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Antonio Cassano – Er will doch nur spielen.

Kennengelernt habe ich Antonio Cassano vor knapp 10 Jahren im San Siro im Dress von Sampdoria. Der Ausnahmefußballer machte das, was er am besten kann: er kroch auf Knien an der Seitenlinie herum und bespritzte den Linienrichter mit der Wasserflasche. Und der schaute ihn mit dieser Mischung aus mildem Vorwurf, Unglauben und Nachsichtigkeit an, mit der eine italienische Mamma ihren Sohn aus dem Ententeich zieht. Derselbe Blick – vermute ich -, den die Fans von Hellas Verona für ihn bereit hielten, als er gestern 8 Tage nach Vertragsunterschrift seinen Rücktritt vom Fußball bekanntgab, nur um dann am Nachmittag zu erklären, dass er sich das nochmal anders überlegt hatte, er war einfach „sehr müde“. Vielleicht wollte er auch nur eine Trainingseinheit auslassen, zutrauen würde ihm das jeder, ernsthaft böse sein kann ihm niemand.

Cassano ist ein Unangepasster, ein Fehler im System des modernen Fußballs, ein aus der Zeit gefallener Held. Dabei fehlt ihm die Aggressivität eines Cantonà, die selbstzerstörerische Ader eines Georgie Best, die Tragik eines Paul Gascoigne, ihm fehlt der bedingungslose Einsatz eines Gennaro Gattuso und in einem Foto neben Jaap Stam würde er wirken wie ein grinsender Chihuahua neben einer Bulldogge. Nirgends hat er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, niemand – außer vielleicht Balotelli – hat sein Talent effektiver verschwendet. Fressen, Saufen, Rauchen und – nach eigenem Bekunden – mehr als 700 Frauen, in der Freizeit Fußballer. Kein Material für Helden also und trotzdem mag ihm niemand böse sein. „Cassano ist einfach so.“ Und so verzeiht ihm das italienische Fanherz jeden noch so infantilen Blödsinn und lacht, auch wenn außer wenigen Eingeweihten niemand seine in breitesten Dialekt gegebenen Interviews jemals versteht.

Mehr als im Fußball hat Cassano Spuren in der italienischen Sprache hinterlassen, wo seine Anekdoten mittlerweile als „Cassanate“ zusammengefasst werden, alberne Scherze und absurde Begebenheiten, deren Beweggründe sich dem normalen Menschen nicht erschließen. Der Begriff wurde von Fabio Capello geprägt, der die Aufgabe hatte, ihn bei der Roma zu trainieren und hat mittlerweile Eingang in die italienischen Wörterbücher gefunden. Der Straßenfußballer aus der Altstadt von Bari ließ sich ohne Führerschein und Helm von der Polizei erwischen und floh 2001 aus dem Trainingslager der U-21, als er ein Testspiel gegen Rumänien nur von der Bank aus begleiten durfte. Nicht, ohne sich vorher ein Wortgefecht mit Trainer Claudio Gentile geliefert zu haben. Damit war das Thema seiner fußballerischen Karriere gesetzt, den kein Trainer jemals unter Kontrolle bringen konnte.

Im selben Jahr 2001 wechselt Cassano zur Roma, wo er sich sofort mit Totti anfreundet. Wenig später kommt es zum Eklat mit Fabio Capello: der Startrainer hatte die Benutzung von Handys verboten und als am Mittagstisch ein einziges klingelte, kam es zu einem veritablen Wutausbruch des späteren Nationaltrainers. Während Trainingseifer noch nie eine Stärke war, baute Cassano das Thema Wutausbrüche kontinuierlich aus. Am 23. Februar stellte ihn Schiedsrichter Pieri wegen wiederholt unflätiger Wortwahl vom Platz. Knapp drei Wochen später versuchte er dasselbe mit dem deutschen Schiedsrichter Meier genen Arsenal in der Champions League, aber Meier verstand ihn nicht. Im Pokalfinale am 31. Mai gegen Milan wurde er von Schiedsrichter Rosetti vom Platz gestellt, dem er daraufhin mit Gesten zu verstehen gab, dass dessen Ehefrau nicht treu sei.

Nebenbei ab und zu ein Aufblitzen seiner Klasse. Im Februar 2004 steuerte er zwei Tore beim 4:0 Sieg der Roma gegen Erzrivalen Juventus bei. Mit freiem Oberkörper rannte er zur Eckfahne und zerstörte die mit einem gezielten Tritt. Tausende von Fotos zeigen ihn nach dem Spiel auf der Laufbahn vor der Curva Sud, nur noch in seine Unterhose gekleidet und merkwürdige Verrenkungen aufführend. Egal, 4:0. Ein zügiges Ende fand sein Aufenthalt in der italienischen Hauptstadt, als er Präsident Sensi beleidigte und angab, sich nur entschuldigen zu wollen, „wenn ich auf Knien darum gebeten würde“. Dazu sollte es nicht kommen und seinen Wechsel zu Real Madrid kommentierte Daniele De Rossi mit einem lapidaren „Jetzt atmet man hier endlich frische Luft“.

In Madrid traf er wieder auf den bedauernswerten Capello und bekam von den Fans den Spitznamen „El Gordito“, „Dickerchen“. Sein Verhältnis zum Trainer implodierte, als ihn die TV-Kameras dabei erwischten, wie Cassano diesen vor seinen feixenden Mitspielern imitierte. Jahre später berichtet Capello dem spanischen Sportmagazin „As“, dass er mit Cassano schon zu Zeiten der Roma „physische Auseinandersetzungen“ hatte. Gespielt hat Cassano in Madrid eher selten, deutlich weniger als „El Gordo“, der (wahre) Ronaldo..

2007 kehrte er nach Italien, Sampdoria, zurück, wo er dabei half, den Verein in die Champions League zu führen. Im Dezember 2007 holte er sich bei Sampdoria gegen Fiorentina die obbligatorische gelbe Karte ab, die er unbedingt vermeiden wollte, weil er im Spiel darauf gegen seinen Ex-Verein AS Roma antreten wollte. Seine vehemente Reaktion auf die Verwarnung, an deren Ende er in Tränen ausbricht, ist in das italienische Fangedächtnis eingebrannt. 2008 im Spiel gegen Torino stellte ihn Schiedsrichter Pierpaoli wegen Foulspiels vom Platz. Cassano sieht das selbstverständlich nicht ein, reißt sich das Trikot vom Leib, wirft es auf den Schiedsrichter und geht wütend auf diesen los. Nachdem er den Platz verlassen hat, postiert er sich am Spielertunnel und droht mit finsterer Mine damit, hier bis zum Abpfiff auf Pierpaoli zu warten. 5 Tage Sperre diesmal. 2009 gerät er mit Trainer Delneri aneinander und wird für 6 Tage aus der Mannschaft verbannt.

Das Idyll hielt so lange, bis Präsident Garrone ihn dazu bewegen wollte, sich eine Trophäe abzuholen. Antonio hatte aber keine Lust und er erzählte das seinem Chef in Worten, die ich hier nicht wiedergeben will. „Scheiß-Rentner“ war noch das freundlichste. Ab hier wurde er durch mehrere Vereine gereicht, die vergeblich versuchten, den Ausnahmefußballer dazu zu bewegen, sein Können auch auf dem Platz zu zeigen. In nur 3 Jahren schaffte er es, die Fans von Milan und Inter gegen sich aufzubringen und wechselte dann zu Parma, das er im Streit mit dessen Fans verließ, bevor der Konkurs des Vereins ruchbar wurde. Nicht, ohne vorher seine Meinung zur Mutter von Inters Torwart Handanovic kundzutun, der die Frechheit hatte, einen seiner Elfmeter zu halten. Eine zwischenzeitliche Rückkehr zu Sampdoria endete 2016 im Streit mit Präsident Massimo Ferrero, der ihm erklärt hatte, fußballerisch nicht mehr auf ihn zu setzen und ihm stattdessen einen Posten am Schreibtisch anbot. Nachdem Cassano dies – und jeglichen Wechsel – ablehnte, endete seine Karriere in Ligurien mit seiner Relegation in die Jugendmannschaft und anschließender Vertragsauflösung.

Wie gesagt, an fußballerische Leckerbissen erinnern sich in den letzten Jahren wenige Fans, schon lange hatte er seine Bestimmung als grinsender Produzent von Schlagzeilen gefunden. Mehr als alles andere hat sich den Milanisti die unverständliche Schimpftirade gegen Alexandre Pato eingeprägt, weil der brasilianische Stürmer ihm im Scherz die Haare verstrubbelt hatte. Das Video sollte in Italien Kultstatus erlangen, aus denselben Gründen wie Trappatonis Wutrede bei den Bayern: eine ganz eigene Interpretation der Muttersprache, aus der sich allen nicht aus Bari stammenden Menschen nur eine klare Anmerkung zur Mutter des Brasilianers erschließt. Selbst im Trubel der Meisterfeier von Milan 2011 schaffte er es, sich mit Zlatan Ibrahimovic zu zoffen.

In Cassanos erster Pressekonferenz nach seinem Wechsel zu Inter schoss er gegen Adriano Galliani, den Sportdirektor des AC Milan, der bis drei Tage vorher noch sein Chef war. Milans Mediziner hatten ihm Monate vorher noch das Leben und die Karriere gerettet, als er mit einem Herzklappenfehler zusammenbrach. Nach seinem Wechsel zum Stadtrivalen war das vergessen, Galliani hätte ihm „viel versprochen, aber nichst gehalten“. Man weiß bis heute nicht, was er meinte. Am 2. November verkündete er, dass er bereitrs drei mal einen Wechsel zur Juve von Antonio Conte abgelehnt hätte, weil man dort nur „brave Soldaten, die immer geradeaus gehen“ bräuchte, er aber häufiger mal die Gleise verlasse. Korrekt. Antonio hatte sich in seiner Rolle eingelebt. Obwohl sich Cassano bei seinem Wechsel zu Inter – wie immer – enthusiastisch gezeigt hatte, dauerte der Frieden nur wenige Monate. 2013 hielten ihn seine Teamkollegen mit Mühe zurück, auf Trainer Stramaccioni loszugehen. Schubserei, Beleidigungen, eine Fast-Schlägerei, die ihn 40.000 Euro kosteten, ein paar Tage Verbannung aus der Mannschaft und das erleichterte Lachen der Milan-Fans.

Nun also seine womöglich letzte Station im bezahlten Fußball. Während seiner einjährigen Auszeit im Kreise seiner Familie erklärte er mit der ihm eigenen Nonchalance, dass „bei all den Luschen die da rumlaufen, entweder spiele ich in der Serie A oder ich bleib zuhause“. Hellas Verona nahm ihm beim Wort und man kann nicht sagen, dass Cassano nicht die Erwartungen erfüllt. Nach seinem Rücktritt vom Rücktritt gestern abend berichtete er stolz, 7 kg abgenommen zu haben und für die neue Saison extrem motiviert zu sein. Egal wie es ausgeht, man wird ihm nicht böse sein.

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