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Sonderheft Zwölf: „Fankultur“

Manchmal vergisst man ja Sachen und insofern kam heute ein überraschendes Päckchen an, das der beste Postbote der Welt wie gewohnt vor meiner Haustüre abgelegt hatte. Drinnen fanden sich zwei Exemplare des Sonderhefts „Fankultur“ des schweizer Fußballmagazins „Zwölf“. Ich habe vor Wochen schon einen kleinen Rundumschlag zur aktuellen Situation in Italien beigetragen, der in der Rubrik „Blick über die Grenze“ seinen Platz zwischen Deutschland und England findet. Der Rest des 120 Seiten starken Hefts dreht sich zwar schwerpunktmäßig um die Schweiz, die angesprochenen Themen und Problematiken, die Erfahrungsberichte, Kurvenbiografien und Streitgespräche mit Sicherheitsverantwortlichen sind aber sicherlich in Deutschland oder Österreich ebenso aktuell. Zumal, wenn das Thema mit der sprichwörtlichen schweizer Gründlichkeit abgearbeitet wird.

Der erste Eindruck des Sonderhefts ist großartig. Das von Jeana Hadley im Stile eines Heiligenbildes gestaltete Titelbild ist ein Blickfang und kommt durchaus wertig daher – eine wunderbare Idee, die hier gestalterisch umgesetzt wurde. Und dann endlich mal kein Hochglanz! Vielleicht geht mein persönlicher Geschmack hier mit mir durch, aber ich mag Bücher und ich mag es, mattes Papier anzufassen. Gemeinsam mit dem für die Überschriften gewählten Font und der gedeckten Farbgebung ergibt sich ein stimmiges Layout, das man gern in der Hand hält. Und das knappe A4-Format sorgt dafür, dass man die Texte dann auch prima lesen kann, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Und Platz genug für ein paar grandiose Fotos aus dem schweizer Fußballalltag ist auch – gern gegeneinandergesetzt: Bilder aus den 70er Jahren mit aktuellen.

Und inhaltlich geht es auch ebenso spannend weiter: Diego Stockers Einsteiger „Liebe, Glaube, Unvernunft“ ist einer dieser so unglaublich schwer zu schreibenden Texte, in denen sich jeder Stehplatzfan auf der Welt wiederfinden kann und die man zur Not auch der Mutti auf den Kaffeetisch legen kann, damit sie – vielleicht – versteht, warum man sich um Himmelswillen Jahre seiner Freizeit und viel zu viel Geld mit so etwas Profanem wie Fußball verbrennt. Ein Text, aus dem problemlos jeder Absatz zitierfähig ist. Weiter geht es mit einem Streitgespräch von Basels Präsident Bernhard Heusler, SP-Nationalrat Daniel Sositsch, dem „Präventionsbeauftragten“ der Swiss Football League Jörg Häfeli und Lukas Meier von der Fanarbeit Bern. Diese Transkription ist schon deshalb hochaktuell, weil auch in Deutschland Politik, Vereine, Sicherheitsbehörden ohne Bezugnahme auf Fanvertreter der Meinung sind, Gewalt bekämpfen zu wollen. Besonders lesenswert ist aber, wie es gelingt, Politiker auf ihre Worthülsen zu reduzieren und darzulegen, wie sehr dieser „Sicherheitsdiskurs“ mittlerweile in den Austausch von Stereotypen abgeglitten ist.

Aber auch „Schatten der Gewalt“, eine Spurensuche in der Fangeschichte der frühen 80er Jahre ist unbedingt lesenswert. Weil die Gewaltproblematik damals eben deutlich schwerwiegender war und weil manche der heutigen Kommentatoren vielleicht ab und an einmal an die Zeit „vor Ultrà“ erinnert werden sollten. In „Politik und Kurvendiskussionen“ wird skizziert, wie die Südkurve des FC Zürich den Dialog mit Politikern suchte – und damit weitgehend gescheitert ist. Es wird abgearbeitet, wie und warum es Fans heutzutage in den „Jahresbericht des Bundesamtes für Polizei“ schafften und die Frage gestellt: „Sind aus Fans Kriminelle geworden?“ Aber auch „Fernseh-Fans“ und „Nationalmannschafts-Fans“ werden mit Artikeln bedacht, diese gehören ja – auf ihre Weise und im weiteren Sinne – auch irgendwie zur Fußballfankultur. Und auch mein Lieblingsthema kommt nicht zu kurz: „Die vierte Gewalt im Fanblock“ beschäftigt sich mit der medialen Aufarbeitung von Fankultur oder, kürzer, mit der Frage, warum früher Platzstürme und Pyro für die Medien „Ausdruck von Begeisterung“ waren und heute unisono mit Gewalt gleichgesetzt werden.

Und natürlich ist genügend Platz für die Vorstellung verschiedener Fanlager der Schweiz. So erzählen zwei Fans des HC Lugano, wie sie 1973 Stilmittel der italienischen Ultràs in die Schweiz importierten: „Wir wollten die farbigsten Fans der Schweiz sein.“ Die Grasshoppers kommen ebenso vor wie die Basler Szene, die „Nachwuchs-Ultràs“ vom FC Wiesendangen ebenso wie der FC St. Gallen oder die YB Bern. Mittlerweile haben wir die 9 Euro Gegenwert schon lange überschritten und ich flechte hier schon einmal eine Kaufempfehlung ein. Als Bonus obendrauf gibt es aber noch so aktuelle Themen wie das Verhältnis von Ultràs und Fans von der Gegentribüne, unter dem Titel „Die Kurve des Herrn“ gibt es eine schöne Auseinandersetzung mit dem Stadion „als Männlichkeitsreservat“ oder eine Studie über die Entfremdung der Spieler von den Fans.

Und jede Menge anderes noch… auf der Vorstellungs- und Bestellseite gibt es einen „Blick ins Heft“, da könnt ihr ein bisschen Schmökern und herausfinden, ob der Tippmann nicht wieder nur Mist erzählt. Und hier gibt’s auch einen Auszug als pdf. Ich bin der Meinung, das Heft bietet eine sehr weitreichende Beschäftigung mit dem Thema „Fankultur“, das anhand vieler Perspektiven genügend Anlass zum Nachdenken bietet und verschiedenen Sichtweisen Platz einräumt. Für Schweizer würde ich fast einen Kaufbefehl aussprechen, aber auch für österreichische oder deutsche Fans ist das Heft unbedingt interessant. Die oben angesprochenen Themen betreffen ja mittlerweile fast alle mitteleuropäische Kurven und hier sind sie schonmal sehr gut zusammengefasst und aufgearbeitet. Vermutlich sind ja Sammelbestellungen möglich, um die Versandkosten zu reduzieren, ich kann da auch gern mal nachfragen. Alles in allem eine runde Geschichte, die man sicher auch gern immer mal wieder in die Hand nimmt. Hat Spaß gemacht, zu lesen!

2 Antworten auf „Sonderheft Zwölf: „Fankultur““

Danke Dir für den Tipp.
Bin grad beim Durchblättern und hab mir schon zwei drei Artikel durchgelesen. Bisher gefällts mir. Der Artikel von Ivan Ergic triffts ja sehr schön. Durfte schon einige Interviews von Ihm lesen als er noch aktiver Fussballer beim FCB war. Beeindruckend. Es ist schon sehr ungewöhnlich und erheiternd, wenn sich ein Spieler so kritisch über das Business äussert. davon wünschte ich mir mehr, anstelle der playstation spielenden teenies.