Dass es dem italienischen Fußball im Moment nicht besonders gut geht, ist nicht allein meinem Kulturpessimismus zuzuschreiben, sondern lässt sich auch an einer ganzen Reihe von Statistiken ablesen. Insofern streue ich immer gern mal ein, dass es mir um das große Ganze geht und nicht nur die Belange von Stehplatzfans. Im Gegenteil, der aktive Teil italienischer Kurven lebt vermutlich am Besten von allen in Jahrzehnte alten Betonschüsseln ohne Wifi und japanische Touristen. Dass die Zuschauerzahlen seit mindestens 10 Jahren nur den Weg nach unten kennen und statistisch jedes Jahr ungefähr ein Dutzend Vereine Konkurs anmeldet, sollte hingegen jedem an diesem Sport Interessierten ein Alarmzeichen sein. Diesen Sommer waren es im Übrigen genau zwölf Clubs, die sich für die aktuelle Saison nicht einschreiben konnten oder wollten. Dabei kostet dies nur 350.000 Euro für die drittklassige Lega Pro und eigentlich auch noch vertretbare 800.000 Euro für die Serie B. Eine Summe, die man auch nicht bar hinterlegen muss, sondern per Bürgschaft.
Aus Gründen, über die ich mir seit 2007 die Finger fusslig schreibe, stellen aber schon diese Bürgschaften jedes Jahr ein ernstzunehmendes Problem für viele Vereine dar. So werden die Zusammensetzungen der unteren Ligen oft erst kurz vor Anpfiff endgültig festgelegt, nachdem man in schier endlosen Prozessen genügend Mannschaften zusammen bekommen hat, die die finanziellen Sicherheiten irgendwie vorlegen könnten. Der sportliche Auf- und Abstieg spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle – dabei ist, wer es sich leisten kann. Oder zumindest am besten so tut, als würde er es sich leisten können. Wie die atemberaubende finanzielle Schräglage von Vereinen wie Brescia oder der scheppernde Konkurs von Parma Calcio letzte Saison bewiesen, wird bei den Sicherheiten seitens der Verbandes schon jedes Hühnerauge zugedrückt. Die Situation wäre noch deutlich dramatischer, hätten die Wettbewerbshüter nicht eine Auflage des italienischen Fußballverbandes gekippt, nachdem nur Banken die Bürgschaften ausstellen dürften: Seit 2015 können auch „andere Finanzdienstleister“ die finanzielle Sicherheit italienischer Clubs garantieren.
Und wohl genau deshalb steht der italienische Fußball laut einem Artikel im L’Espresso wohl vor der nächsten Erschütterung: Gleich 20 der insgesamt 60 Clubs der Lega Pro haben sich im Juni der Gable Insurance bedient, um die gewünschte Bürgschaft zu erlangen. Darunter bekannte Namen wie Mantova, Modena, Reggina und Venezia und auch Vereine der Serie B wie Bari (Akragas, Arezzo, Casertana, Fidelis Andria, Fondi, Lupa Roma, Maceratese, Matera, Melfi, Mantova, Messina, Modena, Olbia, Pordenone, Reggina, Siena, Santarcangelo, Siracusa, Taranto und Venezia). Erstligist Sampdoria ließ sich 12 Millionen Transfermarktschulden von Gable garantieren. Nun steht der kleine Finanzdienstleister womöglich vor dem Aus: am 12. September vermeldete das Unternehmen, sich von der englischen Börse zurückzuziehen. Ein aktiver Verkauf von Versicherungen findet nicht mehr statt, bereits vorhandene Geschäfte sollen aber „weiter bedient werden können“. Was man halt so schreibt, bevor die Lichter ausgehen. Gable Holdings, die Dachorganisation, hat ihren Sitz auf den paradiesischen Cayman Islands, die Gable Insurance, welche das operative Geschäft betreibt, hat ihre Büros in London, ihren Gesellschaftssitz aber kommod in Vaduz im schönen Liechtenstein.
Das kleine Fürstentum ist sicherlich nicht eben der Gralshüter der Finanztransparenz und wird oft genau deswegen als Sitz von Firma oder Stiftung gewählt. Kein Problem natürlich für den italienischen Fußballverband FIGC, es ist ja ein Stempel auf den Papieren; alle Prüfungen im Juni wurden anstandslos bestanden. Kein Problem also, dass die Firma bereits im Mai die Prognosen für das Jahr 2015 vom März nach unten korrigieren musste. Ganze zwei Monate später fand man heraus, dass die Bilanz des Vorjahres einen satten Verlust von 30 Millionen Euro auszeichnete – bei einem Eigenkapital von 3,5 Millionen Euro. Im Moment sieht es nach Angaben des notorisch gut recherchierenden L’Espresso also so aus, als wären die Bürgschaften das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Das Unternehmen sucht händeringend nach neuem Kapital, in den letzten Monaten hat sich diesbezüglich aber nichts gefunden. Das mangelnde Vertrauen der Anleger hat den Titel innerhalb eines Jahres von 24 Pfund auf 2 Pfund abstürzen lassen. Als börsennotiertes Unternehmen waren alle diese Angaben frei verfügbar, auch für die Prüfer der FIGC.
Im Moment fragt sich die Fußballwelt, welchen Wert die Bürgschaften wohl im Moment haben könnten und wie es mit Gable weiter geht. L’Espresso schreibt, dass Sampdorias Eigner Massimo Ferrero aus London zurückgekehrt sei mit „einer ganzen Reihe schlechter Nachrichten, die die bereits so schon instabile finanzielle Balance der Mannschaft aus Genua riskieren lassen„. Der Verein selbst gibt sich gelassen und sieht keinerlei Schwierigkeiten: „Die Bürgschaften sind versichert und wenn der Broker finanzielle probleme hätte, wäre man Geschädigter„ in einem eventuellen Rechtsstreit.
Weitere, auf diesem Markt tätige Finanzdienstleister sind übrigens Elite Insurance mit Sitz in Gibraltar und die bulgarische Nadejda. Man darf gespannt sein.
4 Antworten auf „Aus Parma nichts gelernt“
[…] als die sinkenden Stadionbesuche insgesamt erwarten lassen würden. Aufgrund der prekären finanziellen Situation des italienischen Profifußballs hat man nun die ökonomische Dimension der Ticketverkäufe erkannt und versucht, […]
[…] auf den Plan, denn die überwiegende Mehrheit der Profiklubs hangelt sich bereits jetzt mehr schlecht als Recht durch die Saison. Ein Rückgang der TV-Einnahmen könnte eine gefährliche ökonomische […]
[…] ist das statistische Dutzend Vereine aus dem italienischen Profi-Spielbetrieb verschwunden, der drohende Konkurs eines Versicherers mit Sitz auf den Cayman Inseln pulverisiert die Bürgschaften für ein Drittel der Teilnehmer an der Lega Pro und das […]
Mar Vin unglaublich U0001f622