ins Stadion will, auch wenn ich mir noch nie etwas zu Schulden kommen lassen habe, die Tessera del Tifoso unterschreiben, zur Bank gehen, dutzende Seiten unterschreiben und meine Daten hinterlegen? Ich möchte eine Karte ganz einfach an der Stadionkasse kaufen können. Und dafür einen der Wirtschaftskrise angemessenen Preis bezahlen, weil die Leute immer weniger Geld in der Tasche haben.“

Stimme: Deutschland ist auch bei der Einbeziehung der Fans in die Vereinsgeschicke Vorreiter, teils auch bis in die Entscheidungsprozesse hinein. Und die Fans wissen auch, wie sie sich Gehör verschaffen. Wie z.B. beim „12:12“-Protest: vor der Winterpause haben die Fans für 12 Minuten und 12 Sekunden den Support eingestellt, um gegen ein Maßnahmenpaket zu protestieren, das gegen Auswärtsfahrten, Stehplätze, Banner usw. gerichtet war. Das sollte am 12. Dezember beschlossen werden, wurde aber stark modifiziert. „Jeder Verein“ – erklärt Tippmann – „hat Personen angestellt, die sich um die Fans kümmern. Es gibt einen institutionalisierten Dialog zwischen Fans und Verein, offiziell und bezahlt zur Hälfte von den Vereinen, zur anderen Hälfte vom Land. In Italien stellt sich die Situation anders dar, aber viele Fans würden einen Dialog akzeptieren. Vielleicht könnte man sie in einem im Stadion eingerichteten Büro empfangen und sich ihren Fragen stellen. Die Ultràs? Das Verhältnis ist belastet, unmöglich 40 Jahre Auseinandersetzungen einfach auszublenden. Es war aber ein Fehler, eine ganze Bewegung zu verteufeln, allen die Megaphone zu verbieten, um eine gewalttätige Minderheit zu treffen. Vielleicht kehren wir nicht zu den bunten Kurven der goldenen Jahre zurück, aber die italienische Leidenschaft für den Fußball, für den Gesang, kann man wiederentdecken, man kann die Tribünen mit neuen Generationen von Fans füllen, voller Begeisterung für das Spektakel Stadionbesuch. Auf eine andere Art, weniger gewalttätig, aber auch weniger anonym und traurig.“

 

14 Antworten auf „Von der Bundesliga lernen“

Ich versteh nicht was mit Nocerino los ist, letztes jahr so überragend gespielt,torgefährlich,zweikampf monster ….
Denke mit il Tedesco,Prince,Noce + wie du sagst ein weiterer ZM (z.b. Nainggolan, auch wenn ich hoffe,dass er bei uns landet ) sollte es ganz gut aussehen.

Ihr seid ja anscheinend an Perin dran,das wäre ein überragender Transfer.
Perin holen und noch ein Jahr zusammen mit Abbiati Erfahrung sammeln lassen und danach habt ihr für 10 Jahre kein Torwartproblem mehr 😉

Hoffe mal das wir Mailänder Clubs nächstes Jahr wieder um den Titel spielen.
Nächstes wird aufjedenfall wieder das Derby live im Stadion angeschaut.

Was ich dich mal fragen wollte,wie siehts aus mit Karten für das Genoaderby,wird wahrscheinlich fast unmöglich daran zu kommen oder? Ich will mir das unbedingt mal anschauen…finde das Stadion und die Stimmung richtig super.
In dem Jahr als Cassano,Pazzini, Poli usw dort gespielt haben,habe ich mir so gut wie jedes Spiel angeschaut.

Bloß geht Strama damit viel viel besser um,er sucht nie ein Alibi sagt was er denkt und redet nichts schön. Er gesteht auch Fehler ein und als er noch alle Spieler in der Hinrunde zur Verfügung hatte,waren wir Juveverfolger Nummer 1 und haben gegen jede große Mannschaft gut ausgesehen.
Das Benitez als Mou Nachfolger schon vor Amtsantritt verloren hatte war wohl jedem klar. Ich hab den Rafa ja eigentlich immer gemocht aber seine Zeit bei uns war ganz komisch.
Bei uns müssen einfach BRANCA und Combi weg!!!
Figo mehr Macht geben und den ein oder anderen Ex Spieler noch in den Verein einbinden.
Wir brauchen endlich mal einen Manager mit einer klaren und akzeptablen Einkaufspolitik. Denke Figo kann mit seiner Erfahrung,seinen Beziehungen und seinem Fussballverstand den Sportlichen Teil sehr gut lenken, Finanzielle Seite ist wieder was anderes ;))

Bei euch gehts wieder richtig bergauf (Y)
Milan brauch 1-2 neue Verteidiger, ein Jungen Torwart und eventuell noch ein Mittelfeldspieler,dann habt ihr eine durchaus Konkurrenzfähige Truppe mMn.
Lieber seh ich euch siegen als Rubentus ;))

Jut, das geht mir natürlich umgekehrt genauso, für mich darf Juve nichtmal die Überraschung aus der Chipstüte gewinnen. Oder wie es ein pfiffiger alter Herr mal ausdrückte: "Lieber unterm Laster sterben, als über den Zebrastreifen zu gehen." 😉

Milan fehlt – für mich – in erster Linie ein Mittelfeldspieler, mit dem gemeinsam Montolivo das Spiel entwickeln kann. Der macht seine Sache zwar toll, ist aber eben auch der einzige ohne Quadratlatschen bei uns zwischen Sturm und Verteidigung. Innenverteidiger wäre auch toll, sicher, hat aber für mich weniger Priorität. Und zum Torwart… Milan hat in der Geschichte bis auf Seba Rossi noch nien nen richtigen Torwart gehabt. Und vor allem hat der Club nie Geld in die hand genommen, um einen zu besorgen. Da hab ich wenig Hoffnung.

Ich hab dir das geglaubt und war eher bisschen schockiert, sollte kein vorwurf sein oder so 😉
Haha war klar,dass so eine Antwort kommt ich wollte mein text noch umformulieren 😉
Gestern hat sich noch Cambiasso und heut morgen auch noch Guarin verletzt,bin eigentlich ganz froh darüber das wir gestern rausgeflogen sind und hoffe das wir nächstes jahr nicht Euro League spielen müssen, hoffe das sich im Sommer einiges ändert… aber Strama soll bitte Trainer bleiben,der Arme hat am wenigsten Schuld an der momentanen Situation.

Stamaccioni findet sich in derselben Situation wie Benitez damals, seine Entlassung hat ja nun wirklich keine Besserung gebracht. Verletzungspech lass ich jetzt mal weg, das ist tatsächlich nur noch absurd. Ansonsten sehe ich Inter aber in so einer ähnlichen Situation wie Milan 2008-2012: die alte Garde schafft es körperlich nicht mehr, die Jungen sind zuwenig eingespielt, um dem Druck standzuhalten oder teilweise eben auch zu schlecht. Kann aber wirklich nur besser werden…

Achsooo,mhh habs nur aufm Inter Channel gesehen und da sah es echt leer aus,aber wenn du sagst da passen nicht mehr rein. Find ich aber schon bisschen lächerlich,wie kann eine der Top 15 Mannschaften Europas, keine Anlage für bzw ein kleines Amateurstadion haben in das zumindestens mal 1000 Leute passen würden.

Die Kamera steht mit dem Rücken zur Tribüne, aber viele passen da wirklich nicht rein, ich sag ja nur, dass voll war. Aber so lange die Primavera-Liga so fortgeführt wird, sind größere Stadien auch nicht notwendig. Bis auf's Derby spielen die Jungs doch oft nur vor weniger als 50 Zuschauern.
Aber "Inter eine der Top 15 Mannschaften Europas"? Du meinst "Italien"? 😛

Die Choreos unserer Curva Nord waren in den letzten Jahren auch echt sehenswert,egal ob gegen Milan im Derby ( ti te dominet… war ich sogar im stadion ) oder zb auch im CL Finale in Madrid. Wenn man sich da die Choreos von Bayern und Chelsea im Finale anschaut,dann sind das Welten ( Chelseafans hatten meines wissens gar keine richtige).
Ich glaub ein wichtiger Schritt im Italienischen Fussball wäre eine komplette Umstrukturierung des Liga aufbaus. 18 Serie A Teams,20 Serie B Teams, Serie C 1 und C 2 jeweils 16-18 Teams und die Primavera aufwerten wie in Deutschland. Zweite Mannschaft von Inter bzw Milan dürfen dort spielen.
Hab vor kurzem das Primaveraderby Inter : Milan gesehen,da waren vllt 100-200 Zuschauer da,da hatten wir in der Jugendverbandsliga teilweise mehr Zuschauer.

Die Inter-Choreos sind Spitze, seit "Rosso" und seine Crew das Zepter übernommen haben. Das ist sicher so.
Beim Derby Inter-Milan war ich auch: War doch voll bzw. draußen am Zaun hinterm Tor war noch voll. Mehr passen doch da überhaupt nicht rein in die Anlage.

Wenn wir es schaffen nur die Hälfte davon hinzubekommen, werden wir wieder die Nummer 1 was das Stadionerlebnis angeht…. diese emotionen,die Leidenschaft gegenüber dem Fussball in Italien, wird so gut wie nirgends in Europa so gelebt.
Dai ragazzi proviamoci… e forza Inter ;))

Ich will das gern hoffen. Die Bundesliga interessiert mich nämlich nur mäßig. Apropos Inter: die Gazzetta von heute berichtet an derselben Stelle über das „italienische Modell“ anhand der Choreos von Inter.