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Stefano Faccendini: Tifosi & Ribelli

Tidosi & Ribelli, Fans & Rebellen, war der erste Roman von Stefano Faccendini, einem in London ansässigen italienischen Fußballfan. Und die Leidenschaft für diesen Sport schwitzt aus jeder Zeile. Die Rahmenhandlung bietet eine in den unteren Ligen Italiens leider fast alltägliche Begebenheit: Niedergedrückt von den Schulden, die ein ebenso naiver wie publicity-süchtiger Präsident angehäuft hat, droht einem – fiktiven – Verein der finanzielle Kollaps und damit verbunden der Neustart in der Amateurliga. Die Fans werden von dem Drama in der Sommerpause durch Medienberichte überrascht. Wut, Betroffenheit und Angst machen sich breit. Denn anders als bei einem Abstieg, stellt der Konkurs das konkrete Risiko dar, neben Mannschaft und Spielklasse auch die Farben, das Logo, die Identität zu verlieren. Eine Identität, die von Generationen von Stadionbesuchern weitergereicht wurde.

Es ist nicht so, dass mir der Fußball gefällt. Ich liebe ihn. Ich brauche ihn. Nein, ich gehöre keiner Ultràgruppe an. ich bin nichtmal Rowdy. Ich bin aber auch trotzdem kein verblödetes Medienopfer.

Während die Supporter des Clubs noch über Möglichkeiten diskutieren, ihren Protest kundzutun, platzt die Bombe: Es macht die Nachricht die Runde, dass der scheidende Präsident bereits ein Abkommen mit dem Lokalrivalen für eine Fusion getroffen hätte. Rein wirtschaftlich, kommentiert die Presse, wäre das doch eine fantastische Idee: das Stadion wäre ja durch die „Zusammenlegung“ der Fanlager wieder viel voller, auf neue Farben und Logo könne man sich ja einigen, und überhaupt wäre es doch überhaupt nicht sinnvoll, wenn die lokalen Sponsoren ihre Gelder auf zwei Vereine verteilen würden. Nach einem Moment konsternierter Ungläubigkeit bricht bei den Stehplatzfans die Wut durch. Wir sind doch kein beliebig verschiebbarer Einnahmefaktor? Unsere Väter haben sich mit diesem Schal um den Hals nass regnen lassen, und nun sowas?

Carlo, dem Protagonisten, fliegt eine Sicherung heraus. Gemeinsam mit seinem besten Freund Marco beschließt er den ultimativen Akt des Widerstands. Er besorgt sich eine Waffe und dringt in die Versammlung ein, wo über die Übergabe der Vereinsanteile verhandelt wird. Sie nehmen den neuen und den zukünftigen Präsidenten als Geiseln, dazu die anwesenden Anwälte, Medienvertreter und sonstigen Beteiligten. Man verschanzt sich im Sitzungssaal mit der Idee, mit einer Live-Schaltung ins Radio Öffentlichkeit zu erlangen. Öffentlichkeit für die Stimme der Fans, die sich als essentieller Bestandteil des Fußballs sehen, deren Meinung aber keinen Eingang in die Diskussion findet. Eine Diskussion, die sich – wie immer – auf die ökonomischen Aspekte stürzt und davon ausgeht, dass Fans sich schon automatisch einfinden werden. Fröhliche Familien überall, die behängt mit neu gestalteten Merchandizing-Accessoires ins Stadion strömen, um die neue Kreatur zu beklatschen.

Die Kapitel zur Geiselnahme bilden den Kern von Faccendinis Argumentation: Während draußen die Polizei das Gebäude umringt, spielen sich drinnen Dialoge ab, die die Verwerfungen des modernen Fußballbetriebs hyperrealistisch offenlegen. Zu Wort kommen Journalisten, Anwälte, die beiden Präsidenten sowie Spielerberater und -vermittler. Alle umreißen – aus ihrer Sicht – nachvollziehbare Aspekte des modernen Fußballs. Präsidenten beschweren sich über Vertragsforderungen schon 16-jähriger Söldner ohne Bindung an den Verein. Die Spielerberater sind der Meinung, dass ohne sie der sportliche Absturz bevorstünde. Journalisten referieren, dass sie ja nur das schreiben, was „die Masse“ hören will. Der Präsident wollte sowieso immer nur Siege und sieht sich nun von Allen verraten.

Weil sie uns als Scheiße ansehen: Wir gehen ins Stadion, wir machen die Stimmung und die Geräuschkulisse, wir geben einer Fernsehübertragung erst den Sinn, unser Interesse erhält sie überhaupt am Leben, vom ersten Spieler bis zum letzten Manager oder Fernsehsprecher. Dann sind wir aber die Bekloppten.

Schmerzhaft wird deutlich, dass Fans auf der einen und der Rest des Fußballzirkus‘ auf der anderen Seite so verschiedene Sprachen sprechen, dass sie sich nicht einmal mehr verstehen. Jeder beharrt auf seiner kleinen Wahrheit, allen gemeinsam ist, dass der Fan sich zu fügen habe. Er soll sich freuen, dass in seiner Stadt eine Mannschaft spielt und sich gefälligst zum Klatschen und Geld ausgeben einfinden. Denn schließlich geht es ja um Wichtigeres, als die paar Stehplatzbesucher. Und überhaupt, wie kann man sein Leben an einen Verein binden? An die neuen Farben wird man sich schon gewöhnen…

Keine Lücken lässt der Autor bei der Ausarbeitung der verschiedenen Aspekte des so genannten „calcio moderno“. Sehr intelligent werden die jeweiligen Blickwinkel, Standpunkte und Abhängigkeiten der Rädchen des Systems Fußball ausgearbeitet. Und vor allem in einer lesbaren und sehr unterhaltsamen Form, auch wenn der Inhalt durchaus auch ein hervorragendes Essay hätte befeuern können. Der einzige Kritikpunkt ergibt sich dann aber auch genau hieraus: Stefano ist derart leidenschaftlich vom Thema ergriffen und so sehr davon getrieben, einen Rundumschlag gegen das Business auszuarbeiten, dass das manchmal auf Kosten der „Nachvollziehbarkeit“ der geschilderten Dialoge und der „Ausgefeiltheit“ seiner Charaktere geht. Die Beteiligten hetzen derart durch ihre Statements, dass zwar keine Frage offen bleibt, aber auch kein Raum, Situationen und Charaktere „plastisch“ wachsen und sich entwickeln zu lassen. Sicherlich ist das auch dem Umstand zu schulden, dass „Tifosi & Ribelli“ Faccendinis erstes Buch war, aber seine Protagonisten rezitieren ganz klar „Rollen“, sie stellen wenig individuell die verschiedenen Aspekte des Geschäfts dar.

Dieser Hinweis ändert aber nichts daran, dass das Büchlein ein weit größertes Publikum verdient hätte. Mir ist kein weiteres Werk bekannt, das den Mechanismus des Fußballbetriebs so fundiert und dabei trotzdem unterhaltsam darlegt und darüber hinaus ganz klar Stellung für die Fans bezieht. Und wer würde den Verantwortlichen nicht mal gern die Meinung direkt ins Gesicht sagen? So ganz unter Umgehung von Phrasen…

Da liegen sie falsch, die Vergangenheit gehört selbstverständlich uns. Wir sind das, was wir gelebt haben, jeder Einzelne von uns. Wir sind das Ergebnis unserer Handlungen und unserer Fehler. Genau so wie eine Mannschaft das Ergebnis ihrer Siege, Niederlagen, bitteren Momenten und Trophäen ist. Sie ist das Resultat der Leidenschaft der Fans, die mit ihrer Unterstützung das Ganze trotz Allem Jahrzehnte lang am Leben erhalten haben. Wollt ihr mal kapieren, dass diese Farben, dieses Wappen, Symbole für etwas sind, das weit über das Spielfeld oder Pokale hinaus geht; etwas das tausende Menschen verbindet, die sich nicht einmal kennen?