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Ultras sind keine Terroristen II

Wie sagte Cagliaris Präsident Massimo Cellini letztes Jahr so schön: „Wenn ein Flugzeug entführt wird, jagt man den Täter, schließt aber doch nicht gleich den gesamten Flughafen.“ Ich bin ja Oldschool und der Meinung, Waffen haben in Auseinandersetzungen nichts zu suchen, keine Messer, keine Knüppel, kein Pfefferspray – überhaupt nichts außer Fäusten, wenn es denn überhaupt sein muss. Ich kann auch Leute verstehen, die komplette Gewaltfreiheit fordern. Und dann gibt es natürlich notorische Gewalttäter unter den Ultrà s – wie in jeder anderen Bevölkerungsgruppe auch. Alle diese Positionen finden sich unter Stadionbesuchern, warum wird das also nicht differenziert betrachtet?

Knüppeln ein Türke und ein Grieche einen deutschen Rentner in der U-Bahn nieder, mahnen sofort alle, man dürfe doch nun bitte nicht alle Ausländer in einen Topf werfen, wer anderes sagt, ist ein Rechtspopulist (also eine nette Umschreibung für Nazi). Keineswegs dürfe man aus einzelnen Gewalttaten fehlerhaft integrierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund schließen, es gäbe unter türkischen Jugendlichen etwa ein Gewaltproblem. Alkohol und Zigaretten werden nicht als Droge klassifiziert, obwohl jedes Jahr zehntausende elend daran verrecken – man darf doch nicht der Mehrheit der verantwortungsvoll mit Genußmitteln umgehenden braven Bürger bestrafen, weil ein paar Leute es übertreiben. Auf jeder Dorfkirmes mit Blasmusik gibt es nach Mitternacht irgendwelche Schlägereien – ist deshalb mal jemand der Kommunalpolitiker aufgestanden und hat vermeldet, solche Feste müssten verboten werden, weil das Verletzungsrisiko für Unbeteiligte zu hoch ist? Und nur weil alle in Tiefkühltruhen oder Blumenkästen zwischengelagerten Kinderleichen sich in Ostdeutschland fanden, darf man noch lange nicht sagen, es gäbe wohl einen evidenten Unterschied in den beiden Teilen Deutschlands, was die aromaschonende Unterbringung des eigenen Nachwuchses angeht. Ähnliches gilt für Nazis (deren massive Präsenz in ostdeutschen Kleinstädten die Kühltruhenlösung nochmal in einem gefälligeren Licht erscheinen läßt): nur weil es eine statistisch gravierende Häufung rechtsextremer Gewalttaten in der ehemaligen DDR gibt, darf man dagegen doch jetzt bitte nicht vorgehen; die armen Jungs sind halt ein bissel desillusioniert aber nicht alle gefährlich. Erschießt ein Carabinieri, unter welchen Umständen auch immer, einen Menschen auf einem Autobahnrastplatz wird sofort unisono deklariert, dass es sich dabei um einen tragischen Einzelfall handelt, der lückenlos aufgeklärt werden müsse; keinesfalls dürften nun alle Polizisten kollektiv angefeindet werden!

Überall also individuell zu bewertende Einzelfälle, jegliche Art von soziologischer Argumentation ist undemokratisch, weil sie den Einzelfall nicht bewertet. Nur bei Ultrà s wird mit Sippenhaft argumentiert. Ins Giuseppe-Meazza-Stadion passen gut 85.000 Besucher, schätzen wir mal 20.000 in der Kurve, alles Individuen mit unterschiedlichsten Biografien, sozialen Hintergründen, Bildungsniveaus und Kaufkraft, vereint nur durch die Farben als kleinstem gemeinsamem Nenner. Bekommt nun ein Auswärtsfan nach dem Spiel von einem Heimfan eine Flasche über den Kopf gezogen und wird mit einer Platzwunde im Saniwagen behandelt, waren die alle schuld daran. Niemand fragt, ob da ein betrunkener Vollidiot an einer Gruppe Milan-Fans vorbeigelaufen ist und seinen Schal provozierend hochgehalten hat. Wenn ich nach dem Spiel zu Fuß quer über Mailands Westtangente wandern und dabei von einem Auto erfasst würde, dann fänden das sicher manche schade, vermutlich würde aber niemand die Schließung aller italienischen Autobahnen für den Straßenverkehr fordern. Weil ich ja irgendwie selber schuld wäre.

Es gibt unter Ultrà s gewaltgeile, komplett zugekiffte, asoziale Vollausfälle, die ich im Stadion nicht sehen will und für die ich mich schäme, weil sie dieselben Farben tragen wie ich. Dieses Pack gehört aus der Kurve entfernt, am besten von den eigenen Fans. Es handelt sich bei solchen Individuen in der Tat um Einzelfälle – ein Banner zugekiffter asozialer hirntoter Messerstecher ist mir bislang unbekannt. Ansonsten besteht an allen Orten, bei denen viele junge Männer zusammenkommen, ein statistisch erhöhtes Risiko von Schlägereien: auf Open Airs, in Dorfdiskos, beim Militär oder nachts vorm Supermarkt. Es gibt Gewalt im Umfeld von Fußballveranstaltungen, es wäre schön, wenn diese genauso bewertet würde, wie Gewalt anderswo auch. Selbst wenn es sich um ein Produkt handelt, bei denen jedes Jahr Milliarden umgesetzt werden und dessen Beschmutzung ein paar Sponsoren um die Werbewirksamkeit ihrer Investitionen bangen läßt.

Oder seid konsequent, liebe Medien, und berichtet einmal wahrheitsgemäß über Körperverletzung, sexuellen Mißbrauch, schwerer Gesundheits- und Verkehrsgefährdung im Rahmen des Münchner Oktoberfests und fordert folgerichtig dessen Schließung. Ich freue mich auf eure Beiträge!

Weiterführende Links

B.A.F.F. Bündnis aktiver Fußballfans – Reclaim the Game
Initiative Pro Fans – Aktion für den Erhalt der Fankultur, gegen Kommerz, Repression u.a
Unsere Kurve – Bundesweite Interessengemeinschaft der Fanorganisationen
No al calcio moderno – Gegen den modernen Fußball
TifoNet – Ultrà s Community seit 1995
www.fussballfans-beobachten-polizei.de – Fußballfans beobachten Polizei
www.fansicht.ch – Schweizer Projekt mit ähnlichen Anliegen
www.grundrechtekomitee.de – beschäftigt sich mit Grundrechten und Demokratie
www.cilip.de – Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit e.V.
www.polizeigewalt.de – wie der Name schon sagt
www.datenschutz.de – virtuelles Datenschutzportal
www.bigbrotherawards.de – der unbeliebte Preis für Verletzung der Privatsphäre
http://www.kritische-polizisten.de/
– Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten e.V.
www.rote-hilfe.de – strömungübergreifende linke Rechtshilfeorganisation
www.copcontrol.de – Artikelsammlung zu Polizeiübergriffen
www.nachrichtenaufklaerung.de – unterdückte Nachrichten

12 Antworten auf „Ultras sind keine Terroristen II“

Dein Wort in Gottes Ohr, das Beispiel Barclay’s Premier League ist nun wirklich die größte Drohfassade, die man mir aufbauen kann. Vielleicht ist meine Schärfe vor dem Hintergrund auch besser zu verstehen: Als kleiner Junge wollte ich unbedingt einmal Arsenal sehen – mittlerweile will ich eigentlich nur noch mal Millwall sehen, aber „The New Den“ soll ja auch nicht mehr das wahre sein…

Insgesamt – wenn man mal alle Romantik herausstreicht und meine Erfahrungen von früher, wo natürlich alles besser war – scheinen sich alle Beteiligten auf einen Kompromiss hinbewegen zu müssen. Und an der Stelle steht womöglich Deutschland in der Tat als eine Art Musterbeispiel zwischen England und Italien: England steht für Premier-League Spitzenspiele in ödester Langeweile in reinen Sitzplatzarenen für 75 EUR pro Kopf, vollgedröhnt von Werbegedudel und Merchandising-Gimmicks, bei denen Teams antreten, die von irgendwelchen Investoren auf Rendite getrimmt werden. Mit Fankultur hat das alles nur noch wenig zu tun. Demgegenüber stehen (oder besser: standen) die italienischen Kurven als Erfinder der Ultrà-Bewegung, die sich in der Tat teilweise in mafiöse Wirtschaftsunternehmen mit einiger politischer Schlagkraft entwickelt haben. Auch hier stimmt das Bild der begeistert und bunt ihr Team unterstützenden Tifoserien leider schon länger nicht mehr so ganz.

Ausgegangen davon, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt, sollte sich – gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen eines knallhart durchkommerzialisierten englischen Fußballs einerseits und den anarchischen Machtbestrebungen italienischer Kurven andererseits – in irgendeiner Form ein Kompromiß finden lassen. Und da sind mir deutsche Verhältnisse in der Tat lieber als englische.

Wobei zu beachten ist (siehe mein letztes Argument), dass PayTV in Deutschland eine viel viel geringere Akzeptanz und Stellenwert hat als in England und Italien! Denn ich stimme Dir immer noch nicht voll zu, was die Sponsoren angeht, die das authentische Produkt vermarkten wollen. Dem würde ich entgegenhalten, dass bei einer Ratio von 50.000 Zuschauern im Stadion gegen 3 Millionen Reichweite im Pay-TV denen die Situation in den Stadien bald sowieso egal ist. Nötigstenfalls werden Hintergrundgeräusche eben digital eingespielt oder verstärkt – schonmal bemerkt, wie machtvoll bei manchen Spielen die Fankurve klingt, auch wenn da vielleicht nur 200 Gestalten Welle machen? Ich würde jetzt auch nicht meinen gesamten Besitz dagegen wetten, dass in 10 Jahren nicht womöglich die Kurve von Pixar präsentiert wird. Ich glaube also, dass die vergleichsweise positive Situation in Deutschland der mangelnden Reichweite von Premiere geschuldet ist.

Woran jedenfalls niemandem gelegen sein kann, ist ein Fußball, von dem sich breite Bevölkerungsschichten abwenden, weil es nicht mehr „ihrer“ ist. Die Reaktionen auf den seinerzeitigen Versuch von SAT1, „ran“ samstags um 20.15 Uhr zu bringen, waren da sehr ermutigend. Und da waren keineswegs die Kurven tonangebend. Wenn irgendetwas die „Modernisierung“ des Fußballs noch zu Fall bringen kann, dann ist es eine Massenbewegung der „normalen“ Fans weg von den Auswüchsen des „calcio moderno“ – und die findet ja in der Tat bereits teilweise statt: weitgehende Mißachtung idiotischer Champions League-Gruppenspiele, dahindümpelnde Premiere-Kampagnen und eben halbvolle Stadien.

Natürlich artikulieren sich Ultràs am deutlichsten, wenn es um ihr Heiligtum geht, aber die Hoffnung gegen eine volle Durchkommerzialisierung des Fußballs liegt meines Erachtens im Verhalten der breiten Masse der Fußballinteressierten. Und davon werden Fußballfans aller Begeisterungsstufen profitieren. Und eben auch die Sponsoren. Denn nur gegen die Fans oder nur gegen (und ich glaube, hier treffen wir uns wieder) die Sponsoren bewegt sich überhaupt nichts. Im Idealfall können Sponsoren ein werbewirksames Produkt nutzen und den Fans ihre Freiräume lassen. So wie es ist, stehen wir jedenfalls am Scheideweg.

Hmm, nach einigem Nachdenken kann ich dieser Ultras Kommerzialisierung Gegenüberstellung nicht vorbehaltlos zustimmen. Wie Du selbst ja auch an anderer Stelle bemerkt hast, sind die Irriducibili ja wohl mittlerweile vor allem ein Wirtschaftsunternehmen (wie viele Läden haben die in Rom?), wobei sich politische und finanzielle, mafiöse und sonstige Interessen auf typisch italienische Weise prima und ungesund vermischen.

Ich glaube, es gibt in dieser Hinsicht ja auch eine tiefe Spaltung zwischen den kleinen, sozial engagierten Ultra-Gruppen, die Du bis hinunter in die Tiefen der Dilletanti findest und den großen „Kommerz-„Kurven, wo (illegal) sehr viel Geld verdient wird / worden ist.

Das könnte bspw. auch ein Grund sein, warum man jetzt härter dagegen vorgeht, damit man dieses kartellmäßig organisierte Geschäfstmodell da endlich unterbindet. Könnte auch sein, dass eine neue Berlusconi-Regierung das dann sogar wieder etwas lockerer angehen lässt, weil man ähnlichen Geschäftsmodellen selber nicht so fern steht.

Man kommt ja wirklich nur äußerst selten dazu, ausgerechnet Deutschland als Vorbild zu nehmen, aber bei allen Repressionen und Problemen finde ich doch, dass es hier sehr viel besser läuft.

Du hast trotz VIP-Lounges immer noch überall billige Karten, (selbst in München: 7 Euro / Kurve ermäßigt, dafür kannste nichmal mehr ins Kino gehen ansonsten), die Hütten sind voll, die Stimmung oft gut, nur der Fußball (oder gerade der) eben oft auch mäßig.

Den Widerspruch zwischen totaler Vermarktung und Fußballkultur im Sinne eines regional begründeten Allgemeinguts, das allen gehört, die im Verein sind, dort hingehen oder an dem Ort leben hast Du natürlich zunehmend überall.

Aber ob total vermarktete Stadien für Werbekunden, die gerne auch das Abenteuer vermarkten wollen, wirklich interessant sind, bleibt abzuwarten. Ich sagte das ja schon mal auf der Milan-Mauer: Der Trend der letzten Jahre (SUVs für die Großstadt, Jungle Camp, Wildnis-Touren, etc.pp.) versucht ja gerade, etwas vermeintlich echtes , ungestyltes, authentisches zu vermarkten.

Auf diesen cleanen Familien-Fun-Scheiße (wobei hier natürlich immer nur die wohlhabende Jacobs-Kröhnung-Familie gemeint ist, nie wir mit unserem Patchwork-Großstadt-Scheiß, die wir alleinerziehend unsere Töchter mit sechs zu St. Pauli schleppen, damit sie sich in der Schule mit HSV-Jungs kloppen) hat doch auf Dauer auch keiner mehr Bock. Sieht man ja in England: Alles teuer, alles langweilig und demnächst = immer leerer. Wetten?

Und das sollen keine sinnvollen Punkte sein? Das mit der fehlenden Lobby ist in der Tat immens wichtig und der Rest Deiner Analyse trifft genau ins Mark: Die Rechte hat keine Probleme, ihre obrigkeitshörige Law&Order-Klientel gegen Rabauken und Krawallbrüder in Stellung zu bringen (wieso eigentlich nie gegen Nazis?) und großen Teilen der etablierten Linken sind organisierte Fußballfans höchst suspekt. Insofern haben Ultràs also keine Rückendeckung zu erwarten, erhalten sie ja auch nicht, weder in den etablierten Medien noch aus Politik und Wirtschaft. Dass die normalinformierte Bevölkerung sich nicht mit den Ultràs solidarisiert, ist ja angesichts der verzerrten Darstellung selbst in der Qualitätspresse nicht weiter verwunderlich (Insofern weichen wir also auf die Klowände des Internets aus…). Ich gehe jetzt nicht gesondert darauf ein, dass die Massenmedien natürlich an der von den Betreibern hochgejazzten Ware Fußball nicht schlecht mitverdienen bzw. (TV-Übertragungen) den Umbau zum calcio moderno massiv selbst betreiben. Dieser Interessenskonflikt liegt ja auf der Hand.

Mindestens ebenso spannend ist doch aber, wieso die Ultràs gerade jetzt so massiv unter Druck geraten. Ist irgendetwas gravierendes passiert? Ist das Gewaltproblem nicht ein Begleiter jedweder Großveranstaltungen seit den Tagen Spartas? Reicht diese billige Argumentation wirklich, um Auswärtsfahrtverbote und die gesamte weitere Liste an undemokratischen Repressalien bis hin zum Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung glaubhaft und nachvollziehbar zu machen?

Ich bin der Meinung, Ultràs stehen schlicht und ergreifend der reibungslos geölten kapitalistischen Verwertungsmaschine im Weg. Fußball wird seit einigen Jahren forciert zum reinen Wirtschaftsbetrieb umgebaut. Argumentativ flankiert wird das maximale Auspressen der Verwertungskette der Ware Fußball mit horrenden Spielergehältern und dass die Fans nur so Ihre Stars finanziert bekommen würden. Klingt für Otto Eventfan erstmal nachvollziehbar. Der geht aber auch nur zweimal im Jahr zu Spitzenspielen, freut sich, dass er im Warmen und Überdachten sitzt und hat ansonsten ja ein Premiere-Abo. Den Durchschnitts-SZ-Leser interessiert also erstmal überhaupt nicht, was modernen Fußball für Ultràs so untragbar macht: Anstoßzeiten, die es teilweise komplett unmöglich machen, zu Auswärtsspielen zu fahren und insgesamt niemals Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse der Besucher im Stadion. Dröhnende Beschallung der Stadien vor und nach den Spielen wie auch während der Halbzeitpause macht ordentlichen Tifo unmöglich. Stadien werden mit einer armseligen Sicherheitsargumentation in reine Sitzarenen umgebaut. Banner und Losungen müssen eingereicht und genehmigt werden. Exzessive Stadionverbote und Sippenhaft für ganze Fan-Gruppierungen. Usw. usf. – ich denke, wir kennen die Auswüchse des modernen Fußballs alle hier zur genüge.

So, und jetzt werfe ich noch ein, dass der Ultrà sich dieser Verwertungskette entzieht, indem er eben keine der jährlich wechselnden Spielertrikots für 120 EUR kauft, keine Bayern-SparCard hat, keine Logenplätze bucht, Merchandising ignoriert und die Spiele nicht etwa auf Premiere sondern maximal per Live-Streaming chinesischer Fernsehsender verfolgt, wenn es denn sein muß. So ein Ultrà besetzt im Stadion einfach sinnlos Plätze, die an viel gewinnbringendere „Fans“ verkauft werden könnten. Fans also, die pro Kopf einfach deutlich mehr Geld direkt an die Betreiber der Ware Fußball zurückgeben, das ebenjene in teilweise absurdem Wettbieten zu grotesken Summen an ebenjene Massenmedien verkauft haben, die nun Stimmung gegen die einzige Bewegung machen, die dem Turbokapitalismus in den Fußballstadien die Stirn bieten: den Ultràs. Man sägt ja auch nicht gern an dem Ast, auf dem man sitzt – oder unterstützt diejenigen, die sägen. Ultràs stören die Verwertungskette Fußball, wagen es zudem auch noch, Forderungen zu stellen und gehören folglich zurückgedrängt. Und genau das beobachten wir jetzt – umso enttäuschender ist es, wenn auch eigentlich aufgeklärte Teile der Medien genau auf die Argumentation der Fußball-AGs einschwenken. Naja, machen wir halt allein weiter.

Natürlich nicht so einfach, hier jetzt noch nicht genannte, sinnvolle Punkte hinzuzufügen, aber einen hätte ich noch: Die Wahrnehmung der Roland brutalstmöglich Koch Kampagne vs. kriminelle Ausländer (wobei sie eigentlich scheiß Kanaken meinen) ist bei mir doch insofern ein wenig anders, dass es da zwar tatsächlich all die mahnenden Gegenstimmen gibt, der Erfolg ja aber trotzdem riesig ist:
Alle reden drüber und auch, wenn es bei Umfragen niemand zugeben will: Die hessische Braunzone wird Koch zu einem weiteren großen Sieg auf dem Rücken von Minderheiten verhelfen, denk am Sonntag an meine Worte (auch wenn ich hoffe, dass es anders kommt).

Von daher finde ich, dass die Parallelen zwischen den populistischen Kampagnen der BILD und anderer ähnlich tickender Medien gegen Ultras durchaus da ist. Der Unterschied ist vielleicht gerade nur der, dass Fußballfans praktisch überhaupt keine Lobby haben, weil sie gerade auch der Linken (und damit meine ich jetzt nicht Hausbesetzer-Linke, sondern alles ab SPD) völlig schnurz sind.

Die Rechte zieht gegen die „Chaoten“ und „Rowdys“ ihren Ordnungswahn durch und die liberale Linke (Vertreterin par exellence für dieses Spektrum: Frau Schönau) hält die Ultras eh alle pauschal für Nazis. Ergebnis: Außer eben jenen interessiert sich niemand für die Tifosi, wodurch viele tatsächlich Nazis geworden sind.

Gerade in Italien handelt es sich dabei (wieder mal) um eine Folge des nur noch historisch zu nennenden Versagens einer Linken, dessen vorläufig letztes Kapitel gestern im römischen Senat geschrieben wurde.

Jede nennenswerte Bevölkerungsgruppe ist manchmal bekloppt, wart mal, bis ich von meinen Hausbesetzerzeiten in der Kreutziger oder meinem Leben auf Orkney erzähle… 😉 Man muss auch nicht jede Gruppierung toll finden oder dabei sein wollen. Ich zum Beispiel finde die meisten Menschen bekloppt (letztens mal RTL geschaut?). Problematisch wird es, wenn ganze Gruppen kriminalisiert und Repression unterworfen werden – das ist erstens Blödsinn (vgl: Rassismus) und führt zweitens direkt ins Desaster.

Und das obwohl ich mir wünsche, dass Faschos mal so kriminalisiert werden würden wie Ultràs. Aber die habens ja nur mit Ausländern…

ich wär eher für jesus für den fussball, oder am besten für alle…

ultras sind fans. manchmal bekloppte. für mich zu sehr kollektivistisch. aber singen können sie gut. auf jeden fall sind sie keine terroristen!

Danke für den tollen Kommentar! Dem ist nichts hinzuzufügen und ich stimme Dir vorbehaltlos zu, wenn es darum geht, Gewalt jeglicher Art aus den Stadien zu verbannen. Insbesondere gebe ich Dir recht, was die Eigenverantwortung der organisierten Kurven angeht, aber da sind die Fronten zwischen Fans und Staatsmacht in Italien nach den Ereignissen 2007 absolut verhärtet und differenzierte Betrachtung der eigenen Strukturen ist von beiden Seiten nicht wirklich angesagt.

Einstweilen würde es mir – ganz pragmatisch – genügen, wenn bewaffnete Attacken komplett geächtet und entsprechend verfolgt würden und Gewalt unter jugendlichen Fußballfans in der Medienöffentlichkeit genauso bewertet und diskutiert würde, wie es in anderen Bereichen auch passiert.

Ja, da kann ich nur zustimmen. Die Pauschalisierungen der Massenmedien sind selten ertragbar, wenn man in der persönlichen Erfahrung einen eigenen Blick auf die Geschehnisse werfen kann.

Aber ich denke, dass wir in unserer Kritik gegen die öffentliche Beurteilung der Fußballfans im Allgemeinen und die Sanktionen der staatlichen Behörden eines nicht tun dürfen: Das Problem herunterspielen und auf Einzelfälle verweisen.

Dafür gibt es m. E. einige Gründe: Denn gerade wenn Fans friedlich organisiert sind, müssen sie die Kraft ihrer Organisation nutzen, um zu verhindern, dass sich Einzeltäter im Lichter der Gruppierung gewalttätig verhalten. Da tragen auch die friedlichen Fans selbst eine große Verantwortung, der sie m. E. nur selten gerecht werden. Es nützt dann eben nichts,, wenn man sagt, ja der hat ein Pulli mit unserem Logo getragen, der gehört aber eigentlich nicht zu uns. So nicht!
Zweitens darf das Problem der Gewalt nicht bagatellisiert werden, wenn es nichts mit dem Fußball zu tun hat und der Sport nur das Ventil darstellt. Gerade dann muss man für Aufsehen sorgen, dass entsprechende Maßnahmen vorbereitet werden können und Mittel zur Prävention und Aufklärung bereit gestellt werden. Sonst können sich Radikale aus dem gesellschaftlichen Abseits in die Mitte der friedlichen Fans stellen und die Medien nehmen alle in Sippenhaft. Dagegen muss man sich wehren, indem man diese Leute brandmarkt und sich aktiv zur Wehr setzt. Da reichen die hochgehaltenen roten Karten bei weitem nicht aus. Hier ist Zivilcourage gefragt. Auch und erst recht von den unpolitischen Fans! Es nützt dann wenig, wenn man die Medien dafür verantwortlich macht. Denn man hat es selbst versäumt sich deutlich zu distanzieren.
Drittens muss man sich dagegen wehren, dass es den Radikalen leicht gemacht wird ihren Standpunkt unter den gemäßigten Fans zu rechtfertigen. Schon mal von der Polizie vermöbelt worden? Ich schon. Wenn man solche Erfahrungen gemacht hat, dann braucht es schon eine Menge an charakterlicher Ausgeglichenheit um nicht dem nächstbesten Fundi in die Arme zu laufen. Insofern hast du vollkommen recht: Gewlt erzeugt Gegengewalt. Dagegen muss man sich wehren. Aber nicht mit den Fäusten, sondern in dem man sich für Aufklärung und erzieherische Prävention stark macht. Wir brauchen Fanprojekte, Sozialarbeiter in den Stadien, wenn sich dort der Unmut derjeinigen äußert, die gesellschaftlich auf der Stecke geblieben sind.

Allerdings ist der dritte Punkt der am schwierigsten durchzusetzende. Wie soll man den Politikern das klar machen, wenn man bei einer Demo gleich von den Polizisten vermöbelt wird und einige dann mit Gewalt antworten? Dann haben die Politiker wieder recht gehabt. Wir brauchen einen Ghandi des Fußballs…

Naja, ich kann ja auch mal ein bisschen polemisch sein. 😉 Aber selbst eine intelligent geführte Diskussion, bei der wir nicht immer auf einen Nenner kommen, ist ja hundertmal mehr, als das was sich in den Medien so abspielt. Aber bitte, meine Sicht ist ganz furchtbar subjektiv und mit Sicherheit nicht allwissend aber zur Zeit wirklich etwas angepisst – ich schreibe aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Tifo vom AC Milan in Italien. Ich bin zwar schon lange nicht mehr wirklich mit der deutschen Szene in Berührung gekommen, aber ich denke trotzdem, dass es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen der Mehrheit der ostdeutschen Hools und der Mehrheit der italienischen Ultràs. Selbstverständlich sind die Attacken z.B. in Leipzig oder Dresden organisiert, bewaffnet und kriminell. Ich frage mich allerdings, wieviel von diesem Gewaltpotenzial nun wirklich noch etwas mit Fußball zu tun hat oder ob sich da der politisch radikalisierte Mob sich nicht mangels Ausländern eine andere Bühne und ein anderes Ziel zum Frustrationsabbau sucht. Ich werfe einmal ganz naiv in den Raum, dass die Fußballbezogenheit dieser Auseinandersetzungen dann doch deutlich hinter andere gesellschaftliche Gründe zurückgeht. Dieser Schwachsinn passiert ja nicht zufällig häufig in Ostdeutschland.

Demgegenüber sehe ich die Situation in Italien, meinetwegen blauäugig und polemisch, dann doch etwas differenzierter. Viele Kurven sind dezidiert unpolitisch, d.h. politische Gesinnungsfragen sind explizit aus der Curva verbannt. Ultràs definieren sich – bei allen Differenzen auch zur Gewaltfrage – vornehmlich über Fußball und der Sport steht im Vordergrund. Während wir in Leipzig vermutlich bald den ersten Toten zu beklagen haben, herrscht z.B. zwischen den Kurven von Inter und Milan ein seit 20 Jahren währender, europaweit gültiger Waffenstillstand. Dass es sich auch bei italienischen Hardcore-Fans um keine homogene Masse handelt, darauf hatte ich schonmal an anderer Stelle hingewiesen. Der Artikel beschreibt römische Ultrà-Gruppierungen, die sich zu mittelständischen Betrieben mit einiger Wirtschaftskraft gemausert haben und dabei eine fruchtbare Zusammenarbeit über die gesamte Bandbreite des politischen Spektrums hinweg üben. Die Frage ist, ob so etwas noch unter einer irgendwie faßbaren Definition des Begriffs Ultrà zusammengefasst werden kann, vermutlich liegt da ja mein Fehler.

Aber richtig, es gibt auch organisierte Gewalt im Umfeld italienischer Stadien, in Deutschland ja sowieso, spätestens die Reaktion römischer Ultràs auf die Tötung Gabriele Sandris hat das ja auch in deutsche Fernsehstuben gebracht. Ein großer Teil dieser Gewalt geht aber – und das wird nun wirklich gern unterschlagen in der öffentlichen Diskussion – direkt auf die seit Jahren wachsende Repression seitens der forze d’ordine zurück. Gewalt erzeugt Gegengewalt und die kontinuierliche pauschale Kriminalisierung auch der kritischsten Fanbewegungen unter dem Vorwand einer aufgebauschten Gewaltdarstellung sorgt allerhöchstens für eine Verhärtung der Fronten und eine starke Solidarisierung. Gelöst wird so kein einziges Problem, im Gegenteil.

Naja, ich kann deine Einschätzung nicht wirklich teilen. Sicherlich ist es nicht angemessen eine ganze Kurve in Sippenhaft zu nehmen. Auf der anderen Seite handelt es sich beim Fußball eben gerade nicht mehr um Einzeltäter! Meistens gibt es organisierte Gruppen, die auch nicht vor Gewalt zurückschrecken. Im Osten Deutschlands muss man leider eine Vermischung von Neonazis und Hooligans/Ultras beobachten. Wenn es dann zu Gewalt kommt, die mittlerweile eben nicht mehr vor dem Einsetzen von Waffen wie Messer, Baseballschlägern und Pistolen zurückschreckt, dann ist es m. E. eine Verharmlosung, wenn man von Einzeltätern spricht. Das geht mittlerweile an den Realtiäten in Deutschland (und wohl auch in Italien, man denke nur an Lazio) vorbei!

ich stimme dir aber zu, wenn es um die Maßnahmen gegen die Gewalt geht. Fußball ist derzeit einfach nur ein prominentes Ziel, weshalb es leicht ist Aufmerksamkeit zu wecken. Sollte man es dort unmöglich machen, wird sich die gesellschaftliche Frustration einen anderen Ort suchen. Dem kann man letztlich nur mit Aufklärung, Erziehung und sozialer Gerechtigkeit begegnen. Sicher nicht mir Verboten.

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