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Tod eines Handlungsreisenden

Es ist ein paar Jahre her, als ich mit einem Freund aus Turin bei einer kühlen Apfelsaftschorle auf meiner Terrasse saß und wir uns über Fußball unterhielten. Selbst für einen Süditaliener vergleichsweise aufgebracht, erzählte er mir, was ihm widerfahren war: Er hatte Besuch von Freunden aus Griechenland und der Plan war, gemeinsam ein Spiel im gerade errichteten Juventus Stadium zu besuchen. Nun ist besagter Freund nicht etwa Ultrà, aber Karten für die Kurve sind für Griechen ökonomisch erreichbar und soweit man in besagter Arena noch von Stimmung sprechen kann, findet sie sich dort, wo die organisierten Gruppen stehen. Erste Verunsicherung machte sich breit, als man ihm an der offiziellen Vorverkaufsstelle von Juventus mitteilte, diese Karten würden am Sitz der „Drughi“ verkauft. Genau, die namensgebundenen Karten, für deren Erwerb man Ausweis und Steuernummer benötigt und die eingeführt wurden, um „die Ultrà-Logik zu brechen“, wie es Innenminister Maroni seinerzeit formulierte, wurden von der wichtigsten Ultrà-Gruppe selbst vertrieben. Aber besagter Freund ist Italiener und in diesem Land ist ja grundsätzlich alles möglich. Also machte er sich auf zu den Drughi, um vier Karten zu erwerben: „Das macht 200 EUR extra, vier mal die Jahresmitgliedschaft á 50 EUR…braucht man nur einmal im Jahr bezahlen.“ Klar, dass man Mitglied der Ultràgruppe werden muss, sonst hat man in der Kurve ja auch nichts zu suchen…

Diese Episode ist mir vor Kurzem wieder in den Sinn gekommen, als ich einen Bericht zum Freitod von Raffaello „Ciccio“ Bucci las, einer der ehemals wichtigen Männer der Drughi. Bucci hatte während der langen Jahre der Abwesenheit des eigentlichen Capos der Drughi, Gerardo „Dino“ Mocciola, die Geschäfte der wichtigsten Gruppe der Curva Scirea geführt. „Dino“ war knapp 20 Jahre in Haft wegen Raub, bei dem ein Carabiniere ums Leben kam, danach verhinderte ein Stadionverbot den Besuch der Kurve. Und so war, schreibt es die Repubblica, Bucci verantwortlich für den Handel mit Eintrittskarten oder Merchandizing mit dem Logo der Drughi. Einen Job, den er offenbar so gut machte, dass ihm der Club einen Posten als „Mittler“ zwischen Club, Fanszene und Sicherheitsbehörden anbot, als rechte Hand des Event Managers von Juventus, Alberto Pairetto. Bucci trat mit der Saison 2015/16 seinen Job an. Offiziell für die „Telecontrol“ angestellt, war sein Aufgabenbereich dem eines deutschen Fanbeauftragten. In Italien gibt es auf Druck der UEFA nun auch Fanbeauftragte, so genannte SLO („Supporters Liason’s Officer“), Menschen deren Aufgabe darin besteht, als Schnittstelle zwischen Fans, Polizei und Verein zu fungieren: Bucci kümmerte sich um die Ultràs rund um Drughi, Viking, Tradizione, Bravi Ragazzi und Nucleo 1986, Pairetto um die Fans in Italien und im Ausland.

Im Frühjahr 2014 schon verschwindet Bucci aus der Kurve, dem Vernehmen nach beschuldigt, „nicht mehr die Interessen der Gruppe zu vertreten“. Zur selben Zeit erschien auf den Rängen eine neue Gruppe, die nach einem gebräuchlichen Schimpfwort für Juventus-Fans benannten „Gobbi“ – angeführt von den ‚Ndrangheta Brüdern Rocco und Saverio Dominello sowie dem Begründer der „Italia Bianconera“ Fabio Germani. Mittlerweile befinden sich alle drei gemeinsam mit 15 weiteren Personen nach der Antimafia-Untersuchung vom 1. Juli diesen Jahres in Haft. Zwei Tage, nachdem der 40-Jährige Bucci im Rahmen derselben Antimafia-Operation vor Gericht aussagte, stürzte er sich in der Nähe von Fossano von einer Autobahnbrücke in den Tod. Von den Ultràs als „Verräter, der mit der Polizei redet“ und „nicht mehr die Interessen der Gruppe vertritt“ geschmäht, stand er nun davor, auch seine Arbeit für den Verein zu verlieren. Augenscheinlich sah er den Selbstmord als einzige Lösung. Oder womöglich sahen andere darin die einzige Lösung, man wird es vermutlich nicht erfahren.

Seine Aussage, wieder die Repubblica zitiert die Akten, vom alten Weggefährten „Dino“ Mocciola körperlich bedroht und angegriffen worden zu sein, hatte seine Optionen in der Kurve sicherlich nicht verbessert. Dass er das Ganze in seiner Anhörung darauf zurückführt, dass „Rocco“, der oben erwähnte Rocco Dominello vom Pesce-Ballocco-Clan, schlecht über ihn geredet hatte, dürfte zur Entscheidungsfindung beigetragen haben.

„Ich gebe zu, dass ich Tickets verkauft habe. Es ist nicht so, dass Juve uns die gab, wir haben dort angerufen und bis zu 300 Tickets abgefragt. Wir haben die auf Pump gekauft und später bezahlt“ gab er gegenüber den Behörden zu Protokoll. Rocco Dominello hingegen gab am 4. Juli an, „Ich kaufte von Bucci auch mal 300 oder 400 Karten für die Sektion Canavese der Drughi.“

Nun habe ich keine Kenntnis zur von der Repubblica immer wieder unterstrichenen ‚Ndrangheta-Spur. Die Zeitung hatte eine „Unterwanderung der Kurven durch die organisierte Kriminalität“ bereits u.a. Napoli, Salernitana und Milan bescheinigt und dies mit Namen festgemacht. Allein die Normverteilung der Statistik würde erwarten lassen, dass sich Mafia-Exponenten auch in Stadien finden und nicht nur in Parteien, Parlamenten oder Kasernen, aber darüber werden Gerichte entscheiden. Was aus den Aussagen trotzdem festzuhalten bleibt, ist die gängige Praxis der Vereine, auch nach „Tessera del Tifoso“ und namensgebundenen Tickets, Karten an die eigene Anhängerschaft zu vergeben, um sich die eigene Fanszene gütig zu stimmen. Ebenso wie die gängige Praxis einiger Fanszenen, dies in die eigenen Geschäftspraktiken zu integrieren. Ab und zu dringt so etwas an die Öffentlichkeit und ab und zu stirbt jemand daran. Am 7. Juli 2016 Raffaello Bucci. Dino Geraldo Mocciola ist derweil nicht auffindbar.