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Stadionsicherheit im internationalen Vergleich

Vor ein paar Monaten besuchte eine Abordnung nordrhein-westfälischer Innenpolitiker Italien, um sich über Maßnahmen zur Sicherung der öffentlichen Ordnung in und um Fußballstadien zu informieren. Um mal zu schauen, wie man das in anderen Ländern so macht und ob sich da womöglich Inspirationen finden lassen. Auf Etappen in Rom und Mailand wurde sich mit Verantwortlichen von Polizei und Vereinen über italienische Ansätze zur Stadienbefriedung ausgetauscht. Und weil Deutschland nicht Italien ist, äußerte man seitens der Piraten den Wunsch, auch ein Treffen mit Fanvertretern einzuberaumen, um sich die Version derjenigen anzuhören, die direkt betroffen sind. Ideen wie die Einführung irgendwelcher Fankarten oder namensgebundener Tickets werden ja auch in Deutschland ab und zu von Law&Order-Fanatikern, kleinen Polizeigewerkschaftlern oder Krawalljournalisten in die Runde gebellt.

Die Teilnahme von Fans, Ultràs zumal, mag in Deutschland noch halbwegs nachvollziehbar sein, in Italien ist das so nicht vorgesehen. So sitzen im „Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive“, dem Gremium, das das Risikopotential von Fußballspielen einschätzt und die jeweiligen Sicherheitsmaßnahmen beschließt, Vertreter von Liga und Vereinen, Autobahnraststätten und Bahn, aber kein einziger Fanvertreter. Fußballfans werden in Italien als Problem für die öffentliche Ordnung und Sicherheit betrachtet und behandelt, nicht etwa als Steuern zahlende Staatsbürger, die ein Sportereignis anschauen wollen. Vor allem aber werden sie als Problem behandelt, nicht als Ressource, der man ein möglichst angenehmes Stadionerlebnis bereiten möchte. Oft ganz das Gegenteil.

Ich lud also Vertreter der Curva Nord Bergamo und Brescia 1911 ein, dazu Diego Riva von Supporters Direct. Bergamo und Brescia betreiben eines der heißesten Derbies in Italien und beide Gruppen friedlich vereint nebeneinander auf dem Podium sitzen zu haben, sollte das erste Ausrufezeichen sein. Immerhin zwei Stunden standen uns im Konferenzraum eines Mailänder Hotels zur Verfügung, unsere Sicht der Dinge darzulegen. Das hat dann auch hervorragend funktioniert, die Schilderungen vom Leben eines Fußballfans in Italien waren überzeugend und sorgten ab und zu für echte Verwunderung seitens der deutschen Delegation. Vor allem für ein Publikum, das über die teilweise in Italien stattfindende Ordnungswut noch nie etwas gehört hatte. Eingangs- und Ausgangsfrage der Ultràs war jedenfalls, warum um alles auf der Welt sich Vertreter einer Fußballnation mit – bei allen Problemen – vollen und bunten Stadien sich in Italien über irgendwas informieren wollen. „Wenn ihr wissen wollt, wie man Stadien leert, seid ihr hier genau richtig.“ Verbunden mit dem Wunsch, italienische Politiker sollten doch bitte lieber nach Deutschland reisen, um sich dort etwas abzuschauen. Obwohl es für sie selbst nichts zu holen gab, nahmen beide Kurven teil, um ihren Beitrag zu leisten, dass italienische Ideen sich nicht in den Köpfen nordrhein-westfälischer Innenminister festsetzen. Aus Solidarität. Ein paar Wochen später informierten wir alle gemeinsam die Fans des Programms „12esimo uomo in campo“ („12. Mann auf dem Platz“) auf SeilaTV Bergamo von dem Treffen.

Am Dienstag nun fand in Düsseldorf der SPD Landtagstalk „Fußballkultur und Stadionsicherheit – NRW im internationalen Vergleich“ statt. Ich nahm daran teil, ebenso wie die Fanbeauftragten von Köln und Dortmund, die Verantwortlichen der SPD, ein Vertreter der ZIS und Tom Bartels. In einem Eingangsstatement konnte ich für die Beteiligten zusammenfassen, welche Politik der Stadionsicherheit in Italien gefahren wird und wie sich diese auf zum Beispiel die Zuschauerzahlen auswirkt. Im Anschluss entspann sich eine interessante Diskussion auf dem Podium und unter den Gästen. Selbstverständlich waren nicht alle einer Meinung. Selbstverständlich trafen verschiedene Blickwinkel und Ansprüche an ein Stadionerlebnis aufeinander. Aber ebenso selbstverständlich besteht das italienische Problem genau darin, dass man nicht miteinander redet. Und bei allen Differenzen am Ende waren sich denke ich alle Beteiligten einig, dass das „italienische Modell“ nichts ist, was irgendjemand in Deutschland angewandt sehen möchte. Damit wäre viel gewonnen.

Demokratie heißt für mich, dass sich Menschen zusammensetzen, um Meinungen und Überzeugungen auszutauschen und gemeinsam die beste Lösung finden. Das dauert Zeit, das ist oft unangenehm und kompliziert, nervenaufreibend und frustrierend. Das hat keinen Geschmack von Heldentum oder Kompromisslosigkeit und scheint auch kaum kompatibel mit einer rebellischen Jugendkultur, zu der eben auch der Bruch mit Regeln und Konventionen gehört. Fakt ist aber eben auch, dass die Wurzel des derzeitigen Niedergangs der italienischen Stadionkultur der Mangel an Dialog ist: Ultràs verschiedener Vereine sprechen nur im Ernstfall miteinander, Vereine, Polizei und Fans sprechen grundsätzlich nicht miteinander, Politiker sprechen nicht mit Fans und die Presse sowieso nicht. Aber Medien und soziale Netzwerke sind voll mit Meinungen und Anschuldigungen übereinander. Und genau deshalb sind in Deutschland die Stadien voll, bunt, laut, man kann Trommeln und Megaphone mitnehmen und eine Karte kaufen, ohne Namen, Adresse, Steuernummer und Großes Blutbild einreichen zu müssen. Auch morgen noch und vielleicht auch für eure Kinder und Enkel.

Nachtrag: Ich und Alfio von der Curva Nord Bergamo berichten von dem Treffen in Mailand (mit Ausschnitten der Wortbeiträge)

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