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Gianfrancesco Turano: Fuori Gioco. Fußball und Macht.

Ein Buch wie ein Verkehrsunfall. Man erfährt Dinge, die man eigentlich lieber nicht wissen möchte, eignet sich Wissen an, das den eigenen Blick auf den Fußballsport unausweichlich traumatisch verändern wird. Trotzdem muss man weiterlesen, kann sich nicht losreißen von diesem Buch, das genügend Material für eine ganze Reihe von Krimis hergegeben hätte, aber leider nur in journalistischer Fleißarbeit das Fundament des italienischen Fußballbetriebs freilegt. Ich verfolge den italienischen Fußball seit mehr als zwei Jahrzehnten und habe mich, wie jeder Italiener auch, damit abgefunden, dass es im heimischen Fußballbetrieb eine Reihe außersportlicher Faktoren gibt, über die man geflissentlich hinwegsehen sollte. Alle paar Jahre durchstößt ja die Spitze des Eisbergs in Form von Bestechungs-, Doping- oder sonstigen Skandalen von unten den notdürftig geflickten Rasenplatz, auf dem sich italienische Fußballmannschaften begegnen. Allerdings ist es auch für mich ebenso faszinierend wie verstörend, welche Kräfte sich außer den 11 Feldspielern noch auf den Platz begeben. Leider ist das Buch nicht auf deutsch erschienen, dabei ist es doch die deutlichste Brandrede für die Beibehaltung der 50+1 Regel, die ich jemals in die Hände bekommen habe.

„Bei der Wahlversammlung für die Kommunalwahlen 2011 versprach Berlusconi der Stadt nicht, sie vom Müll zu befreien, sondern dass er darauf verzichten würde, Napoli den slowakischen Fußballer Marek Hamsik abzukaufen.“

Der italienische Fußballbetrieb ist seit Jahrzehnten in der Hand einheimischer Gönner und Mäzene, die sich einen Fußballclub (oder mehrere) zugelegt haben und mit mehr oder weniger großem Einsatz finanzieller Mittel dessen Geschicke lenken. Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist der Fußballbetrieb ein Zuschussgeschäft und Gianfrancesco Turano, Journalist aus den Reihen der Repubblica, stellt und beantwortet die Frage, was einen Geschäftsmann dazu bewegt, sich in die Unwägbarkeiten des Fußballgeschäfts zu stürzen. Turano geht dabei so beflissen und detailreich vor, dass dem nicht mit den politischen Verhältnissen des Nachkriegsitaliens sowieso vertrauten Leser bereits nach den ersten Kapiteln gehörig der Schädel brummt angesichts der Fülle an Namen, Zahlen, Parteien, Banken und Geheimlogen, auf deren Geflecht die 10% Sport ausgetragen werden, die man für gewöhnlich als Spieler, Tore, Resultate und Tabellen kennt.

„Niemals stand ich vor einer Lobbyarbeit von so großen Dimensionen. Ein einzelner Mann blockiert das gesetz zu den neuen Stadien, Claudio Lotito.“

(Giovanni Lolli)

Vom ersten Kapitel über den „Neueinsteiger“ Thomas di Benedetto (AS Roma) bis zum wohl schillerndsten Vertreter seiner Zunft Silvio Berlusconui (AC Milan) dröselt Turani detailversessen auf, woher die Präsidenten der aktuellen Serie A-Teams (Saison 2012/12) stammen, wie der Wunsch zur Vereinsinhaberschaft geboren wurde und wie sie mehr oder weniger erfolgreich Teams mit teils mehreren Millionen Fans durch die Untiefen des Fußbalbusiness gesteuert haben. Denn nichts sorgt in Italien für eine sofortige mediale Dauerpräsenz und Sichtbarkeit wie die Eigentümerschaft eines Fußballvereins. Nichts öffnet Türen zu Banken, Immobiliengeschäften und politischer Einflussnahme so rasant. Nichts erschließt Wählerherzen und Konsumentenvertrauen so leicht, wie eine Fußballmannschaft und mit nichts anderem bewegt man Politiker so elegant dazu, dem eigenenj Geschäft ein paar Wege zu ebnen, wie eine erfolgreiche Fußballmannschaft im Herzen der Stadt. Dabei wäre es vermessen zu glauben, man kauft sich einen Fußballclub, um dadurch Macht und Einfluss zu gelangen. Man kann aber sicherlich Macht und Einfluss multiplizieren und die eigenen Anstrengungen etwas stromlinienförmiger zu gestalten.

„Wenige Tage nach dem Börsengang der Saras, hob die Investmentbank JP Morgan Gianmarco Morattis Sohn auf einen Posten, der zwischen dem Firmensitz in Mailand und dem Hauptqaurtier in London auszuüben wäre.“

Dabei sind die – immer schillernden – Persönlichkeiten am Ruder der Fußballclubs aber so vielfältig, wie ihre Ziele und Strategien. Da gibt es Unternehmer wie Gianpaolo Pozzo von Udinese Calcio oder Aurelio de Laurentiis vom SSC Napoli, die es geschafft haben, ihren Fußballklub in die schwarzen Zahlen zu führen, so dass der Fußballclub mittlerweile als Einnahmequelle die krisengeplagten eigentlichen wirtschaftlichen Hauptbetätigungen hinter sich lässt. Während de Laurentiis die einbrechenden Einnahmen aus seinem Kinoproduktions- und -vermarktungsgeschäft mit seinem Napoli bestens abfedern kann, ist bei Pozzo der eigentliche Familienbetrieb (Feinmechanik) mittlerweile zugunsten der Einnahmen aus dem Fußballgeschäft praktisch völlig verschwunden. Da gibt es den aufstrebenden Bauunternehmer und Ex-Sänger auf Kreuzfahrtschiffen Silvio Berlusconi, der es über die Erfolge seines AC Milan geschafft hat, zunächst seine Idee vom privat finanzierten Fernsehen zur Killerapplikation der letzten zwanzig Jahre zu machen und dieselbe Notorietät auch gleich in Wählerstimmen umzumünzen und zum zwischenzeitlich mächtigsten Mann Italiens aufzusteigen. Der Reichste ist er ja sowieso. Da gibt es Maurizio Zamparini (US Palermo), den neben seinen Supermärkten mittlerweile auch das einträgliche Immobiliengeschäft rund um den Stadionbau interessiert. Dabei ging es doch zu Beginn nur darum, bei den Stadtoberen der sizilianischen Hauptstadt ein paar Handreichungen bei der Eröffnung weiterer Supermärkte zu erlangen. Denn die wissen auch um die Bedeutung einer erfolgreichen Fußballmannschaft für die Wählerklientel. Und dann ist da natürlich die Juve der Agnelli und von Fiat, Paradebeispiel für den „Staat im Staat“, fußballerisch, wirrtschaftlich und politisch.

„Thomas di Benedetto hat sich den AS Roma gekauft (2011), die Mannschaft, die während der ersten Republik vom wohlwollenden Blick Andreottis begleitet wurde, der es seinem Spezi Giuseppe Ciarrapico anvertraut hatte und für die Finanzgeschäfte seinem Banker des Vertrauens, Cesare Geronzi.“

Fuori Gioco“ bedeutet „Abseits“ und heißt wörtlich „aus dem Spiel“ oder „außerhalb des Spiels“. Der Leser lernt, welche Interessen Vereinspräsidenten auch außerhalb des Spiels noch so gemeinsam haben. Er bekommt auch einen hübschen Einblick in das sehr italienische Geflecht aus Politikern im Vorstand milliardenschwerer Banken und Bankern in der Führungsriege politischer Parteien. Der Leser lernt auch, dass deswegen ein Konkurs noch lange kein Konkurs sein muss und die Tatsache, dass man einen Verein letztgültig an die Wand gesetzt hat noch lange kein Grund ist, sich nicht gleich wieder einen neuen Verein zu kaufen. Am besten, indem man die Spieler gleich mitnimmt. Interessant ist zum Beispiel auch das Funktionieren der Bilanzmanipulationen, das Hin- und Hermauscheln von Spielermaterial, um Einschreibekriterien zu erfüllen oder gegebenenfalls die Steuerlast zu drücken. Bei alledem ist die eigentliche politische Ausrichtung bestenfalls zweitrangig, wirtschaftliche Potenz sicher hilfreich, aber kein Zwang und genügend Raum für auch absurd klingende Allianzen. Und dass es „too big to fail“ nicht nur bei Banken gibt: ohne einen großzügigen Verzicht auf ausstehende Steuer- und Rentenkassenzahlungen gäbe es Parma oder Lazio überhaupt nicht mehr.

„Heute ist das schwer zu glauben, aber Diego Della Valle war ein Geldgeber der ersten Stunde für Forza Italia.“

Ein wie Eingangs bemerkt ebenso faszinierendes wie verstörendes Buch. Eines, dessen Lektüre dringend zu empfehlen ist, von dem ich aber trotzdem der Meinung bin, dass ich es besser nicht gelesen hätte. Die Auswirkungen werden sich erst in der neuen Saison zeigen, Fakt ist, dass ich im Moment über den anstehenden Wettskandal nur schmunzeln kann. Auch die im Buch angedeuteten Spielverschiebungen sind vor dem Hintergrund des dargestellten Filzes allerhöchstens noch Beiwerk. Denn auf’m Platz ist überhaupt nicht wichtig.

Gianfrancesco Turano: Fuori Gioco (Abseits). Fußball und Macht. Von della Valle bis Berlusconi, von Preziosi bis Moratti. Die wahre Geschichte der Präsidenten der Serie A.

Chiarelettere, 2012

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