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Rassistische Sprechchöre in Turin

Samstagabend fand in der italienischen Serie A das sogenannte „Derby d’Italia“ statt, Juventus gegen Inter. Zweite gegen Spitzenreiter. Sportlich war der im übrigen grottenschlechte Kick, der 1:1 endete sicherlich nicht richtungsweisend, der Abstand bleibt 6 Spieltage vor Schluß bei 10 Punkten, die Meisterschaft ist seit längerem entschieden. Leider ist mir das Spiel im Turiner „Stadio Comunale“ aus einem ganz anderen Grund in Erinnerung geblieben: weil praktisch 4/5 der Turiner Anhänger nichts intelligenteres einfiel, als den 18-jährigen dunkelhäutigen Inter-Angreifer Mario Balotelli durchgehend mit rassistischen Beleidigungen zu überschütten. Affenlaute, Bananen-Anspielungen, „Wenn ihr springt, stirbt Balotelli“, „es gibt keine italienischen Neger“ und vieles mehr. „In tutti colori“, wie der Italiener sagen würde. Es fällt mir darum nicht schwer, dem Inter-Präsidenten Massimo Moratti voll zuzustimmen und ihn an dieser Stelle zu zitieren:

„Wenn ich im Stadion gewesen wäre, hätte ich zu irgendeinem Zeitpunkt meinen Platz auf der Tribüne verlassen, wäre auf den Platz gegangen und hätte die Mannschaft zurückgerufen. Denn es gibt eine Grenze für alles. […] Diese Sprechchöre kamen aus dem gesamten Stadion mit einer derartrigen Überzeugung, dass man den Eindruck hatte, die wären stolz und glücklich, sie zu singen. Das ist schrecklich, das alles geht weit über das Spiel und das Ergebnis hinaus, über die geschossenen und vergebenen Tore.“

Gegen Milans Stadtrivalen fallen mir hunderte von Beschimpfungen ein, die Bevorzugung durch Schiedsrichter wird mittlerweile sogar von den meisten Inter-Fans zugestanden; ich stimme gern zu, dass Balotelli ein Provokateur und respektloser Unsympath ist. Die Wut der Roma wegen seines geschundenen Elfmeters ist nachvollziehbar, ich habe auch Balotellis armselig-kindische Geste gegen Cristiano Ronaldo im Champions-League-Hinspiel gegen Manchester United nicht vergessen, als er den Weltfussballer mit einer lässigen Handbewegung zum Aufstehen aufforderte. Gerade weil mir so viele Gründe gegen Inter und Balotelli einfallen, finde ich es um so erbärmlicher, dass den Juve-Fans ganz offensichtlich die Phantasie fehlt, den Spieler wegen etwas anderem als seiner Hautfarbe zu schmähen.

Offensichtlich wächst eine gewisse Gewöhnung an den Rassismus. Geht alles gut? Ist alles normal? […] Ich habe mir sofortige Entschuldigungen seitens des Verbandes und der Juve gewünscht, nicht mir oder Inter gegenüber, sondern für den Jungen, für was er in Turin durchmachen musste. Bis jetzt habe ich nichts gehört. Ich habe auch gedacht, dass das Spiel vielleicht vom Schiedsrichter unterbrochen würde: da habe ich mich getäuscht, nichts zu machen.“

Stattdessen dokumentiert die Berichterstattung grösstenteils Beschwichtigungen wie Torwart Gigi Buffon, der zwar Beleidigungen gehört hat, allerdings nichts rassistisches und überhaupt solle der Junge mal aufpassen, dass er mit seinem Verhalten nicht das Publikum provoziert. Zusammengefasst: Der soll sich mal nicht wundern. Etwas anderes hätte ich von einem bekennenden Faschisten nun auch nicht erwartet – beklemmend ist, dass Zehntausende mitmachen. Wie gesagt, ich finde Balotelli selbst für Inter-Verhältnisse auffällig unsympathisch und dass die gegnerischen Tifoserien auf ihn einschießen, hat er sicherlich zu einem guten Teil sich selbst zuzuschreiben. Wieso sich der Hass dann aber nicht gegen Balotelli den „Provokateur“ richtet, den „Schwalbenkönig“, den „Großkotz“, sondern nun gegen das einzige Merkmal, was überhaupt gar nichts mit irgendwas zu tun hat – seine Hautfarbe – ist ein armseliges Beispiel für den Rechtsruck in italienischen Stadien. Mittlerweile hat sich Juves Präsident Cobolli Gigli zu einem Statement durchgerungen, der die rassistischen Anfeindungen verurteilt, unter deutlichem Hinweis darauf, dass es sich selbstverständlich nur um einen kleinen Teil der Anhängerschaft handelte. Das hört sich Samstag aber anders an. Vermutlich haben die aufrechten Demokraten das Spiel ja im Fernsehen verfolgt.

Fabrizio Bocca von der Repubblica fordert ein deutliches Zeichen: Die Juventus-Kurve gehört geschlossen und die Spiele des nächsten Spieltags sollen mit 15-minütiger Verspätung beginnen – als Zeichen dafür, dass hier eine ganz klare Grenze der Zivilgesellschaft überschritten wurde. Der Italienische Lizenzspielerverband wird „sich zusammensetzen“ und kündigt „nach eingehender Beratung“ „drastische Forderungen“ an. Dabei geht es nicht darum, Stadionfans den Maulkorb zu verpassen, Beschimpfungen und Beleidigungen gehören – zumal in einem Derby – zum Stadionrepertoire. Es geht nicht darum, Herrn Balotelli einen Persilschein auszusprechen. Es geht darum, dass wenn es denn sein muss, Balotelli genauso behandelt wird, wie jeder andere Fußballer auch. Rassismus gehört aber nirgendswohin, auch nicht ins Stadion und gegen diese grenzenlose Brunzdummheit muss ein Zeichen gesetzt werden. Nicht dass sich der Eindruck noch weiter vertieft, die Einteilung von Menschen nach Hautfarbe wäre normal. Denn die medial millionenfach verbreitete Normalität rassistischer Beleidigungen gegen einen Sportler dunkler Hautfarbe führt im Umkehrschluß dazu, dass auch non-verbale Gewalt gegen den nächsten pakistanischen Rosenverkäufer gedeckt wird.

Zu ernsthaften Sanktionen wird es sicherlich nicht kommen. Warum denn auch in einem Staat, in dem Faschisten mehrheitlich an der Regierung teilnehmen? In einem Staat, in denen Spieler wie Buffon, di Canio oder Milans Torhüter Abbiati sich problemlos und offen zum Faschismus bekennen. In einem Fußball, dessen Kurven mittlerweile weitgehend stramm rechtsorientiert organisiert sind. Eher typisch ist das Verhalten von Schiedsrichter Farina. Keinesfalls hatte der nämlich das Spiel abgebrochen oder auch nur für ein paar Minuten unterbrochen. Er hätte den Kapitän zu sich rufen können, damit der mäßigend auf sein Publikum einwirkt. Ich brauche nicht erwähnen, dass die Spieler natürlich auch selbst nicht auf die Idee gekommen sind, irgendetwas zu sagen. Genausowenig erwarte ich mir Reaktionen von Federcalcio, Lega oder der Sportgerichtsbarkeit. Ja, das war schon nicht nett, aber das soll jetzt bitte nicht überbewertet werden. Ist doch immer so. Und außerdem soll der Balotelli sich nicht mal so anstellen.

Schade, dass Moratti nicht in Turin war, um seine Mannschaft aus dem Spiel zu nehmen. Schade, dass auch die anwesenden Offiziellen, Spieler und Trainer keinen Anlaß gesehen haben, einzuschreiten. Wo sind denn die geifernden Funktionäre, die nach immer neuen Terrorgesetzgebungen rufen, wenn mal irgendwo eine Rauchbombe abgelegt wird oder eine Fackel hochgehalten? Wo ist denn die Presse, die im Fall von Pyrotechnik immer prompt den Untergang des Abendlandes beschwört? Gut, Antonio Materrese, Chef der Lega Calcio, zeigt sich selbstverständlich ausreichend bestürzt und kündigt „drastische Maßnahmen“ an. Nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass man die Partie besser nicht unterbrochen hätte, wäre doch „das Risiko gewalttätiger Ausschreitungen“ der Curva und Konflikte zwischen „pfeifenden“ und „nicht pfeifenden“ Zuschauern zu groß. Ich denke, ich nehme nicht zuviel Spannung heraus, wenn ich verrate, dass sich die drastischen Maßnahmen maximal als Presseerklärung manifestieren. Ich empfehle: „Rote Karte dem Rassismus!“ oder was ähnlich schmissiges.

Balotelli hat mehrfach Schuld auf sich geladen: Er ist schwarz und er ist Italiener. Als solcher spielt er in der U21-Nationalmannschaft und als solcher wird er vermutlich schon bald bei offiziellen Länderspielen der ersten Mannschaft „Fratelli d’Italia“ mitsingen. Squadra Azzurra, Stolz der gebeutelten Nation. „Non esistono negri italiani“ – „Es gibt keine italienischen Neger“ war einer der Slogans von Turin. „Die Polizei will nun mit Hilfe von Videoaufnahmen die Krawallmacher ermitteln“ erfreut uns T-Online. Das könnten diesmal ziemlich viele werden…

„Ich bin mehr Italiener als diese Fans“, sagte der 18-Jährige, der Inters Tor erzielt hatte, nach dem Spiel. Das wäre mir nun aber sowas von egal…

21 Antworten auf „Rassistische Sprechchöre in Turin“

[…] Nun bin ich seit jeher ein Fan der deftigen Beleidigung im Fußball. Die Älteren werden sich noch erinnern an meine Artikel, in denen ich das Recht der Fußballfans einforderte, den Spieltagsgegner unflätig zu beschimpfen, als das hier im Lande für ein paar Monate als „territoriale Diskriminierung“ mit Kurvenschließungen bestraft wurde. Ebenso schäumen in Italien Twitter und Facebook über von Kommentaren, die einfordern, dass Mancini sich wahlweise „nicht so haben soll“, dass die Sprache im Fußball „eben etwas rauher“ sei und überhaupt sollen die beiden das unter sich ausmachen, anstatt im Fernsehen zu petzen. Ein Männersport eben, wie Sarri schon in der Vergangenheit feststellte: „Fußball ist kein Sport für Schwuchteln.“ Und wie zu erwarten, entwickelt sich die Debatte entlang der bekannten Sollbruchstellen des italienischen Fußballbetriebs: Nord gegen Süd, Napoli gegen Mailand, politische Korrektheit gegen die Umgangsformen eines ehemaligen Arbeitersports. Gelöst auf dieselbe Art und Weise, wie schon vor Jahren nach rassistischen Beleidigungen gegen Balotelli: „Ja, das war schon nicht nett, aber das soll jetzt bitte nicht überbewertet werden. Ist d… […]

[…] Mario Balotelli ist kein einfacher Kerl. Sicherlich das größte italienische Stürmertalent des letzten Jahrzehnts, aber gesegnet mit einem Charakter, der es gegnerischen Fans leicht macht, ihn weniger zu mögen. Und weil das so ist, schwingt sich die italienische Presse gern auf die bequeme Mehrheitsmeinung und stellt ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit als charakterlosen Hitzkopf dar. Da werden für Leute seines Alters völlig nebensächtliche Scherze minutiös aufbereitet, Twitter-Meldungen oder gern auch seine Frisur akribisch auf Schwiegermuttertauglichkeit untersucht. Weniger Platz in dieser höchst emotionalisierten – und weitgehend rassistisch geführten Kampagne – finden die leisen Töne. Kleine Gesten, die den Durchschnittsfan vielleicht mit Nachdenken bedrohen könnten. […]

ich habe lange nicht mehr so einen guten Text gelesen echt ist zwar schon was älter aber so sachlich echt der hammer ^^ super 1++++

einmal ein hallo aus wien 🙂

gratulation zu diesem beitrag und deinem kompletten blog… ist inzwischen eine pflichtlektüre geworden… im deutschsprachigen raum gibt es ja leider nicht allzuviele seiten, die sich mit der fanszene in italien und von milan im speziellen beschäftigen!!

nur weiter so!

grün-weiße grüße
christian

Ciao Christian und ein Gruß aus dem – heut wieder – sonnigen Italien. Danke für dein Lob und ich schau mal, ob mir no awos leiwands einföllt so ab und an. 😉

Kai

echt heftig. ich hab die sache nur am rande (auch aufgrund meier italienischschwächen) mitbekommen. die meisten sender in italien haben soweit ich gesehen hab nur eingeschränkt berichtet. is‘ aber auch keine wunder, wenn faschisten in den redaktionen sitzen.

übrigens, ne schöne episode hab ich beim (unsäglichen) spiel von modena in livorno erlebt. erst gabs saftige beschimpfungen gegeneinander. aber der chrous „25. aprile! oggi e ieri! Sempre Resistenza!“ von den livornesi wurde von den modenesi bereitwillig aufgenommen, so dass fast ein gegengesang aufkam!

Es gibt ja auch wichtigeres als Fußball. 😀 Aber wie gesagt, ich will nicht dem kompletten Stadion Rassismus unterstellen und auch z.B. Seedorf gab in einem Interview zu bedenken, dass weniger Rassismus als vielmehr Ignoranz (ok, die Schnittmenge ist natürlich riesig) zu den Vorfällen führte und man sich grundsätzliche Gedanken um den „tifo contro“ machen sollte.

Das Problem in der Berichterstattung ist aber nicht nur eine vermutete politische Präferenz in den Redaktionsstuben (selbst die Repubblica hielt sich ja auffällig bedeckt bei der Bewertung), sondern auch die Tatsache, dass es um den Spieler Balottelli ging. Wären die Attacken gegen moralisch ansonsten integre Athleten wie Seedorf, Sissoko oder Maicon gerichtet gewesen, hätte es sicher ein ganz anderes Medienecho gegeben. Ging es aber nicht.

Und überhaupt Livorno…solltet ihr nicht mal wieder was gewinnen?

Meinst du das jetzt ernst?

Totti hat doch wenn ich mich recht erinnere selbst aufgehört. Nicht wegen irgendwelcher Charakterschwächen. Du tust ja so als ob er nie in der Squadra gespielt hätte.

Cassano ebenso. Er war auch mal dabei, natürlich ist er ein Arschloch, war gegen Inter teilweise ja auch wieder zu bewundern gestern…

Trotzdem, wenn man allein danach ginge müsste man ja auch Leute wie Buffon, Toni, Gilardino und De Rossi aussortieren.

Du hast wahrscheinlich mal wieder nur eine übertriebene Abneigung gegen Balotelli, weil er Interisti ist.

Guter Text!

Balotelli hat genauso ein Recht ein Arschloch zu sein wie ein gewisser Herr Inzaghi oder C.Ronaldo im Übrigen auch (oder wie ein Pantelic ^^). Ich mag Schwalbenkönige auch überhaupt nicht, andererseits braucht man ja auch wieder ein paar aufreizende polarisierende Spieler, an denen man sich fusselig reden kann.

Aber es ist schon erstaunlich, dass die Squaddra Azzura bis heute immer noch keinen bekannten Afro-Italiener im A-Team hat (oder lieg ich da falsch?).

Naja, hoffentlich wird er mal eingeladen, er ist ein großes Talent.

Ansonsten find ich die Aussage nach dem Spiel von Mario eigentlich ganz verständlich, wenn man sein ganzes Leben lang in einem Land lebt und sich hart durchbeißen muss und dann so beschimpft, angegriffen und verletzt wird, wird man entweder verzweifelt oder trotzig.
Mario lässt sich von den Verbrechern nicht unterkriegen, spricht für ihn.

Im Übrigen passiert sowas in Deutschland auch jedes Wochenende, nur nicht mehr in der ersten Liga. Trotzdem sind die selben Probleme in etwas abgeschwächter Form auch hier präsent. Leider.

Gut, ich wollte jetzt Herrn Balotelli ja gerade nicht zum Märtyrer machen, der grundlos angefeindet wird. Der Typ ist ein ausgemachtes unerzogenes Arschloch und ein Provokateur vor dem Herrn. Auch im Spiel gegen Juve hat er keine Gelegenheit ausgelassen, das Publikum mit dummen Provokationen gegen sich aufzubringen oder Spieler der Juve zu veralbern. Insofern braucht er sich nicht zu wundern, dass er gehasst wird – ich hab nur meine Meinung über die Art und Weise der Unmutsäußerungen geäußert.

In der Nationalmannschaft will ich so einen Pfosten nun überhaupt nicht sehen und zwar völlig unabhängig von der Hautfarbe. Da bin ich Sozialromantiker und glaube auch an sowas wie eine Vorbildfunktion – so Leute wie Totti und Cassano spielen aus genau diesem Grund nicht in der Squadra Azzurra – und völlig zurecht.

Mahlzeit!

Mal wieder nen juter Artikel. Im TV hab ich nichts mitbekommen, hat auch keiner was im Lokal gesagt. Muntari und Viera haben ja auch nichts gesagt, haben ja auch nichts abbekommen. Rechtsruck nicht nur in den Stadien, sondern in der Gesellschaft, vor allem bei den oberen 10.000. Warum vornehmlich Torhüter nach rechts abdriften, da sie ja eigentlich in der Mitte stehen sollten, könnte man auch mal untersuchen.

Grüße in den Westen!

Niemand hat zunächst was gesagt, mittlerweile ist das ja auch alles Folklore und wird unter „harte Stadionsitten“ abgebucht. Und im Falle Balotelli ist die Schwelle, sich über Beleidigungen zu echauffieren ja nochmal höher. Ich will mich aber ganz frei über den Dreckskerl aufregen können, ohne dass mir die Nazis applaudieren! 😀

Ich freu mich jederzeit, wenn’s jemand liest. Ihr seid alles lebende Beispiele, dass man im Internet auch längere Texte anbringen kann! Danke dafür. 😉