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Alexandre Pato – last man standing

Nachdem ich mich gestern mit einer eher tristen Saisonvorschau befasst habe, soll es heute um die im letzten Absatz erwähnten Unwägbarkeiten gehen. Mit dem Verkauf des brasilianischen Innenverteidigers Thiago Silva und des schwedischen Stürmers Zlatan Ibrahimovic an die neureichen Paris Saint Germain hat sich der AC Milan, immerhin 7-maliger Gewinner des höchsten europäischen Vereinswettbewerbs, nun auch offiziell vom Status eines europäischen Spitzenclubs verabschiedet. Neutral betrachtet muss das keine schlechte Entwicklung sein, wenn der Club, der Mitte der 80er den Transferzirkus erfunden hatte, nun die Segel streichen muss, weil andernorts noch reichere Mäzene sich sportlichen Erfolg erkaufen. Das Signal, dass die Eigentümer des AC Milan nicht mehr willens sind, jährlich viele Millionen Euro in den Verein zu stecken, ist deutlich und schließt eine Entwicklung ab, die bereits nach dem letzten Champions League-Gewinn im Jahr 2007 begonnen wurde. Zwischenzeitlich wurden Schlüsselspieler wie Kakà, Shevchenko und eben Ibrahimovic und Silva verkauft, vor allem, weil deren Gehälter bei im europäischen Vergleich geringeren Merchandising-Einnahmen und dem fehlenden eigenen Stadion nicht mehr aus eigener Kraft zu stemmen waren. Dem Ausstieg der Familie Berlusconi/Fininvest als Geldgeber folgt logisch, dass der Verein finanziell auf eigenen Füßen stehen muss und mithin nicht mehr mit den Großen des europäischen Fußballs mehr mithalten kann. Ob Platinìs „Financial Fairplay“ daran etwas ändern wird, bleibt abzuwarten, ich glaube eher nicht daran.

Alexandre Pato gehört trotz seiner jungen Jahre bereits zum festen Inventar beim italienischen Spitzenklub AC Mailand. Der heute 22-jährige Stürmer wechselte 2007 für rund 22 Millionen Euro vom brasilianischen Klub Internacional Porto Alegre zu den Lombarden. Seitdem erzielte Pato in 113 Ligaspielen 51 Tore für die ‚Rosseneri‘ und gehört mittlerweile zu den begehrtesten Spielern auf dem europäischen Transfermarkt.

(fussballtransfers.com)

Unwägbarkeiten, sagten wir. Eine dieser Unwägbarkeiten ist der brasilianische Stürmer Alexandre Pato. der mit 17 Jahren für immerhin 20 Millionen Euro zu Milan gelockt wurde und dort aus Altersgründen zunächst ein halbes Jahr nicht spielberechtigt war. Sechs Monate, die die Gerüchteküche brodeln und die Erwartungshaltung überschäumen ließen, der Jungstar war nur in Freundschaftsspielen aufgelaufen, wo er gegen Dynamo Kiev beim ersten Einsatz auch gleich sein erstes Tor erzielte. Wichtig war aber die Erwartungshaltung des Publikums gegenüber seinem ersten ernsthaften Auftritt in der Serie A. Ich kann mich noch bestens an das erste Spiel des Wunderkinds in der höchsten Spielklasse erinnern. Neugier und Vorfreude waren so groß, dass schon beim ersten Spiel jede Menge Doppelhalter und Spruchbanner den „Papero“ feierten. Sein erster Auftritt war phänomenal; als hätte er schon mehrere Jahre in Europa gespielt, riss er das Spiel an sich, zeigte eine monströse Laufbereitschaft, technische Finessen und krönte sein erstes offizielles Punktspiel im schwarz-roten Dress mit einem wunderschönen Tor. Es folgte eine Rückrunde mit 20 Einsätzen und 9 Toren und auch die nächste Spielzeit mit 42 Einsätzen und 18 Toren war beeindruckend für einen 18-jährigen. Zumal bei einem AC Milan, der sicherlich unverdächtig ist, die Jugend zu bevorzugen. Pato wurde aber aus dem Stand Stamm- und Schlüsselspieler sowie Publikumsliebling besonders der jüngeren Fans.

Soweit, so großartig. Der Junge hatte ein schnelles Dribbling, atemberaubende Technik und einen Torinstinkt, wie ihn nur ganz wenige jeder Generation besitzen. Vor allem schien er den Kopf an der richtigen Stelle sitzen zu haben, im Gegensatz zu einem Ibrahimovic erzielte er seine Tore auch gern mal gegen Spitzenclubs und auch in entscheidenden Spielen auf europäischer Ebene. Eins schöner als das andere zudem. Es schien ihm eine große Zukunft vorbestimmt, enthusiastischere Autoren beschieden ihm das größte fußballerische Talent seit vielen Jahren. Die Statistiken bescheinigen 14 Tore in 30 Spielen in der Saison 2009/10 und 16 Tore in 33 Spielen in der darauffolgenden Spielzeit. Es wechselten die Sturmpartner und der Rest der Mannschaft, es wechselten die Trainer, Patos Torausbeute pro Spielminute blieb phänomenal. Bis sich vor etwas mehr als einem Jahr etwas änderte. Die abgelaufene Saison 2011/12 verzeichnet zwar noch 18 Einsätze und 4 Tore, die Minuten auf dem Platz waren allerdings drastisch geschrumpft: eine Vielzahl von Muskelverletzungen sorgten dafür, dass er oftmals nicht einmal 10 Minuten auf dem Platz durchhielt und viele Monate in Rekonvaleszenz in den USA oder Brasilien verbrachte. Schlagzeilen machte „Papero“ nur noch jenseits des Platzes, wo seine Liaison mit Berlusconis Tochter Barbara Schlagzeilen für die Sport- und Boulevardpresse lieferte und den Gerüchten nach auch nicht bei jedem Mannschaftskollegen auf ungeteilte Zustimmung stieß. Klar, eine Affäre mit der Tochter des Chefs…

Medizinische Konsile mit bekannten Größen der Sportmedizin brachten verschiedene Ansatzpunkte, bislang allerdings keine Lösung. Im Moment spielt Pato für die brasilianische Olympiamannschaft und Millionen Milanisti hoffen, dass Patos Verletzungsmisere endgültig gelöst ist. Über die Ursachen kann man nur spekulieren, die medizinisch belastbaren Aussagen zu seinem Verletzungsbild sind dünn. Fakt ist, dass Pato in seinen ersten Jahren einem harten Kraft-Trainingsprogramm unterzogen wurde, im Rahmen dessen er mehr als 15 Kilo Muskelmasse aufbaute. Hintergrund war die Vorstellung, ihn zum klassischen Mittelstürmer umzuschulen, was im italienischen System vor allem auch bedeutet, sich mit dem Rücken zum Tor physisch robust gegen die beiden Innenverteidiger zu behaupten. Ziemlich genau das Gegenteil von seiner bis dahin zu beobachtenden Spielweise, bei der er den Gegner meist mit Tempodribblings von außerhalb des Strafraums aussteigen ließ. Das alles, während er noch in der Wachstumsphase war, denn er legte auch noch 10 cm an Größe zu. Die Effekte waren zerstörerisch. Für 1-2 Wochen prognostizierte „Zerrungen“ sorgten für mehrmonatige Spielpausen, mehr als einmal musste ein Wiedereinstieg ins Spielgeschehen abgebrochen werden, weil nach wenigen Minuten die Verletzung wieder Probleme bereitete. Dabei nicht lokal begrenzt, d.h. wahllos auv rechte und linke Ober- und Unterschenkel verteilt. Der Gossip über sein Verhältnis zur Berlusconi-Tochter und eventuell mangelnden Trainingseinsatz halfen auch nicht, die Sorgen und Zweifel seiner Fans zu zerstreuen.

Wie niemals vorher lastet die Verantwortung auf Patos Schultern. Nach dem Abgang Ibrahimovics stellt Pato im Moment (der Transfermarkt schließt Ende August) den wichtigsten Baustein für die neue Saison dar. Wenn er an alte Leistung anknüpfen kann, stellt sich die sportliche Lage deutlich weniger grau dar, als sie von vielen Fans befürchtet wird. Sollte auch die neue Spielzeit von Verletzungen geprägt sein, ist dies sicherlich dramatisch für die Norditaliener, der internationale Fußball würde aber auch – vermutlich definitiv – eines seiner größten Talente verlieren. Fakt ist, dass der junge Mann sich nicht mehr im Schatten der Superstars verstecken kann: Wo er sich früher Ansehen und Verantwortung mit Spielern der Größe von Ronaldo, Seedorf, Gattuso, van Bommel, Nesta, Maldini oder Kakà teilen konnte, steht er mittlerweile allein im Rampenlicht. „O la va o la spacca“ sagt der Italiener – Alles oder Nichts. Patos Moment ist gekommen, es wird sich zeigen, ob er für den nächsten Karriereschritt bereit ist; aber das kann man sich ja bekanntlich nicht immer aussuchen.