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Ich hatte gehofft, vorher zu sterben. Francesco Totti tritt ab.

„Totti è la Roma“, Totti ist der AS Roma, bedeutete das riesige Spruchband, das die Curva Sud gestern zu seinem Abschied entrollte. Besser hätte man das nicht ausdrücken können und viel mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen. Nach Del Piero und Maldini tritt nun auch die letzte große „Bandiera“ des italienischen Fußballs ab. Ein Relikt eines anderen Fußballs, kurioser Überlebender einer längst vergangenen Epoche. Anderswo werden Clubs mittlerweile von Investment-Gesellschaften übernommen, GoPros auf Weißbiergläser geschraubt oder erweitern blonde Schlagertussis den Market Share eines Pokalfinals. Und in Rom steht ein plötzlich sehr kleiner Francesco Totti zum letzten Mal auf dem Rasen seines Stadio Olimpico und heult. Und die knapp 70.000, die zu seiner Verabschiedung gekommen waren, tun es ihm gleich. „Ich hatte gehofft, vorher zu sterben“ oder „Man sagt, ich habe in Tottis Epoche gelebt“ steht auf Doppelhaltern.

Ein Kind seiner Stadt. In Rom geboren und aufgewachsen hat er nie auch nur eine Sekunde in Erwägung gezogen, irgendwoanders hinzugehen. Und „in Rom werde ich auch sterben“ versicherte er gestern nochmal. Roma-Fan seit immer, Kind der Curva Sud, 889 Spiele, 334 Tore und schon 2014 der älteste Spieler, der je ein Tor in der Champions League geschossen hat. Und dabei immer das Kind geblieben ist, das mit dem Schal um den Hals hinter dem Tor sein Team anfeuert. „Heute hat mir die Zeit auf die Schultern geklopft und gesagt: Wir müssen wachsen, ab morgen bist du groß, zieh Hose und Fußballschuhe aus, denn du bist heute erwachsen und darfst den Duft des Rasens nicht mehr aus der Nähe erleben.“ Es besteht kein Zweifel daran, dass er an seine 25 Jahre Karriere ohne zu zögern noch ein paar Jahre drangehängt hätte. „Verdammte Zeit.“

Journalisten und Fußballinteressierte haben dutzendmal die Frage diskutiert, dass er bei einem anderen Klub viel mehr gewonnen hätte, eine richtige Karriere wäre ihm beschieden gewesen, sein Talent hätte für Real Madrid gereicht. Totti, da bin ich mir sicher, findet solche Überlegungen absurd. Er ist Römer, er hat in Roms Straßen gebolzt, er spricht den rüden Dialekt, er liebt das Rot und das Gelb seiner einzigen Mannschaft und warum sollte er denn auch woanders hingehen? Dabei war 1989 sein Jugendverein Lodigiani bereits mit Lazio über einen Wechsel des zwölfjährigen einig. Erst ein Last-Minute-Einsatz des Nachwuchsverantwortlichen überzeugte seine Eltern davon, ihn lieber zur Roma ziehen zu lassen. Da wäre er sowieso gelandet, weil das sein Schicksal war, der Traum und die Aufgabe, die das Leben für ihn vorgesehen hatte.

Legende ist er, Römer wird er bleiben. „Einer von uns“ im besten Sinne des Wortes. Es gibt unzählige Witze über ihn, er selbst hat zwei Sammlungen mit den besten als Bücher herausgegeben. Millionen rot-gelber Shirts mit der „10“ und „Totti“ werden vermutlich Jahrzehnte nicht aus dem Stadtbild verschwinden. In „seinen“ Bars und Trattorien wird man seine Insignien pflegen. Aber sein verschmitztes Lausbubengesicht wird weniger Späße aushecken, manchmal auch ernste Dinge. Und die Roma wird weniger schöne Tore schießen ohne „Er Pupone“.

Ich kenne keine Roma ohne Totti und sicherlich fällt es Römern noch viel schwerer, sich eine Roma ohne Totti vorzustellen. Es wird eine Weile brauchen zu realisieren, den Kerl nicht mehr in der Aufstellung zu lesen. Eben auch, weil gestern ein letztes Stück des „alten“ Fußballs gegangen ist. Ein Fußball, in dem kleine Kinder sich in die Mannschaft ihrer Stadt verlieben und von nichts anderem träumen, als einmal mit diesem Trikot auf dem Platz zu stehen. Ein Fußball, in dem die Kids in Testaccio nicht im Messi-Trikot gegen Garagentore bolzen. Ein Fußball, der Fans die Chance gab, sich mit Spielern zu identifizieren, ohne im Hinterkopf Begriffe aus der Investment-Branche zu rezitieren. Der letzte Fußball, der so viel mehr als Fußball war. Echte Liebe. Also wirklich echte Liebe. Ciao Francesco. Du wirst mir fehlen.

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