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Urteil im Fall Gabriele Sandri – 6 Jahre für den Polizisten Spaccarotella

Gestern abend gegen 19.00 Uhr nun das Urteil im Fall Gabriele Sandri, jenem Lazio-Fan, der im November 2007 auf der Autobahnraststätte vom Agenten der Polstrada Luigi Spaccarotella erschossen wurde. Die Richter konnten nicht der Forderung der Staatsanwaltschaft nach 14 Jahren haft wegen Totschlags folgen und verurteilten den Polizisten zu 6 Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung. Eben jene hatte die Staatsanwaltschaft erwiesen gesehen, die 14 Jahre Haft für Totschlag forderte. Nun, mir fehlt das Fachwissen, um zu beurteilen, ob eine Bewertung der Umstände einen Totschlag (also den Tötungsvorsatz) ausschloss, nur der gesunde Menschenverstand in mir findet, das 6 Jahre für jemanden, der einen gezielten Schuss über die Autobahn hinweg auf ein fahrendes Auto, ohne das Vorliegen einer akuten Gefahrensituation, ein bisschen wenig sind. Zumal in einem Land, bei dem 6 Jahre typischerweise eine Entlassung nach anderthalb Jahren bedeuten. Zudem möchte ich mir nicht vorstellen, wie das Urteil ausgefallen wäre, wenn der Ultrà Gabriele Sandri unter gleichen Umständen den Polizisten Luigi Spaccarotella erschossen hätte.

„E‘ una pagina triste della nostra Repubblica, mi auguro che in appello venga sicuramente riformata perche‘ sarebbe indegna di un Paese civile“
„Es ist ein trauriges Blatt in der Geschichte unserer Republik. Ich hoffe, dass diese Entscheidung im Berufungsverfahren verworfen wird, weil dies für ein zivilisiertes Land unwürdig wäre.“
(Christiano Sandri, Bruder des Opfers, 14.07.2009)

Wir wissen nicht, ob es damals am Rastplatz Badia al Pino bei Arezzo tatsächlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, aber wenn es diese gegeben hat, waren sie im Moment der Schüsse in jedem Fall beendet; Sandri starb im fahrenden Auto. Es ist unstrittig, dass der Polizist die Schüsse auf Fensterhöhe über eine befahrene Autobahn hinweg abgab. Niemand wird mich davon überzeugen können, dass Spaccarotella sich des Risikos nicht bewusst war, hierbei irgendjemanden zu verletzen. Dass sein Verhalten zudem auch den einfachsten Normen zum Schusswaffengebrauch durch Staatsbedienstete widersprach, ist sicherlich auch ohne Jura-Studium eingängig. Einen Warnschuss gibt man senkrecht in die Luft ab; wenn ich fehlende Tötungsabsicht unterstelle, dann ist ernsthaft zu fragen, welche weiteren Motive der Verkehrspolizist für sein Verhalten hatte. Wen ich mich mit einer Eisenstange über einem am Boden liegenden Opfer aufbaue und zuschlage, was hatte ich denn da wohl vor? Die Erde um ihn herum auflockern? Wie gesagt, in der gestrigen Urteilsbegründung fehlt mir ein alternatives Tatmotiv. Was um Himmels willen tue ich, wen ich auf ein fahrendes Auto schieße, wen nicht in Kauf zu nehmen, dass dabei jemand getötet werden könnte. Der Logik des gestrigen Urteilsspruchs folgend, hätte auch der Holzblockwerfer von der Autobahnbrücke höchstens fahrlässig gehandelt – schließlich hatte auch der erklärt, er „wollte niemanden töten“.

„una vergogna per tutta l’Italia. […] Non credo piu‘ nella giustizia, non credo piu‘ in niente. Senz’altro faremo appello perche‘ io Spaccarotella non lo mollo, non lo mollero‘ fino all’ultimo grado di giudizio. Sono disgustato, disgustato, disgustato, disgustato. Io consiglierei a tutti i cittadini di non spendere piu‘ i soldi per la giustizia perche‘ se la giustizia e‘ questa sono soldi buttati.“
„Eine Schande für ganz Italien. […] Ich glaube nicht mehr an die Gerechtigkeit, ich glaube an gar nichts mehr. Ich bin angeekelt, angeekelt, angeekelt, angeekelt. Ich empfehle allen Italienern, keine Gelder mehr für diese Justiz auszugeben, weil wenn das unsere Gerechtigkeit sein soll, sind das rausgeschmissene Gelder.
(Giorgio Sandri, Vater des Opfers, 14.07.2009)

Ich hatte mir erhofft, das Urteil würde nur den tatsächlichen, den einzelnen Fall betrachten und von der Instrumentalisierung – sowohl des Polizisten wie des Ultràs – absehen. Vor dem Hintergrund des gestrigen Urteils sieht es leider eher so aus, als hätte das gestrige Urteil eine Bewertung der Polizeiarbeit und der spezifischen Risiken zur Grundlage und erinert stark an ähnlich gelagerte Fälle, bei denen ein Schuss sich immer genau dann löste, wen ein Polizist gerade „ausgerutscht“ ist und unglücklicherweise sich ein armes Opfer in der Schußbahn aufhielt. Nur so kann ich mir erklären, wie ein so eindeutiger Fall von gezielten Schüssen genauso bewertet wird, als hätte Spaccarotella bei einer Verfolgungsfahrt aus Versehen ein Opfer am Straßenrand umgefahren. Oder als hätte sich beim Reinigen der Waffe ein Schuss gelöst. Oder als wäre ihm beim Gießen ein Blumentopf vom Fensterbrett gefallen. Wie gesagt, die Justiz stellt sich auf die Seite der ausführenden Staatsmacht und lässt deren heikle Aufgabe im Umgang mit Ultràs in die Bewertung mit einfließen. Wenn man nur den Fall Sandri betrachtet, klingt das gestrige Urteil dagegen absurd niedrig.

„Con quale coscienza i giudici hanno fatto una cosa del genere? Stasera, quando i giudici andranno a casa, come faranno a guardare i loro figli? Non credo piu‘ nella giustizia, mi viene voglia di andare via dall’Italia. Non hanno creduto a tanti testimoni, e‘ incredibile. Me l’hanno ammazzato una seconda volta.“
„Mit welchem Gewissen haben die Richter so etwas tun können? Heute abend, wenn die Richter nach Hause gehen, wie können sie ihre Kinder anschauen? Ich glaube nicht mehr an die Gerechtigkeit, ich würde in diesem Moment gern aus Italien verschwinden. Sie haben vielen Zeugen nicht geglaubt, es ist unglaublich. Sie haben ihn mir ein zweites Mal ermordet.“
(Daniela Sandri, Mutter des Opfers, 14.07.2009)

Bis auf die Verteidigung des Polizisten, der in Berufung gehen will, weil ihm die Verurteilung zu harsch erscheint und Spaccarotella selbst, der, zuhause (!), Freudentränen vergoss, hört man nur Stimmen, die Unverständnis und Wut über den Urteilsspruch ausdrücken. Angefangen bei den im Saal anwesenden Freunden und Lazio-Fans, die mir Polizeigewalt entfernt werden mussten bis hin zuweniger „involvierten“ Personen wie Roms Bürgermeister Gianni Alemanno, der das Urteil als „absolut unbefriedigend“ bezeichnete und seine Meinung sehr deutlich äußerte. Und auch ich muss mein Verwundern ausdrücken, dass gezielte Todesschüsse auf ein fahrendes Auto genauso bewertet werden wie die fahrlässige Tötung bei einem Verkehrsunfall. Selbst wenn man nicht von einer Tötungsabsicht ausgeht, sollte die Frage erlaubt sein, was der Polizist denn dann mit geladener Waffe, ausgestreckten Armen, auf ein fahrendes Auto zielend, mit dem Finger am Abzug denn dann sonst im Sinn hatte. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Tatsache, dass der Täter eine Uniform trug, in die Bewertung mit eingeflossen ist. Und ich bezweifle, dass Gabriele Sandri so milde beurteilt worden wäre, hätte er auf ein abfahrendes Polizeiauto geschossen und dabei „fahrlässig“ einen Polizisten getötet hätte.

„Evidentemente la divisa ha un suo peso. Mi vergogno di essere italiano, sono disgustato. Per fortuna c’è la giustizia divina, da quella non si scappa“.
„Offensichtlich hat die Uniform ihr eigenes Gewicht. Ich schäme mich dafür, Italiener zu sein, ich bin angeekelt. Glücklicherweise gibt es die Gerechtigkeit Gottes, vor der kann man nicht fliehen.“
(Giorgio Sandri, Vater des Opfers, 14.07.2009)

Offensichtlich wurde hier nicht der „Fall Spaccarotella“ verhandelt, sondern der Fall „Ultràs gegen die Polizei“, wie er an jedem Spielwochenende stattfindet. Leider werden die gewalttätigeren Ultrà-Gruppierungen sich genauso verhalten, und den gestrigen Richterspruch zum Anlass nehmen, ihrerseits jeden Uniformierten in Kollektivschuld zu nehmen. Bezahlen werden das gestrige Urteil viele Polizisten, die mit dem Fall Sandri nichts zu tun hatten. Erste Auseinandersetzungen richteten sich bereits gestern abend gegen die Polizeikaserne Ponte Milvio.

„Un poliziotto che cinque testimoni hanno visto impugnare la pistola con due mani, stendere le braccia, mirare e sparare, è stato condannato per omicidio colposo come un qualsiasi sventurato automobilista per un incidente stradale. Vergogna. Ci sarà un appello. Ci sarà giustizia“.
„Ein Polizist und 5 Zeugen haben gesehen, wie er die Pistole in beiden Fäusten hielt, die Arme ausstreckte, zielte und schoss, er wurde verurteilt wegen fahrlässiger Tötung wie jeder unglückliche Autofahrer in einem Verkehrsunfall. Es wird eine Berufung geben. Es wird Gerechtigkeit geben.“
(Christiano Sandri, Bruder des Opfers, 14.07.2009)

24 Antworten auf „Urteil im Fall Gabriele Sandri – 6 Jahre für den Polizisten Spaccarotella“

Interessanter ist doch auch die Frage, wer die Verantwortung für diesen Todesschuß hat. Der kleine Beamte oder eben doch die Medien und die Politik, die in den Monaten zuvor Stimmung gegen Tifosi und Ultras machten? Wer hat es denn zugelassen, dass ein Beamter auf die Idee kommt, auf ein fahrendes Auto zu schießen? Die geistigen Brandstifter, die dem Polizisten und anderen seit langem eintrichterten, dass es sich bei Ultras um gemeingefährliche Terroristen handelt, die nur so zu stoppen sind.

Meine Rede. Unter „normalen“ Bedingungen hätte wohl kein Polizist die Waffe gezogen, um eine Schlägerei auf der Dorfkirmes aufzulösen. Die mediale Dauerbeschallung von „Ultras=Terroristen“ (2007 gab’s ja noch den „Fall Raciti“) bereitete den Boden für diese Überreaktion, keine Frage. Und offensichtlich hat das Gericht diese „Umgebungsvariablen“ mit einfliessen lassen in seine Bewertung. Was aber nichts daran ändert, dass meiner Meinung nach hier im konkreten Fall nie im Leben Umstände vorlagen, die einen gezielten Schuss rechtfertigen würden.

Also ich finde den Artikel gelungen. Es darf und kann (!) nicht um Objektivität gehen. Die ist immer anzweifelbar. Die Vorstellung des Falles fand‘ ich sehr differenziert, auch wenn ich heute erst eingestiegen bin in diesen Fall.

@martin: Es muss ja auch kein absoluter Tötungsvorsatz sein. Eventualvorsatz bedeutet lediglich: Wissen, dass es so kommen kann und sich damit abfinden. Nichts mit Wollen. Bloss auch kein Unbedingt-nicht-wollen. Wie schon gesagt: so etwas passiert Zivilisten oft, dass der Richter zu diesem Schluss gelangt. Wichtig zu sehen nur, dass das nicht zwangsläufig ist. Und die Vermutung scheint berechtigt, dass der Status als Staatsbediensteter daran leider scheinbar seinen Anteil hat.

Nun, genau das hat ja der Vater gesagt: „offensichtlich hat die Uniform ein eigenes Gewicht“ Und ich finde jetzt auch nichts, was gegen seine Auffassung spricht. Das Urteil ist eben gerade nur vor dem Hintergrund verständlich, dass hier ein Uniformierter geschossen hat und nicht irgendein Albaner aufm Kiez. Aber das ist ja alles polemisch und unausgewogen… 😉

Just to put it into perspective:

Ich möchte Euch ganz vorsichtig auf den Polizisten hinweisen, der letzte Woche in Hamburg einen Freispruch erster Klasse erzielen konnte, weil er einen Verdächtigen aus nähster Nähe nur deshalb versehentlich erschossen hat, weil er ein unkontrollierbaren Reflex, also ein Zucken, im Abzugsfinger hatte:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,634840,00.html

Dagegen wirken die sechs Jahre noch fast wie ein rechtsstaatliches Urteil, wenn man bedenkt, dass tatsächlich schon Restzweifel bleiben, ob der Polizotto ein derartiger Kunstschütze ist, dass er über eine sechsspurige Autobahn hinweg gezielt so treffen wollte. Der hat einfach seine scheiß Waffe viel zu hoch gehalten, geschweige, dass er sie überhaupt hätte ziehen dürfen, und den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen. Klar, kann man das auch als Totschlag werten.

Nur wie gesagt: Bei uns hätte es vermutlich nicht mal die sechs Jahre gegeben. Mir fällt jedenfalls spontan keine Verurteilung eines deutschen Polizisten wegen eines Tötungsdeliktes im Dienst ein.

Ach ja, die 16(!) Notwehr(!!)-Kugeln (hier wäre ein Totlach-Smiley, wenn es nicht so traurig wär) habt Ihr mitgeschnitten?
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,635740,00.html

In Berlin haben sie Silvester auch einen Verdächtigen im Auto erschossen. Die Ermittlungen werden seitdem von den Beamten behindert.
Panorama zum Thema:
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/panoramapolizeigewalt10 0.html

There is a law for them and another law for us.

Ja eben, daher mein Einwurf, dass der Mann in Deutschland vermutlich einen glatten Freispruch bekommen hätte und die 6 Jahre wirklich schon ein Achtungszeichen sind. Also ein kleiner Lichtblick angesichts der schonmal vorauszusetzenden Ungleichbehandlung. Also das Urteil basiert auf „omicidio colposo“ (fahrlässige Tötung und eben nicht der von der Staatsanwaltschaft geforderte „omicidio volontario“ – Totschlag) mit dem verschärfenden Merkmal, dass er den Tod in Kauf genommen hat. Nach meinem Verständnis eine sehr sehr wacklige Konstruktion, aber durchaus mit der Intention, den Mann wenigstens zu irgendetwas zu verdonnern.

Wo bitte unterstelle ich dir, du hättest von Tötungsabsicht geschrieben? So brauchen wir gar nicht erst mit diskutieren anfangen.

Sorry, aber wie du die vier (!!) Kommentare der Familie eingefügt hast, ist schon ein wenig polemisch, oder? Selbstredend denken fast ALLE Angehörige eines Opfers so, würde ich ja auch. Aber von einer Justiz sollte man doch schon erwarten, dass sie so objektiv wie irgend möglich vorgeht, sonst hätte man bald Todesstrafen für Kinderschänder. Und als Unbeteiligter sollte man sich auch zumindest bemühen.
Mehr dazu und etwas differenzierter bei Schönau:
http://operabuffa.blogspot.com/2009_07_01_archive.html#2471586213888152310

Um es klar zu sagen: Ich habe auch keine Ahnung.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine wirkliche Absicht zum Töten gab, es also quasi eine Art Hinrichtung war.
Warum man mehrmals über eine -soweit ich weiß ja auch befahrene- Autobahn schiesst, eine Antwort darauf hätte man vom Polizisten schon erwarten dürfen, vielleicht unter Androhung man würde bei Schweigen sonst das Schlimmste annehmen und so zu einem harten Urteil kommen. Vielleicht wollte er das Fahrzeug stoppen und auf die Reifen schiessen? Und beherrschte einfach seine Waffe nicht? Keine Ahnung.

Was mich interessiert: Habe gehört er dürfe angeblich nach dem Knast wieder in den Polizeidienst – ist da irgendwas dran oder Unfug?

Echt jetzt? Polemisch? Moi? 😀 Siehst du, und das ist der Unterschied zwischen meinem persönlichen Blog und einem Produkt der Qualitätspresse: Falls Du Dir auch mal die verlinkten Artikel anschauen magst (da gibt’s noch mehr Zitate von ganz vielen anderen Leuten, u.a. Polizei-Granden), ich verfolge den Fall akribisch seit nunmehr 2 Jahren und habe mir nunmal eine Meinung zum Thema gebildet. Zufällig stimmt die mit der Ansicht der Opfer überein. Muss ich mich dann jetzt selbst zensieren? Im Namen irgendeiner vom Lektorat geforderten „Ausgewogenheit“? Nö, da bist du hier am falschen Ort, ich habe keinen Bildungsauftrag, dafür finanzierst du mich nicht mit deinen GEZ-Gebühren.

Was ich hier verzapfe, mag dir gefallen oder nicht, das Internet ist ein urdemokratisches Medium, und wir können auch sehr gern und möglichst divergent diskutieren. Ja, du kannst mich sogar nach Strich und Faden widerlegen und vorführen. Dann aber bitte auch Argumente (sic!) leicht jenseits von „von einer Justiz sollte man doch schon erwarten, dass“ oder „vielleicht wollte er ja auf die Reifen schießen“. Wenn ein Polizist mit ausgestrecktem Arm über 6 Fahrspuren hinweg auf ein fahrendes Auto schiesst, um dieses zum Stehen zu bringen (und du willst ja wohl nicht auch noch absprechen, dass er dabei ein gewisses Risiko in Kauf nahm, wenn du mir schon unterstellst, ich hätte irgendwetwas von „Tötungsabsicht“ geschrieben), dann muss ja eine gewisse Gefahr im Verzug gewesen sein, die er mit dem letztmöglich zur Verfügung stehenden Mittel zu verhindern suchte und die diesen Schuss rechtfertigte. Welche Gefahr ging denn von den Jungs in dem Moment aus? Oder war es eher fahrlässige Tötung im Sinne eines Unfalls? Ist er ausgerutscht?

Und um bei deiner Argumentation zu bleiben: Ja warum sollte er denn nicht wieder in den Polizeidienst? Er hat doch nur seine Pflicht getan.

Für Juristen ist so etwas eben exakt die Grenze, die so schwierig ist: Fahrlässigkeit (und sei es schwerste) und bedingter Vorsatz. Letzterer erfordert das Wissen darum, was passieren kann. Ersteres verlangt das Wissen, wie man sich richtig zu verhalten hat.

Der eigentliche Skandal ist doch wieder richtig festgestellt: Das unterschiedliche Maß, mit dem solche Situationen beurteilt werden. „Im Zweifel für den Angeklagten“ ist in solchen Situationen eben oft nur dem Polizeibediensteten vorbehalten, andersherum wird viel schneller auf Vorsatz erkannt.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob die – langfristig, vielleicht auch vom konkreten Fall losgelöst – Lösung ist, den Polizisten härter zu bestrafen. Eigentlich muss die Forderung doch sein, den gleichen Maßstab auch für zivile Angeklagte anzulegen (wenn man jetzt mal eine Generalkritik am Strafrecht außen vor lässt, was auch nicht leicht fällt). Persönlich sehe ich oft die eigentliche Willkür in der Feststellung von „Eventualvorsatz“ bei zivilen Angeklagten. Das passiert dann halt oft deshalb, weil man den Angeklagten „ja nicht einfach so davon kommen lassen“ könne.

Es führt auch vor Augen, wie hart es manchmal sein kann: Natürlich muss der Angeklagte nicht angeben, was sein Schuss bewirken sollte. Es reicht juristisch, wenn er klarmacht, was er nicht bewirken sollte: Eine Tötung. Nur nimmt das anderen Angeklagten niemand ab, wenn sie nicht auch sehr gute andere Gründe nennen.

Also: Gleiche Maßstäbe für alle: Ja! Im Zweifel gegen den Angeklagten: besser nicht.

Ciao Hans-Werner und danke für Deinen schönen und sachlichen Kommentar. Wie gesagt, mir fehlt das juristische Hintergrundwissen und die volle Urteilsbegründung wird ja erst folgen. Einstweilen äußere ich mich eben laienhaft und aufgrund des gesunden Menschenverstandes – der ja zugegebenermaßen nicht immer mit dem Strafrecht übereinstimmen muss. Es ist ja vielleicht auch sogar teilweise nachvollziehbar, dass der Staat seinen Bediensteten, denen er eine Waffe aushändigt, einen gewissen Schutz bei dessen Gebrauch einräumt. Ansonsten hast du ja mein Hauptargument schön herausgearbeitet: hier wird mit zweierlei Maß gemessen!

Es gab wohl noch zugestandene „erschwerende Umstände“ zur fahrlässigen Tötung, so eben, dass der Mann offensichtlich bei klarem Geiste war und hätte bedenken müssen, dass sein Verhalten u.U. zu Verletzungen/Tod hätte führen können, er also den Tod billigend in Kauf genommen hat. Mithin: Ich verstehe die dort in Arezzo gezogene feine Linie zwischen dummem Herumspielen mit der Waffe (gefährliche Verletzung mit Todesfolge) und gezieltem Schuss auf Personen (vorsätzliche Tötung) immer noch nicht und das soll ich vermutlich auch gar nicht verstehen.

Vermutlich handelt es sich sowieso um einen schmutzigen, überhaupt nicht sauber zu argumentierenden „Mittelweg“ zwischen einem glatten Freispruch und dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Totschlag, der durch das große Medieninteresse an dem Fall hervorgerufen wurde. Für irgendeine „Fahrlässigkeit“ spricht ja nun wirklich wenig angesichts der Tatumstände, insofern hätte man eigentlich (IMHO) nur zwischen 0 und 14 Jahren entscheiden können. Beides mit jeweils unabsehbaren negativen Konsequenzen. Ich denke, wir haben es mit einem „politischen Urteil“ zu tun, das sowieso keinen Bestand haben wird, wenn beide Seiten eine Berufung anstreben.

Es läuft genau auf die von dir angesprochene Frage zu: Klar hat Spaccarotella angegeben, „niemanden töten zu wollen“. Was er allerdings sonst vorhatte (wenn schon kein „bedingter Tötungsvorsatz“), als er auf Distanz beidhändig auf ein davonfahrendes Auto zielte und abdrückte, wird Kern der Berufungsverhandlung sein. Ich bin gespannt.