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Ein ganz normaler Spieltag

Nach den Ereignissen letzten Dienstag um das Spiel Italien gegen Serbien konnte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, den Auswärtssektor im Marassi Stadion einmal selbst zu betrachten und das Vorgehen der genuanischen Polizeikräfte im Detail zu studieren. Aber am besten von Anfang an: Am Samstagabend war ich mit Domenico Mungo im legendären „El Paso“ in Turin verabredet, seit 19 Jahren besetzt und seit jeher Herz von allem, was in Turin irgendwie alternativ ist. Mungo, seit mehr als 20 Jahren einer der führenden Köpfe der Ultràs der Fiorentina, hatte das „El Paso“ schon in seinem Buch „Sensomutanti“ äußerst farbenfroh beschrieben und von daher war ich natürlich gespannt, mir das Loch mal live anzusehen. Anlass war eine Reunion der mindestens ebenso legendären HC-Band „Alberto“, die den anwesenden Mob (viel Skin, viel Oi, viel Punk) zu sauberem Pogo animierte. Das ließen wir uns alten Säcke natürlich nicht nehmen und so konnten wir den jungen Leuten mal zeigen, dass die Knochen zwar brüchig sind, aber man sich mit hoch gehaltenen Ellenbogen trotzdem Platz auf der Tanzfläche verschaffen kann. Den Rest des Morgens verbrachten wir damit, unsere geschundenen Körper zu vergiften und eine Boyband zu casten, mit denen wir das anwesende Publikum vor der Bar mit italienischem Liedgut aus den 70er Jahren erfreuten. Was man nicht alles tut für die Bewegung.

Soweit der Vorspann, den eigentlich geht es ja um wichtigere Themen. Zum Beispiel einen Besuch von Sampdoria gegen Fiorentina im Block der Verweigerer der „Tessera del Tifoso„. Es sollte ja ein Old School-Wochenende werden und so schälte ich mich nach gefühlten 20 Minuten Schlaf in Casa Mungo in meine lieblich nach Vorabend stinkenden Klamotten und kurz darauf in die fast pünktliche Regionalbahn nach Genua. Und Old School sollte es werden. Wohl unsere angeregte Diskussion verfolgend, beäugt uns ein böse aussehender rasierter Kerl im Nachbarabteil und schiebt sich unauffällig die Ärmel hoch. Zum Vorschein kommt ein hübsches Tattoo der „Ultras Tito Cucchiaroni„, der ältesten Ultrà-Gruppierung von Sampdoria. Noch vor ein paar Jahren wäre das ein willkommener Anlass gewesen, die Gürtel rauszuholen, aber im Moment haben italienische Ultràs wichtigere Probleme. Wir laden ihn also in unser Abteil und unterhalten uns lautstark über anstehende Themen. Unser neu gefundener Begleiter war nämlich, wie der Zufall so will, in der Tat einer der Capos der Ultràs Tito, der natürlich ebenfalls ins Marassi unterwegs war. Die zwei Stunden vergingen wie im Flug bei nettem Gespräch über die alten Zeiten, die Schande von Genua und die alten Schlachten. Kaum zu erwähnen brauche ich sicherlich, dass uns eine Menge argwöhnischer Blicke verfolgten, als wir uns auf dem Bahnhof Brignole umarmten, Telefonnummern austauschten und uns versicherten, demnächst unbedingt gemeinsam mal ein Bier trinken zu gehen. Ein Capo der Fiorentina, ein Capo der Samp und ein in gedeckten Farben reisender Milanista. Ohne die Antiterror-Gesetze gegen die italienische Ultrà-Bewegung wäre sowas im Leben nicht möglich gewesen. Gänsehaut, aufgestellte Nackenhaare, ein fester Blick in die Augen, eine Umarmung und dann wieder „nemici come prima“, Feinde wie früher.

Der Zug der „non-tesserati“ aus Florenz hatte eine halbe Stunde Verspätung. Mungo hatte nichts besseres zu tun, als 4 auf dem Bahnhof ebenfalls wartenden Florenzer ragazzi einen Streich zu spielen. Stilecht angetan mit Ray Ban-Pornobrille stellte er sich als Mitglied der DIGOS (der Bullen also) vor und forderte die Dokumente. Große Erleichterung und Gelächter, als er aufklärte und sich nochmal richtig vorstellte. Der Mythos Mungo war natürlich bekannt, aber die vielleicht 18-jährigen Piepel hatten ihn in Zivil schlichtweg nicht erkannt. Umso stolzer präsentierten sie ihr wunderschönes Banner „no al calcio moderno“. Saubere Arbeit Jungs, sowas gibt Hoffnung. Zwar waren die restlichen Viola versteckt nach Pisa gereist um von dort nach Ligurien aufzubrechen, aber so leicht lassen sich die Celerini dann doch nicht abschütteln. Der Zug wurde auf den Bahnsteig 1 umgeleitet und schon von einer imposanten Abordnung von Robocops empfangen. Die Polizeibeauftragte, die wir gegen Serbien noch in hochhackigen Schuhen und hübschem Röckchen im TV bewundern durften, war zur Feier des Tages in voller Anti-Riot-Montur erschienen. Klar doch, die Ultràs der Viola sind natürlich auch mindestens dreimal so gefährlich wie der serbische Nazi-Mob. Ehre, wem Ehre gebührt. 😉

Ansonsten war alles prächtig organisiert. Eine Freude zu sehen, wie satte 300 Ultràs, darunter alles was in der Curva Fiesole Rang und Namen hat, ohne „Tessera del Tifoso“ aber mit Tickets für die Gradinata Nord und ganz viel Violett aus dem Zug strömten. Die anwesende Polizeipräsenz wurde gebührend durch angemessene Gesänge begrüsst, von Doriani keine Spur. Besonders aufgeladene Fans wurden zur Mäßigung aufgefordert und es war auch ein Glück, dass die Selbstregulierung funktionierte, denn in der angespanten Stimmungslage reicht im Moment ein Funke, um zu ernsthaften Auseinandersetzungen im Bahnhof zu führen. So blieb aber bis auf einladende Gesänge alles friedlich und wir erklärten den Polizeichefs, dass wir im Block zum Marassi marschieren wollten und dann keinesfalls vor hatten, im Auswärtssektor Platz zu nehmen. Kein Durchkommen, was den geplanten „Corteo“ anging, über den Block solten wir vor Ort verhandeln. Und so wurden wir durch ein Spalier von Sondereinsatzkräften zu bereitstehenden Bussen geleitet und zum Marassi-Stadion gefahren. Und selbstverständlich vor den Sektor 6, zu Ehren gelangt durch die „3. Halbzeit“ der genueser Celerini gegen Serbien.

Einmal im „Prefiltraggio“ haben wir uns schlicht geweigert, den Auswärtssektor zu betreten, der bereits von den mit „Tessera“ versehenen Viola-Fans bevölkert war, das Schauspiel von oben anschauten. Die Fiorentini waren gewillt, ihren Protest durchzuziehen. Denn das endgültige Kasperl-Theater war ja erreicht, als die Polizei offensichtlich vorhatte, uns Protestanten zwangsweise in den Sektor zu schleusen, der ja eigentlich nach bestehender Gesetzeslage allein Inhabern der Tessera vorbehalten ist. Als freie Bürger Italiens haben wir uns eben alle völlig legitim Karten für einen anderen Bereich (gradinata nord, direkt neben den „Tito“) organisiert, um gegen dieses Instrument staatlicher Repression zu demonstrieren. Uns nun mit den „Tesserati“ zusammenzustecken, damit wäre selbst die Grenze zur normal-italienischen Absurdität meilenweit überschritten. Nach allerlei konsequenten Verhandlungen der Capos mit den Behörden wurde uns schließlich zugesichert, uns in einen eigenen Bereich nur für uns zu bringen – den unterhalb des eigentlichen Auswärtsblock gelegenen Areals, in dem Ivan Bogdanov zu Berühmtheit gelangte. Fast mit den Händen greifbar war so etwas wie Scham bei dem anwesenden Sicherheitspersonal, die sich (abgesehen davon, dass wir sie mit Gesängen darauf aufmerksam machten) durchaus bewusst darüber waren, was für eine peinliche Figur sie gerade abgaben. Am Dienstag noch freier Eintritt für Serben mit kiloweise Pyro im Gepäck, heute exzessives Filzen im Namen der „Sicherheit“. Darauf ließ man sich dann ein und nach exzessiven Leibesvisitationen (der sehr aufmerksame Ordner fand sogar mein Feuerzeug im Schlüpper…die Serben mussten ihr Material einfach noch besser versteckt haben…) und provozierenden Gesängen für Ivan Bogdanov zogen wir dann geschlossen in unseren Block. Eine halbe Stunde nach Spielbeginn war aber dann auch das überstanden und wir durften in den Käfig. „La gabbia“.

Ab dann Dauersupport. Teilweise haben wir die Doriani an die Wand gesungen. Sprechchöre gegen Innenminister Maroni, gegen die Tessera, gegen die oberhalb von uns stationierten Tessera-Fans… „Maroni, Maroni vaffanculo“, „Ivan libero“, „Ivan Bogdanov“, „No alla tessera“, „Ultrà tesserato, ultrà dello stato“ – was das italienische Liedgut eben so hergibt. Besonders schön war, dass die ebenfalls nicht registrierten „Ultràs Tito“, die den Oberrang links von uns bevölkerten (auch sie aus Protest umgezogen aus ihrer Kurve in die Nord), ein eigenes Banner gegen die „Tessera“ ausrollten, unsere Chöre beklatschten und mit uns gemeinsam mehrfach lautstark „No alla tessera“ einstimmten. Stilecht, soviel Ultrà muss sein, wird ein „Maroni, Maroni vaffanculo“ selbstverständlich wahlweise mit „Doria, Doria vaffanculo“ respektive „Viola, Viola vaffanculo“ abgeschlossen. Trotzdem – und vermutlich gerade deshalb – gab es gegenseitigen Applaus. Wenn Maroni mit seiner Tessera irgendetwas erreicht hat, dann das Gefühl der italienischen Ultrás, gemeinsam für eine gemeinsame Sache zu kämpfen.

Ich war natürlich geehrt, neben Mungo und allem, was in der Curva Fiesole etwas zu sagen hat, singen zu dürfen. Neben Leuten, die seit der Gründung der CAV, seit teilweise mehr als 30 Jahren ihre stolze Tifoseria anführen. Haudegen der „Settebello“, der „Alcool Campi“, Ex-„ACAB“ oder „FU“. Und endlich konnte ich Poccio von den „Ultimi Rimasti“ in die Arme schließen. Ebensoviel Freude machte es mir, die vielen, vielen, sehr jungen Ragazzi zu sehen, die offensichtlich in der Curva der Fiorentina mit der richtigen Mentalität versorgt werden. Begeisterte junge Leute, für die es niemals in Frage käme, sich per Tessera registrieren zu lassen, die Respekt vor den historischen Gestalten ihrer Kurve gelehrt bekommen und die sich ruhig verhalten, wenn die Capos das sagen. Ein, für mich, wirklich bewegender Spieltag und eine Bestätigung, dass es noch Hoffnung gibt, wenn eine organisierte Kurve versucht, in Zeiten der überbrodenden Repression ihre Freiräume zu erkämpfen. Denn ähnliche Aktionen gab es am Wochenende über ganz Italien verteilt. Gut eine halbe Stunde nach Spielschluss eskortierten uns die freundlichen Blauhelme wieder zum Bahnhof und mit viel Gänsehaut verabschiedete ich mich von allen historischen Führern der Viola, verbunden mit einer offenen Einladung nach Florenz. Kein Wimpernschlag, keine dumme Bemerkung über den eingeschleusten Milanista. Konsequenz und Mentalität auch hier, getrennt in den Farben, vereint in der Sache. Kompromisse sind notwendig, aber die Fans der Fiorentina zeigen, dass es Hoffnung gibt, wenn die richtigen Leute die richtigen Signale geben.

Und, lieber Herr Maroni: Mal abgesehen davon, dass trotz Ihrer wunderhübschen Antiterror-Gesetze jede Polizeidienststelle in Italien offensichtlich das Vorgehen individuell vor Ort entscheidet. Welchen Sinn hat denn eigentlich Ihre Tessera, die allein zum Besuch des Auswärtssektors berechtigt, wenn die offensichtlich protestierenden „non tesserati“ dann mit Zwang in denselben Block verfrachtet werden sollen? Ich fänd’s als braver Fan nämlich richtig doof, wenn die mit viel billigeren Tickets ausgestatteten Fans ohne Fankarte dann neben mir stehen. Ohne Tessera und für weniger Geld. Italien halt…

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Und hier saß er, der „Ivan der Schreckliche“…Netze notdürftig geflickt, serbische Aufkleber aber noch da.

17 Antworten auf „Ein ganz normaler Spieltag“

Jo, passt, ist verständlich und nachvollziehbar. Nur reden wir hier halt von einem anderen Land mit anderen Problemen, einer anderen Geschichte und anderen politischen Diskussionen. Vor diesem Hintergrund: Einerseits geht es hier in erster Linie um den Protest gegen die TdT, andererseits sind spontane Ausdrucksformen im Stadion sicher nochmal anders zu bewerten als Überlegungen am heimischen Schreibtisch. Ansonsten ist deine Meinung aber sehr nachvollziehbar, ich würd's halt nicht überbewerten wollen.

PS: Oben jetzt auch Videos vom Event.

Scheint eine gelungenen Tour gewesen zu sein. Glückwunsch.

Samp und Viola haben aber auch zwei gute Fan-Szenen. Die sind auch in meiner Achtung ganz weit vorne.

Ein ganz normaler Spieltag: On the Road mit den Ultràs der Fiorentina…

Ein Ausflug ins Marassi in Genua mit den „non tesserati“ der Fiorentina. Das Plexiglas ist natürlich immer noch kaputt, aber wenigstens hat man die Netze geflickt. Schließlich hat die Stadt Genua die Sachschäden vom letzten Dienstag mit 200.000 EUR b…